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AUS BÜRGERLICHEM HAUSE

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Wir befinden uns im Jahr 1920. Der Bürgerkrieg hat gerade Sibirien erfasst. Das heilige Russland bricht in seine fahlen und unermesslichen Weiten auseinander. Die Weißen drängen die Roten zurück, die Roten metzeln die Weißen nieder und die Bolschewiki haben gerade Krasnojarsk erobert, eine verschlafene Holzstadt am Ufer des Jenisseis, mit Schildern auf Altslawisch, zerzausten Muschiks1 und chinesischen Waren. In einem stattlichen Haus in der damaligen Leninstraße – oder heißt sie noch Straße Mariä Verkündung? – sitzt eine ungewöhnliche Familie am Abendtisch, als es laut an der Tür klopft. Es trommelt sogar, und als die Tür aufgeht, erscheint im Türrahmen ein Soldat der Revolution und zeigt stolz einen Haftbefehl.

Das Dokument mit dem Stempel der neuen Herrscher des Landes erwähnt den Namen Iwan Abalakow, Eigentümer des Hauses. Er ist ein angesehener Geschäftsmann, somit ein Volksfeind schlechthin. Sein Schicksal ist besiegelt. Seit Ausbruch der Oktoberrevolution weiß man nur zu gut, wie diese abendlichen Besuche enden. Wer zur Bourgeoisie gehört, wird im Eilverfahren hingerichtet. Zwei junge Heranwachsende stürzen zum Eingang, um zu verhindern, dass dieser Iwan Abalakow abgeführt wird. Er ist ihr Onkel väterlicherseits und hat sie bei sich aufgenommen. Die beiden heißen Witali und Jewgeni, vierzehn und dreizehn Jahre alt, zwei Waisen, deren hohe Bestimmung noch niemand erahnt, während sich der angestaute Klassenhass unter dem Joch der Zaren entlädt.

Der Rotgardist beschließt, Onkel sowie Neffen wegen Behinderung der Arbeiter- und Bauernjustiz zu verhaften, weil er, der einfache Bürger, von jetzt an alle Rechte hat. Also greift er sich die Sprösslinge dieser „kapitalistischen“ Patchworkfamilie. Wahrscheinlich war dies der Abend, an dem Witali und Jewgeni auf einmal erwachsen wurden, als sich das kommunistische Ideal ihren jugendlichen Köpfen derart unrühmlich zeigte. Die Tür schließt sich vor ihrer mütterlichen Tante, der Frau, die sie großzieht, die keine anderen Kinder hat und die nicht aufgibt. Sie bricht nicht vor Ikonen und Kerzen kniend in Tränen aus. Nein, lieber holt sie nachts auf der Straße den mutigen Soldaten ein. Sie lässt, während der Soldat scheinbar die Sterne betrachtet, Wodka und Sakuski2 in seine Manteltasche gleiten. Schließlich hat auch die Revolution eine menschliche Seite. So rettet sie die beiden Brüder, die ins Haus zurückgehen, um einstimmig für das Heil ihres Onkels zu beten, der bald zum Tode verurteilt wird. Seine Strafe wird wie durch ein Wunder umgewandelt in Zwangsarbeit im Lager, und im Dezember desselben Jahres wird er sogar begnadigt. Die Bolschewiki haben ihre Meinung geändert, denn sie brauchen gebildete Leute. Man weist ihm eine Stelle als Buchhalter in einer Fabrik zu und deklassiert, proletarisiert und entbürgerlicht, gehört er von nun an zu den fleißigen Arbeitermassen.

Diese Szene habe ich aus einem Artikel, der erst 2018 erschienen ist und den ich im Arbeiter von Krasnojarsk ausfindig gemacht habe, einem im Sterben liegenden Blatt, das von einigen Pensionierten geführt wird, die über eine Welt lamentieren, die die ihrige vergisst. Eine alte Dame brachte darin einen Zeugenbericht aus zweiter Hand über eine ferne Freundin, deren Großmutter mit der Tante der Abalakows verkehrte … Wahrscheinlich bin ich der Einzige gewesen, der diese unvollkommene Erinnerung in der letzten Ecke eines kaum gelesenen sibirischen Blattes fieberhaft verschlungen hat. Aber mit welcher Erleichterung! Sie ließ eine Kindheit in einem neuen Licht erscheinen, die von allen anderen sowjetischen Quellen politisch kompatibel erzählt wurde. Und diesen Fallen galt es auszuweichen. Laut offizieller Literatur sollten die Helden gleich mit dem ersten Schluck Muttermilch Bolschewisten gewesen sein. Aber als treue Söhne von Kosaken konnten die Brüder Abalakow nur in Liebe zum Zaren und im Weihrauch der orthodoxen Kirchen erzogen worden sein. Hier musste man beginnen.

Die sowjetische Geschichtsschreibung lässt nämlich, beschämt über die bürgerliche Herkunft ihrer jungen Helden, gerade diese Ereignisse diskret aus. „Es waren harte Zeiten“, ist die Ausrede, „wegen der Koltschak3-Truppen.“ Einer erwähnt, dass „die Abalakow-Brüder im Dorf, beim Flößen, im Haus arbeiten mussten“. Er hütet sich davor zu erwähnen, dass der Grund dafür die Konfiszierung der Dampfmühle und des Geschäfts ihres Onkels im Zuge seiner Verhaftung war. Das Wohngebäude, ein Blockhaus, damals auf 9471 Rubel geschätzt und damit ein Vermögen, wurde verstaatlicht. Eine bolschewistische Verwaltung hat sich dort niedergelassen und es ist schwer nachzuvollziehen, wo die bisher privilegierten Waisen ab diesem Zeitpunkt leben.

Es ist also ein schwieriger Start in einer Gesellschaft, in der nur die soziale Herkunft zählt. Eine Schande, über die in der Presse der UdSSR gnadenlos geschwiegen wurde; man kann auch nicht damit rechnen, dass die Brüder Abalakow unter diesen Umständen von ihrer Kindheit erzählen, die auf brutale Weise in Armut endete. Sie selbst behaupteten immer, dass sie von einfachen Leuten abstammten. Sie hatten ihr Leben lang keine andere Wahl, als ihre Abstammung von „Geschäftemachern“ zu leugnen, und damit ihren Onkel und ihre Tante ebenso wie ihre Eltern, die sie kaum kannten. Schenkt man ihnen Glauben, so ist ihr Vater Jäger oder Holzfäller gewesen. Doch die Ermittlungsarbeiten, die das Volkskommissariat für Inneres der UdSSR, das schreckliche NKWD, während der Stalinschen Säuberungen durchführen ließ, belegen das exakte Gegenteil. Sie waren die Söhne eines wohlhabenden Kaufmanns, der Goldförderungen am unteren Jenissei besaß. Heute weiß man, dass sie den Namen eines Geschäftsmannes der dritten Gilde trugen, der mit handwerklichen Erzeugnissen, Fellen und Pelzen handelte. Was ihre Mutter betrifft, die bei Jewgenis Geburt im Kindbett starb, weiß man, dass sie aus Irkutsk stammte, aus der Familie Glotowych, Reeder von Dampfschiffen.

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