Читать книгу "Das strittige Gebiet zwischen Wissenschaft und Kunst" - Chiara Maria Buglioni - Страница 14

Lerngemeinschaft, Lehrtätigkeit und Performativität

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Was mich an Kutscher immer begeisterte, war die lebhafte Art seines Vortrags. Sein Mit-Dabei-Sein versetzte auch seine Hörer in Stimmung und brachte ihnen Epochen und Persönlichkeiten nahe. […] Wenn Kutscher las, wurde der Hörsaal immer etwas Bühne. (Regimius Netzer in Günther 1953: 181)

Damit die Entwicklung einer CoP genauer gefasst werden kann, gliedert Wenger u.a. deren Lebenszyklus in fünf prägende Phasen oder Momente, die von einer jeweils unterschiedlichen spannungsgeladenen Beziehung zwischen den Grundbestandteilen gekennzeichnet sind. Auch wenn dieser Phasenablauf zu streng erscheint, um die effektive Entfaltung der Münchner Theaterwissenschaft zu erklären,1 ist es immerhin brauchbar, die Entwicklungsmerkmale jeder Phase zusammenzufassen: Sie verweisen nämlich auf die wechselnden Herausforderungen der Mitglieder und des Koordinators einer CoP sowie auf das temporale und räumliche Spannungsfeld, in dem die Praxis selbst immer wieder definiert wird. Im Gewebe der Entwicklungsstufen eines kooperativen Lernens kann außerdem die Rolle der Lehrtätigkeit hervorgehoben werden, was uns auf die Figur Artur Kutscher zurückführt. Kutschers Fokussierung auf die Ausbildung der SchülerInnen bzw. seine pädagogische Berufung wird sich schließlich als ein grundlegendes Element erweisen, um in der neugeborenen praxisbezogenen Disziplin das spezifische, kollektiv erarbeitete Wissen zu tradieren, zu erneuern und aktiv für die Aufgabenerfüllung anzuwenden.

Die erste Lebensphase einer Lerngemeinschaft fällt mit seiner Gründung zusammen; es handelt sich also um eine Phase, in der das Potential der entstehenden Gemeinschaft bekannt wird und sich systematisch zu organisieren beginnt. Man braucht selbstverständlich Planungswerkzeuge und Gründungsaktivitäten, um aus einem losen Personennetzwerk eine strukturierte, praxisorientierte Gruppe zu bilden. Der Ursprung einer CoP liegt aber nicht in einem Leerraum: Die mitbeteiligten Subjekte haben nämlich schon etwas Gemeinsames sowie Beziehungen zueinander, »[t]hey start to see their own issues and interests as communal fodder and their relationships in the new light of a potential community. As the sense of a shared domain develops, the need for more systematic interactions emerges and generates interest« (Wenger/Snyder 2000: 71). Aus diesem Knotenpunkt heraus taucht eine Person auf, die für den Start der gemeinsamen Praxis die Verantwortung übernimmt. Das herauszuholende Potential stellt den Gemeinschaftsmitgliedern eine Spannungssituation vor: Alle Teilnehmer müssen die Entdeckung nutzbarer, bereits vorhandener Elemente, gemeinsamer Probleme und einer geteilten Geschichte mit der Vorstellung einer künftigen Mission balancieren. Die Identifikation gemeinsamer Forderungen an Wissen und Handeln führt zur Aushandlung sowohl von Ressourcen als auch von Visionen, so dass die Lerngemeinschaft eine bestimmte Trajektorie annimmt. Eine zweite Stufe im Leben der CoP entwickelt sich aus der Verschmelzung der Mitglieder sowie ihrer Aktionsprinzipien. Die entstehende CoP ist mit der Schwierigkeit konfrontiert, eine konkrete Gruppe zu bilden und sich nach Außen hin zu profilieren. Der anfängliche Enthusiasmus kollidiert notgedrungen mit der Realität des strukturellen Aufbaus, der Vertrauensgewinnung unter den Mitgliedern, der Interaktionsfähigkeit und der Förderung des Ideenaustauschs. Da solche dem Zusammenwachsen dienende Aktivitäten keinen unmittelbaren Nutzen bringen, kann die Beteiligung der Mitglieder stark sinken und somit der interne Zusammenhalt zerrissen werden. In diesem Moment ist ein Gleichgewicht zwischen der für die Entwicklung erforderlichen Etablierung von Beziehungen, Ritualen sowie Interaktionen und der konkreten Wertschaffung herzustellen. Wenn eine CoP diese Lebensphase übersteht, dann beginnt das Wechselspiel zwischen öffentlichen und privaten Räumen zu funktionieren: Die praxisorientierte Gemeinschaft nimmt stufenweise feste Gestalt an und wird zu einem Fixpunkt für die Erlebnisse der Mitglieder. Die dritte Phase besteht folglich im Reifwerden: Nachdem sie den Wert des gemeinsamen Lernens festgestellt hat, muss die Gruppe das ausgehandelte Projekt näher bestimmen und eine stärker auf die Gemeinschaft fokussierte Identität bilden. Die Mitglieder entwickeln ihr Selbstverständnis als aktive Teilnehmer, steigern mithin ihr Engagement und verleihen der Arbeitsgruppe eine hohe Dynamik. In dieser Phase beschäftigt sich die Lerngemeinschaft damit, die eigenen Ziele zu klären, Standards für die Problemlösung und Routineoperationen festzulegen, Wissenslücken zu finden und auszufüllen, das gemeinsame Wissen effizient zu organisieren und die eigenen Grenzen zu bestimmen. Die zwei gegensätzlichen Forderungen sind daher die kräftige Expansion und die systematische Fokussierung bezüglich zentraler Themen und Zwecke. Man könnte sogar behaupten, das innere Wachsen entspreche einem Modernisierungsprozess, einer Wiederaufnahme schon ausgehandelter Bedeutungen und Praxisressourcen in Anbetracht der umliegenden Sozialwelt. Die folgende Entwicklungsphase ist dann jene der Festigung, die durch eine fortwährende Transformation gekennzeichnet ist. Die Gemeinschaft reagiert auf die Umwelt und gestaltet diese zeitgleich: »The strength of communities of practice is self-perpetuating. As they generate knowledge, they reinforce and renew themselves« (Wenger/Snyder 2000: 143). Einerseits entwickelt sie ihre Methoden weiter, um das gewonnene Wissen zu expandieren, und sucht andere Kontexte, um dieses zu überprüfen und umzusetzen. Aus diesem Grund öffnet sie sich Newcomern und erarbeitet neue Ansätze. Andererseits versucht die CoP, dank der gewonnenen Relevanz im eigenen Wissensgebiet andere Lerngemeinschaften oder größere Organisationen zu beeinflussen. Die Mitglieder versuchen also, den Lernprozess in der Gesellschaft intensiv zu nutzen. Ein Spannungsverhältnis entwickelt sich in dieser Hinsicht zwischen der gezielten Offenheit und den Eigentumsansprüchen langzeitiger Mitglieder, die Angst davor haben, in der breiteren Gemeinschaft ihre Führungsrolle und ihren Einfluss zu verlieren. Die letzte Entwicklungsstufe trägt den viel sagenden Namen „Umwandlung“, der eine tiefgründige Transformation oder sogar das Ende der CoP bezeichnet. Auslösende Faktoren können ein nicht mehr aktueller Wissensstand, ein übertriebener Tätigkeitsdrang, eine fehlende Identifikation der Mitglieder mit der geteilten Praxis und dem Projekt, strukturelle Veränderungen oder die Verstreuung der Mitglieder in andere Lerngemeinschaften sein. Die Herausforderung besteht also darin, die Spannung zwischen der Auflösung der ganzen Gemeinschaft und der Fortführung als Erbe für andere Communities of Practice abzubauen. Wie jeder andere lebende Organismus kann auch eine Lerngemeinschaft wegen interner Schwächen oder mangelnder Funktionstüchtigkeit sterben. Darum

