Читать книгу Also schrieb Friedrich Nietzsche: "Zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ..." - Christian Drollner Georg - Страница 22

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Der Inhalt dieses Absatzes entsprach voll und ganz Ns Mentalität, seiner Lust sich sein Leben als „höheres“ zu rechtfertigen! Damit allerdings war N so wenig auf der „richtigen Seite des Lebens“, wie Emersons Text in sich stimmig ist. Die Verteilung ist nicht so einseitig und N hat nicht auf der Seite der Wahrheit gestanden, sondern auf der Seite des „wie es ihm“ und „wie er sich gefiel“ und das bedeutet nur in subjektivem Gefühl „richtig zu liegen“ - was verglichen mit dem Begriff „Wahrheit“ alles anderes als ein und dasselbe. Das alles galt für Emersons Darstellungen des „Verstandes“, von dem N sich durchdrungen fühlte und sich darin von Emerson bestätigt fand!


Zu Emersons nachfolgenden, relativ kurzem Kapitel „Kunst“ gibt es von N ebenfalls allerlei auf seine eigenen Befindlichkeiten bezogene An- und Unterstreichungen, aber sie beziehen sich vorwiegend auf seine Illusionen von dem, was ihm als Kunst vorschwebte. Vom darauf folgenden Kapitel „Der Dichter“ fühlte sich N unmittelbarerer angesprochen. Besonders in der Zeit, als er - vor sich selbst als der Dichter des „Zarathustra“ - auch damit beschäftigt war, die unüberbietbare Bedeutung dieses Dichtens und der damit verbundenen Absichten mit Argumenten zu untermauern. Als Beispiele dafür seien angeführt:

Die Breite des Problems ist groß, denn der Dichter repräsentiert. Unter Parteimenschen gilt er als der vollkommene Mensch der uns nicht mit seinem Reichtum, sondern mit dem allgemeinen Reichtum bekannt macht [was also eine Stufe höher zu verorten wäre?]. Der jugendliche Mensch verehrt Menschen von Genie, weil, offen zu reden, sie [die Genialischen] mehr er sind als wie er selber es ist [was wörtlich zu nehmen, für N typisch war, weil er glaubte, dass es auf ihn zutreffen würde!]. Sie [wieder die „Menschen von Genie“] empfangen von der Seele, von der er [der „jugendliche Mensch“] auch empfängt, aber sie [die „Genialischen“] mehr [womit auf beinahe geniale Weise Ns Verhältnis zu Richard Wagner zu Beginn der Freundschaft vorweg beschrieben ist; - bis er bemerkte, dass Wagner nicht Ns Vorstellungen entsprechend den Superlativ aller Genie-Ideale darstellen würde!] ….. Er [der Dichter] steht isoliert da unter seinen Zeitgenossen, durch die Wahrheit und durch seine Kunst, aber mit dem Troste bei seinen Bestrebungen, dass sie alle Menschen früher oder später anziehen werden, denn alle Menschen leben durch die Wahrheit und bedürfen des Ausdrucks. EE.275 [Das hatte N zusätzlich am Rande markiert!]

Das klingt als wäre es auf Ns „Kunstverständnis“ zugeschnitten, dürfte aber im Umkehrschluss seine Stimmigkeit finden: Von diesen Emerson-Sätzen ließ sich N seine Vorstellung vom Wesen und von der Wirkungsmacht des Dichters prägen! Seine Erwartungen in die Wirkung einer - seiner Dichtung „Zarathustra“ - waren entsprechend. Bis der ausbleibende Erfolg sein Interesse, auf diesem Weg zur Unsterblichkeit zu gelangen ihn zwar nicht eines Besseren belehrte, ihn aber dazu brachte, von weiterer „Dichterei“ abzulassen. Die möglichen Wirkungen seines „Zarathustra“ jedenfalls hat N „als Dichtung“ in diesem Sinne verstanden!


Jeder Mensch sollte so viel Künstler sein, dass er im Gespräche dartun könnte [wie Zarathustra „also“ zu sprechen geruhte], was sich mit ihm zugetragen [nach diesem „Konzept“ genau ist „Zarathustra“ als das lauthalse Sprachrohr von N aufgebaut. Zarathustra ist als „N-lose“ Figur gar nicht existent! Es gibt keine Distanz zwischen den beiden!]. Dennoch haben in unserer Erfahrung die Strahlen oder Konjunktionen [die miteinander verbundenen Aussagen] genügend Kraft, die Sinne zu berühren, aber nicht genug, um das Leben zu erreichen und die Reproduktion [die Nachbildung, hier:] in der Sprache zu erzwingen. [Das Folgende wurde von N seitlich am Rande dick markiert:] Der Dichter ist die Person, bei der diese Kräfte [die Berührung der Sinne durch die Macht der Sprache und zugleich die sprachliche Nachbildung von Wirklichkeit!] sich im Gleichgewicht zeigen, der unbeschränkte Mann, der das [die in Ns „Zarathustra“ zur Sprache gebrachte Zukunftsnotwendigkeit der Übermensch-Züchtung!?] sieht und übt, wovon andere nur träumen, der die ganze Skala der Erfahrungen durchmacht und den Menschen repräsentiert [den Übermenschen sogar, wie Zarathustra in persona und Reinkultur] vermöge seiner unendlichen Kraft zu empfangen und mitzuteilen. EE.275f

Auf Erwägungen dieser Art beruhte Ns Einschätzung seines „Zarathustra“ als „das tiefste Buch, das die Menschheit besitzt“ 6.153, denn N fühlte sich immer im Gleichgewicht und im Besitz sämtlicher beschriebener Vorteile, „den Anderen“ gegenüber! Er hat das alles in absolut subjektivistischer Egozentrik übernommen, ausgelebt, beansprucht und sich idealisierend damit identifiziert - und er hat geglaubt, damit zu seinem überaus ehrgeizigen, „herrscheramtlich“ orientierten Ziel zu kommen und gültig sein zu können mit seinen Ansichten für die nächsten Jahrtausende! - Gegen den Rest der Welt! - Das war, alles in allem betrachtet, der „seelische Ausgangspunkt“ seiner „gefühlt-geistigen Entwicklung“. Nur demjenigen, der keine Unterschiede zwischen sich und der Welt festzustellen vermag, ergibt sich daraus eine ideale „Gesetzmäßigkeit“, sich, sein Wesen, seinen Willen, seine Absichten, seine Wertungen voll zu einer „zarathustrischen“ Geltung zu bringen und damit „die Menschheit zu Entschlüssen [zu] drängen, welche über die ganze menschliche Zukunft entscheiden“ 1.6.84 sollen.


Dass sich so gut wie alles bei N - bis in feinste Verästelungen hinein - in Emerson vorgeprägt findet, erscheint nicht als Zufall oder „seltsamer Zusammenhang“, wenn man davon ausgeht, dass N, mit siebzehn Jahren auf diesen „Lehrer“, auf speziell dessen in Nürnberg gefundenen essayistische Schriften in „schulgesetzbedürftiger“ Form als seinen „Lebenshalt“ angenommen hatte und entsprechend fixiert dem, was davon seinen Neigungen gemäß war, als „Alibi“ nutzte, um vor der Welt - mit und vor sich selbst! - sich auf der vermutlich sicheren Seite zu finden; das heißt, von einer angenommenen Autorität, die Emerson - weil dieser so viel von Ns geheimstem Wesen zu wissen schien! - „logisch“ abgesichert und legitimiert erschien. So wurde N von seinen ihn ohnehin beherrschenden Gefühlen geleitet ihn in seiner Wahrhaftigkeit anzuerkennen: - und folglich, extrem und maßlos wie immer, erfüllen, was bei Emerson für so richtig geschrieben fand, - das war alles!

Unter diesem Gesichtspunkt lösen sich so gut wie alle logischen Fragwürdigkeiten in Ns „Gedankengebäude“, das eine Philosophie darstellen sollte, auf. Es ist nicht so, dass der „große Emerson“ N vorgedacht hätte, das widerlegen die Anstreichungen, die N sich in einem von ihm letztlich zufälligerweise entdeckten und fertig vorgefundenen Text machte: N ist in diese Texte „hineingeschlüpft“ wie in ein unerwartet gut sitzendes Kleidungsstück - und lebte sie aus! Sie waren für ihn eine Art von „des Kaisers neuen Kleidern“ die er zu tragen verstand, - ohne dass darunter die Tatsächlichkeit seiner den Fakten nach gegebenen Nacktheit erkennbar geworden wäre. Es gibt noch einige Beispiele dafür:


Der Dichter ist der Redende, der Nennende und [er] stellt die Schönheit dar [wenn man davon ausgeht, dass Schönheit das ist, was dem Urteilenden jeweils gefällt]. Er ist ein unumschränkter Herrscher und steht im Mittelpunkt [und übt sein längst eingenommenes „Herrscheramt“ aus, während „die Anderen“ unten saufend johlen und in jedem Fall als „zu Beherrschende“ zu erachten sind!]. Denn die Welt ist nicht gemalt oder geschmückt, sondern ist [für den das Erkennenden!] von Anfang her schön; und Gott hat nicht einige schöne Dinge gemacht, sondern die Schönheit schuf das Universum EE.276 [wirklich so oder nicht doch eher anders herum? Wer mag wohl was hervorgebracht haben? Die Schönheit das Universum oder das Universum die Schönheit? Bei so geschwollenen Tönen kommt es leicht gar nicht mehr so sehr darauf an, hier Klarheit zu schaffen - oder solche auch nur zu erwarten. In den Ausführungen Emersons steckte immer sehr viel von dem, was N unter der „Macht der Dichtkunst“ verstanden zu haben glaubte!].

Das Zeichen und das Creditiv [die Glaubwürdigkeit] des Dichters ist, dass er das verkündet, was kein Mensch vor ihm gesagt hat [auch diese Annahme passte auf N, genau - nicht nur auf seinen „Zarathustra“, sondern auf sein Bemühen, stets so gegenteilig „originell“ umwertend wie nur irgend möglich zu sein, um eine nie zuvor vernommene Meinung zum Besten zu geben!]. Er ist der wahre und einzige Doktor [auch diese Version hat N sich zu Eigen gemacht indem er annahm, die Welt - als Arzt und damit auch sich selbst als seinen eigenen Patienten! - kurieren zu können!] er weiß und teilt mit; er ist der Einzige, der uns Neues erzählt, denn er war bei dem Anblick den er beschreibt, zugegen und mitwissend. Er ist ein Anschauender der Ideen und einer, der das Notwendige und das Zufällige ausspricht. EE.277 [auch nach diesen illusorisch ideal gedachten Grundsätzen hat sich N „als Dichter“ seines Zarathustra verhalten, aufgeführt und sich in etwa diesen Dimensionen - und Wirkungen! - gesehen! Jedenfalls treffen die Worte Emersons in diesem Sinn auf ihn zu!]

Irgendwie wirkt es schon als ungeheuerlich, wie weit Ns Abhängigkeit von Emerson gegangen ist, wenn man erst einmal des Genaueren auf dieser Spur die vorliegenden Erkenntnisse sammelt. Hier dreht es sich nicht darum, N nachzuweisen, dass er bei Emerson nur „abgekupfert“ hätte. Nein! Es geht um den Nachweis der seelischen Abhängigkeit Ns von all diesen Phrasen! Von denen N sich - unfähig zu eigenentwickelter Erkenntnis, Maßnahme und Maßgabe! - seit frühester 17-jähriger Unreife für derlei „Dinge“! - kritiklos beeinflussen ließ. Es geht um Ns - zu einem paranoiden Wahn gesteigerte! - Gläubigkeit an Emersons für ihn letztgültige „Wahr- und Weisheiten“ als eigeneLebensform“! Aufgedonnert mit dem „Siegel“ der „Freigeisterei“, die N in Wirklichkeit jedoch - in übertrieben sklavischer Abhängigkeit von Emersons Vorgaben - verbracht und mit bösen Folgen „verplempert“ hatte. Der „Doktor“ aus Emersons Text wurde bei N zum Arzt, zum Heiler, wie beispielsweise in der 1881 fertig gestellten „Morgenröte“, wo es am Ende des 134. Aphorismus, so ungefähr Ende 1880 mit Stoßrichtung gegen die „Moral des Mitleidens“ heißt: „Wer aber gar als Arzt in irgend einem Sinne der Menschheit dienen will [als „Philosoph“ nämlich! - denn natürlich hatte N sich damit selber gemeint! - lange vor der Berührung mit Schopenhauer! - der] wird gegen jene Empfindung [eben Mitleid zu zeigen!] sehr vorsichtig werden müssen, - sie [die von N natürlich maßlos aufgefasste Mitleidsempfindung!] lähmt ihn in allen entscheidenden Augenblicken und unterbindet sein Wissen und seine hilfreiche feine Hand. 3.128

Wieso? Warum dieser Schluss? Die Beantwortung ist denkbar einfach: Weil mit dem „Mitleid“ zwangsläufig „die Anderen“ mit einem unerwünschten Bedeutungsgrad ins Spiel von Ns philosophisch gemeinten Erwägungen „für die Menschheit“ kommen würden und Er mit diesen aus der Geradlinigkeit seiner nur sich selbst beachtenden Weltsicht geriet und sich dadurch „gelähmt fühlt in den entscheidenden Augenblicken seines „Wissens“ und seiner hilfreichen feinen Hand“ - in dem vor allem, was Er in seinem Sinne ungestört über die Köpfe der Beherrschten hinweg zu entscheiden wünschte! - Das waren die tatsächlichen, zwar nicht philosophisch, dafür aber psychologisch stimmig zu benennenden Zusammenhänge! - Aber diese Wahrheiten waren wegen der darin offensichtlich mangelhaften „Moral“ nicht einfach als solche zu beschreiben!


Oder, ein anderes Beispiel, wie es ein Jahr später, 1881, in einem Brief hieß:

Aber ich will [als der Verfasser der „Gedanken über die moralischen Vorurteile“ - der Anderen! - zusammengestellt in der „Morgenröte“] durchaus mein eigner Arzt nunmehr sein und die Menschen sollen mir noch nachsagen, dass ich ein guter Arzt gewesen sei - und nicht nur für mich allein [denn N sah schließlich die Menschheit an seinen Einfällen genesen!] ….. Wer im Geheimen zusehen könnte, wie ich die Rücksichten auf meine Gesundheit mit der Förderung meiner großen Aufgabe [die ganze Menschheit von allen Fehlern der Vergangenheit zu erlösen!] zu verknüpfen weiß, der würde mir keine geringe Ehre zollen [auf diese Ehre hatte es N schließlich abgesehen!]. Ich lebe nicht nur sehr mutig, sondern im höchsten [vorbildhaft unübertrefflich superlativen] Maße vernünftig und unterstützt von einem reichen medizinischen Wissen und unablässigen Beobachten und Forschen 9.7.81 [welches aber in nichts und nirgends hinausging über den einen sehr speziellen Fall seines Leidens, - an sich selbst! - und an einer unverstandenen Welt, die er sich anschickte, mit sich selber „heilen“ zu wollen, - auf dass sie werde, wie Er sie für richtig hielt!]


Fünf Jahre später, 1886, aus der gewissermaßen nachgereichten „Vorrede zur zweiten Ausgabe“ der „Fröhlichen Wissenschaft“, die aber keine wirkliche „zweite Ausgabe“ war, sondern lediglich aus den massenhaft unverkauften Exemplaren der ersten Auflage mit einem „zur Auffrischung“ jeweils angehängten „fünften Buch“ bestand:

Ich erwarte immer noch, dass ein philosophischer Arzt im ausnahmsweisen Sinn des Worten [also wieder in überidealisiert superlativer Form!] - ein Solcher, der dem Problem der Gesamt-Gesundheit von Volk, Zeit, Rasse, Menschheit nachzugehen hat [und wieder war das alles, wie schon bei Emerson, so heillos übertrieben - und geschah unter Zwang! Dass ein solcher also, wie er ihn hatte!] - einmal den Mut haben wird, meinen Verdacht auf die Spitze zu bringen und den Satz zu wagen: bei allem Philosophieren handelte es sich bisher gar nicht um „Wahrheit“, sondern um etwas Anderes, sagen wir um Gesundheit [eine Sache für Ärzte eben!], Zukunft, Wachstum, Macht, Leben … 3.349


Oder dann, immer noch und wiederum 2 Jahre später, 1888, kurz vor seinem Ende, im „Antichrist“ und in diesem am Ende von dem Abschnitt mit der Nummer 7:

Nichts ist ungesunder, inmitten unsrer ungesunden Modernität [die allein darum „ungesund“ war, weil sie nicht ausschließlich Ns Maßen entsprach und nicht anging gegen das, was ihm so zuwider war], als das christliche Mitleid. Hier Arzt sein, hier unerbittlich sein, hier [ohne Narkose!] das Messer führen - das gehört zu uns, das ist unsre Art Menschenliebe, damit sind wir Philosophen, wir Hyperboreer [ein von den alten Griechen im fernsten hohen Norden vermutetes Fabelvolk, von dem der griechische Dichter Pindaros, 522-445 v. C., schrieb und sich N im Sommer 1886 notierte: „Weder zu Wasser, noch zu Lande kannst du den Weg zu den Hyperboreern finden“ 12.201, hier von N, wie immer, im Sinne von „wir Besonderen“, wir Elitären, wir Erwählten und wer und was sich alles dazuzählen mochte]! - - - 6.174

Alles blieb, bis in die Endphase hinein von Emerson durchtränkt, durch Emersons Brille gesehen, - ohne einen nüchtern selbständigen, erfolgreichen Blick in die eigene unmittelbare Umgebung und ohne realistische Zurkenntnisnahme der Welt um ihn her! Nicht eigene Anschauung ergab ihm seine Sicht auf die Welt, sondern Emerson hatte ihm die für ihn gültige Welt beschrieben und N übernahm aus persönlichen Gründen - weil er sie selbst nicht und nichts sachlich beurteilen konnte! - gläubig dessen Darstellung als eigene und eigentliche Wirklichkeit. - Etwa so, wie im Mittelalter all das, was der griechische Philosoph Aristoteles, 384-322 v. C., vorgekaut hatte, gültig blieb, weil niemand wagte, sich selber die Welt genauer anzusehen!


Der Dichter hat einen neuen Gedanken [der bei N aber ein superlativ weltverändernder sein sollte, um ihn in seiner Maßlosigkeit zur Geltung zu bringen!]: er hat eine ganz neue [bei N aber aus völlig unnormal abwegigen Momenten stammende] Erfahrung dazutun; er will sagen, wie es mit ihm war und alle Menschen werden reicher in seinem Reichtum sein. [Das hat N einfach so geglaubt! Als entspräche Er dieser undifferenzierten Beschreibung der Stellung des Dichters in der Gesellschaft. N bezog das auf seine für „philosophisch“ gehaltene, ablehnend umwertungswillige Haltung gegenüber der Wirklichkeit, die er durch das, was ihm „ideal“ erschien, ersetzen wollte! Dazu sollte ihm „Dichtung“ als „Vorwegnahme von Realität“ dienlich sein:] „Die Erfahrung eines jeden neuen Alters erfordert ein neues Bekenntnis und die Welt scheint immer auf ihren Dichter zu warten“! EE.278

Nach diesem Grundsatz war Ns „Zarathustra“ angelegt. Das war es, was N sich von seinem „Zarathustra“ erhoffte, beziehungsweise laut Emerson zu hoffen erlauben durfte! - aber sich nicht erfüllen sollte und konnte, weshalb N seine große, weltumkrempelnde „Dichtung“ letztlich enttäuscht als einen unvollendeten Torso liegen ließ.


Das Talent mag scherzen und gaukeln: das Genie realisiert und ergänzt [so wie N glaubte als letztgültig auftreten zu können: Verwirklichend und die Welt mit sich, durch sich „ergänzend“, indem er der Welt ihren - d.h. seinen! - „Sinn“ erklärte! Gemäß seiner Notiz aus dem Sommer-Herbst 1883, die da lautete: „Nicht den Menschen wohl zu tun - das Dasein selber zu vollenden, mich als Vollender zu schauen“! 10.487

Die Menschheit ist in völligem Ernste so weit zu dem Verständnis ihrer selbst und ihrer Werke gelangt [so entsprach es Emersons und somit auch Ns Verständnis!] und der vornehmste Wächter verkündigt von der Höhe herab seine Neuheiten EE.279 [denen da unten!].

