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Teil III 7

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Villa Glori, Rom, 19. Oktober 1937

Um Punkt 9.30 Uhr an einem trüben, feuchten Morgen ritt Benito Mussolini auf einem weißen Pferd auf die riesige Piazza. Auf schwarzen Pferden folgten ihm die Chefs der italienischen Polizei. Eine Trompetenfanfare ertönte, und die auf dem Platz angetretenen 6000 Carabinieri hoben den rechten Arm zum Faschistengruß.

Die Ovationen bei Mussolinis Erscheinen waren ohrenbetäubend, Tausende von Römern standen hinter den Absperrungen und an den Hängen. Es war der Tag der Polizei, und sie waren in die Villa Glori, einen Park an den Ufern des Tiber gekommen, um die Feiern zu sehen und einen Blick auf ihr Idol zu erhaschen. Nach der Eroberung Abessiniens (heute Äthiopien) stand Mussolinis Popularität auf ihrem Höhepunkt. In seiner Kanzlei im Herzen Roms förderte eine ganze Abteilung von fünfzig Beamten den Personenkult, den der Diktator genoss. Die Rufe Viva il Duce und Viva l’Impero schallten über den Platz, ein Echo des römischen Ave Imperator 2000 Jahre zuvor.

Dreißig Meter hohe Hakenkreuzbanner und italienische Nationalflaggen hingen an Fahnenmasten und drapierten die Seiten der überdachten Tribüne für die Ehrengäste. Bedeckt von Schärpen, Orden und Gold- und Silberlitzen schwitzten sie in ihren Uniformen: Polizeichefs aus ganz Italien, Minister und Beamte, Prinz Colonna, der Gouverneur von Rom, und Vertreter des Vatikan in ihren langen roten Roben.

Der Ehrengast war Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei.

Er stand in schwarzer Uniform aufrecht mit ausdruckslosem Gesicht auf einem Podium, einen Zeremonialsäbel an der Seite. Nach außen hin war seine Anwesenheit eine Geste des guten Willens, welche die engen Beziehungen zwischen Italien und Deutschland signalisierte. Der wahre Zweck seines zweiwöchigen Rombesuchs war es aber, Mussolini dazu zu drängen, seine Polizei zum Kampf gegen »de[n] Jude[n] in seiner schlimmsten Form, der Gewaltherrschaft des alles zerstörenden Bolschewismus« einzusetzen. In diesem Sommer hatte Himmler den Bau eines neuen Konzentrationslagers in Buchenwald für Tausende von politischen Gefangenen befohlen, und weitere waren geplant. Er wollte den italienischen Diktator davon überzeugen, seinem Beispiel zu folgen.

Als eine Militärkapelle die deutsche und die italienische Nationalhymne spielte, wurde es still in der Arena. Mit dem letzten Trompetenstoß der deutschen Hymne riss Mussolini sein Pferd herum und trieb es zum Galopp. Als er vor der Tribüne hin und her ritt, versetzte sein Machoauftritt die Menge in Erregung: Duce! Duce! Duce! brüllten Männer und schwenkten ihre Hüte. Frauen winkten mit Taschentüchern und schrien hysterisch; einige fielen beim Anblick ihres Idols in Ohnmacht.

Zwei Männer auf dem Podium neben Himmler blieben von Mussolinis Theatralik und der Begeisterung der Menge unbewegt. Es waren Himmlers Stellvertreter Reinhard Heydrich, der Chef der Gestapo, und Ulrich von Hassell, der deutsche Botschafter in Italien.

Heydrichs Aufstieg zur Macht war ebenso steil gewesen wie der Himmlers. Er war eine der bedrohlichsten Figuren des NS-Regimes, ein Mann, von dem selbst Hitler sagte, er habe ein »eisernes Herz«, der Gründer des Sicherheitsdienstes, der als Geheimdienst den Widerstand gegen die NSDAP aufdecken und bekämpfen sollte. Bei der Invasion Osteuropas 1939 war er direkt für die Einsatzgruppen verantwortlich, die hinter der Wehrmacht vorstießen und über zwei Millionen Menschen ermordeten. Im Januar 1942 berief er die Wannsee-Konferenz ein, auf der die Pläne für die »Endlösung der Judenfrage« – die Ermordung von Millionen Juden in Konzentrationslagern – beraten wurden.

Botschafter von Hassell – Himmlers und Heydrichs Gastgeber während ihres kurzen Rombesuchs – war eine imponierende Gestalt. Er war groß, hatte eine Adlernase und einen kurz geschnittenen Schnurrbart und trug die Uniform eines Generalmajors des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK). Ihr blasses Grau kontrastierte mit den schwarzen, silbern geschmückten Uniformen der Polizeichefs zu seiner Rechten. Zwei Narben auf seiner linken Wange zeigten sofort seine andere Herkunft an. Diese »Schmisse« oder »Renommiernarben« stammten von Mensuren oder Fechtkämpfen, die vor dem Ersten Weltkrieg bei deutschen Studentenverbindungen beliebt gewesen waren. Sie waren geschätzte Zeichen von Ehre und Mut. Sieger in diesen Kämpfen war nicht, wer die Wunde schlug, sondern wer die Narbe davontrug und damit bewies, dass er eine Verwundung ertragen konnte.