[t]he very qualities that make a community an ideal structure for learning – a shared perspective of a domain, trust, a communal identity, long-standing relationships and established practice – are the same qualities that can hold it hostage to its history and its achievements. The community can become an ideal structure for avoiding learning. (Wenger/McDermott/Snyder 2002: 141)

Eine aufgelöste CoP kann nichtsdestotrotz in der Erfahrung der Mitglieder weiterleben und als Ansatzpunkt für eine Fusionierung oder für eine Neugründung genutzt werden.

Was aus dem erörterten Lebenszyklus klar hervorgeht, ist die Positionierung von Communities of Practice – als Lerngemeinschaften – im Prozess sozialer Umgestaltung. Die Tatsache, dass Lernende alle Beziehungen von Identifikation und Aushandlung innerhalb einer teils konkreten teils imaginierten Landschaft immer neu konfigurieren, ist ebenso wichtig für das Lernen wie der Zugang zu Informationen. Die Umgestaltung betrifft also nicht nur von Mal zu Mal die lokale Praxis, sondern auch ihre translokalen Einbeziehungen: Lernen sei demnach »a way of being in the social world, not a way of coming to know about it. Learners, like observers more generally, are engaged both in the contexts of their learning and in the broader social world within which these contexts are produced« (Hanks 1991: 24). Insgesamt lässt sich also resümieren, dass die Teilhabe an CoPs den Lernprozess ermöglicht und dass Lernen seinerseits ein Mittel zum Ausbau der Teilhabe an CoPs ist. Beim Lernen handelt es sich um einen erweiterten Zugang zur Performance, und zwar um den Vollzug bestimmter Aufgaben, gemeinsam getroffener Entscheidungen, etablierter Formalitäten und Riten. Erst durch die Teilnahme an einer CoP werden die Lerngegenstände und -werkzeuge relevant und es können sich neue Lerninhalte entwickeln. Das gemeinsame Lernen führt somit die Subjekte dazu, notwendige Expertisen und Fertigkeiten zu erschließen und diese durch die selbsterlebten Ereignisse zu ergänzen. Der Erfolg des Koordinators einer CoP geht also mit seiner Fähigkeit einher, das spezifische Wissensgebiet und die Partizipation an der gemeinsamen Praxis so zu strukturieren, dass jedes Mitglied seinen Spielraum im und durch den Lernkontext hat. Die ständige wechselseitige Bereicherung zwischen der individuellen Lebenserfahrung und dem gemeinsamen Handeln dient der Entwicklung sowohl von den Einzelpersönlichkeiten als auch von der Lerngemeinschaft.



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