Читать книгу Also schrieb Friedrich Nietzsche: "Zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ..." - Christian Drollner Georg - Страница 26
1862: Symptome einer unzuverlässigen „Gesundheit“
ОглавлениеOtto von Bismarck wurde preußischer Ministerpräsident und Außenminister. Der deutsche Schriftsteller Theodor Fontane, 1819-1898 veröffentlichte seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. In Frankreich wurde die Geschwindigkeit des Lichts gemessen. Der schließlich in einem Duell umgekommene deutsche Ferdinand Lassalle, 1825-1864, Schriftsteller, sozialistischer Politiker im Deutschen Bund und einer der Wortführer der frühen deutschen Arbeiterbewegung hielt seine Rede „Vom Wesen der Verfassung“. Er war Hauptinitiator und Präsident der ersten sozialdemokratischen Parteiorganisation im deutschen Sprachraum. Der französische Architekt Charles Garnier baute das große Opernhaus in Paris. Adam Opel schuf in Deutschland eine Nähmaschinenfabrik und in Leipzig wurde der erste „Fortbildungsverein für Buchdrucker“ gegründet. Der deutsche Botaniker Julius Sachs, 1832-1897 beschrieb in seiner Arbeit „Über das Vergeilen der Pflanzen“, die Photosynthese, d.h. die Erzeugung von energiereichen Stoffen aus energieärmeren Stoffen mit Hilfe von Lichtenergie.
Nach den heiß geliebten Weihnachtsferien 1861 brachte das neue Jahr, kaum dass es angebrochen war, einen fünftägigen Aufenthalt auf der Krankelei. - Als Begründung dafür ist im Pfortaer Krankenbuch vom 7., einem Dienstag, bis 11. Januar 1862, einem Sonnabend, statt dem sonst üblichen „Rheumatischen Kopfschmerz“ erstmalig etwas ganz Neues, zuvor nicht so Beschriebenes eingetragen. Nämlich: „Congestionen [d. h. Blutandrang] nach dem Kopf“, - vorzustellen und nachzuempfinden wohl als ein schmerzhaftes Druckgefühl im Kopfe, aber wohl kaum unterschieden von dem, was N früher unter der vergleichsweise wenig aussagefähigen Bezeichnung „rheumatischer Kopfschmerz“ geplagt hatte. Der in Schul-Pforta zuständige Arzt für die bei 180 Schülern ständig anfallenden, teils sogar tödlich verlaufenden Krankheitsfälle, dürfte froh gewesen sein, als Ursache für die immer wiederkehrende und ungeklärte Plage von Ns migräneartigen Kopfschmerzen aufgrund der Angaben des Patienten, wie sich sein Leiden äußere, eine über das vage „Rheumatische“ hinausgehende, überzeugender klingende „Diagnose“ - die ja in Wirklichkeit keine war! - notieren zu können und übersetzte den mit Sicherheit von N nun angegebenen „Blutandrang nach dem Kopf“ in das medizinische Fachvokabular „Congestionen nach dem Kopf“!
Brieflich und seitens des offiziellen Kommentars gibt es dazu nichts Erhellendes. Allerdings besteht für diese Eintragung eine unmittelbare Beziehung zu etwas, das N bei Emerson gelesen hatte, - allerdings erst auf Seite 405, bis zu der es ein Weilchen gedauert hatte, bis N diese erreichte. Da las N, im vor-vor-letzten Essay von Emersons Sammlung, über die „Natur“ und eingebettet in den dort bestehenden breiteren Zusammenhang:
….. dieses Zurückfahren vor etwas Kaltem, dieses Aufschrecken bei dem Anblick einer Schlange oder bei einem plötzlichen Geräusch, beschützt uns, wenn auch oft unsere Unruhe grundlos ist, dennoch endlich einmal vor wirklicher Gefahr. [Das Nachfolgende wurde von N links einmal und rechts zweimal angestrichen:] Der Liebende hofft in der Ehe sein stilles Glück zu finden und sich zu vervollkommnen ohne voraussichtliches Ende und die Natur verbirgt hinter seinem Glück ihren eigenen Zweck, nämlich Nachkommenschaft oder die Fortdauer der Rasse [woraus bei N, an entscheidender Stelle - nämlich im recht wichtig werden sollenden 1. Aphorismus seiner 1882 veröffentlichten „Fröhlichen Wissenschaft“! - die „Gattung“ werden sollte! - Danach folgt, nur noch links angestrichen:]
Keiner ist [wie N es von sich zu vermuten hatte!] ganz bei gesundem [normalen, jedem zustehenden, gewöhnlichen!] Verstande; Jeder [der etwas Besonderes darstellt?] hat eine Ader der Torheit in sich, [das konnte N gut und gern und problemlos auf sich beziehen! - und dann kam, ab da auch wieder rechts sehr dick angestrichen und von Emerson her wie zufällig:] einen schwachen Blutandrang nach dem Kopfe hin, [das übernahm N bei nächster Gelegenheit auf der „Krankelei“ als Begründung und Bezeichnung für die Zustände, die in sein Leben gehörten wie die beglückenden Momente des Allzusammenklangs, welche Emerson N als Ausnahmesituationen besonderer Erkenntnisfähigkeit erklärt und schmackhaft gemacht hatte!] damit er sicher aufs eifrigste an irgend einem Punkt festhält, welcher der Natur am Herzen lag [und wo die seitlichen Markierungen endeten!]. Große Ursachen werden nie so erforscht, wie sie es wert sind; sondern die Sache wird auf Einzelheiten zurückgeführt, um für die Beschaffenheit der Parteigänger zu passen und der Streit ist immer am heißesten bei geringfügigen Angelegenheiten …..