Genauso, wie N sich seine Aufgabe - in Ansätzen schon von den Zinnen der Schönburg her! als Weltregierender und „Vollender“ 10.487 - vorstellte, vornahm und auch erfüllen zu können meinte, wenn er nur schrill genug im Grunde genau dies von Emerson Vorgekaute in die Welt hinausblies, denn er hatte - außer seinen allerdings sehr gekonnt vorgetragenen aber zur Weltwirklichkeit stets reichlich schief liegenden Kritikmassen am Bestehenden! - der Welt nichts weiter zu bieten! Das übermäßig in Anspruch genommene Wort „Menschheit“ hat N als menschliches Superlativ-Format des Sich-Kümmerns von Emerson zugespielt bekommen - gewissermaßen als kleinsten für ihn überhaupt in Frage kommenden „Nenner“ für sein heroisches Tun und für seine „Bilder“, Aufgaben, Belange und Zuständigkeiten oft und im Übermaß benutzt, allerdings mit einem stark verschobenen Akzent in ein Gegenobjekt - oder eine Kulisse für seine! - zu seiner der Menschheit mindestens ebenbürtigen, eben so viel bedeutenden genialen „Person“! Zur drastischen Illustration dazu gibt es dazu einen eindeutigen Ausspruch von ihm: In der Vorrede seines 1888, kurz vor dem „Überschnappen“ verfassten „Antichrist“ lautet der letzte Satz des Vorwortes, in dem N in aller nur denkbaren „Bescheidenheit“ seine idealen Leser beschrieb und am Ende bemerkte:

Wohlan! Das allein sind meine Leser, meine rechten Leser, meine vorherbestimmten Leser: was liegt am Rest? - Der Rest ist bloß die Menschheit. - Man muss der Menschheit überlegen sein durch Kraft, durch Höhe der Seele, - durch Verachtung … Friedrich N. 6.167

Das alles muss man einmal in gedrängter Form nebeneinander stehen sehen, um die Zusammenhänge - und damit auch die Hintergründe Ns - von seinem Anfang bis an sein Ende! - begreifen und einschätzen zu können!


Der Mensch [und als solcher empfand N sich sehr wahrscheinlich an dieser Stelle angesprochen!], so oft er auch getäuscht ist, wartet immer wieder auf die Ankunft eines Bruders, der ihm hilft standhaft einer Wahrheit anzuhangen, bis er sie sich zu Eigen gemacht hat. Mit welcher Freude fange ich an ein Gedicht zu lesen, wenn ich denke, dass es aus Inspiration [aus einem plötzlichen schöpferischen Einfall, einer Eingebung, einer Einhauchung von irgendwoher!] geschrieben worden ist! Und nun sollen meine Ketten zerrissen sein [diese „Ketten“ sollten für N zu einem Schlüsselwort für seine Abhängigkeiten und sein Gebundensein an Herkömmliches - außer an Emerson! - werden! Sie abzuschütteln und zerreißen zu wollen, war in Ns Baseler Jahren und ganz besonders - in „Menschliches, Allzumenschliches“ - zwölf Mal! - ein stets wiederkehrender Verhaltensantrieb]; ich werde mich über diese Wolken und undurchsichtige Luft, in der ich lebe, erheben - undurchsichtig, obgleich sie transparent erscheint, - und von dem Himmel der Wahrheit aus werde ich meine Beziehungen sehen und begreifen [dies wurde von N seitlich dick angestrichen! Als ob es einen solchen „Himmel der Wahrheit“ tatsächlich gäbe! Immer handelte es sich um „eingenommene Standpunkte“, die jeweils auf ihre Weise irgendwie und wo „angebunden“ waren. - In Emersons Text folgt dann:]

Das wird mich mit dem Leben in Einklang bringen und die Natur erneuen, wenn ich sehe, dass auch die Kleinigkeiten durch eine Tendenz belebt sind und wenn ich weiß, was ich tue [woher aber wusste dieses „ich“ - Er und N - das? - Wer sagt es mir und Dir? Niemand! Und wem kann ich, wem kannst Du glauben? Es klingt da, auch von der Formulierung her, viel willige Glaubensbereitschaft mit, - denn auf irgendwelche außerhalb seiner Selbst festzuzurrenden Gewissheiten kam Emerson nicht zu sprechen!].

Das Leben wird nicht mehr ein bloßes Durcheinander sein; nun werde ich die Menschen sehen und die Zeichen kennen, die sie von den Toren und Teufeln unterscheiden EE.280 [aber wie sehr trieft das alles doch von, in und durch „moralisch“ gedachte, nein empfundene - nicht durchdachte! - Subjektivität, denn dass ich mich gut mit mir selbst in Übereinstimmung befinde oder dahin strebe, kann doch gar keine Frage sein! Fraglich bleibt daneben nur: Wie sieht das, was „ich“ denke und tue für „die Anderen“ aus? Denn ihre Meinung, ihre Urteile stehen mindestens X zu 1 gegen die Meinen und dürfte von daher doch „zählen“ und nicht einfach so, ohne Weiteres, zu vernachlässigen, gar zu unterschlagen sein, weil sonst nichts übrig bleibt, als ein vereinzeltes und vereinsamtes schlecht orientiertes „Ich“, das sich, wie es sich auch winden mag, unter „normalen“ Umständen nicht allein - wie es sich jeder Diktator ersehnt! - die Welt wird ausmachen können].


Dieser Tag wird ein besserer sein als der Tag meiner Geburt: damals wurde ich ein Tier; [was für ein seelischer Knacks mag dahinter stecken, dass N ausgerechnet diese extreme Feststellung Emersons unterstrichen hatte? Einverständnis? Widerspruch wohl kaum! Wenn er aber diese Ansicht teilte, heißt das auch, dass er, aufgrund eigener Leistung - oder? welcher aber? - sich nicht mehr als Tier zu betrachten schien, sondern sich „weiter entwickelt“ hätte, - zum Menschen hin - gar zum Übermenschen? Diese Unterstreichung gibt mehr Rätsel auf als sie lösen kann] jetzt werde ich [von Emerson? - hat N das so gelesen?] zum rechten Erkennen [schön wäre es, wenn man wüsste, was das wirklich wäre!] eingeladen. Öfter ereignet es sich, dass dieser beflügelte Mann [der Dichter, dessen inspiriertes Gedicht Emerson gerade dabei war, zu lesen!], der mich in den Himmel tragen will [oder eher doch sollte!], mich in Wolken einhüllt, dann sich mit mir von Wolke zu Wolke stürzt und hin und her mit mir springt, mir immer noch einbilden wollend, dass sein Weg aufwärts zum Himmel gehe; und ich, der ich ein Neuling bin, merke erst nach und nach, dass er den Weg zum Himmel nicht kennt [wie es später N gegenüber Richard Wagner ergehen sollte?] und dass er nur gewollt hat, ich solle seine Geschicklichkeit bewundern, sich aufzuschwingen wie ein Vogel oder ein fliegender Fisch, eine kleine Strecke weit vom Boden oder vom Wasser ….. Ich falle bald wieder in meinen alten Winkel hinunter und lebe in den Übertreibungen des Lebens wie zuvor und habe meinen Glauben verloren, dass es irgendeinen Führer gibt, um mich dahin zu führen, wo ich sein möchte EE.280


Genau solche - als elementar empfundenen! - Lebenssituationen kannte N! Da er in seinem Leben aber keinen „zweiten Emerson“ hat finden können - Schopenhauer und Wagner „erwiesen“ sich als so etwas, wie die nur kurz über den Boden der ungeliebten Realität sich erheben könnenden „fliegenden Fische“, nicht als solche, die - wie Emerson! - N immer wieder, nachhaltig, höher und höher hinauf zu heben vermochten - excelsior! - zu immer wieder neu ihn begeisternde Höhen, wo er sich immer wieder „zu Hause, in seinem Hause“ 9.588 fühlen konnte. - Da blieb ihm nichts anderes übrig, als sich selbst zu einem „beflügelten Mann“ zu machen und schließlich sein eigener Führer, sein „auf seinen eigenen Kopf gestiegener“ 4.194 Gott zu werden, - nur weil es niemanden gab, den er - neben Emerson eben! - „über sich“ hätte ertragen können!

Dies nur als ein Beispiel, wie deutlich, ausufernd und detailliert sich Ns Wesen und „Schicksal“ bei Emerson beschrieben findet. Nicht aus Zufall, sondern weil er sich - unfreiwilliger Weise allerdings! - an ihn „gekettet“ fand, weil er dessen Weisheiten in zu vielen Varianten als sein höchst eigenes „Schulgesetzt“ verinnerlicht hatte und deshalb - ebenfalls unfreiwilliger Weise! - von typischen Emerson-Texten geradezu „erschlagen“ wurde oder von diesen erschlagen werden konnte. Ursache davon - auch von Ns Identifikation insgesamt! - war Ns Mangel, seine Schwierigkeit, seine Unfähigkeit, auf der Basis seiner eigenen sechs Sinne mit dieser Welt zurechtzukommen. Es war für Ns nur teilweise fähigem Verstand her für ihn einfacher - weil als abgesicherter empfunden! - sich den Erkenntnissen Emersons zu überlassen und davon auszugehen, dass die Welt so wäre, wie er sie so einmalig passend zu seinem eigenen Gefühlsleben - einschließlich seiner sonst unerklärt gebliebenen Momente des Allzusammenklangs! - bei Emerson beschrieben fand!


Auf der nächstfolgenden Emerson-Seite steht etwas zu lesen, was N nicht nur unterstrichen hat, sondern wozu er im Herbst 1881, der bedeutendsten Zeit seiner eigenen „Moral-Erfindungen“, an den Rand der Seite schrieb:

Alle Formen sind unser Werk - wir sprechen uns aus in der Art, wie wir die Dinge jetzt erkennen müssen 9.621 [mit dem Selbstverständnis, dass diese Feststellung Allgemeingültigkeit besitzen müsse!].

Auffallend daran ist, wie gründlich und endgültig, wie unkorrigierbar Emerson N in der Subjektivität seiner Weltsicht bestärkte. Alles war für N - und von ihm! - aus Emerson heraus „gedacht“ und ihm zu denken erlaubt! Der Satz, den N sich zusprach: „Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt“ 4.340, war da nicht mehr fern. Es gibt - von Anfang bis Ende außer eigenmächtigen Übertreibungen! - keine außerhalb von Emersons Schriften liegenden Bezugspunkte für Ns seine allgemeingültig sein sollenden Wertungen! Alles besitzt ansonsten nur eine Rückbezüglichkeit unmittelbar auf ihn selbst. „Die Anderen“ kommen nicht vor: „Unser Werk“, heißt es von N hier und „wir die Dinge“ und dann kommt das in diesem Zusammenhang immer sonderbar wirkende Wort „müssen“, - anstatt dem eigentlich subjektivistisch dazugehörenden „Wollen“. Aber das war nur ein trickreicher Griff nach einer höheren, übergeordneten, quasi-göttlichen „Macht“, - die ihn bestimmen würde und ihm - in seiner Bedeutendheit! - ersparte, das doch seine Beliebigkeit entlarvende „Wollen“ benutzen zu müssen. Für einen, der sich so viel auf seine unabhängige Freigeisterei zu Gute hielt, wie N, war es ein sonderbarer „logischer“ Zusammenhang, sein Wollen sicherheitshalber doch lieber unter einen höheren Orts zu verantwortenden Zwang zu stellen.

Wie die Natur durch würdigere Impulse des Dichters Treue für sein Amt des Verkündens und Bejahens befestigt hat, nämlich durch die Schönheit der Dinge welche eine neue und höhere Schönheit wird, sobald man sie ausdrückt. [Dort liegt sicher der Ankergrund für Ns Begriff des „Schön-Machens“, das in seinem „Philosophieren“ bis in den „Zarathustra“ hinein außerordentlich bedeutungsvoll bleiben soll.] ….. Die Dinge lassen es zu, dass man sich ihrer als Symbole bedient, weil die Natur das Symbol ist, im Ganzen wie im Einzelnen [ist sie das? - oder ist es nur möglich, sie als solche zu benutzen?]. Jede Linie, die wir im Sande zeichnen können, hat Ausdruck; und kein Mensch existiert, der nicht ihren Geist oder ihr Genie [den „Geist“ der Linie oder der Natur?] besäße. Jede Form ist eine Wirkung des Charakters ….. Das Schöne ruht auf dem Grunde des Notwendigen [was noch genauso im Zarathustra behandelt wird, dort soll es dann heißen: Wo ist Schönheit? Wo ich mit allem Willen [das Notwendige] wollen muss. 4.157 aber auch 4.120, 137, 150, 152, 181, 195]

Was aber ist wann für wen unter welchen Umständen „notwendig“? Das sind doch keine ein für alle Mal feststehenden Größen! Der Emerson-Text ging fort mit den Worten:

Wir stehen vor dem Geheimnis der Welt - da wo das Wesen in der äußeren Erscheinung, wo die Einheit in die Verschiedenheit übergeht. EE.281

Auch das klingt nach einer Beschreibung des Grenzbereichs von Ns Allzusammenklangs-Erlebnissen, die Ns „Momente“ erfüllten gegenüber den Widersprüchlichkeiten und verschiedenheitliche Stellungnahmen fordernden Welt: Seine Gefühle des All-Einen, des Zusammenklangs von Allem , mit Lichterglanz und Lichtfülle, von der er sich umgürtet fühlte! - Bei Emerson wurde das immer wieder angesprochen und besaß für Ns Gefühlsblindheit, für seine erheblichen Schwierigkeiten mit der Tatsächlichkeit des täglichen Lebens, eine Bedeutung, wie sich das ein „Normaler“, ein nicht an derlei „Leidender“, in angemessenem Ausmaß kaum vorstellen kann.


Aber der Dichter nennt das Ding so weil er es so sieht oder ihm um einen Schritt näher tritt als irgendein Anderer [auch da wurde N wieder eine Sonderstellung „angeboten“ oder gar eingeredet - als Dichter diesmal!]. Dieser Ausdruck oder dieses Benennen ist nicht Kunst, sondern eine zweite Natur, die aus der ersten hervorgegangen ist, wie das Blatt aus dem Baum. EE.288

Solche Äußerungen waren N eine „Stütze“ für seine „Zarathustra“-Dichtung - nicht nur und bloß lediglich „Kunst, sondern eine zweite Natur“ und somit als Wirklichkeitsgestaltung zu sehen! Sogar einige Wochen vor seiner Zarathustra-Vision, gewissermaßen zwischen seiner abgeschlossenen „Morgenröte“ und dem geistigen In-ihm-Aufdämmern seiner „Fröhlichen Wissenschaft“ empfand sich N als unbedingter Wirklichkeitsgestalter. Zu der Zeit schrieb er an seine Schwester über seine Schriftstellerei:

Ach, meine gute liebe Schwester, Du meinst, es handele sich um ein Buch [gemeint war die gerade fertiggewordene „Morgenröte“!]? Hältst auch Du mich immer noch für einen Schriftsteller! [In seinen eigenen Augen war er weit mehr: Er hielt sich für einen, der die - künftige! - Wirklichkeit gestaltete!] Meine Stunde ist da. - Ich möchte Dir so viel ersparen, Du kannst ja meine Bürde [die ihn sicher auch bedrängende, aber von ihm nicht zu unterdrückende Lust, die Welt mit allmächtiger Schöpferhand zu verändern, ihr eine neue Richtung zu geben! Diese Bürde, meinte N, könne die Schwester] nicht tragen (es ist schon Verhängnis genug, so nah mit mir [mit dem, der die Welt durch neue Wahrheiten „erlösen“ sollte und deshalb für kommende Jahrtausende von höchster Bedeutsamkeit werden musste!] verwandt zu sein. 19.6.81


Bei Emerson heißt es auf der gleichen Seite wenige Zeilen weiter:

Genie ist die Tätigkeit, die den Verfall der Dinge [für N z.B. war das die im Vergleich zu seinem nostalgisch verklärten Griechentum katastrophale „Entartung“ seiner „Jetztzeit“] wieder gut macht, gleichviel ob sie ganz oder teilweise von materieller und endlicher Art sind. EE.288

Auch diese „Wahrheit“ hat N in und mit seinen Schriften immer „gepflegt“, beabsichtigt und für möglich gehalten. An dieser Stelle hatte sich N nichts angestrichen, aber es ist, so, wie er veranlagt war, kaum vorstellbar, dass er von ihrem „Gehalt“ unberührt geblieben wäre. Oder wollte er vielleicht nicht wahrhaben, sich derart „durchschaut“ zu finden? Denn er wollte doch - dem eben Zitierten entsprechend! - unbedingt „gut machen“, was ihm auf der von ihm vorgefundenen Welt als entartet erschien!


Auch an der folgenden Stelle hatte N nichts angestrichen oder unterstrichen: Dennoch bildet der dort gebotene Text geradezu einen Schmuckstein zu seinem Evangelium, zu der zu ihm gelangtenBotschaft“ über den Sinn des - und besonders seines! - Lebens:

Aber die Natur hat ein höheres Ziel bei der Produktion neuer Individuen als Säkularisation [Loslösung des Einzelnen], nämlich Ascension [Aufsteigen, „Veredelung“], oder das Übergehen der Seele in höhere Formen. EE.289

„Höhere“ Formen als den tierhaften Zustand zur Zeit seiner Geburt!? - Das war eine N geradezu rettende Idee, nämlich vor den zu verachtenden, pöbelhaften „Niederungen“ „der Anderen“ und der verhassten „Jetztzeit“, zu der und zu denen es N unerträglich erschien, dazuzugehören! - Was wäre ohne dieses zu erstrebende „Oben“ und das Vermeiden des „Unten“, was wäre sein „Herrscheramt“, wenn es nicht erlaubt wäre - gedanklich zumindest! - über „die Anderen“, über die Verachteten „da unten“ entscheiden und verfügen zu können? Der Emerson-Inhalt der Zeilen schlägt sich direkt noch - wörtlich! - nieder in Zarathustras Forderung, dass der Mensch unterzugehen hat, überwunden werden muss, um im Übermenschen als „Erhöhter Typus“ erst wirklich bewunderns- und lebenswert wieder zu erstehen, was ja im von Emerson vorgegebenen Wort „Aszension“ [spezieller und religiöser verstanden als „Christi Himmelfahrt!“] enthalten ist! Die Bedeutungsschwere von Ns Emerson-Bindung reicht bis in unglaubliche, dabei aber gar nicht mal so weit von Ns überkommenen Glaubenstiefen verschobene „Inhalte“ hinein und ersetzte auch deshalb ziemlich naht- und schmerzlos sein früheres Evangelium, da sie sein „Neuestes Evangelium“ war - und mit diesem Hintergrund konnte N auch seinen „Zarathustra“ als neues „heiliges Buch“ - „verständlich“ und beinahe sogar „logisch vertretbar“ erscheinen. Der Haken bei dem Ganzen war nur Ns Irrtum, dass die Natur „ein höheres Ziel“ und dazu ausgerechnet seines hätte. Das sich ausdehnende Universum hat ebenso kein zu erreichendes Ziel. Die Evolution beruht lediglich darauf, dass in der Infrastruktur des möglichen „Umgangs mit Informationen“ je länger, je mehr - einfach nur ziellos - immer Komplexeres möglich wird! - Während N sich alles - wie seine Wünsche es mit ihm trieben! - immer nur auf etwas irgendwohin zielend vorstellen konnte.


Es ist ein Geheimnis, hinter welches jeder intellektuelle Mensch bald kommt, dass außer der Kraft des Verstandes, die er besitzt und deren er sich bewusst ist, er noch eine neue Kraft sich aneignen kann (wie ein Verstand, der auf sich selbst gelegt wird) [und aus dieser Formulierung heraus vielleicht das sonderbare und unmögliche „auf deinen eigenen Kopf zu steigen“ 4.194 entstanden ist?], durch Hingebung an die Natur der Dinge, dass außer seiner alleinigen Macht als individueller Mensch es noch eine große allgemeine Macht gibt, die er sich aneignen kann, indem er auf jede Gefahr hin die Zugänge zu seinem inneren Menschen öffnet und die ätherischen [himmlischen, zarten] Fluten sich ergießen und ihre Zirkulation beginnen lässt [was N aber nur seinen eigenen „Inspirationen“ zu erlauben gesinnt war und diese niemals „einem Anderen“ in gleicher Weise gestattet oder auch nur anerkannt hätte]: dann ist er im Leben des Universums aufgenommen, seine Sprache ist Donner, sein Gedanke ist Gesetz und seine Worte sind allgemein verständlich wie die Pflanzen und Tiere [nur hat das Rezept nicht funktioniert, man riss sich nicht um Ns mit blitzend donnernden Worten geschriebenen Werke und Ansichten, - zumindest solange nicht, bis die dank dem offenbar gewordenen Wahnsinn wirksam angelaufene Vermarktung von Ns Produktionen durch die skrupellos agierende Schwester auf Touren kam].

