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Im Dschungel des Literaturbetriebs
ОглавлениеWenig später fiel mir in einer Buchhandlung das Buch eines gewissen Heiner Geissler in die Hände. Den Namen dieses ehemaligen Politikers kannte ich ja. Aber was mir sofort ins Auge sprang, war der Titel. ‚Kann man noch Christ sein, wenn man an Gott zweifeln muss?‘ Sofort musste ich an die ganz ähnliche Frage denken, die sich unser Jesuit damals in Kigali gestellt hatte. Geöffnet habe ich das Buch aber, um mich zu vergewissern, ob Heiner Geissler mir mit diesem Buch etwa zuvorgekommen war. Dann hätte ich mein eigenes Werk womöglich gar nicht mehr zu veröffentlichen brauchen. Schon beim ersten Durchblättern stieß ich auf einen Satz, der mich beruhigt hat: „Milliarden Menschen verfielen in Hoffnungslosigkeit oder Gewaltexzesse, wenn sie nicht die Hoffnung auf ein besseres, jenseitiges Leben hätten.“ Vorsichtshalber habe ich noch ein wenig vor- und zurückgeblättert. Aber dieser Satz war tatsächlich ernst gemeint. Gewaltexzesse? Ich habe sofort an das christliche Ruanda gedacht. Dann an das unchristliche China. Rund eine Milliarde Menschen ohne den Glauben an ein besseres Leben im Jenseits waren dort keineswegs in Hoffnungslosigkeit und Gewaltexzesse versunken. Die arbeitete fröhlich und voller Hoffnung mit aller Kraft an einem besseren Leben für sich und ihre Kinder im Diesseits.
Ich habe das Buch wieder auf den Stapel gelegt. Nein, es war nicht egal, ob mein Buch veröffentlicht würde oder nicht. Es war absolut notwendig! Aber – und insoweit hatte Martina ja recht – es wäre vielleicht doch nicht so gut, es gleich im ersten Schritt weltweit zu verbreiten. Dann würde es Geisslers ‚Milliarden Menschen‘ völlig unvorbereitet treffen. Nein, besser würde es sein, das Buch erstmal gezielt nur denen zugänglich zu machen, die den religiösen Betrieb am Laufen hielten. Am besten natürlich erst nach einem vorbereitenden persönlichen Gespräch. Gerade die Geistlichen aller Konfessionen würden ja das größte Interesse daran haben müssen, ihre Schäfchen wohlbehalten aus der Gefahrenzone zu bringen, bevor ihre religiöse Welt einstürzte. Ein letzter Akt der Barmherzigkeit – den waren sie den immer noch Gläubigen ja wohl schuldig. Diese Überlegungen gingen mir aber erst am folgenden Morgen durch den Kopf, als ich – wohl noch etwas schlaftrunken – im Bett lag. Schnell dämmerte mir, dass es so einfach nun doch nicht gehen würde. Natürlich konnte ich jemanden wie den Beauford-Stramm von den deutschen Protestanten ansprechen. Auch wenn zu befürchten war, dass es mit dessen Leutseligkeit schnell vorbei sein würde, wenn er merkte, worauf das hinauslief. Oder ich konnte eine Audienz beantragen beim Papst. Aufwendiger würde es schon bei den Orthodoxen mit ihren neun Patriarchen. Den Dalai-Lama könnte man bei seiner nächsten Tournee durch Deutschland oder Europa abpassen. Aber dann wurde es auch schon echt schwierig. Zwar kannte ich den einen oder anderen buddhistischen Abt in Japan. Aber man musste ja an die Äbte aller Haupttempel der zahlreichen unterschiedlichen Sekten herankommen, und das in sämtlichen buddhistischen Ländern. Und beim Islam erst. Völlig unmöglich, jeden einzelnen Imam, Mufti oder Ayatollah weltweit abzuklappern. Also doch gleich und ausschließlich das Buch. Und dafür tatsächlich erst mal nur einen kleinen Spezialverlag in Deutschland ansprechen.
