Читать книгу Bis wir uns wiedersehen - Catherine Bailey - Страница 11

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Der Eingang zum Westflügel war über einen weißen Steinpfad zu erreichen, der von niedrigen, geschnittenen Hecken gesäumt wurde.

Foster öffnete die Tür und betrat eine kleine Diele. Sofort bemerkte er den Gegensatz zu den leeren Zimmern im Rest des Hauses. An der einen Seite hingen Jacken an Garderobenhaltern, darunter stand eine Reihe Reitstiefel. Daneben hatte man dem Kopf einer Marmorbüste Sonnenhüte unterschiedlicher Größen und Formen aufgestülpt. Auf dem Tisch lag um zwei chinesische Vasen herum alles Mögliche, darunter Schlüsselbünde, eine Hundeleine, Samenpackungen und Rollen mit Blumendraht.

Trotz des Durcheinanders hatte der Raum eine gewisse Ordnung. Die Reitstiefel standen sauber nach Größen aufgereiht. Die Wirkung war seltsam eindringlich. Am Ende der Reihe standen zwei winzige Paar Reitstiefeletten. Das eine sah aus, als gehöre es einem vier- oder fünfjährigen Kind, das andere war noch kleiner.

Der Korridor jenseits der Diele lag im Halbdunkel. Als er das Licht anknipste, fiel sein Blick auf eine kleine Karte an der Tür rechter Hand. Auf das dicke weiße Papier war eine goldene Krone geprägt, darunter stand in schwarzer Tinte in einer verschnörkelten Schrift Camera del Victor Emmanuel III, S. M. Il Re d’Italia.

Das Schlafzimmer von Vittorio Emmanuele III., Seiner Majestät, König von Italien.

Es war eine verblüffende Entdeckung. Einen Moment lang konnte Foster glauben, die Burg gehöre dem König. Wenn sie ihm aber gehörte, warum musste dann eine Karte an der Tür darauf hinweisen, dass es sein Schlafzimmer war? Die Karte deutete eher darauf hin, dass der König nur vorübergehend hier gewohnt hatte. Was hatte ihn also in eine so abgelegene Ecke des Landes gebracht? Hatte er die Burg als Versteck während des Krieges benutzt? Der König – eine unpopuläre Figur und von seiner Unterstützung für das Mussolini-Regime befleckt – war bis zum Herbst 1943 italienischer Oberbefehlshaber gewesen und hatte einen Waffenstillstand mit den Alliierten ausgehandelt. Die Italiener nannten ihn Il Re Soldato (der Soldatenkönig) oder weniger schmeichelhaft Sciaboletta (kleiner Säbel), weil er nur 1,53 Meter groß war. Den Rest des Krieges hatte er unter Bewachung in einem Palast an der Amalfi-Küste verbracht.

Zu Fosters Überraschung war die Tür nicht verschlossen. Er stieß sie auf, ging hinein und erwartete ein reich ausgestattetes großes Zimmer, eines Königs würdig. Doch der bescheidene und einfach möblierte Raum war wenig auffällig – bis auf die Tatsache, dass jemand noch vor Kurzem hier gewohnt zu haben schien. Die Karte an der Tür war irreführend, es war kein Schlaf-, sondern ein Wohnzimmer. Bücher mit Lesezeichen lagen auf den Tischen und Briefe lagen in sortierten Bündeln auf dem Boden, als habe sie jemand archivieren wollen. Ein Wasserkrug und ein halb volles Glas standen auf einem Beistelltischchen, und eine abgetragene Strickjacke hing über einem Stuhl.

Am Fenster stand ein großer runder Tisch, mit einem Samttuch bedeckt. Foster ging hinüber und blieb vor den Fotos stehen. Über dreißig große und kleine Bilder waren auf dem Tisch arrangiert, alle in Silberrahmen. Er erkannte, dass es Familienbilder waren, denn dieselben Gesichter tauchten in unterschiedlichem Alter und an unterschiedlichen Orten wieder auf. Ein Gesicht fiel ihm auf. Es gehörte einem großen Mann mittleren Alters mit Adlerprofil und sauber geschnittenem Schnurrbart. Auf der linken Wange trug er zwei Schmisse. Auf einem der Bilder war er im Gespräch mit Adolf Hitler zu sehen, auf einem anderen schüttelte er Benito Mussolini die Hand.