Der Dichter weiß, dass er nur dann angemessen spricht, wenn er etwas phantastisch spricht oder [wenn er in der Tat an der Grenze zur Lächerlichkeit so viel zu verbergen hatte wie N!] „mit der Blume des Geistes“; nicht mit dem Verstande, als Organ gebraucht, sondern mit dem Verstande, der von allem Dienst [und damit vom „Makel“ schändlich wirkender Nützlichkeit] erlöst ist [und sich berechtigt fühlen darf, für heilig gehalten zu werden, - lediglich durch die eigene „innere Überzeugung“] und seine Richtung von seinem himmlischen Leben aus nehmen darf ….. EE.291

Das beschreibt Ns Wesen ohne notwendige weitere Worte. Nach seinem Verhalten zu urteilen muss N so etwas gefallen haben: „Mir ein eigenes anpassendes Leben zu zimmern war mein Bestreben von früh bis Abend“ BAW3.297, wie N es 1868 mit Gültigkeit für das Jahr 1865 gestand. Das war immer schon sein Traum gewesen. Und auch: der Welt seine Vorstellung von sich selbst „aufzuzwingen“, - dass sie ihn gefälligst so sehen und anerkennen müsste, wie er sich selber sah! Das war, als N Emerson erstmals las schon und ebenso am Ende, 1889, immer noch von unveränderter Gültigkeit! Wie sollte denn diese verführerisch erhöhende Geschichte mit dem „auf sich selbst gelegten Verstand“ laufen? Gemeint war natürlich über die bloße Logik hinausgehend der „Feuerbläser der Inspiration“ EE.48 - wie er N zukam in seinen „Momenten des Allzusammenklangs“! Im ersten Kapitel des dritten „Zarathustra“-Teils, ungefähr in der zweiten Hälfte des Jahres 1883 entstanden, benutzte N genau noch dieses „Bild“ des „auf den Verstand gelegten Verstandes“, wenn er dort schrieb: Du gehst deinen Weg der Größe; hier soll dir keiner nachschleichen! Dein Fuß selber löschte hinter dir den Weg aus und über ihm steht [für „die Anderen“ als Warnung, sich nicht auf gleiche Weise profilieren zu dürfen!] Unmöglichkeit. Und wenn dir nunmehr alle Leitern fehlen [zur weiteren Erhöhung deiner selbst] so musst du verstehen, noch auf deinen eigenen Kopf zu steigen: wie solltest du anders aufwärts steigen? 4.194


Darum lieben wir den Dichter, den Erfinder, der in jeder Form, sei es in einer Ode, oder in einer Handlung [oder in einem „Zarathustra“, der nicht eigentlich „Handlung“, sondern nur eine Summe „eingekleideter“, vermummter - gewissermaßen „kostümierter“ und maskierter! - Aphorismen darstellt] oder in Blicken und im Benehmen, uns einen neuen Gedanken liefert [das immerhin tat „Zarathustra“ schon in der Vorrede also sprechend, dass er „den Menschen ein Geschenk“ 4.13 zu bringen hätte: „den Übermenschen“! 4.14]. Er löst die Ketten und gestattet uns den Zutritt zu einer neuen Szene. EE.296

Auch dies hatte N seitlich markiert. Da gab es auch wieder Ns Ketten-Motiv, welches sich - beginnend mit der auf mehreren Ebenen „Unzeitgemäßen Betrachtung“ - über „Schopenhauer als Erzieher“ durch diverse „Werke“ Ns zieht.


Das zu den geheim gebliebenen Tiefen Ns aus Emersons Essay „Der Dichter“! Der nächste Essay enthält Emersons Erkenntnisse über die „Erfahrung“. Er beginnt mit den Worten:

Wo begegnen wir uns selbst? Auf einem Weg, dessen Endpunkte wir nicht kennen und von dem wir glauben, dass er keine hat. Wir erwachen und erblicken uns auf einer Treppe: da sind Treppen [Stufen?] hinter uns, die wir heraufgestiegen zu sein scheinen; da sind Treppen [Stufen?] über uns, manche, die hoch gehen und die wir aus dem Gesicht verlieren [ein „Bild“, das Ns Vorstellung der Entwicklung vom Tier zum Übermenschen, Stufe um Stufe, prägte?]. Aber der Genius, welcher dem alten Glauben gemäß an der Tür steht, durch die wir eintreten und uns vom Lethe [einem Vergessenheitstrank aus einem der griechischen mythologischen Flüsse der Unterwelt] zu trinken gibt, damit wir keine Geschichten erzählen, hat die Mischung zu stark gemacht, so dass wir jetzt mitten am Tage die Lethargie [die Trägheit, die Gleichgültigkeit - das Vergessen] nicht abschütteln können ….. EE.304

Auch dieses über die eigene Existenz sich „hinausfühlen-wollen“ hat Emerson N vorgemacht: Diesen an sich leeren Superlativ, der, wenn es mit ihm um und ankommt, aus bloßer Gegenwart besteht, die sich nicht viel von der davor liegenden unterscheiden wird und die dann - ein anderer Typ wie N - „berechtigt“ ist, ebenfalls geringer zu achten, als angebracht ist. In etwa behandelt das nächste Zitat das Gleiche:


Jedes Schiff ist ein romantischer Gegenstand, ausgenommen dasjenige mit dem wir [beladen mit all unserer Tatsächlichkeit und den Widrigkeiten der Realität - und nicht nur träumend!] segeln. Schiffe dich ein und die Romantik verlässt unser Schiff und hängt sich an jedes andere Segel am Horizont. EE.305

Eine treffsicher formulierte Beobachtung! Denn jedes andere Schiff fährt nicht, wie das Unsere, durch die Realität sondern durch unsere gedanklichen „Möglichkeiten“ und das sind mit riesigen Unterschieden zweierlei Welten! Die eine realisiert sich eindeutig vierdimensional, im Bereich der rein physikalischen Dimensionen, nach „Länge“, „Breite“, „Höhe“ und in der Dimension „Zeit“; - die andere findet nur in der gleichsam „fünften Dimension“, ausschließlich im Bereich des „Umgangs mit Informationen“, hier in unseren Träumen, Illusionen, Vorstellungen und Hoffnungen - kurz nur in der „Realität“ unseres Kopfes statt.


Das Selbstbewusstsein in jedem Menschen ist eine fortlaufende Skala, die ihn bald mit dem Urgrund aller Dinge, bald mit dem Fleisch seines Körpers gleich macht [auch hier kamen bei Emerson wieder die oft für N so elementaren „Ausnahmezustände“ ins Spiel]; Leben über Leben, in unendlichen Abstufungen. Das Gefühl, aus welchem sie [eine zuvor genannte „Zusammenfassung von Gesinnungen“] entsprang, bestimmt den Wert jeder Tat und die Frage ist immer, nicht was du getan oder unterlassen hast, sondern auf wessen Befehl du es getan oder unterlassen hast. EE.325

Unter welchem Zwang oder eben „Befehl“ von Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen oder bloß welcher Überzeugung, das „Richtige“ getan wird, sollte noch zählen? Auch das hatte N seitlich dick angestrichen, - und würde für jeden „Verbrecher“ gelten, der für seine Tat die nötige Überzeugtheit aufzuweisen versteht, was leicht ist, wenn „die Anderen“ im eigenen „Weltenplan“ als nicht weiter erwähnenswert erachtet werden! Auf der gleichen Seite wird von Emerson innerhalb seiner „Essays“ zum 3. Mal „Zoroaster“ erwähnt, - den N ohne Zimperlichkeit unter dem Namen Zarathustra als Gefäß für seine Weisheiten verwenden sollte.


Weiter und weiter! In Momenten, wo wir frei sind [oder nur frei fühlen!], wissen wir, dass eine neue Ansicht von dem Leben und der Pflicht etwas Mögliches ist [für N waren das seine gültig werden sollenden gefühlsblinden Ansichten unter freigeisterndem Ausschluss „der Anderen“!]; die Bestandteile von einer Lehre des Lebens, die alles, was bis jetzt darüber geschrieben ist, übertrifft, existieren schon in manchen Gemütern um dich her. [Auch dies wurde von N seitlich markiert!] Die neue Behauptung [also das, was N sich als „Sinn des Lebens“ zurechtgelegt hatte!] wird sowohl den Skeptizismus [den Zweifel an der allgemeingültigen Wahrheit als grundlegendes Prinzip des eigenen Denkens] wie den Glauben der Gesellschaft in sich schließen und aus dem Unglauben [z. B. nun aus Ns Art, die Welt zu sehen und zu beurteilen] wird ein neuer Glaube gebildet werden. Denn der Skeptizismus ist nicht willkürlich oder gesetzlos, sondern [wie durch Emerson gegeben beispielhaft und nach jeder Richtung hin berechtigt!] ist die Begrenzung von dem bejahenden Status und die neue Philosophie muss ihn [wie N sie zu genüsslichem Eigennutz erstrebte] mit in sich begreifen und Bejahungen außen um ihn herum ziehen, grade wie sie den ältesten Glauben mit einschließen muss. EE.327

Aber einen solchen „Einschluss“ wollte N für sich nicht als so zwingend erachten! Auch da hat N seitlich eine Anstreichung vorgenommen! Er wollte das als Ermutigung für seine eigenen Absichten verstehen! Als Fürsprache, mit sich selbst auf dem richtigen Weg zu sein!


Die Leute vergessen immer, dass es das Auge ist, welches den Horizont bildet und das Auge des abrundenden Geistes, welches diesen oder jenen Menschen zu einem Vorbild oder Vertreter der Humanität macht, mit dem Namen eines Heroen oder Heiligen ….. EE.328

Dazu hatte N links daneben einen kurzen dicken Strich angebracht und sich notiert: Emerson, p. 328 (Essays) „das Auge des abrundenden Geistes“. 8.538 Wohl weil ihm die Formulierung gefallen hatte? - ohne sich daran zu stoßen, dass Emersons Aussage eine falsche Beziehung zwischen Auge und Horizont behauptet hatte, denn es ist nicht das Auge, das den Horizont bedingt, sondern der gerade Verlauf des Lichts. Ebenso wenig bewirkt das „Auge des abrundenden Geistes“ die Einschätzung der Humanität, die sich auf andere Informationen gründet.


Wir haben ein Zutrauen zu uns selbst, wie wir es nicht zu Andern haben [denn wer neigt schon dazu, sich selbst dauernd zu widersprechen?]. Uns selbst erlauben wir alle Dinge und das, was wir Sünde in Andern nennen, ist für uns nur ein Experiment. Es ist ein Beispiel von unserm Glauben an uns selbst, dass die Menschen nie auf so leichte Weise vom Verbrechen sprechen wie denken: oder jeder Mensch hält sich für so sicher wie keinen Andern. Das Tun sieht sehr verschieden auf der [selbstmittelpunktlichen] Innenseite und [andrerseits, mit Blick auf „die Anderen“] auf der Außenseite aus; in seiner Beschaffenheit und in seinen Folgen. EE.329 [Bei „wohlfeilem“ Zweierleimaß, - selbstverständlich!]

Auch an diesem Absatz hat N seitlich Anmerkungen angebracht. Aus dem Inhalt aber wirklich Konsequenz für sein eigenes Tun zu ziehen, war seine Sache nicht, weil solches seine Möglichkeiten, einmal als „großer Denker“ in superlativem Sinne dastehen zu können, in Frage gestellt hätte, und so las er über die Feinheiten in dieses Emerson-Textes hinweg: Hatte er doch ausreichend „Zutrauen zu sich selbst“ und „erlaubte sich [ohnehin] alle Dinge“, auch und vor allem mit Lust das, was „den Anderen“ „Sünde“ war und was er selber bei „den Anderen“ als unzulässige Sünde, erachtet hätte.

Im Sommer-Herbst 1884 notierte sich N, übrigens zu diesem Emerson-Auszug passend, im engen Zusammenhang mit seinen Überlegungen zu Rechtfertigungen seiner neue „Moral“:

Der Wert einer Handlung hängt davon ab, wer sie tut und ob sie aus seinem Grund oder aus seiner Oberfläche stammt: d.h. wie tief sie individuell ist. 11.283

Dazu gibt es weitere Notizen, in der N beispielsweise, eingedenk seiner Byron’schen „Manfred“-Verehrung, einen Gedankenflug zu einer „Moral“ der Motivation „entwickeln“ wollte:

„Vor Niemandem sich verantworten müssen“ diese Art Freiheit des Willens geht bis Plato, als Erbschaft der noblesse [des Adels, des vornehmen Benehmens] - absolute Unschuld ….. Man wird für den Erfolg bestraft, nicht für die Absicht - als Schadenstifter. Da gibt es noch nicht „Schuld“ im subjektiven Sinne. 11.197

Mit einer nicht unwesentlichen Bedeutung kam es N bei diesen Überlegungen wohl drauf an, dass sie möglichst anders und „umgewertet“ ausfielen als das, was demgegenüber auf der Tagesordnung stand.


Das besondere Handeln eines jeden mächtigen Geistes [und es war Ns Ehrgeiz, einen „mächtigen Geist“ - aber womit, wodurch, worin? - darzustellen!] nach einer Richtung hin, ist [es, oder wirkt wie] ein Teleskop für die Gegenstände, auf die es [das Handeln] gerichtet ist. Aber jede andere Seite des Wissens muss zu derselben Extravaganz [Überspanntheit, Verstiegenheit, hier die „Teleskop-Eigenschaft des Geistes“] gebracht werden, ehe die Seele zu der gehörigen Kugelform [sollte damit die gleichmäßige Verteilung ihrer Interessen gemeint gewesen sein? - zu der die Seele idealerweise] gelangt ….. Es ist wahr, dass alle Musen ….. einen Weg finden werden, den Chemiker zu bestrafen, der die Geheimnisse des Laboratoriums im Wohnzimmer ausplaudert [Emerson hat sich in diesen Absätze unkonzentriert und weitschweifig gezeigt um letztlich zu folgender Aussage zu kommen:] Wir können nicht zu wenig von einer Notwendigkeit unserer Konstitution sagen, die Dinge unter Privatanschauungen oder mit unserm Humor gesättigt zu sehen. Und dennoch ist diesen kalten Felsen das Ideal eingeboren. Dieses Bedürfnis macht in der Moral die Haupttugend des Selbstvertrauens aus. Wir müssen uns gezwungen, wenn auch ärgerlich, zu diesem Mangel bekennen und durch eine nachdrücklichere Sammlung unserer selbst [die Emerson hier nicht im Geringsten gelungen war!], nach der Tatengier, unsere Achse standhafter beherrschen. [Die unterstrichenen Stellen hat N zusätzlich seitlich markiert. Ebenso den folgenden Satz, der N aus der Seele geschrieben zu sein schien:] Das Leben der Wahrheit ist kalt und insofern traurig; aber es [das Leben wohl] ist nicht der Sklave von Tränen, Zerknirschung und Leidenschaftlichkeit. Es wagt sich nicht an eines Andern Arbeit, noch eignet es sich die Tatsachen eines Andern an. Es ist eine Hauptlehre der Weisheit, dein Eignes von dem eines Andern [bei N vor allem durch Übertreibung, Einseitigkeit und Maßlosigkeiten] zu unterscheiden. EE.331

Emersons gedankliche Unschärfe wurde hier so umfassend vorgeführt, um zu zeigen, woran N sich wie orientierte - und in seinen Emerson-Texten reine Rosinen-Pickerei betrieb: Die Kunst Emersons bestand oft - wie besonders auf diesen Seiten! - darin, durch großen Wortaufwand so etwas wie eine zündende Idee zustande zu bringen, die unverwechselbar wirklich als etwas „Eignes“ gelten konnte. Zu dem seitlich Markierten notierte sich N im Sommer 1878, als sich im Zusammenhang mit der Fortführung seiner Professur die gesundheitlichen Probleme, d.h. seine krankhaften Leiden zuzuspitzen begannen: „Emerson p.331 Essays »das Leben der Wahrheit ist kalt und insofern traurig; aber es ist nicht der Sklave usw.«“ 8.540 [„von Tränen“ - Denn das sollte „das Leben“ für den das Diesseits bejahen wollenden N nicht sein. - Das vertrug sich nicht mit seiner „Philosophie“ von Größe, der er trotz all seiner schmerzhaften Anfälle - bewusst als Gegengewicht! - nachleben wollte! Unmittelbar nach diesem Eintrag, in dem N sich auf Emerson berief, findet sich nämlich ein Eintrag, der - zwar durch Gänsefüßchen als Zitat angedeutet - dennoch nicht verriet, wen er zitierte: Emerson natürlich! Aus dessen „Essay“ „Selbstvertrauen“. Es lautet: „Groß sein ist missverstanden werden.“ 8.540/EE.43

Zum Ausgleich gegen seine Leiden - und auch sonst! - Von seinen Größe-Ideen kam N nicht los. Als Groß zu erscheinen war sein eigentliches, zentrales Thema!


Im nachfolgenden Essay „Charakter“ gibt es weitere N nahe gegangene Stellen:

Ein gesunder Mensch steht mit dem Rechten und Wahren ebenso vereinigt da, wie der Magnet mit dem Pol, so dass er Allen, die ihn schauen, als ein transparenter Gegenstand erscheint, der zwischen ihnen und der Sonne steht [also oben! - über denen, die den „gesunden Menschen“ betrachten!]; und wer nun der Sonne zueilt, der eilt auch diesem Menschen zu. Er ist so das Medium des höchsten Einflusses für Alle die, die nicht auf gleicher Höhe mit ihm stehen. Auf diese Weise sind Menschen von Charakter das Gewissen der Gesellschaft, der sie angehören EE.342 [und erfüllen ihr „Herrscheramt“! - gar als Herrenrasse?].

Unlautere Menschen [und auch Emerson neigte zu pauschalen Beurteilungen!] betrachten das Leben, wie es in Meinungen, Ereignissen und Personen sich widerspiegelt. Sie können die Tat nicht sehen bis sie geschehen ist ….. Jedes Ding in der Natur ist bipolarisch, oder hat einen Positiven und einen negativen Pol ….. Die schwachen Seelen werden zum Süden oder zum negativen Pol hingezogen [nach unten!]. Sie sehen auf den Vorteil oder Nachteil einer Handlung. Sie erblicken niemals eher ein Prinzip, als bis es sich in einem Menschen darstellt. Sie wollen nicht liebenswürdig sein, aber sie wollen geliebt sein. Eine Klasse von Menschen wünscht, dass man ihnen ihre Fehler sagt: eine andere Klasse wünscht nichts von ihren Fehlern zu hören: sie achten die Ereignisse; versichern sich eines Faktums, einer Verbindung, einer gewissen Kette von Umständen, und haben daran genug. Der Held sieht, dass das Ereignis untergeordnet ist: es muss ihm folgen. EE.342

Was aber ergibt die Gegenüberstellung eines „gesunden Menschen“ gegen „unlautere Menschen“? Das können doch gut und gerne sich überschneidende Mengen sein! - Dennoch war N für seine Person schon immer überzeugt davon und fand hier für seinen „Rangordnungsfimmel“ sein angeborenes Zweierleimaß „abgesegnet“! Aus dem Sommer bis Herbst 1884 gibt es dazu die aus voller Überzeugung getane oder vielmehr „hingeworfene“ - auf völlige Unüberlegtheit schließen lassende! - Notiz:

Ich lehre: dass es [in „Vergesetzlichung“ seines Zweierleimaß!] höhere und niedere Menschen gibt und dass ein Einzelner ganzen Jahrtausenden unter Umständen ihre Existenz rechtfertigen kann - d.h. ein voller reicher großer ganzer Mensch in Hinsicht auf zahllose unvollständige Bruchstücke-Menschen 11.278 [die N aber nach welchen und wessen letztendlichen Gesichtspunkten - und das auch noch bevor sich ein jeder von ihnen bewährt haben konnte - gegeneinander ausspielte und gar einander „geopfert“ sehen wollte? Offenbar traute N sich diese weltenrichterliche Rolle zu. Oder hatte er - mal wieder! - nur nicht über die darin enthaltenen Komplikationen etwas in die Tiefe gehend nachgedacht?]