Für den Dichter, für den Propheten [und für etwas in diese Richtung hin hatte N sich schon damals - in seinem Schönburger „Herrscheramt“ vollauf erfüllt - gehalten! - so] hat das, was er ausspricht, einen [nach seinem immer schon als für ihn gültig gefühlten Zweierleimaß!] viel größeren Wert, wie für irgendeinen der Hörer und darum wird es gesprochen. Der kräftige selbstgefällige Luther [Bruder Martin, der deutsche kirchliche Reformator, 1481-1546] behauptete ausdrücklich, was aber nicht falsch verstanden werden darf, dass „Gott selbst nicht ohne weise Menschen bestehen kann“ ….. Jeder Prophet sucht sich unmittelbar mit seinem Gedanken zu identifizieren und hält seinen Hut und seine Schuhe für geweiht.
Wenn dies nun auch solche Leute bei den Klugen in Misskredit setzt, so hilft es ihnen beim Volke, weil es ihren Worten Feuer, Schärfe und Offenkundigkeit verleiht. Eine ähnliche Erfahrung wird häufig im Privatleben gemacht. Jeder der Jung und feurig ist, schreibt ein Tagebuch [oder auch nur ein Buch für Notizen, wie N!], in welches er seine Seele niederlegt, sobald die Stunden des Gebets und der Reue kommen. Die so entstandenen Seiten sind für ihn ein heller Strahl und Wohlgeruch: er liest sie auf seinen Knien um Mitternacht und beim Scheine des Morgensterns: er netzt sie mit seinen Tränen: sie sind ihm heilig: zu gut für diese Welt und kaum dem liebsten Freunde mag er sie zeigen. EE.404f
Genau dieser „Vorlage“ nach ist N mit seinem Emerson-Geheimnis verfahren, - denn auch er war überzeugt davon, allein das Richtige zu wissen und im Recht zu sein, mit seinen Überzeugungen und seinem Sein! - Im Gesamt der Richtigkeit dessen, was von Emerson hier, über N und für ihn zur Sprache gebracht worden war, galt der „schwache Blutandrang nach dem Kopfe hin“ nur als ein kleiner aber nicht unwichtiger Wahrheitsgehalt, über den N von Emerson aufgeklärt worden war! - und so war dieser leichter zu ertragen, als der ungeklärte, über den N knapp 11 Monate zuvor an seine Mutter geschrieben hatte, er „habe es nun wahrhaftig satt mit diesen Kopfschmerzen“ 16.2.61
In der Beschreibung eines „Blutandrangs nach dem Kopfe hin“ hatte der Kopfschmerz einen veredelnden und in einen größeren Zusammenhang gestellten „Namen“ gefunden und wurde von N, der das Ganze verinnerlicht hatte, auf der „Krankelei“ bei zunächst sich ergebender Gelegenheit für das, was ihn plagte mit genau diesen Worten angegeben. Daraus entstand, im ärztlichen Sprachgebrauch für Blutandrang das Wort Congestionen gesetzt, der Eintrag „Congestionen nach dem Kopf“. So ist die Neubeurteilung von Ns unverändertem Leid zu „erklären“, d.h. so ergab sie sich, einfach nur als ein neuer, in die N nun umfassenden Emerson-Wahrheiten eingewobener Fakt! In Wirklichkeit hatte sich nichts geändert, außer, dass der zuvor von N nicht näher bezeichnete Kopfschmerz als unerklärt und eigentlich undefiniert „rheumatisch“ bezeichnet, nun ein fachsprachlich akzeptierter Blutandrang geworden war. - Das zeitliche Zusammentreffen von Emersons für N in jeder Hinsicht überwältigend wirkender Lektüre und die fortan benutze Beschreibung für sein Leiden kann mit Sicherheit als nicht zufällig bezeichnet werden.
Im Laufe des Januar beschäftigte sich N mit Napoleon III., dem französischen Präsidenten von 1842 bis 1852, der sich dann sehr eigenmächtig zum zweiten - und letzten - französischen Kaiser machte, - bis 1870, in der Niederlage Frankreichs im Französisch-Deutschen Krieg 1870/71, an dem N als Sanitäter einen winzig kleinen heroischen Anteil nehmen sollte und machte sich Auszüge und Gedanken aus einem Werk über diesen.