Während die beiden Polizeichefs außerhalb Deutschlands unbekannt waren, war Hassell für die Menge in der Arena eine vertraute Figur. Seit seiner Ernennung zum deutschen Botschafter 1932 hatte er die aufkeimende Freundschaft zwischen beiden Ländern gehegt. Auf Bildern von den großen Staatsanlässen, die in allen italienischen Zeitungen erschienen, war Hassell der Mann im Hintergrund, der hinter den beiden Diktatoren stand. Im Frühjahr 1934 hatte er ihre erste Begegnung in Venedig vermittelt, bei der die beiden Männer einander argwöhnisch umstrichen. Wenige Monate später, nach der Ermordung des österreichischen Kanzlers Engelbert Dollfuß, war es Hassells Aufgabe gewesen, die brüchige Freundschaft zwischen ihnen zu kitten. Mussolini, der Dollfuß nahegestanden und dessen Witwe persönlich die Todesnachricht überbracht hatte, machte die Nazis dafür verantwortlich. Mit seinem Segen hatte ein italienischer Journalist die Deutschen ein »Volk von Mördern und Päderasten« genannt.

Erst nachdem Hitler Mussolinis Eroberung Abessiniens und den Austritt Italiens aus dem Völkerbund unterstützt hatte, war das Verhältnis zwischen den beiden Diktatoren wiederhergestellt worden. Nun näherte es sich seinem Höhepunkt. Einen Monat zuvor hatte Hassell Hitler und Mussolini auf einer Deutschlandreise begleitet. Von Hitler umschmeichelt und von den Rüstungsfabriken, die er besichtigte, und den Militärparaden zu seinen Ehren geblendet, überzeugte die Reise Mussolini, dass die Zukunft Italiens an der Seite des »Dritten Reichs« liege. Höhepunkt war die Berliner Kundgebung, die er mit Hitler besuchte und auf der er während eines Gewitters vor einer Million Menschen eine Rede hielt. »Sie sind wie verrückt nach mir«, prahlte er nach der Rückkehr vor seiner Geliebten. »Die gewöhnlichen Menschen waren vollkommen erobert. Sie haben meine Macht gespürt … Die Menge war während meiner Rede so groß, dass man ihr Ende nicht sehen konnte. Niemanden haben sie je so empfangen, keinen König, keinen Kaiser, niemanden. Ja, ich habe sie erobert. Sie haben die Macht gespürt … die roten Banner hinter uns, die Lichtstrahlen, die Fackeln … Wir gingen wie zwei Götter auf Wolken.«

Am selben Abend sank die Temperatur, und dichte Nebelschwaden zogen durch die römischen Straßen; es war eine Nacht, in der der Geruch von »Schimmel, Mäusen und Kellern« in den feuchten Gassen hinter der Piazza Navona hing.

Die Mercedes-Kolonne mit ihrer Eskorte auf scharlachroten Motorrädern brauchte länger als sonst, um durch den römischen Verkehr zu kommen. Hassell fuhr im ersten Wagen mit den beiden Polizeichefs. Dahinter fuhr ein Gefolge aus SS-Offizieren und Botschaftsbeamten. Der italienische Propagandaminister veranstaltete einen Ball für Himmler und Heydrich, und sie fuhren zur Villa Madama auf der anderen Tiberseite.

Der Weg von der deutschen Botschaft führte sie am Kolosseum vorbei über die Piazza della Repubblica, aber der Nebel war so dicht, dass man nur wenige Meter weit sehen konnte. Sogar die Parolen, die Anhänger des Duce mit weißer Farbe an die Mauern von Kirchen und Palästen geschrieben hatten, waren kaum sichtbar. Man sah nur die kleinen Punkte der Scheinwerfer anderer Autos auf der Straße und das schwache orange Leuchten der Kohlenbecken an den Straßenecken. Schattenhafte Figuren, manche davon kleine Kinder, saßen um die Feuer herum – Bauernfamilien, die vom Land in die Stadt gekommen waren und die erste Kastanienernte mitbrachten.

Nachdem die Kolonne den Tiber überquert hatte, nahm sie auf der Via di Villa Madama an Fahrt auf, die in vielen Kurven zum Palast hinaufführte. Hier war die Luft klarer und der Nebel ein dünner Dunst. Beiderseits der Straße verbargen efeubewachsene Mauern und hohe beschnittene Hecken die berühmten Schätze des Parks: das seltsame Elefantengrab für Annone, einen indischen Elefanten, den der Papst 1514 dem König von Portugal geschenkt hatte, und Bandinellis Giganten, zwei fünf Meter hohe Skulpturen, die den Eingang zu einem abgeschlossenen Garten bewachten.

Die von Raffael zu Beginn des 16. Jahrhunderts für Kardinal Giulio de Medici entworfene Villa stand auf dem Monte Mario oberhalb des Vatikan. Sie war einer der prächtigsten Treffpunkte der römischen Gesellschaft und hatte dem Grafen Frasso gehört, der mit der amerikanischen Erbin Dorothy Caldwell-Taylor verheiratet war. Nachdem sie in den 1920er-Jahren fünfzehn Millionen Dollar von ihrem Vater geerbt hatte, ließ die Gräfin die heruntergekommene Villa renovieren und gab dort aufwendige Partys für ihre Freunde aus Hollywood. Zu ihren Gästen zählten Filmstars wie Marlene Dietrich, Cary Grant, Fred Astaire, Ginger Rogers und Clark Gable. Nun war die Villa für offizielle Festlichkeiten an die italienische Regierung vermietet.