Aus der Zeit Ende 1886 bis Frühjahr 1887 gibt es in diesem Sinne von N die dann immer noch ernst gemeinte, oder, was wahrscheinlicher ist: Endlich erst „ausgereifte“ und gewagte Notiz:

„Meine Philosophie ist auf Rangordnung gerichtet: nicht auf eine individualistische Moral. Der Sinn der Herde soll in der Herde herrschen, - aber nicht über sie hinausgreifen: die Führer der Herde bedürfen einer grundverschiedenen Wertung ihrer eignen Handlungen, insgleichen die Unabhängigkeit, oder die „Raubtiere“ usw. Abseits gestellt gegen die beiden Bewegungen, die individualistische und die kollektive Moral [nämlich eine für sich und „seinesgleichen“ und eine für die massenhafte, nicht näher zu betrachtende Anonymität „der Anderen“], denn auch die erste kennt die Rangordnung nicht und will dem Einen die gleiche Freiheit geben, wie allen. Meine Gedanken drehen sich nicht um den Grad der Freiheit ….. sondern [in der ihm eigenen und üblichen selbstsüchtigen Selbstmittelpunktlichkeit!] um den Grad von Macht, den Einer [und das wäre erst einmal Er!] oder der Andere über Andere oder Alle ausüben soll, resp. in wie fern eine Opferung von Freiheit, eine Versklavung selbst, zur Hervorbringung eines höheren Typus die Basis gibt. In größter [superlativer!] Form gedacht: wie könnte man die Entwicklung der Menschheit opfern, um einer [N tausendmal wichtigeren!] höheren Art als der Mensch ist, zum Dasein zu helfen? 12.280f. Das empfand N innerhalb seiner „Philosophie“ als seine „Diesseitigkeit“! - Im Gegensatz zum Christentum, das seiner Meinung nach nur auf das „Jenseits“ des weltlichen Lebens gerichtet wäre.

Dazu gehören einige Notizen aus dem „logischen“ Umfeld dieser Aufzeichnung, wie beispielsweise: „Was ist vornehm? Gedanken über Rangordnung.“ 12.45 Sicherlich schon darum, weil Er sich solche „leisten“ konnte - wie er es tat! Das hob hervor! Und ebenfalls „vornehm“ war seiner Meinung nach der „Glaube an die Rangordnung“. 12.74 Um diesen „Glauben“ zu fördern plante er gar ein Buch: „Das Problem der Rangordnung. Vorläufige Gedanken und Gedankenstriche [die er ja liebte!] von Friedrich N.“ 12.62 Bei voll ausgeschriebenem Namen! So trug er es, wie so oft, wenn er einen neuen Erguss seiner Ansichten als Richtlinie für die ganze Menschheit in seinem höchst eigenen Notizbuch entwarf, um dann festzustellen, dass es gar nicht so viel dazu vorzubringen gab, wie es ihm in der ersten Gemütsbewegung erschienen war! Einen Unterpunkt zu dieser Rangordnung hielt er zwischendurch fest: „Das Problem von Zucht und Züchtung. Die Zucht des Willens. Die Zucht des Gehorchens. Die Zucht des Befehlens. Die Feinheit der Unterscheidung. Die Bildung, welche die Spezialität ausschließt.“ 12.63

Solche „Notwendigkeiten“ sind N durch den Kopf gegangen, - sonst hätte er derlei nicht notiert! Zu diesen katastrophalen „Denkleistungen“, die N sich in seiner Einsamkeit und sich „am Leben rächend“ im stillen Kämmerlein oder einsamen Wald-Spaziergängen ausgedacht hatte, kam noch ein - großer? - immerhin aber gewagter „Gedanke“ - aus der „Tiefe“ seiner Seele hinzu! Er lautet:

„Die tiefe Notwendigkeit der Aufgabe, welche über allen möglichen Schicksalen jedes Menschen waltet ….. begreife ich, was das Problem der Rangordnung für Vorbereitungen nötig hatte, um mir endlich aufzuzeigen: - wie ich die vielfachsten Glücks- und Notstände meiner Seele und meines Leibes erfahren musste, nichts verlierend, alles auskostend und auf den Grund prüfend, Alles vom Zufälligen reinigend und aussiebend.“ 12.63

So hat N sich gesehen! - Und was muss der Leser in solchen Äußerungen erkennen? Eine in autistischer Gefühls-Blindheit und -Kälte nur auf sich selbst bezogene, nur sich kennende, „denkende“, fühlende und sich berauschende, erschreckende Weltbeurteilung aus einer Betrachter-, nicht aus einer Erlebens-Perspektive; - von N her entworfen für eine „Welt“, die ausschließlich nach seinem unbändigen, alles in ihm beherrschenden, ästhetizistisch „veredelten“ „Willen zur Macht“ organisiert sein sollte! Dass im Falle einer Realisierung dieser Maßlosigkeiten auch nur entfernt etwas anderes herauskommen könnte als eine Art „Drittes Reich“ dürfte nach menschlichem Ermessen sehr zu bezweifeln sein. N aber gefiel es. Allerdings nur seinen Gefühlen nach! Hatte er doch bei all seiner Freigeisterei, über die Realität der heraufbeschworenen Zusammenhänge niemals nachgedacht! Für ein Nachdenken allerdings lagen diese Probleme insgesamt viel zu weit außerhalb seines eng gezogenen autistischen Horizonts.


Im Charakter liegt für mich anscheinend eine Selbstgenügsamkeit. Ich verehre die Persönlichkeit, die Alles in Fülle hat, so dass ich mir dieselbe nicht als allein, arm oder gemieden oder unglücklich oder als Klienten denken kann, sondern als beständigen Patron, Wohltäter und seligen Menschen. [Bis hierher wurde der Text von N außerdem seitlich mit vier dicken Strichen markiert!] Charakter ist Zentralität, die Unmöglichkeit, gestört oder außer Fassung gebracht zu werden [doch wie unterscheidet sich „Fassung“ von geistigem Starrsinn und Dummheit?]. Ein Mann sollte uns ein Gefühl von Masse geben. Die Gesellschaft ist [„die Anderen“ sind] gehaltlos und zerteilt [zerteilen] ihren Tag in kleine Bruchstücke, ihre Unterhaltung in Zeremonien und Ausflüchte. Aber wenn ich erwarte, einen geistreichen Mann zu sehen, so denke ich, dass ich sehr dürftig unterhalten bin, wenn er mir Bruchstücke von Wohlwollen und Etikette gibt; lieber soll er standhaft auf seinem Platze stehen und mich erkennen lassen, ob es nur sein Widerstand war und mich wissen lassen, dass ich einer neuen und positiven Eigenschaft begegnet bin; - große Erholung für jeden von uns EE.344

Da regte sich auch bei Emerson ein gerüttelt Maß an Selbstmittelpunktlichkeit in der Beurteilung der Welt, was dazu beigetragen haben dürfte, dass N sich bei ihm so „zu Hause“ fühlte. Es klang wie ein Rezept dafür, wie gebührende Bewunderung zu erlangen wäre? Ns Betrachterperspektive und -Standpunkt war in solchen Äußerungen Emersons vorgezeichnet. Emerson urteilte oft, - N urteilte immer - danach, als wäre alles nur dazu da, von ihm betrachtet zu werden und alles erhielt erst seinen „Wert“ dadurch, dass N ihm diesen nach Maßgabe seiner Laune seinen Applaus „verlieh“.


Es ist viel dass er nicht die konventionellen Meinungen und Gewohnheiten annimmt. Seine Nonkonformität [seine individualistische Haltung] wird ein Treibstock und ein Erinnerer bleiben und jeder Fragende wird auf den ersten Augenblick über ihn zu disponieren [verfügen? - oder hier eher: ihn einzuordnen] haben. Es gibt nichts Reelles und Nützliches, das nicht ein Kriegsschauplatz wäre. Unsere Häuser hallen von Gelächter wieder und von persönlichem und kritischem Geschwätz, aber es hilft wenig [da wünschte N sich mehr an Bestimmtheit und Einflussnahme!]. Der unzivilisierte, nutzlose Mann, der ein Problem und eine Drohung für die Gesellschaft ist, die ihn nicht in Frieden gehen lassen kann, sondern [in typisch N’scher Ausschließlichkeit!] ihn entweder anbeten oder hassen muss, - und dem sich alle Teile verbunden fühlen, beide die Meinungsanführer und die Obskuren [die Verdächtigen niederer Herkunft] und die Phantasten [Menschen mit überspannten Ideen, - zu denen N fraglos gehörte!], - der hilft; er gibt Amerika und Europa Unrecht und zerstört den Skeptizismus [den zum Denkprinzip erhobenen Zweifel, der ja auch N in überreichlichem Maß plagte], welcher sagt: „Der Mensch ist eine Puppe, lasst uns essen und trinken, es ist das Beste, was wir tun können“, dadurch, dass er die Aufmerksamkeit auf das Unversuchte und Unbekannte hinlenkt EE.344 [wie N es tun sollte in seinen unüberlegten größtmöglichen Widersprüchen, „Umwertungen“ genannt, von unten bis oben und seinen „zuchtvollen“ Lehren vom „Übermenschen“ und der „Ewigen Wiederkehr des Gleichen“ auf dieser Welt!].

Diese Emerson-Seite 344 wurde von N 1881 wieder einmal - und zum wievielten Mal wohl? - gelesen! Unten auf dieser Seite notierte er: „Was habe ich gelernt bis heute (15. Oktober 1881) [seinem 37. Geburtstag und 7 Jahre blieben ihm noch!]? Mir selber aus allen Lagen heraus wohlzutun und Anderer nicht zu bedürfen.“ 9.621 [Womit N bestätigte, dass „die Anderen“ da - schon längst und überhaupt seit eh und je! - aus seiner Lebensreichweite, seelisch wie auch sonst - um nicht vom Geistigen zu reden! - aus seinem „Denken“ und „Philosophieren“, in Wirklichkeit jedoch aus seinem „Gefühlsumfang“ verbannt und ausgeschlossen waren!]


Der Weise bekümmert sich weder um die Vielen noch um die Wenigen. Quellen, [für?] die aus eignem Antriebe Handelnden, die in Gedanken Versunkenen, der Gebietende, weil ihm geboten wird, die Kühnen, die Ersten, - sie sind gut; denn sie verkündigen die unmittelbare Gegenwart der höchsten Macht. EE.345

„Herrlich“ hat N dazu seitlich an den Rand geschrieben! Anlässlich solcher Begeisterungsausbrüche fragt sich allerdings, in wie weit nicht auch der im Grunde auffällig fragwürdige, eher wohl um des Effektes willen angebrachte Titel-Zusatz zum „Zarathustra“ - dass dieser nämlich „ein Buch für Alle und Keinen“ sei - aus dem hier gegebenen Rat Emersons zum weisen Umgang mit den „Vielen“ und zugleich den „Wenigen“ hervorgegangen war: Zur verwirklichenden „Erfüllung“ dieser Emerson-Aussage - d.h. lediglich aus der „herrlich“ gefundenen Unbekümmertheit „um die Vielen“ und „um die Wenigen“!? - Nebenbei aber eröffnen sich Einblicke in Ns Wesen, dass er sich derlei überhaupt so stark angestrichen, bemerkt und in sein Interesse gezogen hat!


Die Menschen sollten intelligent und ernsthaft sein, auch müssen sie uns fühlen lassen, dass eine beherrschende glückliche Zukunft sich vor ihnen auftut, welche einen Glanz auf die jetzige Stunde wirft EE.346 [wie beispielsweise die blendende „Erhöhung des Typus Mensch“? - zu der es - nach dem gescheiterten „Zarathustra“! - entsprechend enthemmt und gereizt, 1885 hieß: Wir [N in Vertretung aller „freien Geister“ oder schon als „pluralis majestatis“ zu verstehen?] denken über die Notwendigkeit neuer Ordnungen nach, auch einer neuen Sklaverei - denn zu jeder Verstärkung und Erhöhung des Typus „Mensch“ gehört auch eine neue Art Versklavung hinzu - nicht wahr? [Damit seid ihr - seine Leser! - doch einverstanden - nicht wahr? - die ihr euch mit diesem Einverständnis sicher zu wähnen glaubt, nicht zu den zu Versklavenden gehören zu müssen?] mit Alle dem müssen wir schlecht in einem Zeitalter zu Hause sein, welches die Ehre in Anspruch zu nehmen liebt, das menschlichste, mildeste, rechtlichste Zeitalter zu heißen, das die Sonne bisher gesehen hat? FW.377

Das würde - nach Ns Empfinden jedenfalls! - zu Emersons hier entworfenem „Glanz“ der „beherrschenden glücklichen Zukunft“ passen, - denn, um zurückzukommen auf Emersons Text, in dem es darum ging, die Menschen das Glück fühlen zu lassen, welches „einen Glanz auf die jetzige Stunde wirft. Der Held wird falsch verstanden und falsch dargestellt: er kann nicht deswegen da sein, um die groben Versehen irgendeines Menschen wieder gut zu machen [wofür N aber meinte, sich zuständig fühlen zu dürfen oder sogar zu müssen, denn deswegen hatte er den Satzteil unterstrichen!]: er ist auf dem Wege, durch neue Macht und Ehre seine Herrschaft zu vergrößern und mit neuen Ansprüchen an dein Herz hervorzutreten, die dich bankrott machen werden, wenn du dich zu lange bei den alten Dingen aufgehalten hast und nicht in demselben Verhältnis zu ihm stehen geblieben bist, indem du ebenfalls deinen Reichtum vermehrt hast.

Was berechtigte N, überhaupt mit Ansprüchen hervorzutreten? Solche ergaben sich ihm, weil er - nicht nur irriger, sondern schlichtweg irrer Weise! - sich erlaubte, die Realität der Welt an den eingebildeten Eigenschaften, Aufgaben und Leistungen seines Ich messen zu dürfen. - Da muss es natürlich einleuchten, dass die Ergebnisse immer zu Ungunsten der Welt und „der Anderen“ ausfallen mussten!

Neue Taten sind die einzige Apologie [Verteidigung, Rechtfertigung] und Erklärung für alte, die der Edle verstatten kann zu geben oder zu empfangen [je nach Laune! Wie ein Gott! Worin sich gut und gerne Ns „Umwertungsmanie“ verbergen konnte, - da von ihm nur großartiges Wortgeklingel, aber keine „neuen Taten“ kamen!]. Wenn dein Freund dich betrübt hat, so sollst du dich nicht hinsetzen und darüber nachdenken, denn seinem Gedächtnis ist dieser Vorfall schon längst wieder entschwunden und er hat seine Kraft dir zu dienen verdoppelt und ehe du dich wieder erheben kannst, wird er dich mit Glück überschütten. EE.346

Genau das ist N in seinen Beziehungen zu seinen Freunden passiert. Er erwartete von ihnen, dass sie ihm „dienen“, seine Überzeugungen annehmen und Zeit für seine Belange haben! Diese „Grundhaltung“ erklärt auch Ns Reaktionen auf das Verhalten seiner Freunde, sei es, dass diese zu anderweitigen Überzeugungen neigten oder dass sie nicht genug Ehrfurcht und Respekt ihm gegenüber zeigten oder manchmal auch nur, dass sie sich erlaubten, ihre eigenen Probleme zu haben und mit diesen - statt mit ihm! - beschäftigt zu sein.


In dem letzten Emerson-Beispiel lagen doch ungeheure Verlockungen für einen, der sich immer- und ohnehin schon im Besitz eines „Herrscheramtes“ befand! Diese Haltung hat N in seiner Umgebung stets „bis zum Defekt“ NR.320 praktiziert und betrieben. Etlichen hat es gefallen und die haben N darum geachtet, gelobt und angebetet. Sein Pfortaer Internatsfreund Deussen - der auch unter N zu leiden gelernt hatte! - war ein Grenzfall, da ihm die ständige Gängelei auf den Wecker fiel, so dass er sich von N trennte, auf stille Art und Weise auswich und an anderen Orten als in Ns Nähe studierte. Es hat auch etliche gegeben, denen diese Art gar nicht lag und N deshalb mieden und sich nicht in seinen Bannkreis ziehen ließen.

Die ewigen Tiraden von einem „höheren“ Menschen, einem Ideal, wie sie sein sollten statt dem, was und wie sie sind! Da ist von N sicherlich viel Widerwillen gegen die Jetztzeit „trainiert“, gepflegt und eingeübt worden zu einer Scheinselbstverständlichkeit für die Forderung nach dem Ideal eines besseren Menschen und Vorbild. Allerdings als eine Methode der Ausgrenzung! Um sich selbst nicht an die Wirklichkeit dieser Welt „anpassen“ zu müssen, sondern stattdessen eine unhaltbare Sonderrolle beanspruchen zu können und zudem auch das zu sein - oder zumindest doch etwas zu werden, was nach den von Emerson übernommenen „Richtlinien“ Anerkennung finden würde. Das wollte er, als ein Verehrungswürdiger erfüllen! Unten auf dieser Seite notierte N im bedeutungsvollen Herbst des Jahres 1881: Was gehen mich die Irrtümer der Philosophen an! 9.621 Hatte er doch seine eigene, ihm von Emerson in die Wolle gefärbte - irrtümliche! - Meinung zu allem und jedem und auch über sich selbst! - Etwas anderes wollte er nicht brauchen!


Fürchte, wenn deine Freunde dir sagen, dass du wohl getan hast und es ihre aufrichtige Meinung ist; aber wenn sie mit ungewissen scheuen Blicken [wie N sie oft erlebte] voll Ehrfurcht und halb voll Verdruss dastehen und ihr Urteil noch für Jahre hinausschieben müssen, dann magst du zu hoffen anfangen [dem schloss sich N mit seinen Unterstreichungen als Ausdruck seiner „eigene Meinung“ an. Doch was ist das für eine Lagebeurteilung! Sie verrät, wie wenig „den Freunden“ Vertrauen entgegengebracht wurde, um stattdessen lieber auf ein „unbändiges Selbstvertrauen“ zu bauen, - ohne Ansätze zu offener Verständigung und zu geistigem Austausch!]. Diejenigen, die der Zukunft leben [der „ganzen Menschheit für Jahrtausende“, wie N!], müssen immer denen egoistisch erscheinen, die der Gegenwart leben. EE.347

Das war wieder so ein Satz, als wäre er speziell für N gemacht, welcher diese Sätze ja alle kannte, sie las und wieder las und sich in ihnen zu erfüllen suchte und 1881 fett und deutlich „ego“, also „wie ich“ daneben schrieb! - Daher ihre Passgenauigkeit auf sein Leben, sein Begründen und seine Rechtfertigung dafür, wie er sich sehen - und gesehen werden! - wollte.


Es gibt eine Klasse von Menschen, unter der von Zeit zu Zeit [ohne dies aber hinsichtlich wann wie und wo - und schon gar nicht in welcher „Klasse“! - auf keinste Weise voraussehen zu können!] so außerordentlich mit Einsicht und Tugend [oder neutraler formuliert mit besonderen Fähigkeiten] begabte Individuen aufstehen [dabei war es für N in seiner Auf-sich-selbst-Bezogenheit und seiner Gefühls-Blindheit gegenüber „den Anderen“ fraglos eine vollkommene Selbstverständlichkeit dass er sich zu solchen dazuzählen dürfe!], dass sie einstimmig als göttlich begrüßt worden sind und eine Anhäufung der Macht zu sein scheinen, die wir so eben betrachten. Göttliche Menschen sind mit Charakter geboren oder, eine Redensart Napoleons zu nehmen, sie sind organisiert zum Siege [bis sie denn besiegt werden, wie eben dieser Napoleon, - wenn sie nur einseitigen Nutzen bewirken! - mit dem Nachteil, dass für ihr Erscheinen „die Anderen“ den größten Teil der Zeche zu bezahlen haben!]. Gewöhnlich werden sie mit Abneigung empfangen, weil sie neu sind und weil sie der Übertreibung, die von der Persönlichkeit des zuletzt dagewesenen göttlichen Menschen gemacht wird, ein Ziel [ein Ende] setzen [weil mit ihnen eine neue Übertreibung beginnt? Das war schließlich in der Emerson’schen Formulierung im Grunde enthalten!].