Vielleicht sollte es ein Vortrag für die „Germania“ werden und war von N aus wohl einer gewissen, eher als „persönlich“ zu bezeichnenden Bewunderung von dessen „Willen zur Macht“, sich aus einer eher obskuren politischen Position heraus mittels verschiedenartiger Putsche zum „Kaiser der Franzosen“, also ins superlativistisch einzige und oberste, auf der elitären Stufenleiter durch nichts zu überbietende „Herrscheramt“ über ein Volk aufgeschwungen zu haben. N schrieb dies als ein Manifest seiner von Emerson ihm bestätigten Grundüberzeugung: Im gleichen Zusammenhang und auf gleiche Weise wie alles, was ihn - ziemlich blind seinem Wesen folgend! - inhaltlich in seine eigene „denkerische“ Zukunft wies: Was er hier, unter dem Titel „Napoleon III. als Präsident“ - an vielen hier nicht weiter interessierenden Einzelheiten zur Person von Charles-Louis-Napoléon Bonaparte - zusammentrug, wirkt aus der Kenntnis seiner später entstandenen Schriften - rückblickend auf diese Anfänge! - geradezu typisch: Die dort gelegten Vorurteile und Ansichten wurden später immer wieder, beharrlich und unbelehrbar wiederholt, - als von Anfang an immer das Gleiche. Er gesteht da - und selbstverständlich schwingt besonders im bedenkenlos angewandten Zweierlei Maß viel Emerson mit! - gleich im ersten Satz, worum es ihm bei der ganzen Übung wohl hauptsächlich gegangen ist:
Dass das Genie von andern und höhern Gesetzen abhängig ist, als der gewöhnliche Mensch, von Gesetzen, die oft den allgemeinen Grundsätzen von Moral und Recht zu widersprechen scheinen, im Grundsatz aber doch dieselben sind, wenn auch unter den weitesten Gesichtspunkten aufgefasst, das ist eine Erscheinung, die das [besonders hervorzuhebende und hervorgehobene] Endglied einer Kette bildet. BAW2.23
Nach diesem ersten Satz - mit einer recht atemlos dahingaloppierenden Aneinanderreihung von Nonsens letzten Endes! - ist bereits einzuhaken, um das von dem gut Siebzehnjährigen ganz offensichtlich ohne tieferes Nachdenken so selbstsicher Vorgebrachte zu gliedern, - um zu klären, was es mit dem Wust an zweimal vorausgesetzten „Gesetzmäßigkeiten“ und zweimalig unterstellten „Grundsätzlichkeiten“ auf sich hatte. Derlei unbewiesene Unterstellungen waren einfach nur aufgestellte Behauptungen. In dem unübersichtlich gehaltenen Satzgefüge bleibt von vornherein unklar, welche „höheren“, das heißt ja als allgemeingültig zu erachtenden „Grundsätze“ N hier heranzog, beziehungsweise als absolut „selbstverständlich“ annahm, um den ersten Anlauf zu seiner „Genie-Theorie“ auf vermeintlich feste, logisch nachvollziehbare Grundlagen zu stellen:
Was ist diesem dogmatisch und belehrend gemeinten Satz zu entnehmen? Zuerst haftet im Bewusstsein die letzte Feststellung, dass „das Genie das Endglied einer Kette bildet“, wobei als sicher gelten darf, dass N mit diesem Ergebnis einer Entwicklung nicht Louis Bonaparte persönlich im Auge hatte, sondern dieser nur Vorwand war, um sich über die von ihm angenommenen und auch für ihn selber gelten sollenden „Gesetzmäßigkeiten des Genialen“ auszulassen. Zum Zweiten erstaunt der Satzbeginn: „Dass das Genie von andern und höhern Gesetzen abhängig ist, als der gewöhnliche Mensch“. Schon da erschien das auf Ns „Problem seines Lebens“ hinweisende Gegensatzpaar: Da war das undefinierte „Genie“ nicht mit, sondern von Anfang an gegen „die Anderen“ gesetzt! - Und dass die so früh beschworenen „Gesetze“ für das Genie „höhere“, also wichtigere seien! Es handelt sich eindeutig um die festzustellende „Notwendigkeit“ und „Rechtfertigung“ seines ihm angeborenen Zweierleimaß: Ein höheres für die „höher“ zu achtenden und ein „gewöhnliches“ für die - nach wessen Entscheid? - gering zu achtenden „gewöhnlichen Menschen“, was sich wohl leicht akzeptieren lässt, wenn man sich für versichert hält, dass man sich nicht zu den Letzteren zählen muss, sondern an sich - und „die Anderen“? - den Anspruch stellt, als „genial“ gelten zu können oder dies zumindest doch zu wollen!
Die dritte Feststellung Ns bestand darin, dass diese „Gesetze oft den allgemeinen Grundsätzen von Moral und Recht zu widersprechen scheinen“, dies aber nicht wirklich tun, da für das Genie - oder „die Genies“ überhaupt und ganz allgemein - „unter den weitesten Gesichtspunkten aufgefasst“! - also andere Maßstäbe gelten sollten, was N - ohne tatsächlich bestehende Logik! - damit „begründete“, dass ihre „Erscheinung das Endglied einer [sicherlich evolutionär gemeinten!] Kette bildet“.