Es war kurz vor neun Uhr, und der Vorplatz stand voller Luxuskarossen – Delahayes, Bugattis, Daimlers. Es war üblich, dass ein Diener neben dem Chauffeur mitfuhr, und sie standen rauchend in Gruppen herum, ihre Livreen ebenso prächtig wie die glänzenden Wagen. Auf kleinen Silberabzeichen trugen sie am Revers die Wappen der Familien, denen sie dienten: Ruspoli, Colonna, Torlonia. Diese Familien besaßen große Teile Italiens, die kleinen Königreichen ähnelten, und gehörten dem päpstlichen Hochadel an.

Die italienische Aristokratie hatte sich zum größten Teil hinter den Faschismus gestellt. Mussolinis Agrarreformen unterstützten Landgüter, die von der Depression um 1900 getroffen worden waren, und in ganz Italien hatte er die Autorität der Landbesitzer gestärkt, indem er ihnen höhere Posten in der Parteihierarchie gab. Seine stark antikommunistische Einstellung machte ihn noch anziehender für Familien, die im Fall einer Revolution den Verlust ihrer alten Schlösser und Paläste fürchteten. Ihre Beziehung war symbiotisch. Mussolini genoss den Glanz und das Prestige, die seine adligen Verbindungen ihm verschafften, und sie wiederum rissen sich darum, opulente Feste für die Faschisten auszurichten, um sich gut mit dem Regime zu stellen.

Als Himmlers Kolonne vorfuhr, traten junge Männer mit Fackeln vor, die als Medici-Pagen ausstaffiert waren, um die Wagentüren zu öffnen. Hassell blieb diskret zurück, während der italienische Polizeichef Arturo Bocchini, der auch für Mussolinis persönliche Sicherheit verantwortlich war, seine deutschen Kollegen begrüßte. Der gepflegte Bocchini – Besitzer von achtzig Anzügen des teuersten römischen Schneiders – war der Sohn eines reichen Landbesitzers. Da er Himmler und Heydrich beeindrucken wollte, hatte er in Rom Rat bei Deutschen mit guten Beziehungen gesucht. Einer von ihnen war Eugen Dollmann, ein junger Akademiker, den Himmler manchmal als Dolmetscher einsetzte: »Ich riet ihm, sehr den glücklichen Umstand zu betonen, dass er aus Benevento stammte, nahe dem berühmten Schlachtfeld, wo der mutige Manfred, Lieblingssohn des großen Hohenstaufenkaisers Friedrich II., Leben und Thron verloren hatte … ich riet ihm außerdem von übertriebener Höflichkeit und zu großer Freundlichkeit ab. Was in seiner Heimat als Voraussetzung gesellschaftlichen Lebens galt, konnte von Nordeuropäern nur zu leicht als Schwäche, Verweichlichung, Glätte und Mangel an Würde aufgefasst werden.«

Das große Gefolge aus SS-Offizieren und Botschaftsbeamten blieb zurück, als Bocchini die beiden Polizeichefs und den Botschafter die Stufen zur Villa hinaufbegleitete. Er führte sie durch die gepflasterte Eingangshalle in einen großen Salon, wo die übrigen Gäste versammelt waren.

Ein Orchester spielte im Hintergrund Musik aus Tannhäuser, während die Gäste umherflanierten und auf den Beginn des Essens warteten. Italiens führende Politiker und profaschistische Adlige waren eingeladen worden, dazu eine große Gruppe von Russen, die den Zaren und Rasputin gekannt hatten und während der Revolution aus Russland geflüchtet waren, ihre Juwelen in die Kleidung eingenäht. Auch Galeazzo Ciano war da, der erst 33-jährige neue Außenminister und Mussolinis Schwiegersohn. Bei seiner Ernennung hatte sein Schwiegervater ihm den höchsten Orden Italiens, den Collare della Annunziata, verliehen, dessen Träger in den Rang königlicher Vettern erhoben wurden. Den meisten anwesenden Frauen graute es davor, beim Diner neben dem arroganten und lüsternen Ciano zu sitzen: »Sein einziges Gesprächsthema war ein Strom von abgedroschenen Scherzen, begleitet von einer Menge Tätscheleien«, erinnerte sich eine, »bei Frauen eines ›gewissen Alters‹ blieb er stumm.«

Armeen von Dienern hatten an den letzten Abenden die Kamine der Villa befeuert, um die Räume anzuwärmen, aber sie waren trotzdem kalt, und die mit Juwelencolliers und -tiaras geschmückten Damen trugen Pelzstolen um die Schultern. Beim Eintreten der deutschen Delegation verdrehten sie die Hälse, um einen Blick auf die Ehrengäste zu erhaschen. Heydrich mit seinem »scharfen, bleichen, asymmetrischen Gesicht« und Himmler mit seinem schwachen Kinn und aufgedunsenen Gesicht enttäuschten. Ilse von Hassell hörte eine Frau sagen, die Italiener bevorzugten die blonden, hochgewachsenen Männer, die sonst von den Nazis nach Italien geschickt wurden. Nur Botschafter Hassell im Frack mit weißer Fliege entsprach ihren hohen Ansprüchen. »Der Botschafter sah stattlich aus, und das wusste er«, vermerkte Himmlers Dolmetscher. »Die Blicke der römischen Damenwelt verweilten mit Vergnügen auf seinem aristokratischen Antlitz, und er ertrug dies mit ebensolchem Vergnügen.«

Ein Gong ertönte, um die Gäste zum Essen im herrlichen salone der Villa zu rufen. Scharlachrote Rosen, die mit dem Sonderzug aus San Remo geliefert worden waren, schmückten die lange Tafel und verbreiteten einen fast betäubenden Duft. Hakenkreuzbanner und schwarze Faschistenfahnen mit dem Axtbündel als altrömischem Symbol für Macht und Einheit des Staates hingen direkt neben wunderbaren religiösen Szenen des Malers Giulio Romano von der Gewölbedecke herab.