Die Natur reimt ihre Kinder niemals, oder macht zwei Menschen einander gleich [das war eine von Ns zentralen und hochempfindsam beachteten Wichtigkeiten: Nicht mit jemandem „gleich“ zu sein! Die Gleichheiten, die er mit „den Anderen“ in aller Verschiedenheit zu ihnen „besaß“, wollte er einfach nicht sehen! Deshalb auch diese Unterstreichung!]. Wenn wir einen großen Mann sehen, so glauben wir in ihm eine Ähnlichkeit mit irgendeiner historischen Person zu finden [was - trotz der immer wieder vollzogenen Beziehung von N zu Luther! - durchaus nicht zwingend ist!] und sagen den Verfolg seines Charakters und Schicksals voraus, ein Resultat, zu dem er es sicher nicht kommen lassen wird. Keiner wird jemals das Rätsel seines Charakters unserm Vorurteil gemäß lösen, sondern nur [was N wieder unbedingt unterstreichenswert fand!] auf seine eigne erhabene unvergleichliche Art [die sich auch darin ausdrücken kann, etwas auszuführen „wie es geschrieben steht!].

Der Charakter will Raum haben; er muss nicht von Personen umringt sein, noch beurteilt werden nach einem schwachen Schein, den man im Andrang der Geschäfte oder bei wenigen Gelegenheiten von demselben gewonnen hat [er bedarf zusätzlich natürlich noch der ästhetizistischen Seltenheit!]. Dazu ist eine Perspektive nötig wie bei einem großen Gebäude. Wahrscheinlich bildet er sich seine Verhältnisse langsam [und vornehm! weil, wie N über 20 Jahre später schrieb, „Langsamkeit ein Zeichen von Vornehmheit“ wäre „Vornehm ist das Langsam-Gehen, in allen Stücken, auch das langsame Auge. Wir bewundern schwer. Es gibt nicht zu viel wertvolle Dinge; und diese kommen von selber und wollen zu uns. Vornehm ist das Ausweichen vor kleinen Ehren, und Misstrauen gegen den, welcher leicht lobt. Vornehm ist der Zweifel an der Mitteilbarkeit des Herzens; die Einsamkeit“ 23.7.85, - seine! - und was nicht noch alles vornehm sei, da seine Schriften und Notizen der 80-er Jahre unter beliebigsten Vornehmheiten als Maß seines Geschmacks mehr und mehr - denn es fielen ihm keine Begründungen dazu ein! - geradezu ersticken!] und wir sollten nicht plötzlich eine Erklärung seiner Handlungen, weder auf Grund der allgemeinen Moral, noch auf Grund unsers eignen Gefühls verlangen EE.350 [sondern, so interpretierte es N, „die Anderen“ sollten alles kritiklos schlucken!].

Dieser Text enthält, wie so Vieles von Emerson, in seiner Neigung zur Übertreibung vielerlei Nonsens. Interessant daran ist - im Zusammenhang gesehen! - nur das, was N sich darin angestrichen und damit für sich von Bedeutung und Gültigkeit kenntlich gemacht hat. Auch seitlich hat N auf dieser Seite vielsagende Markierungen angebracht. Bemerkenswert ist hier auch, wie es bei Emerson gerne auf letztlich ungeklärte „Moral“-Fragen hinausläuft. Auch N brauchte für sein Verhalten und seine Ansichten „ schulgesetzliche Maßregeln“, eine „Moral“ eben, - dringend sogar, da er sich in seinem nicht beweisbaren Subjektivismus nicht offiziell einfach auf Emerson berufen konnte, was zu auffällig als unselbständig erschienen wäre. Er musste aus sich selbst, „unabhängig“ von seinem „Mentor“, eine Rechtfertigung für seine Art von „Philosophie“ begründen. Daraus ergab sich ihm 1881 das unglaubliche, ihn vollkommen überwältigende Glücksgefühl, als er - gegen Kant! - in seiner Idee der „Ewigen Wiederkehr“ eine eigene - nur von ihm stammende Grundlage für eine „Moral“! - gefunden zu haben glaubte. Dass die Logik dieser Idee nicht stichhaltig war, kümmerte ihn so wenig, wie das vielfach unlogische und in sich widersprüchliche Gefasel Emersons, dem er mit keinem logisch ernsthaft haltbaren Wort entgegentrat, weil es in anderen, aber für ihn wichtigen günstigen Zusammenhängen zu seiner Existenz „passte“, wie nichts zuvor, danach und von anderer Seite.


Philosophie betreiben! Das war zu allen Zeiten eine bis zu gewissen Graden mit allgemeinverbindlichen Erklärungsversuchungen verbundene Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit jeweils im Rahmen der verfügbaren „geistigen Infrastruktur“; - selbstverständlich immer subjektiv gefiltert durch den, der „philosophierte“. Es kann keine Philosophie geben, die frei wäre von dem subjektiven Welterleben eines konkret zu benennenden „Ich“ und dessen Verfasstheit. Für jeden gehört zu einer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit um ihn her die Anerkennung „der Anderen“ als ein nicht unwesentlicher Bestandteil eben dieser; - und das zu gleicher „Wertschätzung“ die der Philosophierende für sich selbst zu beanspruchen gedenkt.

Diesen „Grundsatz“ hat N mit seinem Zweierleimaß und der extremen Überbewertung seines „Ich“ gegenüber dem „Rest der Welt“ - um das eigentliche Ziel seines Philosophierens erreichen zu können! - absichtlich nicht erfüllt. Derpraktische Gebrauchswert“ dessen, was N - subjektiv und damit zwangsläufig als eine für ihn einzig und absolut gültige „Philosophie“ empfand - konnte für „die Anderen“ nur eine in so gut wie nichts für sie gültigeSelbstdarstellung eines Außenseiters“ bedeuten! Sie trotzdem mit viel Propaganda als Philosophie anzusehen und hoffähig zu machen, musste - was von vornherein absehbar war! - in eine Katastrophe führen, weil mit dieser die Verhältnismäßigkeiten der „Ichs“ gegenüber den sich so ergebenden vielen und unterschiedlichsten „Resten der Welt“ massenhaft in gegeneinander laufende Richtungen gezielt gestört wurden, obgleich sie auf ein gewisses, eben allgemeinverbindliches Gleichgewicht angewiesenen sind und immer sein werden! N war Zeit seines „Philosophierens“ unter dem übermäßigen Druck seines „Selbstwertes“ vor und über allen anderen weit davon entfernt, diese Zusammenhänge geistig bewältigen zu können, - ja überhaupt von ihnen nur etwas zu ahnen!


Wir verlangen, dass ein Mensch so groß und säulenförmig in der Landschaft dastehe [bei N kehrt dies bildhaft wieder als „rechtwinklig gebaut an Leib und Seele“ 4.351 und „für einen vollen und rechtwinkligen Menschen“ 11.100], dass es berichtet zu werden verdiente wenn er aufstünde und seine Lenden gürtete und einem andern solchen Ort zueilte. [Daneben schrieb N aus seiner Betrachter-Perspektive begeistert an den Rand dieser Darstellung von zu verlangender „Größe“ die Worte „Das ist es“!] Die glaubwürdigsten Bilder scheinen uns die von großen Menschen zu sein, die bei ihrem ersten Erscheinen schon die Oberhand hatten und die Sinne überführten [weil sie für das Denken und das Formulieren als Superlative funktionieren!]; wie es dem morgenländischen Weisen erging, der gesandt war, die Verdienste des Zarathustra oder Zoroaster zu erproben. EE.351

Dies ist in Emersons „Essays“ die 4. und letzte Erwähnung des Namens „Zarathustra/Zoroaster“, - diesmal allerdings mit der Zusatzbetonung als eines „Weisen“! Diese „weise“ Zusatzbetonung könnte - unter anderem! - sehr wohl für N ein - oder gar der! - Anlass gewesen sein, seinen Übermenschen-Messias letztlich doch lieber „Zarathustra“ zu nennen, statt - wie anfänglich geplant! - einer maßlos überhobenen Figur wie Lord Byrons von N kritiklos bewundertem „Manfred“ eine solche Ehrung zukommen zu lassen. - Denn im Herbst 1881, nachdem N im Sommer in unmittelbarer Nähe eines pyramidalen Felsbrockens am See von Silvaplana, in der Nähe von Surlej - heute noch als „Zarathustra-Stein“ mit Gedenktafel an N und seinen „Sohn“ Zarathustra selig gefeiert! - und „6000 Fuß jenseits von Mensch und Zeit“ N unter anderen überhaupt erst jener Gedanke an seinem Horizont aufgestiegen war, eine Figur zu erdichten, die alle aphoristischen Weisheiten Ns in einer Art Dramaturgie „aufführen“ und mit Leben und Wirklichkeit erfüllen sollte; - wozu N sich, als frühe Vorstellung notierte: „Ich will das Ganze als eine Art Manfred und ganz persönlich schreiben. Von den Menschen suche ich wederLob noch Mitleid noch Hilfe“ - ich will sie vielmehr »durch mich [und seine - wie Dantes „Komödie“! - als unsterblich beabsichtigte „Dichtung“!] überwältigen« 9.588


„Der tugendhafte Fürst [oder nur Inhaber eines „Herrscheramtes“, wie N?] misst sich mit den Göttern ohne irgendwelche Besorgnis. Er wartet Jahrhunderte lang [aber wie will er das denn machen, wenn er dafür zwischendurch ein paarmal Sterben muss?] bis ein Weiser [ein N, ein „Manfred“ oder „Zarathustra“?] kommt und zweifelt nicht. Der, welcher sich ohne Besorgnis den Göttern gegenüberstellt, kennt den Himmel; der, welcher Jahrhunderte lang wartet [was eben nicht möglich ist!], bis ein Weiser kommt, ohne zu zweifeln, kennt die Menschen. Hiernach lebt der tugendhafte Fürst und zeigt Jahrhunderte hindurch empirisch den Weg.“ EE.352

Emerson selbst hat dies als von einem Chinesen gesagt in Zitatform gebracht. Dass er diesen heillosen Unsinn überhaupt brachte und dass N sich diesen auch noch unterstrich, spricht für beide Bände! Man muss sich mal überlegen was da steht, um sich von dem zwar in flüssigen „Stil“ gebrachten Unsinn in Ruhe zu überzeugen.


Denn wenn die Menschen mit einander umgingen wie sie sollten, jeder ein Wohltäter, ein Sterne Zeigender, angetan mit Gedanken, mit Taten, mit Vollkommenheiten [alles je nach eigenen Anlagen erfundene Idealfigurinen, die in der Praxis allein schon deshalb nicht vorkommen können, weil man über sie hinaus vergleichsweise immer noch tollere Typen „denken“ kann!], so würde dies der Festtag der Natur sein, den alle Dinge verkündeten. EE.352f

Auch diesen immerhin vorstellbaren Unfug hat N sich kritiklos als bewundernswert und „Ideal“ angestrichen, obgleich er doch aller Vernunft entbehrt. Auch seitlich hatte N es an dicken Markierungen nicht fehlen lassen!


Wenn es doch möglich wäre, in den rechten Beziehungen zu den Menschen zu stehen! [Die Art dieser Aussage unterstellt, dass Emersons „Beziehungen zu den Menschen“ Schwierigkeiten machten und belastet waren!] - wenn wir uns enthalten könnten, irgendetwas von ihnen zu wollen, ihr Lob, oder ihre Hilfe oder ihr Mitleid und zufrieden wären, sie durch die Vortrefflichkeit der ersten Gesetze zu überwältigen! [Diese „ersten Gesetzte“ waren wohl diejenigen, die Emerson N - oder wem auch immer! - in vollendeter Selbstgefälligkeit für gültig zu erklären sich entscheiden wollte!? - Ach, warum] könnten wir nicht mit einigen wenigen Menschen - mit einem einzigen Menschen - nach den ungeschriebenen Statuten [Satzungen, Grundgesetzen] verfahren und einen Versuch mit ihrer Kraft anstellen? EE.353

Was fällt an diesem wieder einmal übertriebenen Absatz auf? Dass N für seine im Herbst 1881 niedergeschriebene Notiz dazu, dass er seine Zarathustra-Idee, wie gerade angeführt „als eine Art Manfred und ganz persönlich“ 9.588 geschrieben, auszuführen gedachte, von hier die drei unterstrichenen Worte „Lob“, „Hilfe“ und „Mitleid“ sowie auch das „überwältigen“ übernahm und damit schon wieder Emersons „Vorgaben“ erfüllte! Indem er sich nämlich mit Ihm, seinem Gott - als Vehikel gewissermaßen! - „durchsetzen“ und rechtfertigen wollte gegen „den Rest der Welt“: mit seinen eigenen Wahr- und Weisheiten, die er sich für die Menschheit ausgedacht hatte! Diese Stichworte fanden im „Zarathustra“ eine „Verwurstung“ philosophischer Art.


Ein göttlicher Mensch ist die Prophezeiung des Geistes; ein Freund ist die Hoffnung des Herzens. Der höchste Grad der Glückseligkeit tritt dann für uns ein, wenn wir diese Beiden in einer Person vereinigt finden. Die Jahrhunderte erschließen diese moralische Macht. Alle Macht ist der Schatten oder das Symbol von dieser. Die Dichtkunst ist freudevoll und gewaltig, wenn sie ihre Begeisterung von daher nimmt [von woher? - Aus Jahrhunderte alten Vorstellungen?] Die Menschen verleiben ihre Namen der Welt ein, wenn sie hiervon erfüllt sind [was N sicher als einen Weg zu eigener Unsterblichkeit erachtete!]. Die Geschichte war unbedeutend; unsere Nationen waren lärmende Rotten; wir haben niemals einen Menschen gesehen: diese göttliche Form kennen wir noch nicht, sondern nur den Traum und die Prophezeiung derselben: wir kennen nicht das majestätische Wesen, was einer solchen eigen ist und wovon der Schauende sich beruhigt und erhoben fühlt [sollte das für N der Anstoß gewesen sein, in seinem „Zarathustra“ die Überwindung der bestehenden Menschen zu verlangen, um die „göttliche Form“ von diesem, den „Übermenschen“ - der dazu noch mit der Evolution zusammenfiel! - als „Sinn der Erde“ zu verkünden?]. Eines Tages werden wir sehen, dass die verborgenste Energie die öffentlichste ist, dass die Qualität ein Ersatz für die Quantität ist und Charaktergröße in der Stille handelt und denen hilft, die niemals eine Ahnung von ihrem [von wessen? - ihrem eigenen etwa?] Dasein hatten. Was für eine Größe auch erschienen ist, es ist nur der Anfang und die Ermutigung für uns, diese Richtung zu verfolgen. EE.354

Teilweise hat N diesen Text auch seitlich markiert. Darüber nachgedacht handelt es sich dabei ja wohl auch nur um „hochtrabendes Geschwätz“: Eine unbestimmte, richtungslose Sehnsucht „nach oben“, nach „Höherem“, Exzelsior! - wurde N hier vorgeführt, so allgemein, unbestimmt und „aufs Ganze gesehen“, dass sie auf keine Weise auch nur annähernde Erfüllung erlangen könnte! - Nur Flucht aus der Realität! - Insgesamt entsprach das - durch die Unterstreichungen und seitliche Anstreichungen bestätigt! - Ns jahrelang bestehender Seelenlage, Stimmung, Sehnsucht und Absicht, um selbst eine bis zum absoluten Superlativ getriebene - gelinde formuliert! - „möglichst wenig unbedeutende“ Stellung in diesem Getümmel zu erlangen! - Alles was er tat war daraufhin ausgerichtet! Immer wieder verriet sich dieser Grundzug seiner Natur, die an diesem Gefasel Emersons zwar keinen konkreten Halt, aber immerhin doch so etwas wie eine „Richtung“ fand, wohin es mit ihm zu gehen, was für eine Bewandtnis es mit ihm auf sich hätte: Egal womit und wodurch, auf alle Fälle ins ganz Große hinein, bis dahin, wo es, er und alles durch nichts und niemanden mehr zu toppen wäre!


So weit aus Emersons Kapitel über den „Charakter“, in dem es für N sehr viel zu entdecken und sich damit zu identifizieren gab. Das nächste Emerson-Kapitel behandelt das Thema „Sitten“. Darin hat N recht wenig angestrichen. Dennoch hat einiges für ihn daraus Bedeutung gehabt:


Die Sitten dieser Klasse [der Hervorragenden] werden von Menschen, die das Schöne lieben, mit Eifer beachtet und erfasst. Die Vereinigung dieser Meister mit einander und mit Menschen, die Verdienste zu würdigen wissen, ist wechselweise angenehm und ansprechend. Die guten Gewohnheiten, die glücklichsten Ausdrücke eines Jedes werden wiederholt und angenommen. Durch willige Übereinstimmung wird Alles was überflüssig ist aufgegeben, Alles was anmutig ist wiederholt. EE.363

Auch diese Stelle hat N seitlich mit einem dicken Strich versehen; - nicht weil sie in irgendeiner Weise bedeutsam war, denn das ist sie nicht, sondern weil sie ihm gefallen hatte, d.h. seiner „Natur“ entsprach!


So strömte viel Gelesenes aus Emersons in beeindruckender Manier geschriebenen Texten auf den verführbaren jungen und unkritischen, völlig überforderten, aber übermäßig ehrgeizigen und ruhmsüchtigen N ein, - der es doch quasi gewohnt war, ein Luther werden zu sollen, sich aber nicht vorstellen konnte, wie das anzustellen sei, hier aber eine „Anleitung zum Großsein“ vorgesetzt bekommen hatte. Emerson lieferte nicht nur die „leuchtenden Vorbilder“, er kitzelte auch N Fähigkeiten, Begabungen, Voraussetzungen, so dass es ihm möglich erschien, auf seinen Pfaden wandelnd zu erreichen, was ihm, als Siebzehnjährigem schon, das überhöhend Wichtigste war, - wie sein Erlebnis auf dem Schönburg-Turm es belegte.


Ich wünschte, dass jeder Stuhl ein Thron wäre und von einem König eingenommen würde. Ich ziehe ein Streben nach Hoheit einer übertriebenen Kameradschaft vor. Lasst die unmittelbaren Gegenstände der Natur und die metaphysische Isolierung des Menschen uns mit der geistigen Freiheit bekannt machen. Lasst uns nicht zu sehr bekannt sein [untereinander! - denn hier war nicht die „Berühmtheit“ gemeint!]. Ich meine, dass ein Mann in sein Haus [wie vielfach erbaut in englischen Herrenhäusern!] durch eine Halle eintreten sollte, die voll von heroischen und heiligen Skulpturen wäre, damit es ihm nicht an einem Wink der Ruhe und Selbstständigkeit fehle. [Bis hierher hatte N den Text auf beiden Seiten mit insgesamt neun dicken Markierungen versehen. Und er las sicher auch, wie es weiterging mit diesen Heroischen Visionen, von denen der unbehauste N, der sein Leben lang von einem möblierten Zimmerchen ins nächste zog und von diesen Illusionen in der Praxis keine Ahnung hatte:] Wir sollten jeden Morgen mit einander zusammenkommen, als kämen wir aus fremden Ländern und sollten, nachdem wir den Tag mit einander verlebt, am Abend uns trennen, als gingen wird wieder [in abgebrühter Schauspielerei] in ein fremdes Land [was ja einen unheimlichen Aufwand an rein dekorativ verwendetem Pathos erfordern würde!]. In allen Dingen möchte ich das Erhabne im Menschen unentweiht haben. Lasst uns abgesondert sitzen wie die Götter, die von Gipfel zu Gipfel rund um den Olymp herum miteinander reden. [Was für eine „wunderbare“ Beschreibung und völlig unmögliche Empfehlung! - aus der N höchste Rechtfertigung für das nun einmal in ihm Sitz genommen habende Gefühl seines „Herrscheramtes“ saugen konnte! - während „die da unten“ nur mit Saufereien und anderen Nichtigkeiten beschäftigt waren!] Kein Grad von Zuneigung braucht dieser Religion Einhalt zu tun. EE.370f

Auch dergleichen war es, wovon N sich nicht lösen konnte! Beeindruckt von derlei hochtrabend dahergeredetem Blödsinn betrieb er seine „Philosophie der Größe“ als Lehrer von „Übermensch“ und „Ewiger Wiederkehr“ - und wurde bei solchen Entgleisungen auch noch für voll genommen!