Dieses „Endziel“ bringt den selbständig denkenden Leser dem beabsichtigten Inhalt der Aussage näher, - nach Klärung der Frage, von welcher „Kette“ denn das von N hier gemeinte Genie „das Endglied“ bilden soll? - In Ns Vorstellung ist diese „Kette“ - hier noch nicht in aller Form deutlich genug ausgedrückt, ihm dennoch aber schon so im Sinne liegend - die „Menschheitsentwicklung“ insgesamt! - also im nächstgrößeren Zusammenhang die Evolution schlechthin mit Ziel zum Übermenschen! Damit hatte er sich in seiner angeborenen und hier wieder aufscheinenden Maßlosigkeit von Anfang an des größtmöglich denkbaren Problems auf diesem Planeten angenommen: Grad so, als ob diese aufgegriffene „Menschheitsentwicklung“ ein - ihm auch noch (oder schon?) bekanntes! - „Ziel“ nötig hätte oder überhaupt haben könnte: und all das bloß, damit „das Ganze“ in die Vorstellung und das „Gehirn“ eines Menschen wie N passen konnte?
Im Kern handelt es sich bei dieser Aussage Ns um das, was er sein Leben lang - dabei stets ohne genaueres Nachdenken über weitergehende Zusammenhänge, besonders ohne tieferen Bezug auf die ihn umgebende Wirklichkeit - geäußert hat: In knapp zwanzig Jahren wird genau dies, auf so gut wie unveränderte Weise, den Inhalt seiner „Zarathustra“-Dichtung durchtränken: Es ist der dann nicht mehr zu unterdrückende Aufruf zur „Erhöhung des Typus »Mensch«“ JGB.257, der Hauptforderung Zarathustras von den ersten Zeilen an, - jedoch von N erst in der Mitte der 80-er Jahre in seinem „Jenseits von Gut und Böse“ auf diese Kurzformel getrimmt.
In seinen jugendlich leichtsinnigen Zeilen über „Napoleon III“ - um den es N in Wirklichkeit gar nicht ging, denn jener war nur Kristallisationspunkt für einen N viel wichtigeren und von jenem völlig unabhängigen Gedankenfluss - fährt N fort:
In gleicher Weise nämlich, wie das Genie den Gipfelpunkt natürlicher und geistiger Harmonie bildet, von wo aus die Begabung des Menschen bis zu der beinahe tierischen Rohheit wilder Völker herabsinkt, in gleicher Weise ist dieser scheinbare Widerspruch der Geniegrundsätze mit den allgemeinen nur der äußerste Punkt einer allmählichen Erweiterung, parallel fortlaufend mit den Fortschritten der geistigen Entwicklung des Menschen. BAW2.23 [Später wird dies unter dem Schlagwort „Rangordnung“ immer wiederkehren!]
Die Hauptaussage war, nach der zuvor eher „geschichtlichen“ Betrachtungsweise des Genies als „Endglied einer Kette“ - hier nun in qualitativer Betrachtungsweise, dass „das Genie den Gipfelpunkt natürlicher und geistiger Harmonie bildet“. N war halt dieser Ansicht. Damit wurde ihm das Genie zum einzigen, gottgleich superlativen Zentral- und Zielbegriff für alles Erstrebenswerte, ja, zum superlativen „Wert an sich“! Er meinte, dass es sich bei dieser Höher-Entwicklung um „Geniegrundsätze“ handle, grad so, als ob das, wie die Kreiszahl Pi - als Verhältnis des Kreisumfanges zu seinem Kreisdurchmesser - eine feststehende Größe im Universum wäre. Auch das wird später als Übermensch zum Dreh- und Angelpunkt spätestens des „Zarathustra“.
In seinem frühesten, gleichsam Anfänger-Text für seine Meinungen zu den von ihm für nötig gehaltenen Genie-Gesetzmäßigkeiten fuhr N fort:
Diese ganze Wahrnehmung beruht wieder auf einem allgemeinen Grundsatz: dass nämlich alles, was dem Menschen entgegentritt, nur unter dem Gesichtspunkt seiner geistigen Begabung aufgefasst werden kann [was N wieder von Emerson vorgegeben war. Er hatte es im „Essay“ mit dem Titel „Geistige Gesetze“ - und daher wohl auch sein so vielfaches Pochen auf „Gesetzmäßigkeiten“ - gelesen:]
Der Mensch ist eine Methode, ein progressives Arrangement; ein auswählendes Prinzip, indem er überall wohin seine Schritte ihn tragen, das ihm Gleiche sich zueignet. Er nimmt nur sein Eignes aus dem Mannigfaltigen, was um ihn her sich dreht und wendet. EE.107 [Zusätzlich wurde diese Stelle von N seitlich mehrfach angestrichen. Dazu passt, was Emerson zwei Seiten weiter schrieb:]
Kein Mensch kann etwas lernen, wozu keine Anlagen in ihm vorhanden sind, wenngleich der Gegenstand seinen Augen nahe genug ist. EE.109
Und ebenso, - aus dem Essay „Verstand“:
Aber so wie er sich rückhaltlos [gleich maßlos?] dem hingibt, was ihn anzieht, weil das sein Eigentum ist, so muss er damit auch dem entsagen, was ihn nicht anzieht, was für Ruhm und Autorität auch damit verknüpft sei, weil es nicht sein Eigentum ist. Zum Verstande gehört ein vollkommenes Selbstvertrauen [doch was ist das, was macht es aus? Ist es begründet, oder beruhte es auf lediglich auf einem hohlen Dünkel?]. Eine Seele ist das Gegengewicht für alle Seelen, wie eine haarförmige Wassersäule für die See ist. EE.253 [im Sinn von kommunizierenden Röhren, was als „Gleichnis“ hier aufgrund von Ns Logik-Schwäche hinsichtlich der Realität vollkommen fehlgegriffen war!]