Einen bestens geeigneten Münchner Fachverlag für Philosophie und Theologie hatte ich schnell gefunden. Das Exposé perfekt auszufeilen, mit dem ich das Buch dort vorzustellen gedachte, erforderte etwas mehr Zeit und Aufwand. Aber die Sache war es mir wert. Dass ich fünf Wochen, nachdem ich dieses Exposé und eine Leseprobe an den Verlag gemailt hatte, immer noch keine Reaktion erhalten hatte, hielt ich eher für ein gutes Zeichen. Die prüften das Projekt offenbar mit besonderer Sorgfalt. Dann aber der Schock, als die Mail, die ich nach fast zwei Monaten endlich in meinem Postfach vorfand, nur einen kurzen Satz enthielt: „Leider sehen wir keine Möglichkeit für eine Veröffentlichung des von Ihnen angebotenen Manuskripts in unserem Verlag. Von weiteren Rückfragen bitten wir abzusehen.“ Ich hatte eigentlich nicht daran gezweifelt, dass jeder Lektor eines so ausgerichteten Verlages die Qualität und Brisanz dieses besonderen Textes auf den ersten Blick erkennen würde. Ein gewisses intellektuelles Niveau, verlegerischen Weitblick und vielleicht auch eine Prise Humor vorausgesetzt. An mindestens einer dieser Voraussetzungen musste es gemangelt haben. Eins zumindest hatte ich aber aus diesem Fehlschlag gelernt: Ich konnte jetzt nicht nacheinander alle möglichen theoretisch in Frage kommenden Verlage anschreiben. Das konnte ewig dauern. Ich musste mir professionellen Beistand suchen.
Zum Glück wurde ich im Internet unter dem Suchwort Literatur-agenturen rasch fündig. Eine Agentur mit guten Kontakten zu einschlägigen Verlagen und entsprechend auch fachlich interessierten Lektoren musste es sein. Dabei schloss ich die großen und bekannten Agenturen wie Graf & Graf oder Mohrbooks von vornherein aus. Ich wollte die Sache ja erst mal eher diskret angehen. Trotzdem hatte ich schnell eine längere Liste von grundsätzlich geeignet erscheinenden Agenturen zusammen. Die Agentur Blacksmith zum Beispiel stand ganz oben auf dieser Liste, weil sie sich ihrer Webseite zufolge besonders für 'Sachbücher mit starken Thesen' engagierte. Die Fotos und Interviews der jungen Agenturchefin ließen mich dann aber doch zweifeln, ob sie der Herausforderung, ein Buch dieses Kalibers zu vertreten, wirklich gewachsen sein würde. Dann die Agentur Brinkhaus. Noch nicht so lange im Geschäft, aber die hatte immerhin schon ein Buch bei einem nicht ganz unbekannten Verlag untergebracht, das eine ‚heiter-kritische‘ Einführung in den Islam in Form eines ‚satirischen Lexikons‘ sein sollte. Das ging ja zumindest schon mal in die richtige Richtung. Was mich zusätzlich überzeugte: Die Agentur stellte eine Prüfung eingesandter Manuskripte innerhalb von nur vier Wochen in Aussicht! Ich hatte das Anschreiben schon fertig, als ich in einer Buchhandlung auf das besagte Werk stieß. Es war tatsächlich echt witzig geschrieben, wenn es auch in religionskritischer Hinsicht letzte Konsequenz vermissen ließ. Zum Glück habe ich bis ganz ans Ende geblättert, wo die ‚Vision‘ des Verlages abgedruckt war. Da stand doch unter Punkt drei des Verlagsmottos tatsächlich: „Wir glauben an die barmherzige Botschaft der Bergpredigt“ (in meinem Buch hätten die nachlesen können, was in dieser Predigt an nicht ganz so barmherzigen Botschaften auch noch zu finden ist...). Motto Nummer Vier hieß: „Wir wollen den Menschen helfen, auch neue Angebote der Spiritualität zu entdecken“ (auch hier ging es wohl eher um neue Formen der Irreführung). Da wusste ich, dieser Verlag wäre wohl der letzte, der mein Buch veröffentlichen würde. So schrumpfte meine Liste immer mehr zusammen. Mal nur Interesse an populären Sachbüchern (Krimis, Kochbücher, Geschichten mit Herz), mal nur die ganz großen Publikumsverlage als Partner, und immer wieder das offenkundige Bestreben, Einsender von ‚unverlangt‘ eingesandten Manuskripten schon im Vorfeld abzuschrecken. Fast schon Standard der Hinweis: „Sollten Sie spätestens acht Wochen nach Ihrer Einsendung keine Antwort von uns erhalten haben, so bedeutet dies, dass wir Ihr Angebot bedauerlicherweise nicht weiterverfolgen können.“ Das hieß also, dass man nicht mal mehr mit einem persönlichen Einzeiler per Mail rechnen konnte, wenn diese Agenturen entschieden, ein angebotenes Werk erst gar nicht richtig prüfen zu wollen. Mit anderen Worten: Ich war allmählich echt frustriert. Natürlich war es ein Fehler, meine Martina diesen Frust merken zu lassen, anstatt still weiter zu recherchieren. Aber als meine lange Liste anfangs für aussichtsreich gehaltener Agenturen schon fast vollständig zusammengestrichen war, konnte ich nicht mehr an mich halten.