Der folgende Auszug aus Emersons Essay über „Sitten“ mag die Geduld des Lesers vielleicht ein wenig strapazieren, zeigt er doch an sich nichts her, - außer den Inhalten der Notizen, die N sich, von diesem Emerson-Text angeregt, dazu machte! Diese Notizen gewähren - wenn mit ein wenig kriminalistischer Spurensuche ihren verdeckten zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhängen nachgegangen wird - unbeabsichtigt tiefe Einblicke in Ns Wesen, Empfinden und in seine Selbsteinschätzung. N las bei Emerson, - wohl recht andachtsvoll - im Lauf der Jahre auch immer wieder! - und unterstrich sich, was er für wichtig hielt. Außerdem fügte er seitliche Markierungen an:

Alles, was Mode und Höflichkeit genannt wird demütigt sich vor der Ursache und der Quelle der Ehrerbietung, vor dem, was Titel und Würden geschaffen hat, nämlich vor dem großen Herzen voll Liebe [für den Superlativ „Menschheit“ zum Beispiel, wie N sie - des Superlativs wegen! - ständig im Herzen trug]. Dies ist das königliche [„herrscheramtliche“!] Blut, dies das Feuer [des „Feuerbläsers der Inspiration“! EE48], welches in allen Ländern und bei allen Möglichkeitsfällen nach seiner eignen Art tätig ist und Alles was sich ihm naht besiegt und auftut. Dies gibt jeder Tatsache eine neue Bedeutung. Dies macht die Reichen arm, die keine andere Größe als ihre eigne dulden wollen. Was ist reich? Bist du reich genug, um irgendjemand[em] zu helfen? um dem Unmodischen und Exzentrischen beizustehen? reich genug, den Canadier in seinem Wagen, den Herumwandernden ….. den sonnenverbrannten Italiener ….. den lahmen Almosenempfänger ….. ja selbst den armen Wahnsinnigen ….. [und er zählte von Charakteristiken dieser Art noch weitere auf, all] diese fühlen zu lassen, dass eine Stimme sie begrüßte, die beides Erinnerung und Hoffnung in ihnen weckte? Was anders ist niedrig, als nichts von der Forderung wissen zu wollen, die sich auf scharfsinnige und vollgültige Prinzipien stützt? Was anders ist vornehm, als sie anzuerkennen und ihrem und deinem Herzen einen Feiertag zu bereiten, an welchem von der allgemeinen Regel abgewichen wird? Ohne das reiche Herz ist der Reichtum nur ein hässlicher Bettler. EE.383


Es ist für den Emerson der „Essays“ von 1858 wie auch für die 9 Kapitel der gleichartigen „Führung des Lebens“ von 1862 typisch, sich mittels eines hemmungslosen Gebrauchs von Superlativen, also in schwelgenden „Bildern“ über die Welt, wie er sie erlebte, auszulassen. Es hat ihm gefallen das so zu tun und darum besteht kein Anlass sich über sein Wieso und Warum groß Gedanken zu machen. In seinen späteren Schriften - die Ns Geschmack absolut nicht entsprachen! - hat Emerson davon in auffallender Weise Abstand genommen und sich mit weit geringerer einseitiger Leidenschaft seinen Themen zugewandt. Hier geht es trotz der vielen Zitate ja nicht eigentlich um das, was Emerson schrieb, als vielmehr darum, auf was und wie N darauf reagierte! Allein das, - nichts sonst gilt hier als bemerkenswert: Noch im Herbst 1883 - zu der Zeit war N mit dem 3. Teil des „Zarathustra“ beschäftigt! - schrieb er sich - angeregt von eben dieser Emerson-Seite 383, die ja weiß Gott keine Weisheiten enthält! - da er sich diese gerade mal wieder zu Gemüte geführt hatte, einige Gedanken auf: Pläne zu ihm interessant erscheinenden Themenkreisen und Abschnitten, die aber dann im gerade bearbeiteten Zarathustra-Teil doch keinen nachvollziehbaren Niederschlag fanden. Er notierte sich:

§ den Armen reich machen. Emerson p. 383. § Seligkeit im größten Umfang der Seele, größte Leiter auf und nieder [was mit Sicherheit eine Anspielung auf den Traum des biblischen Jakob von einer Himmelsleiter war, von der es im 1. Buch Mose, Kapitel 28 heißt „und siehe eine Leiter stund auf Erden, die rührete mit der Spitze an den Himmel; und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder“. In Ns Notiz folgten noch die 3 Zeilen:] gegen den steifen „Weisen“ erlösend. Die Welt - eines Gottes Ausgelassenheit Sünde als Selbst-Aufhebungs-Genuss. 10.551

Was immer das im Einzelnen bedeuten sollte, dürfte nicht mehr zu ermitteln sein. Es bringt auch nicht allzu viel, dahinterkommen zu wollen. Viel interessanter ist, was N wenige Zeilen vor dieser auf Emersons Seite 383 Bezug nehmenden und ihn beschäftigt habenden Stelle im Herbst 1883 notierte. Dort steht - nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal die für einen Philosophen keinesfalls unwichtige Frage:

Liebe ich die Menschen? Liebe ich mich? [ohne eine eigene, explizite Antwort darauf! - bis auf das folgende, viel sagende:] Aber sie gehören zu meinem Vorhaben, gleich mir. 10.550

Natürlich „gehörten sie“ zu seinem Vorhaben, „diese Anderen“, „die Menschen“! Wie sollte er denn zu Beginn des 3. „Zarathustra“-Teils „seinen Weg der Größe gehen“ 4.194, ohne „sie“, - wenn er nicht wenigstens die Verachteten hätte, die ihm „unten“ - tief unter ihm! - und von dort zu ihm, zu seiner ausgekosteten Höhe hinauf! - die für seine „Größe“, für sein Groß-Scheinen-Wollen! - nicht die perspektivisch genehme Kulisse böten, vor der es sich überhaupt erst „groß“ scheinen ließ?


Gut ein Jahr später, noch im Winter 1884/85, wird er die gleiche, ihn immer wieder umtreibende Frage etwas ausgefeilter formulieren, allerdings in der Nähe zu einem Bezug auf eine ganz andere Emerson-Seite. Da heißt es von seiner Hand:

Liebe ich denn die Menschen? [Und wieder dieses ein „Nein“ voraussetzende „Aber“] Aber sie gehören zu meinem Werke. - oh ihr Weisen, die ihr lerntet ob eurer Torheit zu frohlocken! Oh ihr Armen, geringen, Überflüssigen [zu Überwindenden!], deren Joch [Zwang, Unterdrückung, Last und Leiden, - im Vergleich zu dem des „Wissenden“, also seinem! - angeblich] leicht ist! Emerson 283 11.378

Auf der von N hier angegebenen Seite 283 ist im Band von Emersons „Essays“ nichts angestrichen und es steht auf dieser auch nichts, was sich mit Ns oft gestellter Frage „wen er und ob er wohl liebe“ in Beziehung bringen ließe und woran N sich mutmaßlich hätte hochziehen können. In Emersons Band „Lebensführung“ gibt es die Seite nicht. Der Verweis bezieht sich demnach, als hoch seltener Fall, aber dennoch typisch für N, ausgerechnet auf das Kapitel „Größe“ in den erst 1876 - in der Übersetzung von Julian Schmidt erschienenen und von N weitgehend links liegen gelassenen oder eher sogar abgelehnten Band „Neue Essays (Letters and Social Aims)“ - Briefe und soziale Vorhaben. Da findet sich von Emerson - inzwischen durch das Läuterungsbad des amerikanischen Bürgerkrieges gegangen - geschrieben und von N seitlich angestrichen:

Ich habe die Beobachtung gemacht, dass bei allen öffentlichen Reden die Macht des Redners nicht mit der Darlegung des Sachverhaltes beginnt, sondern im Augenblick, wo seine tiefe Überzeugung und der Drang, sie seinen Zuhörern mitzuteilen [wovon sich auch bei N immer alles herleiten ließ!], in seiner Rede aufflammt und leuchtet, wo der Gedanke, um dessentwillen er dasteht, sein eigenes [hier beginnt die seitliche, keine besondere Leidenschaft verratende Anstreichung Ns, - also Ns eigenes] Ansehen auf ihn [den Zuhörer] überträgt, seine Persönlichkeit erhöht und ihm Kühnheit, Breite und neue geistige Kraft verleiht, so dass nicht er, sondern die Menschheit durch seinen Mund zu sprechen scheint. Es geht dann eine gewisse Verwandlung vor, die bei allen großen Rednern wirklich eintritt und von Menschen, die dafür gelten möchten, geheuchelt wird. Wenn wir uns fragen wollten, worin diese Selbstachtung eigentlich besteht, so würden wir dadurch zu den höchsten [„superlativsten“!] Problemen hingeleitet. Sie ist die praktische Erkenntnis des Göttlichen im Menschen [bis hierher - und es ist Emerson’scher Text fast im alten Stil! - geht die seitliche Markierung] und hat ihre tiefe Grundlage in der Religion [wovon N sicherlich nicht überzeugt gewesen ist, denn mit Religion hatte er nach 1876 absolut nichts mehr zu tun haben wollen] ….. EN.283

So abgelegen dieses Beispiel aus den ansonsten von N so gut wie nie zu Rate gezogenen „Neuen Essays“ auch ist: Es ging um das Immer Gleiche, um „Größe“, um die „Persönlichkeit“ und ihre „Erhöhung“, um „geistige Kraft“, um „Selbstachtung“, um „höchste Probleme“ und die „praktische Erkenntnis des Göttlichen“; - alles, was N so gerne für sich in Anspruch nahm! Da fand er sich in seinem Element, gegenüber den in seiner Notiz erwähnten „Armen, Geringen, Überflüssigen, deren Joch leicht“ wäre. Nun ja! Das war es halt, was ihn vornehmlich beschäftigt hat - und überall in seinen Texten als Hintergrundrauschen zu spüren ist! -


Die N so wichtige, immer gleiche und sicherlich nicht jedes Mal auch niedergeschriebene Frage, ob er die Menschen liebe oder eben nur brauche, stellte er sich Ende 1883 - inzwischen mit dem 4. Teil seines „Zarathustra“ beschäftigt! - wieder einmal und er gab sich die gleiche Antwort wie im Jahr zuvor! Beide Male beginnend mit einem „Aber“, welches unmissverständlich verrät, dass es sich für ihn um einen seelisch notwendigerweise verneinenden Einwand handelte, denn eine positive, auf „Ja“ hinauslaufende Antwort „ob er die Menschen liebe“ gäbe nach dem erfolgten und mehrfach unvermeidlichen „Aber“ keinen Sinn: Es kann sich also in seiner nicht so vollkommen wiedergegebenen direkten Antwort nur um ein klares aber unausgesprochen gebliebenes „Nein“ gehandelt haben: N liebte die Menschen nicht!

Aber sie gehören zu meinem Werke“! - Was für ein nicht zu unterdrückender Widerwille liegt in dieser Benutzung des Wortes „Aber“, - an dieser Stelle seines „Gedankens“ oder besser gesagt: an dieser Stelle des Ausdrucks seines ihn quälenden Gefühls! - Nämlich gegen die ihm durchaus bewusste Tatsache, dass er auf die „nicht geliebten“ angewiesen war und um nichts in der Welt auf sie hätte verzichten können, um sein Ziel zu erreichen: Die hohe und höchste Anerkennung seiner selbst! - Diese konnte schließlich nicht ausschließlich nur von ihm selber kommen! - Darum brauchte er „sie“, die Ungeliebten, die „Geringen“, „Niedrigen“ MA2.186, „Überflüssigen“, „Viel-zu-Vielen“ 4.91, „Schädlichen“ 3.369, die eigentlich zutiefst Verachteten! - Es wird - an Ns Wortlaut entlang! - geradezu nachfühlbar, wie er unter diesem gedanklich doch wahrgenommenen Umstand „gelitten“ har, dass er angewiesen war auf ihre Kulisse - um Ihn als „Größten von Allen“ und „Allen voraus“ erscheinen zu lassen obgleich er an dieser Beifallskulisse genauer genommen keinen Gefallen fand !

Liebe ich denn die Menschen? Aber sie gehören zu meinem Vorhaben - das aber ist meine ganze Liebe 10.614 [was so viel hieß, dass es sich damit auch hätte!].

Nicht den „Menschen“, sondern seinem „Vorhaben“, - vor ihnen alsder Größteund als „der Vollender“ 10.487 zu erscheinen! Dem galt seine „ganze Liebe“! - Dazu gehört die dies wiederum bestätigende, in unmittelbarer Nähe notierte, Aussage:

„Wer die Menschen bisher am meisten verachtete, war er nicht eben dadurch [wie N selbst mit seinem „Willen zur Macht“ den „Übermenschen“ züchten zu wollen um die Verachteten zu „überwinden“?] ihr größter Wohltäter?“ 10.615

Nein! Wenn etwas klar war, dann das, dass er die Menschen nicht liebte! Und viel weniger! Dass sie ihm, wenn überhaupt, nur in Bezug auf ihn selbst hin, etwas bedeuteten. Zu mehr hatte er sie überhaupt nicht auf seiner Rechnung! In den Reigen der dies bezeichnenden Sprüche Ns gehört, was er zwei Seiten weiter, Ende 1883, ebenfalls niederschrieb: „»Ich will leben, wie ich Lust habe, oder ich habe keine Lust zu leben« - so denkt noch der Heiligste“ 10.617

N dachte, d.h. er fühlte so, - sonst hätte er das nicht niedergeschrieben! Wiederum zwei Seiten weiter steht zu lesen: „Gleiches Recht für Alle - das ist die ausbündigste Ungerechtigkeit; denn dabei kommen die höchsten Menschen [solche wie Er natürlich, die sich, nach allem was er schrieb, mit Sicherheit zu diesen „Höchsten“ zählen zu dürfen meinten!] zu kurz.“ 10.619

Als weitere Ergänzung dazu, 4 Seiten davor, notierte N, - um sich seine „geistige Position“ Ende 1883 gleichsam „vor Augen zu führen“: „Was ich nicht will, dass ihr mir tut, warum sollte ich dies nicht euch tun dürfen? Und wahrlich, das, was ich euch tun muss, gerade das könntet ihr mir nicht tun! 10.610

Nämlich ihm, dem Erwählten, der die Verachteten mit dem „höheren Menschen“ beglücken und überwältigen wollte und - als Berechtigung dazu! - auf sein Zweierleimaß angewiesen war! All das stammt aus dem Nachlass, - aus dem, was er doch nicht zu veröffentlichen wagte, wegen der Gefahr, dafür in die Verantwortung genommen zu werden! - So „normal“ reagierte er immerhin noch bis in sein letztes Jahr, - wohl wissend, wie es moralisch um seine „Weisheiten“ - und letzten Endes um ihn selber! - stand. Für ihn selbst aber waren diese fragwürdigen Aufzeichnungen - in ihrer ausgemachten Verantwortungslosigkeit! - gültig und notwendig!


Als N sich im Herbst 1883, während er mit dem 3. Teil seines „Zarathustra“ beschäftigt war, die Frage nach seiner Liebe zu den Menschen stellte, notierte er sich nach dem kurzen Merkposten „Zarathustra 3 Von der Langen-Weile.“:

„Viel Altruismus [eine durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete Denk- und Handlungsweise! - aber was bedeutete bei N ausgerechnet hier das nichts superlativierende Wort „viel“?] habe ich nötig, um meines ego willen und seine [dieses ego‘s!] Lust zu haben.“ Und danach notierte er, mit doppeltem Ausrufungszeichen das in griechischen Buchstaben geschriebene Wort „akrasia!!“, was Unmäßigkeit, Unenthaltsamkeit bedeutet und einen Schatten wirft, auf das zuvor gewählte, nur relative „viel“ zum Altruismus! Auch diese Notiz sagt in ihrer Nähe zu den anderen viel!

Wenige Seiten zuvor hatte N sich zu ungefähr gleichen Zeit notiert:

Zum Herrschen geboren, aber wo hätte ich einen Lehrer finden sollen des Herrschens? So suche ich zu überreden, wo ich befehlen sollte! Überreden aber ist die Schmeichelei des Höheren gegen den Niederen und des Herrn gegen - - - 10.539 [das ließ N offen, weil ihm - über ihn selbst! - die richtigen Worte fehlten. Immerhin war er der Einsicht nahe gekommen, nicht befehlen zu können, - weil ihm mit denen, welche die Befehle entgegennahmen und ausführen sollten, auch die Macht dazu fehlte, überhaupt Befehle erteilen zu können! - Im Herbst 1883 wagte er - auch vor sich selber, - dazu waren die Hemmungen noch zu stark! - noch nicht vollkommen ungeniert hinzuschreiben, was er wirklich dachte und wozu ihn seine Absichten trieben.

All diese fein gesponnenen Fäden zwischen etlichen scheinbar zusammenhanglos einzeln niedergelegten Gedankenfetzen hängen nicht zufällig sondern zeitlich und ihrem Wortlaut nach durch Ns seelisch gefühlsmäßige Geisteshaltung miteinander zusammen und sind von daher „aus einem Guss“!

Zum „Herrscheramt“ gehört der „Befehl“, zum Befehl aber gehört „Macht“ über die, denen es zu befehlen gilt. Neben dem ihm angeborenen Gefühl, zum „Herrscheramt“ berufen zu sein, blieb ihm nur das in seinem „Werk“ überall wirkende „Überreden“ und seine Sehnsucht nach dem „Willen zur Macht“, der sich aber nicht so, wie das „Bild seiner Größe“ herbeireden, bzw. herbeischreiben, ließ: Dazu gehörten „die Anderen“, die Ungeliebten, an denen es ihm - mangelte! - Es fehlten die Sklaven und Knechte. Zu Ns Lebzeiten gab es außerhalb der Familie und neben dem Freund Overbeck und vor allem seinem ausgemachten Affen, Peter Gast - von diesem später mehr! - kaum jemanden, der N als das Eine oder das Andere zu dienen hatte und überhaupt niemanden, der tatsächlich, also auch physisch, wie ein Sklave, von ihm abhängig gewesen wäre. N besaß nur Macht über seinen „Stil“, mit dem er aber weit davon entfernt war, wirkliche Macht zu besitzen!


Ungefähr ebenso viele Seiten nach Ns Bezug auf Emersons Seite 383 im Herbst 1883, wo es um den Reichtum ging, irgendjemandem zu helfen, steht wiederum, auf nicht unbezeichnende Weise, die - scheinbar nur! - an sich selbst gestellte Frage:

Bin ich denn [in geradezu perfekt messianischem Sendungsbewusstsein!] gekommen die Menschen glücklich zu machen? 10.561

Ohne ein „Aber“ danach“! Und doch Nein! Das war er nicht! Sicherlich! Allein die Formulierung, „ob er gekommen sei“ - auf oder in diese Welt! Gesandt vom großen Gott als gewaltiger, alles umwerfender „Denker“, wie Emerson es ihm auf seiner „Essay“-Seite 226 verkündet und schmackhaft gemacht hatte! N wollte die Menschen zu seiner Überzeugung zwingen! Genau zu jener Zeit, sogar recht früh, bereits Mitte Juli 1883 schon, da er gerade mit dem 2. „Zarathustra“-Teil fertig geworden war, schrieb er an seine in vielerlei Hinsicht nachsichtige Freundin Malwida von Meysenbug in Rom:

„Man soll sein Ideal vom Menschen durchsetzen [damit wollte N sich glücklich machen! - was gingen ihn dabei „die Anderen“ an!], man soll mit seinem Ideale [oder nicht doch eher mit der ihn zwingenden und triezenden Wahnidee?] seine Mitmenschen wie sich selber zwingen und überwältigen: und also schöpferisch wirken! Dazu aber gehört, dass man sein Mitleiden hübsch im Zaum hält ….. um bis zu dieser „Weisheit“ zu kommen, hat es mich fast das Leben gekostet. - “

Was N sich hier herbeiließ, unter „schöpferisch“ zu verstehen, entsprang in Wirklichkeit dem tief destruktiven Zug seines Charakters, welcher - als eine einmalig unvergleichliche Tat! - eher bereit war, die ganze Welt lieber in Schutt und Asche zu legen, als keine bemerkenswerte Spur zu hinterlassen, von der nicht Jahrtausende beeinflusst oder noch besser unmittelbar betroffen wären. Es sind - in einer gewissen zeitlichen Nähe zu Bezügen auf die von N jeweils angegebenen Emerson-Seiten - oftmals nicht nur die auf Emerson bezogenen Notizen selber, sondern die N-spezifischen Notizen aus der unmittelbaren Umgebung, die ungeschminkt verraten, was ihn wirklich beschäftigte, bewegte und umgetrieben hat!