Die Unterstreichungen stammen von N; zusätzlich wurde diese Stelle von N seitlich mit zwei Strichen markiert. Solche Sätze konnte N sicherlich für die Rechtfertigung seines Einmaligkeitsanspruches gut gebrauchen und so fährt sein „napoleonisch“ maskierter Text - er wird sich in späteren Jahren ausgiebig für die Einmaligkeitsmerkmale des ersten Napoleon interessieren - fort:
So ist alles für den Menschen eigentlich nur Schein; etwas natürlich muss Wahrheit sein; die Erkenntnis dessen ist für uns [für den dies dank Emerson erkannt habenden N und „seinesgleichen“!] nur Wahrscheinlichkeit. - [Danach ging er zu den „Realitäten“ über, an denen er seine Überlegungen aufzuhängen gedachte. Es heißt da:] Auf jener zuerst ausgesprochenen Wahrnehmung wurzelt auch die Rechtfertigung jenes Satzes, dass das An-sich-reißen einer Staatsregierung [wie Louis Napoléon Bonaparte das tat], die bisher [aber nach wessen Urteil und Interessen?] in unwürdigen Händen war, unter der Bürgschaft eines Herrschergenies und mit dem Zwecke des Volksglückes, untadelhaft sei ….. BAW.23
Was weiter folgt muss hier nicht unbedingt interessieren, denn N hat die festgestellte „Unwürdigkeit“ gegenüber der hoch idealisierten „Bürgschaft eines Herrschergenies zum Zwecke des Volksglücks“ als „absolut“ gesehen und nicht realisiert, wie sehr sich dies doch nur relativ aus der einen zu der anderen „Staatsregierung“ aus dem Urteil der Beherrschten ergeben kann. N hat hier - über alle Zweifel in diesen Dingen erhaben! - „das Genie“ als gegebene superlative Größe gegen den relativ „gewöhnlichen Menschen“ gestellt. Das so gewonnen geglaubte „Recht zu einem Zweierlei-Maß“ durchzieht sein gesamtes Denken, ohne je den Zusammenhängen zwischen dem „gewöhnlichen Menschen“ und dem N so wertvoll erscheinenden „Genie“ nachzugehen, - ohne je einen auch nur geringsten Animus dafür zu entwickeln, dass das so oft und in der „Erhöhung des Typus Mensch“ ja auf „Ewig hin“ zum Ziel allen Strebens und aller „Kultur“ erwählte „Genie“ neben dem gewöhnlichen Menschen keine Existenz nur „an sich“ oder „aus sich heraus“ besitzt, sondern - zu einem nicht zu vernachlässigenden Teil! - aus oder auch in „der Meinung der Anderen“ sein Ansehen und seinen Wert „als Genie“ erlebt, das heißt, dass es als Genie a) nur relativ! - im Unterschied zum „gewöhnlichen Menschen“ wahrgenommen wird und werden kann und sich damit, b) im Wesentlichen im Auge eines Betrachters und damit abhängig von dessen mehr oder weniger „genialen“ Wertungen „abspielt“, denn sich selbst gegenüber ist das „Genie“ weitgehend ein „gewöhnlicher Mensch“. Die Berücksichtigung dieser Zusammenhänge fehlt in Ns Wertungen und damit auch im Wert seiner Stellungnahmen zu diesem Problem. Er war immer Betrachter und betrachtete drauflos. Von ihm wurde alles aus seiner selbstmittelpunktlichen Perspektive gesehen, ohne Distanz, - ohne Sinn dafür, dass es sich bei seinen „Gesetzmäßigkeiten“ um nicht mehr als nur um seine Perspektive handelte!
Die Subjektivität aller Wahrnehmung ist an dieser Stelle nicht Ns Erfindung, sondern spätestens seit der Aufklärung „Gemeingut“ und eine Einsicht, der man sich „als einem Naturgesetzt“ zu fügen hat. N aber wollte die eigentlich längst trivial gewordene Tatsache als ein „Argument“ für sein „Genie-Gesetz“ verwenden. Deshalb wurde es von ihm erwähnt: Mit diesem „Argument“ relativierte N die „Wahrheit“ als „Schein“ zur Wahrscheinlichkeit. An sich raffiniert gemacht. Er zeigte da durchaus schon sein später virtuos gehandhabtes Können. Nur fehlte in dem scheinbar so schlüssig vorgelegten Gedankengang etwas, das der von N auf diese Gedankenbahn Geführte und auch leicht Verführte schnell übersehen kann: Nämlich dass prinzipiell eine Unmasse von „Umgang mit Informationen“ zu jeder Art Lebensbewältigung gehört: bewusst, unbewusst und in einem Umfang sogar, von dem der „normale Mensch“- und selbstverständlich auch N zu seiner Zeit - nicht die geringste Vorstellung und auch nicht die geringste Ahnung zu besitzen pflegte.