Himmler und Heydrich saßen als Ehrengäste in der Mitte der Tafel neben Ciano und Bocchini. Der etwas von ihnen entfernte Hassell saß neben Guido Buffarini Guidi, Staatssekretär im italienischen Innenministerium, einem Mann, für den nach den Worten eines seiner Bekannten »Politik, Intrigen und die heimliche Ansammlung von Macht das Leben und die größte Leidenschaft ausmachten.«

Nach einer Weile begann der Staatssekretär von ein paar Gläsern Wein ermutigt, den Botschafter auszufragen. Er frage sich, was ein so gebildeter und bedeutender Mann diesen Landsleuten zu sagen habe und wie er mit ihnen auskomme? Himmler sei doch ein Idiot ohne jeden Verstand. Und Heydrich?

Die Antworten gingen Buffarini Guidi gegen den Strich. Später am Abend hielt Hassell das unbehagliche Gespräch in seinem Tagebuch fest: »Als ich behauptete, er [Himmler] sei sehr klug und auch sonst ›empfehlenswert‹, …, blieb er skeptisch und als ich ablenkend die ›energische Persönlichkeit‹ von Heydrich rühmte, meinte er ablehnend: ›Auch diesen Typ kennen wir, das ist ein Brutaler, ein Bluthund!‹«

Unter den profaschistischen und meist auch Hitler-freundlichen Gästen in der Villa Madama war Hassells Spitzname il freno (die Bremse); seine Opposition gegen ein militärisches Bündnis zwischen Deutschland und Italien war allgemein bekannt. Nur eine Handvoll Menschen – unter ihnen Heydrich und Himmler – wussten aber, wie weit seine Verachtung für das NS-Regime ging. Seit fast einem Jahr wurde er von Gestapospitzeln beobachtet. Sie arbeiteten als Diener in der Villa Wolkonsky, der Botschafterresidenz, und belauschten seine Gespräche, hörten sein Telefon ab und machten Listen von den »Gegnern«, die ihn aufsuchten.

Die Berichte der Gestapo spiegeln die böswilligen Vorurteile wider, die damals in Deutschland um sich griffen: Hassell sei zu freundlich zu seinem jüdischen Zahnarzt; die Erziehung seiner Töchter in England sei ein Zeichen, dass er ein Anglophiler sei, dessen Interessen vor allem in England lägen; man hatte ihn negative Bemerkungen über die Italiener machen hören; er war mit regimefeindlichen Wissenschaftlern und Intellektuellen bekannt. Dieser soziale Kreis wurde nun genau untersucht. Hassell hatte vor allem Freunde unter antifaschistischen Adligen, etwa die Prinzessin Santa Hercolani, Erbin der Familie Borghese; den Marchese Misciatelli, dessen Palazzo an der Piazza Venezia er regelmäßig besuchte; die Gräfin Pasolini, berühmt für ihre Teestunden mit prominenten Intellektuellen; und Irene di Robilant, die rebellische Tochter von Gräfin Robilant, die einen faschistischen Frauenverband leitete. Man vermerkte, dass Hassell jeden Morgen mit den Hercolanis ausritt. Es folgte das Frühstück in der Villa Wolkonsky, wo man sie über die Gefahren ihrer Regime diskutieren hörte.

Heydrich hatte die Berichte an Mussolini und Außenminister Ciano weitergeleitet. »Unangenehm und heimtückisch«, war Cianos Meinung, »er gehört unwiderruflich zur Welt der Junker, die 1914 nicht vergessen können, und die tief im Inneren dem Nationalsozialismus feindlich gegenüberstehen und keine Solidarität mit dem Regime empfinden.«

Hassell war nicht von Hitler ernannt worden. Als er 1932 seinen Posten in Rom antrat, war er einer der letzten Botschafter der Weimarer Republik. Er war 1881 in Anklam geboren worden und entstammte einer hannoveranischen Familie aus altem Landadel. Seine Erziehung war für einen jungen Mann seiner Klasse typisch: Er besuchte das berühmte Prinz-Heinrich-Gymnasium in Berlin und lernte absolute Treue zum König von Preußen und preußischen Idealen wie Dienst und, wenn nötig, Opfer zum Wohl des Ganzen.

Obwohl Hitler aber Männer mit Hassells Hintergrund verachtete, brauchte er ihre Fähigkeiten. In den ersten Jahren seiner Herrschaft beließ er die von der Weimarer Republik ernannten Botschafter auf ihren Posten, während er seine Macht festigte. Der vor 1933 von seinen Kollegen im Außenamt als möglicher künftiger Außenminister angesehene Hassell stand in hohem Ansehen. Einer nannte ihn »einen deutschen Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle« und bewunderte »seine natürliche, oft bezaubernde Liebenswürdigkeit, seine tiefe Bildung, seine ausgezeichnete Feder« und seinen »kühle[n], scharfe[n] Verstand.« Ein anderer pries seinen »überlegenen Humor«, seine diplomatische Gewandtheit und die »Unbeirrbarkeit seiner Grundanschauungen.«