Es gab noch andere Fotos von Hitler an verschiedenen Orten. Stets stand derselbe große Mann in diskretem Abstand im Hintergrund, nur wenige Schritte hinter dem Führer. Seine Nähe zu Hitler legte nahe, dass er ein zuverlässiger Ratgeber war. Aber wer war er? Er trug keine Uniform. War er ein Diplomat oder ein Beamter?, fragte sich Foster. Und war er der Besitzer der Burg?

Er nahm die Bilder vorsichtig in die Hand und betrachtete sie eines nach dem anderen. Es gab keine Beschriftungen; nichts sagte aus, wo oder wann sie gemacht waren. Nur zwei Fotos waren informell. Das eine war eine Familiengruppe. Der Mann, seine Frau und ihre vier Kinder – zwei Söhne und zwei Töchter – posierten auf einem Berggipfel für die Kamera. Auf dem zweiten stand er auf einem Steg am See; er trug eine Badehose, hatte den Arm um ein etwa zwölfjähriges Mädchen gelegt und lachte mit zurückgeworfenem Kopf. Vom Familienbild erkannte Foster das Mädchen als die eine Tochter wieder.

Dann wandte er sich den anderen Fotos zu. Sie zeigten meist zwei kleine Jungen. Auf manchen waren sie Babys in den Armen einer hübschen blonden Frau, als sie etwas älter waren, waren sie zusammen aufgenommen. Mit ihren langen blonden Haaren und hellen, lachenden Augen sahen sie wie kleine Engel aus. Auf einem Bild saßen sie fröhlich bei zwei deutschen Soldaten auf dem Schoß. Foster erkannte den Hintergrund: Das Bild war draußen auf der Bank im ummauerten Garten gemacht worden. Neugierig verbrachte er einige Minuten damit, die Familienbeziehungen zu entziffern. Die Mutter der Jungen war das Mädchen vom Steg am See, etwa zehn bis zwölf Jahre später. In diesem Fall war ihr Vater – der Mann mit Hitler –, der Großvater der Jungen. Das Mädchen hatte einen schneidig aussehenden italienischen Offizier geheiratet. Auf ihrem Hochzeitsbild deutete sein markanter, mit Federn und Kokarden verzierter Helm darauf hin, dass er einem der schicken Kavallerieregimenter angehörte. Seltsamerweise gab es keine Bilder der Jungen mit ihrem Vater.

Foster ging zur Tür, die ins nächste Zimmer führte. Es war ein Kinderzimmer mit zwei Betten und einem Kinderbett. Er nahm an, hier hätten die beiden Jungen von den Bildern geschlafen. Papiermobiles mit kleinen Elefanten hingen von der Decke herab. Auf einem Bett lag ein Teddybär an ein Kissen gelehnt; seine Glasaugen fehlten, und er wirkte plattgedrückt und schmuddelig.

Er blickte sich kurz um und ging dann ins Wohnzimmer zurück. Unter den Hunderten von Büchern auf den Regalen sah er ein Exemplar von Hitlers Mein Kampf. Er nahm es aus dem Regal und merkte überrascht, dass es ungelesen war. Er war auch überrascht, dass viele der Bücher in englischer Sprache waren. Es gab Bände von Hansards Parlamentsdebatten und zahlreiche Ausgaben des Strand Magazine, eine davon mit einem weitsichtigen Artikel Winston Churchills unter dem Titel »Die Wahrheit über Hitler« von 1935.

Während Foster einen Reiseführer über historische deutsche Städte durchblätterte – Städte, die von den Briten zerstört worden waren –, hörte er draußen ein Geräusch. Er ging zum Fenster und sah einen Mann im Garten arbeiten, der nicht mehr jung war und einen blauen Mechaniker-Overall mit Ölflecken trug. Er schien hier etwas zu sagen zu haben und war emsig mit dem Stutzen des Efeus beschäftigt, der die eine Hauswand überwuchert hatte.

Sofort legte Foster das Buch hin und ging hinaus, um mit ihm zu sprechen. Hier war endlich jemand, der ihm vielleicht etwas über die unsichtbaren Bewohner des Hauses sagen konnte.

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