Für den 4. bis zum 13. Februar 1861 wurde im Pfortaer Krankenbuch abermals ein Aufenthalt auf der Krankenstation vermerkt, - dieses Mal nur wegen „Kopfschmerz“. Das waren 10 Tage Kopfschmerzen und in den Briefen fiel darüber kein Wort! Vermutlich am 14. Februar, einem Freitag, schrieb N an die Mutter:
Ich bin gestern wieder aufgestanden (Donnerstag) mir geht es heute bedeutend besser, vielleicht gehe ich Sonnabend oder Sonntag herüber [in den normalen Schulbetrieb und nach Almrich, um sich mit den Familienangehörigen zu treffen]. Ich konnte euch neulich durchaus nicht schreiben, da ich erstens durch das Bettliegen, dann durch eine spanische Fliegen [die Behandlung mit einem Reiz-Pflaster auf Cantharidinbasis] und endlich durch Mangel an Zeit, Briefmaterial und Boten verhindert wurde. Ich danke euch recht schön für die Äpfel ….. Ich kann aber nicht mehr schreiben, ich bin doch noch recht matt und es ist meinem Kopf angreifend. Baldige Gesundheit! Dein Fritz. (294)
Wenige Tage darauf, in der zweiten Februarhälfte 1862, schrieb N wieder nach Hause:
Liebe Mamma! Das hat mich schrecklich geärgert, dass ich Sonntag nicht nach Almrich gehen konnte. Ich bin fast ganz gesund wieder, gehe täglich etwas spazieren - Sonntag glaubte ich herüber zu können und da ich euch da zu sehen hoffte, hatte ich nicht geschrieben, um euch nicht Angst zu machen. Besonders hätte ich den Onkel Theobald so sehr gern gesehen - es ist zu schade! ….. Unsere Stücke [für eine Schüleraufführung in Pforta; - endlich fand N einmal ein ihn interessierendes Thema, über das er - über seine Person hinausgelangend! - berichten konnte, was in seinen Briefen selten vorkam, denn es ging zumeist nur ganz unmittelbar um ihn selber. Hier aber sprach er von sich in einem Zusammenhang mit Ereignissen um ihn her! Es ging um die Auswahl von aufzuführenden Stücken, die] haben wir endlich bestimmt. Es wird schon fleißig geprobt. Es sind also der Nachtwächter von Körner [Carl Theodor Körner, 1791-1813, ein vielseitig begabter, früh erfolgreicher deutscher Dichter, Dramatiker und Freiheitskämpfer gegen die napoleonische Fremdherrschaft in Deutschland], der achtzehnjährige Oberst, worin ich die Liebhaberrolle, einen Lieutenant Henry de Blancai spiele und endlich „Jeder fege vor seiner Tür!“ von Schneider [zu diesem ist derzeit nichts zu ermitteln]. Hierin spiele ich einen Prokurator [einen Statthalter im antiken Rom], eine Hauptrolle, unter andern trete ich darin betrunken auf. Ich muss nur meine Stimme etwas renovieren [instand setzen] die ein wenig belegt ist durch das viele laute Sprechen [was N ziemlich angestrengt haben muss, denn er sprach zeit seines Lebens immer sehr leise, was psychisch auf ein überzogenes Sich-Zurückhalten, bzw. - trotz seines „Ehrgeizes bis zum Defekt!“ NR.320 - auf ein „sich nicht aus sich Heraustrauen“ verweist].
Ihr könntet mir wirklich für diese Zeit, wo fortwährend Proben sind, Brunstbonbons oder sonst etwas schicken; denn die Stimme ist durch das viele laute Sprechen angegriffen. Ich denke die Stücke werden euch recht gefallen, sie sind ziemlich effektvoll [und N liebte Effekte!]. Der Nachtwächter geht schon ganz gut; jetzt proben wir den 18-jähr. Oberst. Denkt nur, in 8 Wochen ist nun schon Ostern, ist das nicht famos? [Die nächste Parallelweltphase grüßte von weitem: N sollte sich Ostern in den Emerson-Schwelgereien seiner Jugendaufsätze ergehen!]. Wie steht es denn mit eurer Dresdenreise [auf der die Schwester Elisabeth für eine Weile „in Pension“ gegeben werden sollte, um zu lernen, wie man sich in feinen Kreisen bewegt]. Auf welche Zeit ist die verlegt? Soll ich nicht mitreisen, wofern es nämlich Ostern wäre? Hundstage [Sommerferien, bezeichnet nach dem Sternbild, in dem zu der Zeit die Sonne steht] also [so scheint es abgemacht] zum Onkel Edmund nach Gorenzen [statt wie früher zu den Großeltern nach Pobles] ….. Du kannst mir ja auch über allerlei Gedanken und Pläne schreiben, das ist ja das Interessanteste für Deinen Fritz. Recht schöne Grüße an Lisbeth! Ist der Nussball immer hoch Hauptinteresse? (295)
Ende Februar 1862 schrieb N wieder an die Mutter:
Liebe Mamma! [Um die letzte Weihnachtszeit herum ist N übrigens stillvergnügt zu der alten, vor der glaubensbedingten Auseinandersetzung gültig gewesenen Anrede der Mutter zurückgekehrt!] So hast du nun die liebe Lisbeth auf lange Zeit fortgebracht, die sich gewiss recht zurücksehnen wird und sich wenig heimisch in dem großen Dresden wissen wird. Du selbst hast dort gewiss einige schöne Tage, besonders in Rückerinnerung an vergangne Zeiten erlebt; denn durch die Zeit wird alles teuer, was uns einmal in Freude und Erstaunen versetzt hat. Und schwer wirst du von Dresden und Lisbeth geschieden sein - das weiß ich recht wohl.