Der von Anfang an gegen Hitler eingestellte Hassell hatte seinen Posten in Rom benutzt, um für die Ideale zu kämpfen, an die er glaubte. Nach dem Debakel des Versailler Vertrags war er entschlossen, eine Brücke zwischen Deutschland und den Staaten Westeuropas zu bauen. Da er überzeugt war, man müsse zum Wohl Deutschlands und zur Sicherheit seiner Nachbarn einen Weg finden, es zu integrieren, spielte er eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen, die 1933 zum Vier-Mächte-Pakt führten – einer Initiative Englands, Italiens, Frankreichs und Deutschlands zur Erhaltung des Friedens in Europa. Hitler ratifizierte den Pakt jedoch nicht, und wegen seiner immer aggressiveren Außenpolitik stand Hassell zunehmend im Widerspruch zu den Anweisungen aus Berlin.

Im Herbst 1937 wusste Hassell, dass er von Heydrichs Spitzeln beobachtet wurde und dass Hitler und seine Umgebung ihn ablösen wollten. Zu Beginn des Jahres hatte ihn Mussolini, den er oft sah, bei einem Gespräch in der Oper darauf aufmerksam gemacht. Sofort bat Hassell ihn, zu intervenieren, und bekundete seine Treue zum NS-Regime.

Seine Bekundungen waren ein Bluff, der leicht aufgeflogen wäre, wenn die Gestapo die Tagebücher gefunden hätte, die in einer verschlossenen Schublade seines Schreibtischs lagen. Seit Antritt seines Postens hatte Hassell Personen und Ländern Codenamen gegeben, sogar Treffen und Begegnungen. Manchmal benutzte er mehrere: Hitler war »Inge« oder »Inges Chef«, Mussolini war »Dein Tischherr« oder »Calvino«, Himmler »Zöllinger«, England »Lady Hay«, Göring der »Herr mit dem Weinglas« oder »Sepps Bruder« und die NSDAP »Inges Familie«. Doch die Codenamen dienten vor allem seiner eigenen Unterhaltung; im Zusammenhang gelesen, wäre es der Gestapo nicht schwergefallen, sie zu entschlüsseln.

Die Tagebücher ergaben eine vernichtende Anklageschrift. Von seiner Position im Zentrum der deutschen und italienischen Diktaturen aus hatte Hassell den Aufstieg des Faschismus aufgezeichnet und jede Abweichung von den Prinzipien, die er hochhielt, vermerkt – Vernunft, feste moralische Grundsätze und ein strenges Festhalten am Rechtsstaat.

Doch sein patriotisches Pflichtgefühl, die angeborene Zurückhaltung und die Diskretion, die er in seinen vielen Jahren als Diplomat gelernt hatte, hielten ihn davon ab, das NS-Regime offen zu kritisieren. Abgesehen von gelegentlichen Ausbrüchen, die durch das schlechte Benehmen von NS-Funktionären ausgelöst waren, die Rom besuchten, sagen die Tagebücher uns wenig über den Menschen. Er verbarg seine Kritik sorgsam unter detaillierten trockenen Berichten über diplomatische Gespräche und interne Manöver in der Wilhelmstraße – dem Sitz des Auswärtigen Amts – und seinen Beobachtungen zur europäischen Außenpolitik. Nie schrieb er auf, was er wirklich fühlte.

Sehr viel aufschlussreicher – und auch ironisch angesichts des Ziels der Gestapo, Hassells Widerstand gegen das Regime aufzudecken – ist dagegen das Tagebuch, das seine Tochter zur selben Zeit schrieb. Fey war zwölf Jahre alt, als ihr Vater den Posten in Rom antrat, und sie vergötterte ihn. Zwischen 1933 und 1937 dokumentierte sie seine Reaktion auf den Aufstieg des Nationalsozialismus und auch die negativen Gefühle, die er nicht schriftlich festhalten wollte, aber seiner Familie anvertraute. Im Gegensatz zu ihrem Vater schrieb Fey ganz unverschlüsselt. Sie versteckte ihr Tagebuch nicht, sondern ließ es in ihrem Zimmer in der Villa Wolkonsky herumliegen – wo die Gestapo es leicht hätte finden können.

Ein Blick in ihr Tagebuch bietet eine viel intimere Sicht auf Hassell als die dichten, verschlüsselten Einträge in seinen eigenen Aufzeichnungen:

30. Januar 1933 Hindenburg … ernennt Hitler zum Reichskanzler. Papa ist außer sich.

Am … 2. Mai werden in Deutschland die Gewerkschaften verboten und zugunsten der Deutschen Arbeitsfront aufgelöst. Papa meint, die Dinge entwickelten sich zunehmend schlimmer.

2. September 1933 Papa kommt aus Berlin zurück und erzählt von seinem jüngsten Gespräch mit Hitler. Es sei unmöglich, Hitlers Redeschwall zu unterbrechen. Hitler führe stets das Wort, und zwar immer nur über das Thema, das ihn im Augenblick am meisten interessiere. Jedenfalls sind eine Diskussion und ein Ideenaustausch ausgeschlossen. … Im Juli hatte Hitler alle Parteien verboten. Das war für Papa das Ende eines freien und demokratischen Staates.

7. Juli 1934 Wenige Tage später hören wir von dem Massaker, das Hitler mit Hilfe der SS angerichtet hat.* Papa ist verzweifelt. Ich habe ihn selten so blaß gesehen. Er ist der Meinung, daß die ausländische Presse völlig zu Recht die Nazis als Gangster bezeichnet. … Papa quälen unentwegt Fragen: Wird man sich von der Herrschaft der Nazis befreien können! Was kann er tun, um Schlimmeres zu vermeiden.

