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Prolog

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Innsbruck, 16. Dezember 1944

»Monika ruft Dampfschiff.«

Diese rätselhafte Botschaft, die von der Voice of America nach Österreich gesendet wurde, stieß bei den wenigen Menschen, die sie entschlüsseln konnten, auf Erleichterung. Sie bedeutete, dass die Alliierten immer noch versuchten, Agenten nach Innsbruck zu schleusen, um Kontakt zum österreichischen Widerstand aufzunehmen.

Es war sieben Uhr früh an einem Wintermorgen in der grauen alten Stadt zwischen den schneebedeckten Bergen. Eine dichte Wolkendecke hing über den Kuppeln und Kirchtürmen und verbarg den Himmel und die Gipfel der Nordkette. Am nördlichen Stadtrand endeten die barocken Straßen an den Bergen, die steil wie eine Wand bis auf 2500 Meter anstiegen. Der Eindruck, auf engem Raum eingepfercht zu sein, hielt sich in den Gassen und Durchgängen des mittelalterlichen Stadtkerns. An einem kalten, düsteren Tag wie diesem meinte man, sich am Fuß einer Schlucht zu befinden, wenn man an den hohen, schmalen gotischen Häusern vorbeiging.

Dicke Rauchschwaden stiegen unter den Wolken auf. Am Vortag hatten amerikanische Flugzeuge die Stadt bombardiert und 259 Menschen getötet. In der Herzog-Friedrich-Straße bedeckte eine Schutzhülle das berühmte Goldene Dachl, gebaut im Jahr 1500 für Kaiser Maximilian. Zwischen den ausgebombten Häusern räumten Gruppen von Kindern aus den umliegenden Dörfern den Schutt weg. Sie wurden von SS-Leuten beobachtet, die an den Straßenecken standen und die Bombenentschärfer bewachten. Die zwangsrekrutierten Männer aus dem nahe gelegenen KZ Reichenau mussten die Blindgänger entschärfen.

Die Alliierten waren jetzt überzeugt, die Endphase des Krieges werde nicht in der Reichshauptstadt Berlin stattfinden, sondern bei Innsbruck. Jüngste Geheimdienstberichte deuteten darauf hin, dass Hitler in den Bergen nahe der Stadt eine »Alpenfestung« errichtete. Von OSS-Agenten* erbeutete Pläne zeigten eine Kette unterirdischer Fabriken und Waffenarsenale. In diese abgelegene und uneinnehmbare Festung wollten Hitler und seine fanatischsten Anhänger sich zurückziehen, wenn die Wehrmacht geschlagen war. Von hier aus wollten sie den Kampf fortsetzen, verteidigt von SS-Elitetruppen und versorgt durch gewaltige Vorräte, die in bombensicheren Höhlen aufgetürmt worden waren.

Falls Hitler hier aushielt, würde die Schlacht um die Festung nach Meinung der alliierten Generäle den Krieg um mindestens zwei Jahre verlängern und mehr Opfer fordern als alle bisherigen Kämpfe an der Westfront.

Unter diesen Umständen waren Informationen aus Innsbruck, der Hauptstadt der Alpenfestung, plötzlich von hohem Wert. Allen Dulles, der Chef des OSS in der Schweiz, hoffte, in der Stadt ein Netzwerk aus Agenten zu rekrutieren. Sie sollten militärische Informationen liefern und den Vormarsch amerikanischer und britischer Truppen von der österreichischen Westgrenze aus unterstützen. Dulles wusste aber, dass Innsbruck dafür kein gutes Pflaster war. Im Herbst hatte die Gestapo alle ihr bekannten Nazigegner verhaftet. Sie ging von Haus zu Haus und zeigte damit ihre Entschlossenheit, jede Widerstandsaktion in einem Gebiet zu verhindern, das sie als ihre letzte Bastion ansah.

Am frühen Nachmittag des 16. Dezember kehrte die US-Airforce zurück und bombardierte die Stadt zum vierten Mal in diesem Monat. »Nach Bombenabwurf wurde sofort scharf nach links abgedreht und Innsbruck umflogen«, berichtete ein Pilot. »Wegen der Wolken war eine Beobachtung der Ergebnisse nicht möglich.«

Wenige Stunden später schrieb Anna Mutschlechner, die seit 47 Jahren in Innsbruck lebte, in ihr Tagebuch: »Alles befürchtete für diesen Tag einen neuerlichen Anflug. Und richtig, die feindlichen Flieger kamen, stifteten wieder viel Unheil. … Es wurde ein schwarzer Tag für Innsbruck. Die Altstadt, Marktgraben, Innrain, der städtische Friedhof u. s. w. wurden schwer geschädigt.« Es gab in der Stadt weder Gas noch Wasser, und der Friedhof war nun für Beerdigungen geschlossen. Im trüben Licht kam die einzige Farbe von den Feuern, die noch nicht gelöscht waren. »Als wir noch alle im Keller versammelt waren, kam die Botschaft, das Photoatelier von Fräulein Kummer … brenne.« Auch »die Glasmalereifabrik in der Müllerstraße, … das Papierlager der Firma Warger, und gegenüber das Gasthaus Hellenstainer in der Andreas Hoferstraße, das Café Paul in der Maximilianstraße u. s. w.« brannten aus. »Die erste Nacht war unser Haus in einem Gestöber von Funken und brennenden Papierfetzen vom Lager Warger. Wenn es kein so trauriger Anlaß gewesen wäre, hätte man sich über das schaurig schöne Feuerwerk gefreut.«

Dieser Angriff markierte einen Wechsel der Taktik. Neben den 200 Tonnen Bomben warfen die US-Maschinen Tausende von Propagandaflugblättern ab. Ebenso wie die Sendungen des Österreichischen Dienstes der BBC forderten sie die Innsbrucker zum Aufstand auf, um Hitler daran zu hindern, in Tirol letzten Widerstand zu leisten: »Tiroler, wir wissen von Euch, dass Ihr das nicht zulassen werdet. Ihr kennt Euer Land besser als die Nazibonzen, die heut zu Euch auf Besuch kommen. Ihr werdet dort sein und aufpassen, dass sich nicht ein Einziger von ihnen verstecken kann. Wir wissen, dass Tiroler heute schon überall gegen die Nazis kämpfen. … Wenn sich auch die Nazis heute noch bei Euch in Sicherheit fühlen, wir wissen es besser als sie: Ihr steht auf unserer Seite!«

Doch die große Mehrzahl der Tiroler stand nicht aufseiten der Alliierten. In Innsbruck waren die Bürger für die Nazis eingestellt. Sie hatten die aufkeimenden Widerstandsgruppen verraten. Im Schutz ihrer Berge fürchteten sie keine amerikanischen Bombenangriffe. Nach dem Angriff vom 15. Dezember flohen sie bei den vier kurzen Alarmsignalen der Sirenen in die bombensicheren Höhlen tief unter der Nordkette.

* Office of Strategic Services, Vorläufer der Central Intelligence Agency CIA

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