Wie es nun mit ihren Verhältnissen steht, davon weiß ich gar nichts; schreib mir recht lang und ausführlich, wie wir uns überhaupt etwas ausführlicher schreiben können, da du weniger Zeit zur Wirtschaftsbesorgung verwenden brauchst. Wenn sie nur in eine recht vornehme Pension untergebracht ist! Mir will Dresden nicht recht gefallen, es ist nicht großartig genug und in seinen Eigenheiten, auch in Sprache den thüringischen Elementen zu nahe verwandt. Wäre sie z.B. nach Hannover gekommen, so hätte sie völlig verschiedene Sitten, Eigentümlichkeiten, Sprache kennengelernt; Es ist immer gut, wenn der Mensch, um nicht einseitig zu werden, in verschiedenen Regionen erzogen wird [denn das hatte N gerade in der Weltstadt Nürnberg in Sachen Emerson gelernt!]. Sonst als Kunststadt, kleine Residenz, überhaupt zur Ausbildung von Elisabeths Geist wird Dresden völlig genügen und ich beneide sie gewissermaßen. Doch glaube ich in meinem Leben noch viel dergleichen genießen zu können.
Im Allgemeinen bin ich begierig zu hören, wie sich Elisabeth in ihren neuen Verhältnissen macht. Ein Risiko ist so eine Pension immer. Aber ich habe viel gutes Zutrauen zu Elisabeth. - Wenn sie nur noch hübscher schreiben lernte! Auch wenn sie erzählt, muss sie diese vielen „Ach“ und „O’s“, „Du kannst gar nicht glauben, wie herrlich, wie wundervoll, wie bezaubernd usw. das war“, das muss sie weglassen. Und so vieles, was sie hoffentlich in feiner Gesellschaft und bei größerem Aufpassen auf sich selbst vergessen wird. -
Nun, liebe Mamma, Montag kommst du doch heraus? 4 - 7 ist die Aufführung …. Einen großen Gefallen tätest du mir, wenn du mir etwa ½Mandel [das sind 8 Stück] Eier und Zucker [ohne Mengenangabe] heraussendetest, da zu unsern Proben, täglich zwei mal und am Haupttage drei mal eine solche Stimmenreinigung unumgänglich nötig ist. Lebe recht schön wohl, liebe Mamma! Dein Fritz. Zum Lesen, wofür Du viel Zeit nun haben wirst, schlage ich dir Auerbachs „Barfüßele“ vor [eine 1856 erschienene „Dorfgeschichte“, ein sogar international außerordentlich erfolgreicher „Entwicklungsroman“ über ein Waisenmädchen, das sich zu einer selbstbewussten und eigenständigen Persönlichkeit entwickelt; von Berthold Auerbach, 1812-1882], was mich hoch entzückt hat. - (296)
Dieser Brief mit einem „Thema“, das nicht nur aus ihm selbst bestand, war bei N ein höchst seltener Fall. Sonst ging es immer ganz unmittelbar nur um ihn. Hier kümmerte er sich um jemanden anderes als sich selbst. Damit ähnelt dieser Brief denen anderer Leute, den Briefen derer, die etwas aus der Welt zu berichten haben und sich nicht ausschließlich um die Achse des Schreibenden drehen.