18. September 1935 Papa kehrt von dem alljährlich stattfindenden Nürnberger Parteitag zurück, an dem auch die Diplomaten teilnehmen mußten. Er ist entsetzt über die Atmosphäre dieser Veranstaltung, über deren militärisches Gepräge und insbesondere über die Ankündigung der »Nürnberger Gesetze«, … Papa ist der Ansicht, daß dies für unser Land das Ende seiner Kultur bedeutet. Er ist besorgt um all unsere jüdischen Freunde.

12. Mai 1937 Bei Tisch spricht Papa nicht mehr über Politik. Auch nicht über die Nazis oder die Faschisten. Ihm ist zugetragen worden, daß Reinecke, der zweite Diener, für die SS spioniert. So ein Schwein!

Aus politischer und gesellschaftlicher Sicht sagte Hassell zu diesen Tagen: »unerfreulichere und für mich schwierigere habe ich in meiner Laufbahn nicht erlebt.« Nach der Verkündung der Achse Berlin-Rom im Oktober 1936, einer Übereinkunft, die beide Länder informell verband, hatte es eine Flut von offiziellen Besuchen aus Deutschland gegeben. Hermann Göring, der Reichsluftfahrtminister, kam fünfmal auf Besuch, Himmler zweimal. Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß und Robert Ley, der Chef der Deutschen Arbeitsfront und Herausgeber einer stark antisemitischen Zeitung, hatten ebenfalls in der Botschaft gewohnt, dazu eine Vielzahl von Ministern und Generälen. Begleiter mussten untergebracht, Essen und Empfänge veranstaltet, Besichtigungen organisiert und Einkaufsbummel arrangiert werden. »Kein Maß!«, schrieb Hassell in sein Tagebuch.

Ganz abgesehen von den politischen Differenzen verletzte auch die Großspurigkeit der Besucher Hassells preußisches Temperament. Göring war der Schlimmste. Zu Hassells Verlegenheit hatte er im Januar bei einem Ball zu seinen Ehren im Palazzo Venezia die Smaragde auf den Tiaras der versammelten adligen Damen geprüft und verkündet, seine Frau besitze größere. Im April machte Göring auf dem Weg nach Neapel wieder in Rom Station: »Göring kommt in den nächsten Tagen ganz streng privat ›fast ohne Begleitung‹ = 5 Eisenbahnwagen!!« Der Besuch fing nicht gut an, als Hassell ihn in seiner Dienstkarosse abholte: »Unser Auto fand er völlig unzureichend; wir müßten, wie Ribbentrop, einen 200pferdigen Mercedes haben. Ich sagte, ich sei nicht Ribbentrop.«

Am selben Tag zeigte er Göring Rom und endete am Vatikan als Höhepunkt der Tour. Während sie über den Petersplatz gingen, ignorierte Göring dessen Schönheit und redete über seine außenpolitischen Ziele: »Politische Ausführungen, vor allem zu Ilse, ganz im Stil des aus dem Kadettencorps hervorgegangenen Cäsar: ›Österreich müßten wir nun doch bald schlucken, das sei seine Lebensaufgabe, und die Tschechoslowakei dann auch; er glaube, es würde sich niemand mucksen!‹«

Als der Luftfahrtminister schließlich stehen blieb und zum Petersdom aufschaute, war er unbeeindruckt und äußerte: »Ja, jetzt ist das noch das größte Bauwerk Europas, aber bald wird die Kongreßhalle in Nürnberg es weit übertreffen, denn sie ist doppelt so hoch und so breit. Wenn aber gar erst die Berliner Halle fertig sein wird, dann wird man die Peterskirche als Beleuchtungskörper in ihr aufhängen können!«

Hassell kommentierte trocken: »Solche Gedanken inspirierte ihn [sic] der Petersplatz, der unter strahlend blauem Himmel in voller Pracht vor uns lag.«

Die Anspannung, den Strom unangenehmer Besucher aus Berlin empfangen zu müssen und so zu tun, als stehe er loyal zum NS-Regime, forderte ihren Tribut. Er wurde wegen stressbedingter Verdauungsprobleme behandelt, und sein Arzt setzte ihn auf eine spezielle Diät. Wiederholt stellte Hassell sich die Frage, ob es richtig sei, einem Unrechtsstaat zu dienen. Stets kam er jedoch zum selben Schluss: »von außen« werde es unmöglich sein, die Außenpolitik der Nazis zu beeinflussen. Das Vorspiegeln der Loyalität war ein notwendiger Kompromiss, wenn er weiter für seine Prinzipien kämpfen und seinen Traum von einer besseren Zukunft Deutschlands innerhalb der Vereinigten Staaten von Europa am Leben halten sollte. »Pour moi l’Europe a le sens d’une patrie« (Für mich ist Europa wie ein Vaterland) – eine außergewöhnliche Äußerung für seine Zeit.

Im Herbst 1937 erkannte Hassell jedoch die Unmöglichkeit seines Traums. Mussolinis Euphorie nach der Deutschlandreise zeigte, dass ein förmliches Bündnis mit Hitler unausweichlich war. In dem festen Glauben, eine solche Übereinkunft werde zum Krieg führen, besonders bei zwei so unberechenbaren und aufbrausenden Staatschefs, versuchte Hassell Hitler zu überzeugen, das Bündnis mit Italien auf kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit zu beschränken. Er hielt auch dann noch daran fest, als Mussolini und Göring ihn gewarnt hatten, weiterer Widerspruch könne zu seiner Entlassung durch Hitler führen.

