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Kapitel 20

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Freitagnachmittag

»Schau mal hier.« Spike wedelte mit einem schmuddeligen Stück Papier.

»Verlagere dich da rüber, Ben«, befahl Ruby und deutete auf den Rasen in einem Sicherheitsabstand zu dem Verletzten. »Und keinerlei Bewegung.«

Ben sprang auf und sackte auf dem von ihr bezeichneten Rasenstück zusammen. Sein Zorn war erloschen wie eine brennende Barrikade nach einem Wasserwerfer. Der Rauch des Bedauerns brannte in seiner Mimik. Zum wiederholten Mal wischte er sich mit den Handrücken die Tränen von den Wangen.

»Was ist das?« Sie ließ den jungen Mann nicht aus den Augen.

»Ein Ankunftsnachweis für Asylsuchende.« Spike hatte die Zeit während ihrer Moralpredigt genutzt, um die Taschen des Schussopfers zu durchsuchen.

»Und?« Ihre Lider verengten sich.

»Askari Kharja, zwanzig Jahre alt, aus Marokko.« Spike rieb sein Kinn. »Ich glaube nicht an Zufälle.«

»Hilf mir mal auf die Sprünge.« Sie spürte Blicke, die in ihren Rücken stachen. Für einen Moment befürchtete sie, auf weitere Angreifer zu stoßen, und wirbelte herum. Erleichtert pustete sie die angehaltene Luft aus. Es waren nur Schaulustige, die sich ihnen vorsichtig näherten. Die Schüsse hatten die Besucher in die Büsche gescheucht wie der Fuchs ein Kaninchen in den Bau. Nun war der Schrecken anscheinend verflogen, und der Park erwachte langsam zum Leben. Mehr und mehr Menschen näherten sich von Neugierde getrieben ihrem Lager.

»Brauchen Sie Hilfe?«, dröhnte ein energischer, älterer Herr, der sich entschieden an die Spitze des Trupps gestellt hatte. An seinen Fersen klebten Pärchen und Frauen mit Kindern.

Ruby eilte dem Mann entgegen. »Alles in Ordnung. Danke.« Sie hielt ihm ihren Polizeiausweis vor seine Nase. »Sie könnten uns behilflich sein, indem Sie die Schaulustigen auf Abstand halten und nicht noch weiter herankommen lassen.«

»Kein Problem.« Seine Brust weitete sich. Er drehte sich um und baute sich schützend vor Ruby auf.

»Was ist mit dem Namen?«, hakte sie nach, als sie wieder neben ihrem Kollegen stand.

»Kharja.« Er dämpfte seine Stimme, um Ben von den Informationen auszuschließen. »So heißt auch der Typ, der an der Parkbank gefunden wurde. Keine Ahnung, wie geläufig der Nachname in Marokko ist.«

»Oh …« Sie warf einen Blick auf den Verletzten und biss sich auf die Unterlippe.

»Genau«, bestätigte Spike. »Falls die beiden verwandt sind …«

»… und falls dieser Typ seinen Anhänger tatsächlich bei dem Überfall auf Paula verloren hat, dann könnten die anderen auch dabei gewesen sein.« Ruby ging auf und ab, um ihre Gedanken zu sortieren, und beäugte den Menschenauflauf, der wie ein Hefeteig aufgegangen war. Ihr Bodyguard fuchtelte wild mit den Armen. Er hatte größte Mühe, die Leute in Schach zu halten. »Folglich könnte es sich bei den Kastrationen auch um eine Vergeltung an Paulas Tätern handeln und nicht um eine Spiegelstrafe durch eine rivalisierende Bande, wie wir heute in der Morgenbesprechung vermutet haben.« Sie schüttelte den Kopf. »Das macht aber keinen Sinn. Die Staatsanwältin betonte, Paula hätte keinen der Täter erkannt. Also kann sie auch die Namen nicht weitergegeben haben.«

Spikes Gesichtszüge verhärteten sich. Er strich das Haar zurück und kratzte sich im Nacken. »Vielleicht gab’s in der Nacht ja jemanden, der die Tat beobachtet hat. Zumindest müssen wir in beide Richtungen ermitteln. Der Kerl hier hat ganz schön überreagiert.«

»Nun gut«, sie nickte, »sich auf seinen Instinkt zu verlassen, kann verdammt gefährlich sein.«

Spike zuckte mit den Achseln. »Kann einem aber auch einen Krümel zum Knabbern geben, wenn man sonst nichts zum Futtern hat.«

Die Sirene des Krankenwagens ertönte. Ruby wunderte sich, wie schnell das Geräusch lauter wurde, als auch schon ein Krankentransporter auf dem Parkweg auftauchte. Sie hob den Arm zum Zeichen des Erkennens.

Der Wagen hielt, ein Rettungssanitäter sprang heraus und spurtete auf sie zu.

»Wir müssen dringend mit Paula sprechen. Vielleicht kann sie sich doch an etwas erinnern und wir haben die Kerle bereits«, schlug sie vor. »Außerdem wurde bei ihr Fremd-DNA von zwei Personen sichergestellt, die unserem System nicht bekannt ist. Vielleicht passt sie ja zu Askari oder einem der kastrierten Opfer?«

»Das wäre dann aber viel zu einfach«, orakelte Spike, »und lässt immer noch die Frage offen, wer die Männer kastriert hat.«

Artemis

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