Zu Emersons kurzem Essay „Gaben“ gab es von N nichts Nennenswertes zu sagen. - Der darauf folgende Emerson-Essay mit dem Titel „Natur“ hatte dagegen in vielerlei Hinsicht Ns lebhaften Beifall gefunden. Es wimmelt darin nur so von Unterstreichungen und seitlichen Markierungen zu Aussagen, die ihm wieder mal geradezu aus der Seele geschrieben waren; - beispielsweise:


Der Mensch trägt die Welt in seinem Kopfe - die ganze Astronomie und Chemie in [tatsächlich nur?] einem Gedanken [für N war das in seinen Allzusammenklangsmomenten kein Problem, denn er kannte das als immer wiederkehrende Tatsächlichkeit in seinem Leben! „Normalerweise“ jedoch hätte jemand in einer derartigen Beschreibung erwartet, die „Gedanken“ im Plural aufgeführt zu sehen!]. Weil die Geschichte der Natur seinem Gehirn eingeprägt ist, daher ist er der Prophet und Entdecker ihrer Geheimnisse ….. EE.402 Oder:

Wir sind in unserm Streben immer über das Ziel hinaus, nur um das Ziel zu treffen. Jede Handlung trägt etwas von Falschheit und Übertreibung an sich. Und wenn nun hin und wieder ein ernster scharfsinniger Mann daher kommt, der erkennt, welch ein armseliges Spiel hier gespielt wird und sich weigert an demselben teilzunehmen und das Geheimnis verrät [was in den Zeiten der antiken Sphinx streng verboten war!]; - wie dann? ….. EE.403 Oder:

Keiner ist ganz bei gesundem Verstande; Jeder hat eine Ader der Torheit in sich, einen schwachen Blutandrang nach dem Kopfe hin [womit es bei N eine besondere Bewandtnis hatte!], damit er sicher aufs eifrigste an irgend einem Punkt festhält, welcher der Natur am Herzen lag [und von dem N glaubte, dass dies die Evolution vom Tier zum Menschen und über diesen hinaus zum „Übermenschen“ wäre und dass dieser mit allen nur denkbaren Mitteln zu unterstützen sei!]. Große Ursachen werden nie so erforscht, wie sie es wert sind; sondern die Sache wird auf Einzelheiten zurückgeführt, um für die Beschaffenheit der Parteigänger zu passen und der Streit ist immer am heißesten bei geringfügigen Angelegenheiten ….. Jeder Prophet sucht sich unmittelbar mit seinem Gedanken zu identifizieren und hält seinen Hut und seine Schuhe für geweiht. EE.405

Das ist von Emerson her nicht auf N - von dem er ja keine Ahnung haben konnte! - zugeschnitten. Dass es so sehr auf N passte, lag an dessen Tun, das „Geschriebene“, weil dieses ihm so sehr entsprach, erfüllen zu wollen. Auch dies:

Müssen wir nicht irgendwo im Universum eine wenn auch nur geringe Falschheit und einen Hohn vermuten? [so empfand das schon Emerson, wie auch N wegen seiner Neigung, sich für klüger zu halten, als in der Schöpfungsgeschichte vorgesehen war.] Empfinden wir nicht ernstlichen Unwillen über diese Art und Weise, wie man sich unserer bedient? Sind wir eine schwache ehrliche Haut und müssen wir uns von der Natur zum Besten haben lassen? EE.409

Das kann man gelassen als nicht ganz einfach nachzuvollziehende Empfindungen betrachten, die man auf gleiche Weise wohl nicht unbedingt zu haben braucht. Emerson hatte sie, sonst hätte er über derlei nichts aufgeschrieben. Auch N lagen Gedanken in diese Richtung eines übertriebenen und überbewerteten Freiheitlichkeitsbedürfnisses nicht fern, deshalb hat er sich die etwas weiter unten angeführte, in der Zeit Frühjahr bis Sommer 1883 entstandene Notiz gemacht. Emersons Text fährt fort:

Ein Blick auf den Himmel und die Erde vernichtet den Gedanken an Hohnneckerei und lässt uns zu besserer Überzeugung gelangen. Für den Verständigen verkehrt sich die Natur in ein ungeheures Versprechen und will nicht vorschnell erklärt sein. [Bis hierher hat N den Text seitlich deutlich markiert.] Ihr Geheimnis ist unausgesprochen. Wieder und wieder kommt ein Ödipus [eine Gestalt der griechischen Mythologie als exemplarisches Beispiel für die schicksalhafte Vorausbestimmtheit des menschlichen Lebens, das trotz Voraussage nicht zu umgehen ist und abläuft wie eine Höllenmaschine. Er ist aber auch eine mythische Figur für einen absoluten Willen zur Wahrheit, an dem er auf grausame Weise scheitern musste]: das ganze Mysterium zwängt sich in sein Hirn hinein. Ach! derselbe Zauber hat auch seine Erfahrenheit vernichtet; keine Silbe vermögen seine Lippen hervorzubringen. Ihr mächtiger Kreis geht gleich dem eben entstandenen Regenbogen hinunter in die Tiefe, aber keines Erzengels Flügel war jemals im Stande, demselben zu folgen und von dem Lauf der Kurve zu berichten ….. EE.409f [und so weiter, in diesem emphatischen Stil!]

Ns Notiz in unmittelbarem, teils sogar wortwörtlichen Zusammenhang hierzu lautet:

Für den Weisen [als den N sich selber nahm] verwandelt sich die Natur in ein ungeheures Versprechen“ Emerson. [Soweit das Zitat. Ausdruck von Ns Hoffnung, „sich zu erfüllen“! Danach sprach N - zu sich selber? - über sich selbst? - wie immer aber in Bezug auf seine Hoffnungen und in maßlose Höhen getrieben:] Nun, du selbst bist Natur und versprichst mit ihr das Ungeheure [das war zweierlei!] und hütest dich wohl, dein eignes Geheimnis vorschnell [wie Ödipus es einst tat] auszukundschaften! 10.294

„Du selbst bist Natur!“ - damit versprach und „reklamierte“ N für sich selbst „das Ungeheure“, nämlich - seiner Überzeugung nach! - zweifach: Einmal allen voraus und damit - entsprechend seinen Vorstellungen von sich selbst! - mehr zu sein als die Anderen, - also der „Qualität“ des Übermenschen wesentlich und vor allem vorbildhaft näher! - Zum anderen war das „Ungeheure“ zugleich das, was er sich hütete, es als sein „eignes Geheimnis vorschnell auszukundschaften“, denn er fand sich geistig zur Zeit jener Notiz mit dem Inhalt des Endes von Teil 2 seines „Zarathustra“ beschäftigt und hatte - sehr zu seinem Leidwesen! - in diesem noch nicht die Darstellung seiner ihm so wichtigen „Ewigen Wiederkehr“ geschafft, vollbracht, zustande bekommen! - Er schob diese noch vor sich her - hat sie aber auch im 3. Teil - also Ende 1883 und ebenso im sich bis Anfang 1885 hinziehenden 4. Teil - entfernt nicht mit der gleichen Kraft und Eindringlichkeit - wie im Aphorismus Nr. 341 der „Fröhlichen Wissenschaft“! - sondern nur als schwachen, ihm selbst nicht genügenden Abglanz im Kapitel „Vom Gesicht und Rätsel“ in seinem „Zarathustra“ anklingen zu lassen vermocht: Die Darstellung des großen, alles umwälzenden, neuen, tiefgründigen Gedankens, der die kommenden Jahrtausende beherrschen sollte, bezeichnete er hier als „das Ungeheure“, denn er wollte damit dem Lauf der Menschheits-Geschichte eine nie zuvor erahnte Richtung geben! - Nur dass er noch nicht wusste wie: Er bekam es einfach nicht in den Griff! - und musste nicht zuletzt deswegen den Zarathustra als Torso liegen oder eher fallen lassen.


Auch zum vorletzten Essay, über „Politik“ finden sich von N etliche einverständliche An- und Unterstreichungen zu dem, was Emerson dazu - allerdings auf recht widersprüchliche und unrealistische Weise! - vorzubringen hatte. Zum Beispiel:

Jedes Menschen eigne Natur gibt ihm genügend Kunde von dem Charakter seiner Nebenmenschen. Mein Recht und mein Unrecht ist ihr Recht und ihr Unrecht. Wenn ich das tue, was für mich passend ist und vom Unpassenden mich fernhalte, so wird mein Nachbar oft ein und dieselben Mittel anwenden, zu denen ich greife und wir werden beide auf diese Weise eine Zeit lang demselben Ziel entgegen arbeiten. Aber sobald mir die unumschränkte Macht, die ich über mich selber habe, [hatte N solche je?] nicht mehr genügt und ich diese auf ihn [den Nachbarn] ausdehnen will, so gehe ich über das Rechte hinaus und trete in falsche Beziehungen zu ihm. EE.424f

Auch so etwas hätte N bei Emerson also lernen und verinnerlichen können! Gelegenheiten dazu hätten sich, wie ersichtlich ist, ergeben. Aber das lag N nicht. Er hielt sich, in dieser „Kleinigkeit“ von seinem „Meister“ abweichend, dennoch davon überzeugt, tun zu dürfen, was ihm in Ehrfurcht vor seiner mit Vorsicht zu behandelnden „Heiligkeit“ niemand antun dürfte, in der wahnhaft festen Überzeugung: „Und wahrlich, das, was ich euch tun muss, gerade das könntet ihr mir nicht tun!“ 10.610 - Er hielt sich lieber an das, was wenige Zeilen darauf bei Emerson folgte:

Dieses [mit- und wehleidige] Besorgt-sein für den Andern ist der Fehlgriff [dies wurde von N auch seitlich dick angestrichen weil es seine Meinung rechtfertigte! - ein Fehlgriff], der in kolossaler Hässlichkeit in allen Staaten der Welt sich zeigt [und war N damit aus der Seele gesprochen!]. Wie im Einzelnen, so ist es im großen Ganzen, nur hier nicht voll so deutlich. Ich kann sehr gut einsehen, dass es ein großer Unterschied ist, ob ich [selbstmittelpunktlich als das Maß aller Dinge?] Selbstbeherrschung übe oder bewirke, dass ein Anderer möglichst nach meiner Ansicht handelt; aber wenn ein Viertel der menschlichen Rasse es sich anmaßt, mir zu sagen was ich tun muss, so ist es sehr leicht, dass die Umstände mich nicht so klar die Ungereimtheit ihres Gebotes erkennen lassen. Deshalb haben alle gemeinnützigen Zwecke ein vages und donquixotmäßiges [zum Scheitern verurteiltes] Ansehen neben den [von N zu eignem Gebrauch geheiligten!] Privatzwecken. Denn alle anderen Gesetze als die, welche die Menschen für sich selbst machen, sind lächerlich. EE.425

Wann hätte jemand anderes aber je für etwas anderes als für Menschen „Gesetze“ gemacht? N ging es nicht um etwas, das gedanklich zu erfassen und abzuwägen gewesen wäre, sondern um gefühlte Wahrheiten, um wesensmäßig Passendes, um die seinem nun einmal gegebenen Innenleben angeborene „Herrscheramtlichkeit“, zu deren grobschlächtiger Anwendung kein Mitleid gehören durfte, da solches nur als Beeinträchtigung empfunden werden konnte: Sein Eigentliches sollte in superlativistischer Form auszukosten sein. Hier wurde Ns späterer Widerwille gegen das ihm von Schopenhauer untergeschobene Mitleid legitimiert: Als „Fehlgriff“ und „Ungereimtheit eines solchen Gebotes“ innerhalb seiner zu bejahenden Welt!


Ein Mensch tut etwas, was den Andern binden soll. Ein Mensch, der nichts über mich erfahren kann, taxiert mich; [auch das war für N eine hochnotpeinliche „Stelle“, die er nur von sich ausgehend für in Ordnung hielt, - nicht aber in Bezug auf ihn „den Anderen“ gegenüber! - Irgendwer] stellt als gewiss hin, indem er mich von ferne beobachtet, dass ein Teil meiner Arbeit diesen oder jenen wunderlichen Endzweck haben müsse, nicht wie ich, sondern wie er es sich gerade denkt. EE.425

An den von N dazu angebrachten Anstreichungen rechts und links ist abzulesen, wie sehr N am Inhalt dieser Zeilen Interesse zeigte und davon betroffen war! Die Tatsache, dass jemand sich über ihn äußerte, Er also kritisiert und begutachtet wurde, hat N zeitlebens empört und lief seinem sorgsam betriebenen Maskenspiel, als mehr zu erscheinen als er wirklich war, ständig entgegen. Auch hier äußerte sich, dass er das Nicht-begutachtet-werden-wollen für sich reklamiert ohne es gleichzeitig „den Anderen“ einzuräumen, die er nach Strich und Faden sich herausnahm, „herrscheramtlich“ zu kritisieren.

Dies war ein für N sehr zentrales Problem. Er hat dazu etliche seitliche Markierungen angebracht und entsprechende, bereits zitierte Notizen hinsichtlich dessen, was ihm, aber nicht „den Anderen“ erlaubt wäre, hinterlassen. Zur folgenden Seite, wo Emerson die Ausführung seines Zweierleimaß-Gefühls unselbstkritisch und auch von N nicht darin kritisiert fortspann, fühlte sich N zu einer eigenen Notiz veranlasst, - projiziert auf seine Zarathustra-Figur, der er so nahe stand, „wie sich selber“. Emerson schrieb in unverständlich selbstmittelpunktlicher Realitätsferne:

Das Auftreten des [Gott ähnlichen, oder gar gottgleichen?] Charakters macht den Staat unnötig. Der Weise Mann ist der Staat [was in Reinkultur immerhin idealistisch absolutistisch totalitären Vorstellungen entsprach!] Er braucht kein Kriegsheer, keine Festung, keine Flotte, - er liebt dazu die Menschen zu sehr [was N von sich nicht behaupten konnte!]; keine Geschenke oder Feste oder einen Palast, um sich Freunde zu erwerben: keine Überlegenheit, keinen günstigen Umstand. Er braucht keine Bibliothek, denn er hört nie auf zu denken [und alles ohnehin besser zu wissen?]; keine Kirche, denn er ist ein Prophet; kein Gesetzbuch, denn er hat den Gesetzgeber; kein Geld, denn er ist der Wert desselben; keinen Weg, denn wo er ist, da ist er zu Hause; keine Erfahrung, denn das Leben des Schöpfers durchströmt ihn und spricht ihm aus den Augen. Er hat keine persönlichen Freunde, denn der, welcher den Zauber besitzt, dass er sich das Gebet und die Liebe aller Menschen erwerben kann, [das war Ns Traum, auf ungefähr diese völlig übertriebene Art anerkannt und geschätzt zu werden!] braucht nicht einige Wenige zu leiten und zu erziehen, dass sie mit ihm ein auserwähltes und poetisches Leben führen. Die Beziehung, in der er zu den Menschen steht, ist eine engelgleiche; sein Gedenken ist Myrrhen für sie; [sein Denken ein Segen! - und] seine Gegenwart Weihrauch und Blumen ….. EE.426

So jedenfalls, meinte N, würde er wirken, - können oder müssen?! - Aus welchem Winkel seines Bewusstseins heraus Emerson sich veranlasst gesehen hat, einen solchen politisch peinlichen Schwachsinn vorzutragen bleibe dahingestellt. Dass er derlei schrieb ist mit einiger Fassung als historischer Fakt hinzunehmen. Dass aber N, als angeblich größter, modernster und umfangreichster deutscher Denker des 19. Jahrhunderts diesen ausgewachsenen Blödsinn aufnahm, ist im Rahmen seines Lebensbildes gelinde gesagt als ein zumindest erschreckender Ausfall sämtlicher seiner guten Geister zu werten! Über seine nichts als Zustimmung verratenden massiven Anstreichungen hinaus, nahm er darauf - weil er es für wichtig hielt! - auch in einer Notiz aus dem Herbst 1883, vorgesehen für den Anfang seines für heilig erachteten „Zarathustra“ in Teil 3 - Bezug und notierte sich in einer Anwandlung von höchstveredelten Einsamkeitsgefühlen für „Zarathustra“, den er für den Weisesten der Weisen, ja, sogar für weiser als sich selber hielt:

Zarathustra erkennt, dass er auch nicht für seine Freunde da ist „Wer sind meine Freunde!“ Weder fürs Volk, noch für Einzelne! Weder für Viele noch für Wenige! Die Freundschaft zu überwinden [worin wieder Ns Originalitätsbedürfnis durch absolutes Umwerten des Bestehenden zutage trat!]. Zeichen seiner Selbst-Überwindung im Anfang von III [„Zarathustra“ 3. Teil] Emerson p. 426 Schilderung des Weisen. 10.512 [Dessen, der alles ist - und kritiklos nur so angenommen werden kann, wenn dies mit dem eigenen Gefühlsleben in grundsätzlicher Übereinstimmung steht!]

Unmittelbar anschließend steht in Ns planenden Notizen zu lesen - wobei zur Deutung von Ns geistiger Verfassung immer sehr ergiebig ist, was im Umfeld des Weiteren steht:

Als er [wohl Zarathustra!] Pana [zu dem „Namen“ finden sich im Nachlass zwei zusätzliche Informationen: Es heißt da a) „mein Kind, mein Sternlein, mein Goldohr - du weißt es doch, dass auch ich dich lieb habe?“ 10.446 und b) „Als er [wer?] Pana errät, stirbt Zarathustra vor Mitleid mit ihrem Mitleid 10.512 [womit Pana von N eindeutig als etwas Weibliches - was aber? in welcher Rolle und Funktion? - angedacht war!]. Vorher der Augenblick der großen Verachtung (höchste Seligkeit!)“ 10.512 [was für N als überaus typisch zu werten ist, dass bei ihm der „Augenblick der großen Verachtung“ - entsprechend seinem eigenen Gefühlshaushalt! - mit dem der „höchsten Seligkeit“ - zusammenfiel?! Dazu gehört, dass N daran dachte, „Pana“ zur Mörderin von Zarathustra werden zu lassen, denn er schrieb:] „Zuerst wenden sich Alle von Zarathustra ab (dies schrittweise zu schildern!). Zarathustra entzückt, merkt nichts. Pana will ihn töten. Im Augenblick, wo sie den Dolch führt, versteht Zarathustra alles und stirbt am Schmerz über dieses Mitleiden. Dies ist deutlich zu machen!“ 10.513

Damit hätte sich Ns „Zarathustra“ zu einer ziemlichen Räuberpistole entwickelt. Aber es kam nicht dazu. Von alledem - und von noch viel mehr Geplantem! - hat N nichts ausgeführt! Zarathustra stirbt auch nicht im 4. Teil. Die verschiedentlich vorgehabten Dramaturgie-Fragmente wurden von N in den Notizbüchern festgehalten ohne je „verwirklicht“ zu werden, denn im Dickicht seiner Einfälle folgte „Zarathustra“ einer unvorhersehbaren Eigendynamik, die auch N, jeweils vom Augenblick mitgerissen, nur rudimentär zu steuern gelang.

Eine Notiz zuvor suchte N eine ganz andere Idee festzuhalten; eine Idee, die mit gewaltigem Schlag den „Zarathustra“ in seiner Gesamtheit betraf! Es heißt da:

Beherrschung der Menschheit zum Zweck ihrer Überwindung [was eine brutal destruktiv ansetzende Weltherrschaftsphantasie war!] Überwindung durch [ausgerechnet von N stammenden?!] Lehren, an denen sie [die Menschheit] zu Grunde geht, ausgenommen die, welche sie aushalten. 10.512

Diese himmelschreiende Selbstvernichtungslehre - weil diese den größten Schrecken auslösen und zugleich den äußersten Widerspruch gegen das Bestehende darstellen würde? - ausgerechnet sie bot N gefühlsmäßig „(höchste Seligkeit?)“


Emerson wird von der unanfechtbaren Richtigkeit dessen, was er geschrieben hatte, so fest überzeugt gewesen sein wie N von den Seinen. Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg schrieb er sehr anders, woraus sich schließen lässt, dass er diesen als eine Art Nagelprobe auf das zuvor Geschriebene wahrgenommen hat. An seliger Prediger-Weltfremdheit sind seine 1858 auf Deutsch erschienenen „Essays“ schwerlich zu überbieten und N, der doch ansonsten in jeder Beziehung die geballte Kritik an allem, was die Sonne beschien, in sich zu vereinen suchte, stimmte mit diesem Schwachsinn ein Leben lang in vielfacher Weise überein! Seine heute bekannten Anstreichungen und Kommentare stammen schließlich alle von dem mindestens Dreißigjährigen! - Mit Gültigkeit wohl bis in seine letzten Tage! Das darf nicht vergessen oder als Jugendirrungen entschuldigt werden. Weiß der Himmel, was für Einblicke in die Begrenztheit seiner Kritikfähigkeit sich aus dem gestohlenen 1. Handexemplar mit den frühen Anstreichungen und Kommentaren aus den von 1861 bis 1874 ergeben würden, wenn diese - was leider äußerst unwahrscheinlich ist! - nach zwei Weltkriegen aus irgendeinem Trümmer-Winkel doch noch einmal zum Vorschein kämen.