Sein einsamer Feldzug belastete auch seine Familie. Obwohl seine Frau Ilse und die vier Kinder entschieden gegen die Nazis waren, mussten auch sie ein Doppelleben führen. Die Söhne Hans Dieter und Wolf Ulli waren auf der Schule bzw. der Universität, aber die 19-jährige Fey und die 25-jährige Almuth lebten in der Villa Wolkonsky. Wegen der Gestapospitzel in der Botschaft hatte die Familie kein Privatleben mehr und keine Gelegenheit, ihre Feindschaft gegen das Regime offen auszusprechen. Nach der Nacht der langen Messer begann Fey, damals fünfzehnjährig, Alpträume über die Nazis zu heben, die sie in ihrem Tagebuch aufzeichnete: »Ich träumte vom Golf von Neapel, das Meer lag fast schwarz unter einem intensiven gelben Vollmond. Langsam veränderte sich der Mond und nahm die Züge von Hitlers Gesicht an. Das Gelb wurde erdfarben und dann wie aus Eis. Zuletzt sah Hitlers Gesicht wie ein Totenkopf aus.« Mit sechzehn Jahren trat sie der örtlichen HJ-Gruppe bei, wo sie von einem jungen Mann schikaniert wurde, der als Gärtner in der Botschaft arbeitete. Er wollte den Gruppenleiter, einen guten Freund von ihr, verdrängen und hatte sich in Berlin beschwert, dieser sei ungeeignet, weil er die Gruppe in die Kirche mitnehme und in der »besseren Gesellschaft« verkehre. Feys Reaktion war die Formulierung eines Briefs nach Berlin, der ihre Unterstützung für den Leiter bekundete und für den sie die Unterschriften von zwanzig weiteren Mitgliedern sammelte. Als der Gärtner dies herausfand, forderte er sie auf, den Brief herauszugeben, und drohte, sie anzuzeigen, weil auf solche Aktivitäten in Deutschland jetzt die Todesstrafe stünde. Fey fand die Drohungen absurd, aber dennoch bedrückend.

Vor dem Essen in der Villa Madama 1937 hatte es einen weiteren unangenehmen Zwischenfall gegeben, der ihre ältere Schwester Almuth betraf. Nach dem Aperitif in der Botschaft waren Hassell und seine Frau mit Heydrich und Himmler zu den Dreharbeiten für Antonius und Cleopatra in die neuen von Mussolini gebauten Filmstudios nach Cinecittà gefahren. Almuth fuhr in einem der Botschaftswagen mit Heydrich und seinem Stellvertreter Kurt Daluege. Bei der Ankunft ging sie zu ihren Eltern und bat sie ruhig, auf der Rückfahrt bei ihnen mitfahren zu dürfen, weil sie die kruden Scherze der Gestapochefs nicht aushielt.

Der unausweichliche Schritt gegen Hassell kam am Tag nach Himmlers und Heydrichs Abreise aus Rom. Am Abend des 21. Oktober landete Joachim von Ribbentrop, der deutsche Botschafter in London, auf einem Militärflughafen außerhalb der Stadt. Der Zweck seiner Reise war geheim; die Presse berichtete, es sei ein privater Besuch mit seiner Tochter, die sich von einem Autounfall erholte. In Wirklichkeit kam Ribbentrop als Sonderbotschafter des Führers zu einem Geheimtreffen mit Mussolini. Er sollte den Diktator dazu bringen, dem Antikominternpakt beizutreten, einem Bündnis Deutschlands und Japans gegen die Ausbreitung des Kommunismus.

Hassell empfing Ribbentrop am Flughafen. Als dieser aus dem Flugzeug stieg, überreichte er Hassell ein von Außenminister Konstantin von Neurath unterzeichnetes Dokument, das Ribbentrop ermächtigte, alle Verhandlungen mit dem italienischen Diktator zu führen. Hassell durfte nicht mal an dem Treffen teilnehmen. Er sah es als persönlichen Verrat an; nur wenige Stunden vorher hatte Neurath ihm die Autorität zugesichert, Ribbentrops Plan zu durchkreuzen. Am Abend des nächsten Tages war der Beitritt Italiens zum Antikominternpakt beschlossene Sache. Er zeigte die Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik gegenüber England und Frankreich und wies nach Hassells Meinung in Richtung Weltkrieg.

Mussolini unterzeichnete den Vertrag erst am 6. November. In der Zwischenzeit argumentierte Hassell bei Treffen mit Ribbentrop und Neurath weiterhin dagegen und lehnte den Pakt als »Blockbildung und gefährliche Abenteuerpolitik« ab. Wiederholt bat er um eine Privataudienz bei Hitler, um ihn davon abzubringen, Italien in den Pakt aufzunehmen. Doch der Führer wollte ihn nicht sehen.

