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Kapitel 16

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Freitagnachmittag

»Merde!«, nuschelte Askari. Er heftete den Blick fest auf den Boden. Mit der Spitze seiner verschlissenen Turnschuhe schob er die dichten Grasbüschel auseinander. Seit er seinen Glücksbringer verloren hatte, war alles verdammt schiefgelaufen – falls in seinem Leben überhaupt jemals etwas glatt gelaufen war.

Er hatte sich das Dasein in Deutschland anders vorgestellt. Am liebsten würde er zurück nach Hause fahren, aber dazu war es jetzt zu spät. Sein Bruder Hakem hatte seinen Ausweis vernichtet, die nordafrikanischen Staaten stellten Ersatzdokumente nur unter erschwerten Bedingungen aus und nahmen die Flüchtlinge nicht so leicht zurück.

Im Gegensatz zu seinem Bruder, der sich in Deutschland das große Geld erhoffte, hatte er sich erträumt, in der neuen Heimat auf mehr Menschlichkeit zu stoßen. Ihm kam es vor, als ob der tägliche Kampf gegen die Armut, der tägliche Kampf ums Überleben, der tägliche Kampf gegen die soziale Kontrolle und Stigmatisierung in den engen Slums von Casablanca jede Form von Liebe und Mitgefühl, Respekt und Recht zerstörte.

Natürlich war er auch dazu bereit gewesen, jegliche Art von Job anzunehmen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Steine schleppen auf dem Bau, Regale einräumen in einem Lager oder was auch immer. Doch ihre Asylverfahren liefen noch. Bisher hatten sie nur eine Aufenthaltsgestattung erhalten, und die Ausländerbehörde hatte ihnen keine Genehmigung zur Ausübung einer Beschäftigung bewilligt.

Durch die Bekanntschaft mit Rachid hatte ihr Leben eine Talfahrt genommen. Der Algerier hatte sie in der Aufnahmeeinrichtung, in der sie untergebracht worden waren, rekrutiert.

Askari hatte ihn von der ersten Minute an nicht ausstehen können, aber Hakem und Mujahid waren von ihm begeistert gewesen. Ihnen imponierte sein großkotziges Auftreten, das nur allzu sehr an das Gebaren in den Slums erinnerte, vor genau dem er geflüchtet war.

Rachid war schon seit Jahren hier. Als ältester Sohn war er nach Europa geschickt worden, um dort das Geld für den Unterhalt der Familie zu verdienen. Aus Algerien war er über Italien nach Deutschland gekommen. Um außerdem die Schulden bei den Schleppern zurückzahlen zu können, hatte er sich bereiterklärt, diese durch Drogenhandel, den sie gleichzeitig organisierten, abzuarbeiten. Mittlerweile hatte er seine eigene Gang zusammengestellt, und die Menschenschlepper hätten es im Traum nicht gewagt, nochmals an Rachid heranzutreten.

»Merde!«, zischte Askari erneut. Die Hand der Fatima war ein Geschenk seiner Mutter gewesen, das ihn schützen sollte. Sie musste hier irgendwo sein. Seit das Amulett nicht mehr an seinem Hals baumelte, war alles noch schlimmer geworden.

Gestern war sein Bruder von Jugendlichen in eine Falle gelockt worden. Hakem hatte ihm am Telefon erzählt, bei dem Drogendeal im Park hätte sich eine Gruppe mit Messern auf ihn gestürzt und ihn schwer verletzt. Jetzt musste er im Krankenhaus behandelt werden.

Mujahid hatte ebenfalls eine schreckliche Story erzählt. Die Prostituierte hatte ihn in einen Hinterhalt gelockt. In dem Hotelzimmer war er von vier Männern in Empfang genommen, brutal zusammengeschlagen und ausgeraubt worden.

Hakem hatte ihn dazu aufgefordert, zurück in den Park zu eilen, um seinen Glücksanhänger zu suchen. Sein Bruder meinte, falls die Polizei ihn finden würde, könnten sie durch die Gravur mit Name und Geburtstag seinen Besitzer ausfindig machen, was sie letztendlich alle ans Messer liefern würde.

Er wollte nicht an diesen grauenhaften Platz zurückkehren. Er hatte sich geweigert mitzumachen, sogar gebettelt, das Mädchen nicht anzurühren. Die anderen hatten ihn nur ausgelacht, beschimpft und geschlagen. Sie waren in einen regelrechten Blutrausch geraten. Jetzt fehlte ihm ein Schneidezahn, und sein rechtes Auge war immer noch so verquollen, dass er damit kaum etwas sah.

Systematisch suchte Askari einen nach dem anderen Meter ab. Er überquerte die Wiese von links nach rechts und von rechts nach links, wobei er nur einen Schritt Abstand ließ. Der Gegenstand in seiner Jackentasche schlug gegen seine Hüfte und erinnerte ihn an den anderen Job, den sein Bruder ihm aufgetragen hatte. Er sollte Hakems Waffe verstecken.

Hakem war sich sicher, die Polizei würde ihn früher oder später noch mal genauer wegen des Überfalls auf ihn verhören. Er befürchtete, sie könnten auch auf die Idee kommen, ihr Zimmer auf den Kopf zu stellen und dabei den Revolver entdecken, der zwischen Lattenrost und Matratze klemmte. Askari sollte diesen deshalb im Park vergraben, wo sie ihn später, wenn die Luft wieder rein war, holen konnten.

Plötzlich traute er seinen Augen kaum. An einer Grasnarbe nahe am Stamm des umgefallenen Baumes funkelte sein Anhänger. Er bückte sich und umschloss den Talisman.

Artemis

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