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Kapitel 21

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Freitagabend

»Hi!«, rief Ruby.

Keine Antwort. Die Wohnung war still wie der Kühlraum des rechtsmedizinischen Instituts.

Wahrscheinlich hatte Nele Kopfhörer auf, vermutete Ruby und lugte in die verwaiste Küche. Ein benutzter Teller stand einsam und verlassen auf dem Küchentisch. Anscheinend hatte ihre Tochter sich das Essen in der Mikrowelle gewärmt und versäumt, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen.

Anna hatte Leonie heute Nachmittag zu ihrem Vater gebracht, wo das Mädchen das Wochenende verbringen würde. Sie selbst wollte die freie Zeit nutzen, um Einkäufe zu erledigen und sich mit einer Freundin zu treffen.

Ruby hatte Nele versprochen, den Arbeitstag früh zu beenden und das Wochenende mit einem Einkaufsbummel einzuläuten. Das Mädchen war über die letzten Monate in die Höhe geschossen und benötigte dringend neue Hosen. Hildegard hatte zwar angeboten, ihre Enkelin zum Shoppen auszuführen und neben Garderobe auch Eis zu spendieren, aber Ruby wollte sich die Zeit mit ihrem Sprössling nicht nehmen lassen. Leider hatten sich Morde und Gewalttaten in der letzten Zeit überschlagen, und so war die gemeinsame Shoppingtour oft hinausgeschoben worden.

Der heutige Tag war wieder einmal unplanmäßig verlaufen. Im Anschluss an den Parkbesuch mit Ben hatte sie eigentlich unverzüglich nach Hause fahren wollen. Der Vorfall im Park hatte sie jedoch zurück ins Präsidium gezwungen, um Rede und Antwort wegen Spikes Schusswechsel zu stehen und Papierbürokratie über sich ergehen zu lassen. Nun war es bereits 20:00 Uhr.

»Nele? Hallo!«, rief Ruby lauter und lugte ins Wohnzimmer. Das Licht brannte. Die Kissen auf dem Sofa waren zerknüllt und zeugten von einer gemütlichen Lesezeit. Auf einem Sitz lag Harry Potter und der Feuerkelch. Hildegard hatte ihrer Enkeltochter das Buch zum letzten Geburtstag geschenkt, inklusive einer Halskette mit einem goldenen Schnatz. Seitdem trug Nele die glänzende Kugel mit den filigranen Flügelchen täglich. Abends ruhte die Kette in einer kleinen mit Samt ausgeschlagenen Schachtel auf ihrem Nachttisch.

Auf dem Wohnzimmertisch erblickte sie eine leere Flasche Coke light und Oreo-Kekse.

Ruby eilte durch den Flur zum Kinderzimmer. Sie klopfte an die Tür.

Stille.

Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter.

Das Zimmer war leer.

Ihr Puls beschleunigte sich. Wo steckte Nele? Sie schaltete das Licht an, doch auch die Helligkeit der Lampe zauberte die Zehnjährige nicht herbei. Ihr Blick schweifte durch den Raum und blieb auf einem Kuvert, das auf dem Kopfkissen platziert war, haften. Sie hechtete darauf zu. Für Mama, las sie.

Sie riss den Umschlag auf und zog einen Zettel heraus, der nur vier Worte enthielt. »Bin zu Oma gefahren.« Rubys Herz setzte zwei Takte aus, nur um daraufhin in einen zügigen Trab zu fallen. Sie las die Nachricht ein zweites Mal.

Das konnte nicht sein! Sie hatte Nele verboten, ohne vorherige Abstimmung abends öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Mit Bus und Bahn betrug der Weg von Haustür zu Haustür fast zwei Stunden. Zu Fuß zur Haltestelle, mit dem Bus zum Hauptbahnhof und nach der Zugfahrt zusätzlich ein fünfzehnminütiger Marsch durch ein Waldstück.

Rubys Fantasie überschlug sich. Sie wusste nur allzu gut, welche Drogen am Bahnhof verhökert wurden und was für Gestalten sich dort herumtrieben. Mit dem Wald assoziierte sie zwangsläufig den Park und Paula. Sie spürte Übelkeit aufsteigen und zwang sich zur Contenance. Mit zwei Sätzen war sie zurück an der Haustür, zerrte ihr Handy aus der Tasche und wählte Neles Nummer.

Das Freizeichen ertönte.

Nele antwortete nicht.

Rubys Hände zitterten, als sie die Kurzwahl erneut betätigte.

»Geh ran, geh ran«, flüsterte sie. Wenn Nele etwas passieren würde, wäre das einzig und allein ihre Schuld. War ihr der Job wichtiger als ihre Tochter? Nein, natürlich nicht. Wieso hatte sie ihr Versprechen dann schon wieder gebrochen?

»Geh ran Nele, geh ran.« Ihre Finger krallten sich um das Telefon. Die Handknöchel hoben sich weiß ab. »Bitte, Nele, geh ran.«

Artemis

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