In Deutschland wie in Italien forderten Hassells Feinde bereits seine Ablösung. Am 27. Oktober traf Ciano mit Rudolf Heß zusammen, der ebenfalls in Rom war. »Ich ergriff die Gelegenheit, um von Hassells Kopf zu fordern, weil er schon zu lange ein doppeltes Spiel treibt. Ich habe die Gründe für unser Misstrauen ihm gegenüber dokumentiert. Heß nickte und wird mit dem Führer darüber sprechen. Er bat mich um Vorschläge für einen Nachfolger. Ich sagte ihm, ein Parteimann wäre in Ordnung. Das Bündnis zwischen zwei Ländern beruht vor allem auf der Identität der politischen Systeme, die ein gemeinsames Schicksal bestimmt. Simul stabunt, simul cadent. [Gemeinsam stehen wir, gemeinsam fallen wir.]«

Anfang Dezember wurde Hassell entlassen. Die Demütigung war so groß für ihn, dass er die Einzelheiten nicht im Tagebuch festhielt. Es war Fey, die notierte: »Papa sagt, ihm bleibe nichts mehr zu tun, er könne das Schlimme nicht aufhalten. Und er fügt hinzu, recht sei ihm nur, daß er nicht selbst um seinen Abschied bitten muß, da sicherlich Ribbentrop und Ciano für seine Absetzung sorgen werden mit der Begründung, er sei für beide Regierungen eine Persona non grata, weil er sich ihrer aggressiven Politik in den Weg zu stellen suche.«

Eine von Hassells letzten Handlungen vor der Abberufung war die Bitte an Himmler, der sich erneut in Rom aufhielt, die Verfolgung des Physikers und Nobelpreisträgers Werner Heisenberg zu beenden. Er war öffentlich in der SS-Zeitung Das schwarze Korps angegriffen worden, weil er es ablehnte, sich von Einsteins Relativitätstheorie zu distanzieren. Der Artikel nannte Heisenberg einen »weißen Juden« – ein NS-Begriff für judenfreundliche Arier –, der »verschwinden« müsse. Bei dem Gespräch in der Botschaft wiederholte Himmler, er werde Heisenberg nur rehabilitieren, wenn er sich von Einsteins Theorie löse.

»Politik und Diplomatie verschaffen reiche Erfahrung auf dem Gebiete der Intrigen und Lügen«, schrieb Hassell im Januar 1938. Damals erwartete er noch, Hitler werde ihm einen anderen Posten anbieten. Nachdem er während seiner ganzen Karriere die Schmeicheleien seiner Zeitgenossen aus der Weimarer Republik gehört hatte, die ihn für den begabtesten Diplomaten seiner Generation hielten, litt er an Hybris. Er konnte nicht glauben, dass alles vorbei sein sollte. Seine Liebe zu Deutschland hatte auch sein Urteil getrübt. Obwohl die Anzeichen offensichtlich zunahmen – und von ihm gesehen wurden –, konnte er nicht glauben, dass sein Land sich ganz hinter die Nazis stellen werde. Diese »Gangster«, wie er sie nannte, seien nur eine vorübergehende Verirrung. Sobald sie entfernt seien, würde Deutschland wieder von der traditionellen preußischen Führungsschicht regiert werden.

Die Reichskristallnacht – das Pogrom gegen die Juden am 9. November 1938 – war ein Wendepunkt für Hassell. Unter dem Vorwand des Mordes an dem deutschen Diplomaten Ernst von Rath durch einen jungen polnischen Juden in Paris führten SS und Gestapo mit Unterstützung zahlreicher Bürger im ganzen Reich eine Welle von Attacken auf Juden durch. Rund 250 Synagogen wurden angezündet, gleichzeitig über 7000 jüdische Läden und Firmen geplündert und jüdische Friedhöfe, Krankenhäuser, Schulen und Wohnungen zerstört, während Polizei und Feuerwehr zusahen. Dutzende Juden wurden ermordet und über 30 000 jüdische Männer festgenommen und in Konzentrationslager wie Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau gebracht.

»Ich schreibe unter dem schwer lastenden Eindruck der niederträchtigen Judenverfolgung nach der Ermordung von Raths«, schrieb Hassell am 25. November in sein Tagebuch, zwei Wochen nach den Pogromen. »Seit dem Weltkriege haben wir noch niemals so an Kredit in der Welt verloren wie dieses Mal … Die wirklich schwere Sorge bezieht sich auf unser inneres Leben, das immer vollständiger und eiserner von einem solcher Dinge fähigen System erfaßt wird. … Tatsächlich unterliegt es keinem Zweifel, daß es sich um einen amtlich organisierten, zu ein und derselben Nachtstunde in ganz Deutschland losgelassenen Judensturm handelt – eine wahre Schande!«

Zwei Tage später traf er sich mit Hugo Bruckmann, einem Verleger und frühen Unterstützer Hitlers: »Unterhaltung mit B[ruckmann] und Professor A. v. M[üller], was man tun könnte, um den Abscheu gegen diese Methoden zum Ausdruck zu bringen. Leider ergebnislos: ohne Macht hat man kein wirksames Mittel; einzige Folge wäre vielmehr Mundtotmachen oder Schlimmeres.«

In den folgenden Monaten traf Hassell sich mehrmals heimlich mit zwei Männern, die seine Haltung teilten. Es waren Generaloberst Ludwig Beck, der gerade aus Protest gegen Hitlers Politik zurückgetretene Chef des Generalstabs des Heeres, und Carl Friedrich Goerdeler, ehemals Bürgermeister von Leipzig und Reichskommissar für Preisüberwachung.

Gemeinsam bildeten sie unter Becks Führung den Kern des deutschen Widerstands, dessen Hauptziel die Beseitigung Hitlers und der Sturz des NS-Regimes war.

Bis wir uns wiedersehen

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