Читать книгу Stalins Alpinisten - Cédric Gras - Страница 12

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Da Lenin der Sockel ist, auf dem die junge UdSSR ruht, muss die Notwendigkeit zur Eroberung der Gipfel logischerweise in seiner Biografie begründet sein. Ein Sport, ursprünglich ausgeführt vom europäischen Adel, der seinem Wesen nach so eitel und tiefbürgerlich ist, bildet eine Herausforderung für den Sozialismus. Deswegen beschwören die sowjetischen Autoren in ellenlangen Prologen die Jahre des Propheten der Revolution im schweizerischen Exil. „Wir wissen, dass der große Lenin seine ganz besondere Freude in den Bergen fand, dass er seine knappe freie Zeit mit Wanderungen in die Schluchten, zu Wasserfällen und auf die Gipfel der Alpen verbrachte“, berichtet einer von ihnen. Wenn der brillante Geist des „großen Lenin“ in der klaren Luft während der Schweizer Verbannung aufblühte, konnte das Bergsteigen nicht konterrevolutionär sein.

Die Glanzleistungen der Brüder Abalakow sollten die Vorherrschaft des Menschen über die Natur beweisen. Ein Jahr nach ihren ersten bemerkenswerten Schritten erregen sie erneut die Gemüter. Dieses Mal ist Valentina nicht dabei. Mit einem Kameraden aus der Hauptsektion des Alpinismus der Gesellschaft für proletarischen Sozialismus unternehmen sie die gefürchtete Traverse der Bezengi-Mauer von West nach Ost. Es ist immer schwierig, einen Berg in Worten zu beschreiben. Die Bezengi-Wand besteht aus einer Reihe von Erhebungen, die alle fast 5000 Meter Höhe erreichen und die durch einen schmalen Grat voller tückischer Abbrüche verbunden sind. Dieser markiert über mehrere Kilometer die Grenze zu Georgien. Eine unglaubliche Festung, vollkommen makellos und unberührt. Sieben Tage lang schlagen sich die drei Männer durch schlechtes Wetter, im Bereich der Séracs sichern sie sich gegenseitig vor dem Absturz. Sie erklimmen nacheinander drei Gipfel, den Gestola, den Katyn-Tau und den Djangi-Tau, bevor sie schneeblind den Rückzug durch die Wand antreten.

Auf den sattgrünen Almhängen kurieren sie ihre Augen. Sie strecken sich in der Sonne aus und betrachten die weiße Hölle, aus der sie entkommen sind. Der Wind, der hoch droben die Wolken jagt, hat hier beinahe etwas von Stille. Witali sieht in der Üppigkeit der Kumuluswolken die Rundungen Valentinas, die in der Hauptstadt auf ihn wartet. Jewgeni denkt seinerseits zweifelsohne an Anna Kasakowa, die er auf einem Wanderpfad kennengelernt hat. Ein junges Mädchen aus gutem Hause, auch wenn dieser Ausdruck seit der Oktoberrevolution nicht mehr viel bedeutet. Das Anwesen ihrer Eltern wurde von den Bolschewiken konfisziert. Ich glaube, habe aber kaum Beweise für diese Aussage, dass ihr nur ein kleines Zimmer als Zuhause geblieben ist. Die gebildete Pianistin und Philologin teilt mit Jewgeni die Freude an der Kunst, aber auch die Liebe zu Reisen und Hochtälern.

Zuerst begegnen sie sich in den Bergen, wo sie die Gesellschaft für proletarischen Tourismus tatkräftig unterstützt, dann im Rahmen von Vorträgen in Moskau. Ich stelle sie mir in einer armseligen Wohnung vor. Sie spielt Jewgeni etwas auf dem Klavier vor, nackt vielleicht, während er seine Augen schließt, von der Schönheit der schwebenden Töne in den Bann gezogen. Als er sie wieder öffnet, fällt sein Blick auf ihren Körper. Sie sind jung in einer Welt, die noch jünger ist, auch wenn sie zwei kleine Jahre älter ist als er.

Eine einzige Sache bereitet Jewgeni vielleicht Sorgen: die langen Abwesenheiten, die sein Leben charakterisieren werden, um die Gebirge der gesamten UdSSR zu durchstreifen. Wie ein so vollkommenes Geschöpf der Versuchung ganz Moskaus überlassen? Auf den Fotos, die es von Anna Kasakowa gibt, zeigt sie ein stolzes Profil. Ohne Zweifel wurde diese junge Frau von allen Bergsteigern des Kaukasus begehrt. Aber Jewgeni ist der beste unter ihnen, das wird jetzt offensichtlich. Und Witali folgte der verwirrenden Leichtigkeit seines talentierten kleinen Bruders, so gut er kann.

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