Bei all den Ausführungen, die hier in einem notwendigerweise nicht unerheblichem Umfang vorgeführt - und vielfach mit Ausblicken auf Ns zukünftige „Entwicklung“, die im eigentlichen Sinn keine war weil N an dem ihm 1861 Bekanntgewordenen lebenslang kleben blieb! - handelt es sich um Texte, die von N her nachwiesenermaßen in engem Zusammenhang mit Emersons „Weisheiten“ stehen, welche zumeist keine solchen waren. Die ausführliche Zusammenstellung dient vor allem als Beweisführung dafür, Ns breitgefächerte tatsächliche Beziehung zu, - und Beeinflussung durch, sowie Abhängigkeit von! - Emerson in relativ komprimierter und überzeugender Form aufzuzeigen!

Die dabei beachtete Engmaschigkeit dieser Verflechtungen - zu der sich noch mehr hätte vorbringen lassen! - ist nicht mit nur wenigen Beispielen, sondern allein durch deren vielseitige und massive Fülle überzeugend herauszustellen, um zu einer wirklichkeitsnahen Erklärung von Ns weiterem Lebensweg zu gelangen. Es handelt sich dabei nicht um eine Konstruktion oder Unterstellung, um keine subjektiv gefärbte „Meinungsäußerung über N“, sondern durchgehend um die Vorlage von Fakten, welche die sich über fast 30 Jahre, bis zu seinem „geistigen“ Ende hin bestehende Emerson-Hörigkeit Ns in seiner „geistig-denkerischen“ für philosophisch gehaltenen Existenz belegt! - Emerson bildet einen in seiner Bedeutung überhaupt nicht zu überschätzenden Bestandteil des Phänomens N, dessen späteres und zeitlich begrenztes Einschwenken auf die Philosophie Schopenhauers gemessen an seiner Bestimmtheit durch Emerson so gut wie gar nichts bedeutet. Die im 17-jährigen durch Emerson zementierte „geistige“ Grundlage hat sich gegen spätere Einflüsse als weitgehend resistent erwiesen.

Aus heutiger Sicht ist die Tatsache der vielen krebsartig wirkenden Emerson-Knoten in dem, was als Ns Werk gilt, zur Klärung seines mit einem Spruch des antiken griechischen Lyrikers Pindar zu einer „Leistung“ verklärten „Werdens, der er war“ weitaus wichtiger, als die unbewiesenen Spekulationen und Erwägungen über das, was an und bei N angeblich durch äußere Ereignisse wie „Schlafmittelmissbrauch“ beziehungsweise seine legendäre „syphilitischen Infektion“ hätte veranlasst werden können! - „Krankhaft“ gewesen sind bereits Ns Grundlagen, die aufgrund eines oberflächlichen, auf syntaktisch intaktem Anschein beruhenden Urteil erst Anfang 1889 zum unvermittelten Ausbruch eines „Größenwahns“ und dauerhaften Irrsinns geführt haben. Von diesem aber war N - bei genauerem Hinsehen, a) von Anfang an beseelt, b) durch Emerson in diesem „geistig-logisch“ bestärkt und gerechtfertigt worden und c) sein Leben, Handeln, Fühlen, Urteilen und „Philosophieren“ insgesamt so massiv bestimmt, dass - was das Verhängnisvollste war! - d) die tiefgreifenden Defekte von Ns angeblich so überragendem logischen Denken - vor allem auf dem Gebiet der „Selbsterkenntnis“! - nicht wahrgenommen worden sind! Das Verhängnisvolle an N wurde auch nicht dadurch gemildert, dass es anderen, an sich intelligenten Leuten, wie beispielsweise Martin Heidegger, 1889-1976, einem deutschen Philosophen, so schien, als hätte N als Denker, wie Heidegger es beurteilte, „die Metaphysik ins Äußerste getrieben“. In Wirklichkeit hatte N doch nur das „Unbegreifliche“ an sich selbst mit dem Anschein von künftig Möglichem verwechselt und das inhaltsleere, hohle Gebäude seiner allein mit ihm selber angefüllten „Denkerwerkstatt“ mit einer raffiniert philosophisch wirkenden Fassade umhüllt - um den größenwahnsinnigen, für die Menschheit nutzlosen Irrsinn seiner Selbstsucht zu verdecken.


Ns Ausgabe von Emersons „Essays“ - und diese sollte sich für ihn als am Einflussreichsten erweisen! - enthält am Ende unbedruckte Seiten. Auf diese schrieb N im Herbst 1881, genau 20 Jahre nach seiner Nürnberger Emerson-Infektion:


Das neue Große [das Metaphysische?] nicht über sich, nicht außer sich sehen, sondern aus ihm eine neue Funktion unser selbst machen [das bedeutete für N, sich selbst als Gegengewicht zum „Rest der Welt“ zu sehen!]. Wir sind der Ozean, in den alle Flüsse des Großen fließen müssen. Wie gefährlich ist es, wenn der Glaube an die Universalität unser selbst fehlt! Viel Art von Glauben tut not. 9.621

Da ging es - als Glaube, der angeblich nottut! - nicht als fundiertes Wissen! - wieder - wie immer bei N! - um das Problem der themenlosen, nur auf ihn selbst fokussierten „Größe“, um das „Großseins an sich“ um seiner selber willen, das „Herausragen“ in unmittelbarem relativen Bezug von ihm zu „den Anderen“! Daraus „eine neue Funktion unser selbst machen“ 9.621. Das war eindeutig sein Interesse, das ihn beschäftigte wie nichts sonst: „Du gehst den Weg deiner Größe“! 4.194 Damit leitete er seinen im April 1884 erschienenen 3. Teil seiner „Zarathustra“-Dichtung ein! Mit seinem Lebens-Problem als Hauptthema! Er hat sich sein Leben lang mit nichts anderem beschäftigt und sich unter diesem Gesichtspunkt immer wieder so günstig wie möglich darzustellen versucht.

Zu dem Wort „Ozean“ des zweiten Satzes gehört eine Notiz, die N sich zu etwa gleicher Zeit anlässlich der Emerson-Seite Nr. 54 gemacht hatte. Sie lautet:

„Aber wohin fließen denn zuletzt alle Flüsse des Großen und Größten am Menschen? Gibt es für sie allein keinen Ozean?“ - Sei dieser Ozean: so gibt es einen. 9.660 [Auch diese Aussage zielte nur darauf ab, die „ökologische Nische“ für sein Groß-Sein beziehungsweise seinen Größenwahn zu definieren. Sich als „Ozean“ für die Gesamtheit „des Großen und Größten am Menschen“ zu stilisieren strotzt nicht gerade von Bescheidenheit! An solchen Auswüchsen gemessen erscheint Ns finaler Größenwahn als eine relativ harmlose - und wohl auch zwangsläufig fällige! - Steigerung und „Vollendung“! Weil es viel weiter ohnehin nicht gehen konnte. Das Bild des „geistigen Ozeans“ stammt unmittelbar von Emerson. Es heißt bei ihm:

Aber nun sind wir Lumpengesindel. Der Mensch hat weder Ehrfurcht vor dem Menschen, noch fühlt die Seele sich getrieben, bei sich stehen zu bleiben und sich mit dem geistigen Ozean in Verbindung zu setzen, sondern sie geht hinaus, um von den Urnen der Menschen sich einen Becher Wassers zu erbetteln. Wir müssen allein gehen. Isolierung muss einem wahren Zusammensein vorausgehen ….. EE.54

Des Weiteren besteht über die von N notierten Worte „Viel Art von Glauben tut Not“ ein inhaltlicher Zusammenhang mit einer Notiz, auf die N sich in seiner 4. und letzten Notiz auf dieser Seite ausführlicher bezog. Als eine 2. Notiz schrieb N im Herbst 1881 auf die letzte Seite der „Essays“ von Emerson:

Vom Kleinsten Nächsten auszugehen: 1) die ganze Abhängigkeit sich feststellen, in die man hineingeboren und erzogen ist [ein Faktum, an dem jeder seinen ihm eigenen Anteil besitzt] 2) den gewohnten Rhythmus unsres Denkens, Fühlens, unsere intellektuellen Bedürfnisse und Nahrungsweisen 3) Versuche der Veränderung, zunächst mit den Gewohnheiten zu brechen (z.B. Diät [und andere Oberflächlichkeiten. Wo N auf Konkretes kam, wurde er zumeist trivial.]

Als Denkansatz, wie N es tat, musste dies, relativ konsequent genommen, zur „Umwertung aller Werte“ führen, um überall scheinbar etwas völlig „Neues“ aufscheinen zu lassen, - die Welt zumindest „anders“ als zuvor zu sehen, „es“ so anders wie nur möglich, also in Umkehrung, zu machen, zu denken, zu beabsichtigen, um überall die „Duftmarke“ eigenen „Schaffens“ zu hinterlassen: Es war aber auch zwanghafte Besserwisserei von einem, der sich nicht einfügen konnte und wollte.

Sich geistig an seine Widersacher einmal anlehnen, in ihrer Luft zu leben versuchen reisen, in jedem Sinn [was eine recht sorgenfreie, privilegierte Position mit entsprechendem Einkommen und freier Zeit voraussetzen würde!] „Unstet und flüchtig“ - eine Zeit [seiner Lebenspraxis entsprechend!] Von Zeit zu Zeit über seinen Erfahrungen ruhen, verdauen [sich ohne Rücksicht auf seine Wirklichkeit Theorien zur Beispielhaftigkeit seines Seins auszudenken, so, wie er es tatsächlich ja tat!] 4) Versuche der Idealdichtung [hat er damit tatsächlich schon „Zarathustra“ und nicht doch noch „Manfred“ gemeint?] und später des Ideal-Lebens 9.621f [als einen weltverbessernden Lebensentwurf?].

Inhaltlich gehört zu dieser Notiz wiederum das, was N im Frühjahr bis Herbst 1881, also einige Monate früher schon niederschrieb. Er hielt so gut wie das Gleiche bereits in einer anderen Notiz fest:

Zur „Kur des Einzelnen.“ [Das war offenbar als „Erziehungsprogramm“ gedacht!]

1) er soll vom Nächsten und Kleinsten ausgehen und die ganze Abhängigkeit sich feststellen, in die hinein er geboren und erzogen ist [es drehte sich immer um das Gleiche!]

2) ebenso soll er den gewohnten Rhythmus seines Denkens und Fühlens, seine intellektuellen Bedürfnisse der Ernährung begreifen [was den „Nahrungsweisen“ und der „Diät“ der zweiten Notiz auf der letzten Seite entsprechen würde!]

3) Dann soll er Veränderung aller Art versuchen, zunächst um die Gewohnheiten zu brechen (vielen Diätwechsel, mit feinster Beobachtung [auf möglichst genau die Weise, wie N an sich selbst herumdokterte! Alles nach seinem beliebten Prinzip des „Mach-es-wie-ich“!]

4) er soll sich geistig an seine Widersacher einmal anlehnen, er soll ihre Nahrung zu essen versuchen. Er soll reisen, in jedem Sinne. In dieser Zeit wird er [wie N selber stets] „unstet und flüchtig“ sein. Von Zeit zu Zeit soll er über seinen Erlebnissen ruhen - und verdauen.

5) Dann kommt das Höhere: der Versuch, ein Ideal zu dichten [damit lief es auf „Zarathustra“ hinaus, denn es war etwas „Nichtaphoristisches“ vonnöten]. Dies [Ns gerade fertig gewordene „Morgenröte“!] geht dem noch höheren [der geplanten Dichtung!] voraus - eben dies Ideal zu leben.

6. Er [der Dichter oder die erdichtete Figur?] muss durch eine Reihe von Idealen hindurch. 9.539

Was N im Einzelnen auch immer in seiner Notiz festhalten wollte und wen er mit dem „Er“ meinte, - im Eigentlichen ging es um ihn selbst, ob als Empfehlung, als Beispiel, als Vorbild, als Ideal: Immer war es N selber, der von sich sprach und über allem stand. Ohne zu berücksichtigen - oder auch nur zu bedenken! - dass da sicherlich jeder seine eigenen Methoden haben dürfte, vor allem, wenn tatsächlich „Größe“, die Fähigkeit Großes zu leisten, in ihm steckt, denn dann leistet der Betreffende etwas, ohne sich die abwegigen Gedanken Ns darüber zu machen. N hat überall Abhängigkeiten gewittert, nur da nicht, wo er wirklich abhängig war. Warum? Weil er sich in der Abhängigkeit von Emerson gut angeleitet fühlte, berechtigterweise gegen alle die vorzugehen, die ihm nicht angenehm waren!


Ns 3. Notiz aus dem Herbst des Jahres 1881 auf der letzten Seite von Emersons „Essays“ lautet:

Jenseits von Liebe und Hass, auch von Gut und Böse, ein Betrüger mit gutem Gewissen, grausam bis zur Selbstverstümmelung, unentdeckt und vor aller Augen, ein Versucher, der vom Blut fremder Seelen lebt, der die Tugend als ein Experiment liebt, wie das Laster. 9.622

Sollte - wie sonst immer und so oft! - auch das eine unbewusste, also eher unbeabsichtigte Selbstdarstellung sein? Eine Beschreibung Emersons ist sicher auszuschließen. Schopenhauer oder Wagner kamen zu der Zeit nicht mehr in Frage. Der Text legt nahe, dass N im Untergrund seiner umwertungsbesessenen „heimatlichen“ Moral von seinen betrügerischen Ummünzereien so hellsichtig „unentdeckt und [doch!] vor aller Augen“ sehr genau „wusste“,- auch dass er mit seiner Kritik an rundum allem „vom Blut fremder Seelen lebte“ - und auch davon, weshalb er es tat: Um seiner Besonderheit willen. Es gibt einige Textstellen, die darauf schließen lassen und auf die zu gegebener Zeit Bezug genommen wird.


Ns 4. und letzte Eintragung am Schluss der „Essays“, - dem Buch in dem er sich wie nirgends sonst „so zu Hause und in meinem Hause gefühlt“ 9.588 hatte, lautet:

Hier sitzest du, unerbittlich wie meine Neubegier, die mich zu dir zwang: wohlan, Sphinx, ich bin ein Fragender, gleich dir: dieser Abgrund [in den die Sphinx ihre Opfer zu stürzen liebte] ist uns gemeinsam - es wäre möglich, dass wir mit Einem Munde redeten? 9.622

Hier kleidete N sein Ich wieder einmal in ein antikes Wesen, eine antike Größe? Auffällig ist auch Ns Lust - oder Zwang? - zur Identifikation, sein „Sichgleichsetzen“, hier mit der Sphinx in dem „auf Leben und Tod gehen“ wenn es darum ging „das Rätsel des Lebens“ lösen zu wollen, was N für sich in Anspruch nahm, - allein schon wegen des Rechtbehaltens „gegen den Rest der Welt“, dem Ns bisherigen Weisheiten niemals gelungen wäre!

Bei Emerson hat die Sphinx ihren 1. Auftritt bereits auf Seite 2 der „Essays“: Da heißt es, von N unterstrichen und so mit seinem Einverständnis versehen:

Dieser menschliche Geist schrieb Geschichte und der männliche liest sie. Die Sphinx muss ihr eigenes Rätsel lösen. Wenn die ganze Geschichte in einem Menschen enthalten ist, so lässt sich Alles aus individueller Erfahrung erklären. EE.2 Außer der Unterstreichung gab es durch N keine weiteren Bezugnahmen auf den hier dargestellten Zusammenhang.


Der 2. Auftritt der Sphinx erfolgt in Emersons „Essay“ mit dem Titel „Geschichte“ auf Seite 25. Dort heißt es:

Ebenso sehr passt die alte Fabel der Sphinx [aus griechisch mythologischen Ödipus-Zeiten, ca. 1.300 Jahre v. C.] auf uns, von der erzählt wird, dass sie am Wege saß und jedem Vorübergehenden Rätsel aufgab. Wenn der Mann nicht antworten konnte, verschlang sie ihn lebendig. Konnte er das Rätsel aber raten [was Ödipus gelang!], so sollte die Sphinx getötet werden. Was ist unser Leben anders als ein ewiges flüchtiges Dahineilen von Tatsachen und Begebenheiten. In glänzender Verschiedenheit kommen alle Abwechslungen und alle stellen sie Fragen an den menschlichen Geist. Diejenigen, die eine höhere Weisheit nicht auf diese Tatsachen und Zeitfragen antworten lässt, sind ihnen untertan. Sie werden durch dieselben in Verlegenheit gebracht und tyrannisiert und es werden jene routinierten Verstandesmenschen aus ihnen, in denen das buchstäbliche sich Unterwerfen unter alle Tatsachen jeden Funken von dem Licht ausgelöscht hat, durch welches der Mensch wirklich Mensch ist. Aber wenn der Mensch seinem Instinkt und den besseren Gefühlen in ihm treu bleibt [wie auf so unnachahmliche Weise N, - beispielweise!] und sich nicht von den Tatsachen beherrschen lässt, sondern dasteht wie Jemand, der einem höheren [„herrscheramtlich“ verpflichteten!] Geschlecht angehört, der fest hält am geistigen Wesen und nach dem Prinzip sieht, dann treten die Tatsachen schnell und willfährig an die Stelle zurück, wohin sie gehören; [was für ein Schmus!] sie [die Tatsachen] kennen ihren Herrn und die kleinste von ihnen muss ihm dienen [die größeren und ganz großen nicht?].


Um die Lösung welchen Rätsels müsste es gehen, damit die Sphinx getötet wird? Doch nicht immer wieder um die Frage nach den sich langsam herumgesprochen habenden vier-, zwei- und dreibeinigen Lebensaltern des Menschen! Zu dieser Sphinx-Stelle Emersons notierte sich N im Herbst 1881 direkt auf den Rand der Seite 25:

Es ist viel zu antworten, wenn ein Rätsel aufgegeben wird und zu glauben, es gelöst zu haben [hier meinte N nicht uralte Rätsel der Sphinx, sondern seine, vor dem Leser noch als „Rätsel“ behandelte neue „Moral“ aufgrund von „Übermensch“ und „Ewiger Wiederkehr“!] - schon bei dem Mute der Antwort auf das Rätsel des Lebens hat sich bisweilen die Sphinx hinabgestürzt. 9.620, 13[9]

Konnte die Sphinx, die schon König Ödipus kannte und ihm im Enträtseln unterlag, das auf Leben und Tod denn öfter als nur ein Mal? Die damalige Ungelöstheit des Rätsels über den Menschen, der sich zuerst auf allen Vieren, dann auf zwei und schließlich mit Krücke auf drei Beinen fortbewegt, rettete die Sphinx gewöhnlich vor dem Sturz in die Tiefe. N bot, wie es seine Gewohnheit in der Schule auch gegenüber anderen anerkannten Größen war, eine Korrektur an, mit der er sich selbst in das „Spiel der Geister“ mit dem Ritter-Tod-und-Teufels-mäßigen Ernst auf Tod und Leben einbrachte und von daher „wusste“, wie es nun, durch sein Dazutun, weiterzugehen hätte: Dass es so kommen würde, dass einer - wie Er! - vor dem „Rätsel des Lebens“ keine Angst mehr hatte und den Mut besaß, der Sphinx mit einer völlig neuen, von ihm selber stammenden „Lösung“ entgegenzutreten! Raffinierter weise brachte N das wie eine Zeitungsmeldung, - quasi als Tatsachenbericht. Er

Also schrieb Friedrich Nietzsche:

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