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DAS FONTAINEBLEAU VON SIBIRIEN

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Der Name Abalakow hat zwei Gesichter, es ist der Familienname zweier Helden, zu zwei Vornamen. Witali und Jewgeni, zwei Jungs, die später in der gesamten UdSSR als die „Brüder Abalakow“ bekannt sein werden, als die, die die Wolkenmeere durchstreifen. Es wird der Tag kommen, an dem der eine sich bereit machen wird, den Everest zu besteigen, während die Witwe des anderen ihren „Eroberer der Substratosphäre“ beweinen wird. Die Propagandapresse konnte dem sowjetischen Leser nicht erklären, dass diese Männer die Oktoberrevolution zunächst gehasst hatten. Die Ikonen des Kommunismus konnten nichts anderes als echte Proletarier sein. Von ihrer Jugend hat sie also nur ihre Eskapaden in den legendären Stolby im Gedächtnis behalten.

Stolby bezeichnet so etwas wie „Säulen“, „Blöcke“ oder „Boulder“. Man findet dort ein Archipel aus Syenitfelsen, die in der unmittelbaren Nähe von Krasnojarsk aus dem Boden ragen. Weil sich der Ort gut zum Klettern eignet, wird er oft als das Fontainebleau von Sibirien bezeichnet, ich muss aber sagen, dass die Stolby bei Weitem den berühmten Sandstein der Pariser Umgebung übertreffen. Man wandert dort zwischen Felswänden, in denen die Kletterer hängen, zwischen verfallenen Gräbern und herumschweifenden Bären. Die jungen Russen kommen hierher, um wochenlang am Fuß der Kletterrouten zu kampieren, die sie so lange wiederholen, bis sie sie in- und auswendig kennen. Heute noch heißt einer dieser schwindelerregenden Felsen, an dem sie trainieren, der Kommunar, und man kann ihn über die Abalakow-Route besteigen. Über den Stolby schwebt überall der schützende Geist Witalis und Jewgenis.

Die Stolby strahlen eine nonkonformistische Atmosphäre aus, etwas Anarchistisches, vergleichbar vielleicht mit dem ursprünglichen nordamerikanischen Yosemite. Ein subversiver Geist ist dort spürbar, der auf das Zarenreich zurückgeht, als das Klettern Seite an Seite mit der Utopie in seinen Kinderschuhen steckte. Die Utopie, die damals in Mode war, hieß „Sozialismus“. Die Deportierten und Anarchisten trafen sich im Schutz der Taiga und der Höhlen. Schenkt man den sowjetischen Autoren, die ich bis zum Überdruss gelesen habe, Glauben, malten diese in Großbuchstaben „Nieder mit der Zarenherrschaft!“ oder „Der Gouverneur ist ein Ganove!“ oben auf die Felsen. Die Polizei konnte nicht anders, als mit der Pistole zu drohen, damit sie diese Parolen, die außerhalb der Reichweite der Polizei lagen, selbst wieder entfernten. Wenn sie nicht gleich auf die knallroten Symbole feuerten, die die makellose Landschaft befleckten.

Naja, natürlich wurde das leicht übertrieben dargestellt, damit der Alpinismus besser in die sowjetische Mythologie hineinpasst. Dass sie den ersten roten Dissidenten Schutz geboten haben, verlieh den Felsformationen einen fast heiligen Charakter und adelte die Brüder Abalakow. Ich bezweifle, dass sich Witali und Jewgeni dort an den Debatten über den Klassenkampf beteiligten. Ich will aber gerne glauben, dass sie in ihrem Alter, in den Felsen hängend, andere Wege suchten als jenen der Diktatur des Proletariats.

Die einzige Brücke über den Jenissei war der Transsibirischen Eisenbahn vorbehalten, also mussten sie jedes Mal den breiten Fluss mit einem Kahn überqueren und dann etwa zwanzig Kilometer zu Fuß zurücklegen. In den Stolby angekommen, biwakierten sie unter hohen Bäumen und Wänden mit einer Unbekümmertheit, die an Leichtsinn grenzte.

Sicher ist, dass ihr Schicksal hier seinen Ursprung nimmt, in diesem Chaos aus Syenit, das durch die Baumkronen scheint. Zumindest in diesem Punkt stimmt die offizielle Überlieferung überein. Die Brüder Abalakow verbrachten ihre Jugend in diesem Gestein, an das sie sich schmiegten und wo sie der Schwerkraft zu trotzen und ihre Kunststücke über dem Abgrund zu vollbringen lernten. Angeblich verpassten seine Kameraden Jewgeni den Spitznamen „Tamias“. Das Tamias sibiricus ist ein kleines endemisches Streifenhörnchen. Denn Jewgeni erschloss Routen dort, wo bisher noch keine Galosche die Flechten vom Felsen gekratzt hatte. Witali, obwohl um ein Jahr älter, folgte ihm, so gut er konnte. Auf den wenigen Fotografien aus dieser Zeit ist er weniger kräftig und schlanker. Er selbst wird sich später als beinahe kränklich beschreiben und sagen, dass er sein Überleben einzig seinem eisernen Willen verdanke, der legendär werden sollte. Ihre Tante ließ ihn mütterlich sibirischen Kräutersud trinken. Schon damals ist der kleine Jewgeni derjenige, der die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Er ist der Jüngste, der eindeutige Liebling, und auch ich bin in diese Falle getreten und habe mich dabei ertappt, dass ich Jewgeni Witali vorziehe. Ich habe den Künstler Jewgeni bewundert, den seiltänzerischen Kletterer, den untadeligen Helden. Und ich habe vor dem Ingenieur Witali, dem Schweigsamen, der beinahe zum Gulag verurteilt wurde, das Gesicht verzogen. Obwohl mich eigentlich ein Männerlächeln kaum berührt. Jewgeni war bekannt für sein freundliches Gesicht, und sein Bruder sollte sich sein Leben lang damit zufriedengeben, bei allem immer der Zweite zu sein, bei den Frauen, bei Stalin, dem Volk und sogar vor dem Tod.

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