„Man hat wirklich den Eindruck, dass inzwischen selbst Literaturagenten kaum noch Interesse an Manuskripten haben. Jedenfalls nicht, wenn man als Autor nicht bereits irgendwelche Veröffentlichungen vorweisen kann. Oder sich schon einen Namen als ‚Experte‘ gemacht hat. Als Kenner der Psychologie der Honigbiene zum Beispiel. Oder der Kommunikationsstrategien der Nadelbäume unserer Wälder. Oder wenigstens schon mal im Fernsehen aufgetreten ist.“
„Wahrscheinlich hast du dir einfach das falsche Thema ausgesucht“, meinte Martina völlig ungerührt. „Wenn du statt der statischen Schwachstellen der Glaubensgebäude der Weltreligionen wenigstens sowas wie eine unerhört neue Sicht auf einen bislang sträflich vernachlässigten Aspekt des Themas Sex entdeckt hättest. Aber natürlich müsstest du dann auch in der Lage sein, das Ganze auf mindestens zweihundert Seiten bis in die feuchtesten Details anschaulich auszuleuchten.“
Manchmal kann sie regelrecht grausam sein.
„Du weißt genau, dass es mir um Höheres geht.“ Das sollte ein bisschen selbstironisch klingen. „Wenn es nur darum ginge, einen Satz von Nietzsche zu wiederholen, weil ihn vielleicht doch noch nicht jeder gehört hat, würde ich hier nicht meine Zeit verschwenden. Aber da die Weltreligionen heute immer noch so viele überzeugte Anhänger haben, obwohl ihre Versprechen und ‚Glaubenswahrheiten‘ schlicht nicht mehr haltbar sind, muss in dieser Frage doch endlich mal umfassend und endgültig Klarheit geschaffen werden.“
„Du willst also die Rolle des kleinen Mädchens aus dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern übernehmen. Vielleicht solltest du mal darüber nachdenken, wie es diesem Mädchen anschließend wohl ergangen ist, nachdem es den Kaiser bloßgestellt hatte – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe mich das übrigens schon als Kind gefragt.“
„Dir ist also völlig egal, dass in diesem Fall überhaupt nicht mehr passende, uralte und inzwischen total fadenscheinig gewordene Kleider immer noch auf dem Markt angeboten werden?“, fragte ich zurück. Dabei hätte ich eigentlich wissen müssen, dass das geeignet war, meine Martina an etwas ganz anderes zu erinnern.
„Hattest du mir nicht versprochen, dass wir dieser Tage mal wieder einen kleinen Einkaufsbummel zusammen machen? Am besten eigentlich gleich heute. Ich fürchte nämlich, das Kleid, das ich vorgestern im Schaufenster gesehen habe, könnte sonst schon weg sein.“
Zwei Tage später wurde ich doch noch fündig. Eine Agentur, die ich vorher gar nicht auf meiner Liste gehabt hatte. Reiner Zufall, dass ich überhaupt noch auf die gestoßen bin. Michael Gräber Literary Agency. Der Webseite zufolge erst vor anderthalb Jahren gegründet. Von einem jungen Herrn Gräber, der nach einem Studium der Theologie, Philosophie und Religionsgeschichte erst einige Jahre lang publizistisch tätig gewesen war. Sprich, er hatte wohl gelegentlich irgendwelche Fachaufsätze oder populärwissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Nun wollte er sein dabei geknüpftes anscheinend recht ausgedehntes persönliches Netzwerk in der Verlagsbranche nutzen, um – als zweites Standbein, wie es hieß – ‚Nachwuchsautoren anspruchsvoller, auch kritischer Texte‘ an einschlägige Verlage zu vermitteln. Als ich dann noch feststellte, dass es diesem Herr Gräber in der kurzen Zeit des Bestehens seiner Agentur bereits gelungen war, einen durchaus etwas religionskritischen Autor an den Herder Verlag zu vermitteln, wusste ich: Das ist mein Mann! Anstatt ihm mein Exposé zuzumailen, griff ich gleich zum Telefon und wählte die angegebene Nummer.
„Das klingt ja spannend“, sagte die sympathische Stimme am anderen Ende der Leitung. „Können wir uns nicht mal treffen? Vielleicht hier bei mir?“