In kurzem Abstand folgte ein weiterer, wieder im gewohnten Fahrwasser sich bewegender Brief an die Mutter, von Ende Februar 1862:
Liebe Mamma! Meinen herzlichen Dank für Deinen schönen Brief und seine guten Nachrichten: ich freue mich sehr, dass Lisbeth so gut aufgehoben ist, überhaupt, dass die Reise und der Zweck der Reise so glücklich erreicht ist. - Heute nur die Bitte, mir die Kiste schleunigst wieder zu senden und zwar mit dem Bettüberzug, dann den größten weißen Strümpfen, die du hast (für unser Spiel), der weißen Weste und weißen Beinkleidern. Kannst du mir dann nicht, da ich nicht weiß, wie du Eier hierher transportieren könntest, eine gute Masse Zucker hersenden, auch mit zur Bowle, die wir uns hinter der Bühne machen. Ach vor allem nun Geld! Das ist die Hauptsache und an einem Fastnachtstage wie dieser für uns ist, muss man etwas draufgehen lassen. Das lege ich dir nun recht ans Herz, liebe Mamma; überhaupt auch, wenn Du mir sonst noch Zutaten zur Bowle senden könntest! Ich freue mich sehr auf diesen Tag. Ein drittes Stück ist leider nicht bewilligt worden zur Aufführung und so habe ich denn bloß diese kleine Liebhaberrolle. Es ist auch so gut; du wirst dich schon amüsieren. Den ganzen Montag bis um 4 Uhr (wo es pünktlich angeht) immer Proben, das wird noch anstrengen. Wann und wo ich dich nun Montag sehen werde, weiß ich nicht; indessen hoffe ich dich nachher noch zu sehen, da wir wohl zeitig zu Ende sein werden. Für den Onkel hoffe ich noch ein Billet zu bekommen. Nun lebe recht wohl und denke an mich, der ich sehr auf deine reichlich spendende Hand hoffe Dein Fritz. (297)
Kurz nach dem 4. März, also wieder wenige Tage später nur, schrieb N der Mutter:
Liebe Mamma! Vor allem, liebe Mamma, nochmals meinen herzlichsten Dank für deine Fastnachtsgaben. Wie hübsch war nicht jene Stunde, wo wir uns gesprochen haben. Auch der zweite Tag war sehr nett, Du hättest dich halb tot gelacht. Im Allgemeinen sollen doch die Obersekundaner [Ns Jahrgang] besser gespielt haben [als vergleichsweise wer?]. Nun muss ich dir aber doch ein Verzeichnis derjenigen Kleidungsstücke entwerfen, deren Restauration oder Anschaffung sehr nötig. Du empfängst heute das andere Paar Stiefeln, ebenfalls sehr zerrissen ….. [und so fort. Die üblichen Versorgungsprobleme bis zum Briefende:] Lebe recht wohl und denke oft an Deinen Fritz. (298)
Das waren Ns bühnenrückseitigen Theater-Erfahrungen bei denen er direkt mal aus sich heraustrat und Begeisterung für etwas Allgemeines zeigte und sich für ein gemeinsames Gelingen einsetzte. Bis zu Ostern am 20. April und zu den dann anstehenden Ferien sind von ihm keine weiteren Briefe erhalten. Es gibt nur einen - bezeichnenden! - Brief der Schwester aus Dresden, in dem sie von sich erzählt, in ihrer weiblichen Koketterie Ns allzu ernst genommenem Geltungsbewusstsein und Bedürfnis auf natürliche Art und Weise dabei sehr nahe. Sie schrieb am 1. März 1862, gerade erst wenige Tage in Dresden eingewöhnt:
Mein lieber herzensguter Fritz! Wie geht es Dir denn als einstmaliger Liebhaber in Deinen Klostermauern? Gewiss wunderschön, wobei der Geschmack von einem Mandel Eier [das waren 16 Stück!] eine sehr süße, nicht zu verachtende Erinnerung gewährt. Nicht wahr? Es hat mir schrecklich leid getan, dass ich Dich nicht habe sehen können, wie Du Deine liebliche Ernestine mit solch riesiger Grazie umarmt hast. Schon lange wünschte ich Dir zu schreiben, aber glaube nur ich habe so viel zu tun, dass ich immer gar nicht weiß, wo anfangen und wo enden. Sonst aber geht es mir, wie Du schon wissen wirst, sehr gut und ich bewege mich ganz nach Deinem Wunsche nur in der haute volée [in der feinen Gesellschaft]. Auch sage und schreibe ich in Folge dessen nicht mehr Ach! und Oh! sondern mache lieber ein Changement des pieds [was sie gerade gelernt hatte: beim Tanzen mit einem Sprung die Position der Füße zu ändern], natürlich beim Schreiben nicht. Ich bin auch so ziemlich ohne sehr arges Heimweh über die erste Zeit hinweggekommen und wenn es mir einmal zu wehmütig wurde, dachte ich gleich daran, wie hübsch es wird, wenn ich wieder heimkehre.
Dann kann ich nun auch Deine hübschen Sachen hoffentlich [auf dem Klavier] spielen, vorzüglich das vierhändige, denn ich bin jetzt sehr fleißig. Dann kann ich nun auch Lancier [eine Art Quadrille, ein Tanz mit 4 Paaren] und Francaise [ein ländlicher Kontertanz, Country-Dance, mit 2 Paaren einander gegenüber] magnifique [herrlich, prachtvoll, großartig] tanzen und werde mich nächst Michaeli zu eurem Pfortenball hoffentlich sehr schön amüsieren. Denke Dir, dass ich mit einer Comtesse Roß Tanzstunden habe; und dieselbe gegen Dein kleines Schwesterchen sehr, sehr freundlich ist. Hast Du Dir das jemals denken können, dass ich mit solchen hohen Herrschaften ganz gut verkehren kann? Es kommt mir selbst ordentlich drollig vor. Wenn ich nun zurückkehre, so wirst Du Dein Wunder sehen, wenn der eckige Backfisch eine Gesellschaftsdame geworden ist. Fritzchen, im Vertrauen gesagt, ich werde nicht viel anders sein. Ich muss jetzt immer an das Gedicht denken: Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt! Man sieht und hört doch immer etwas Neues mein Brüderchen, z.B. Ich bin vorgestern nach Pillnitz auf dem Dampfschiff [von Dresden aus elbaufwärts] gefahren. Es war daselbst wunderhübsch. Das Schloss ist in chinesischer Bauart, mit lauter kleinen Türmchen, mit sehr merkwürdigen grünen Dächern und meistenteils gelb angestrichen. Es wäre nicht mein Geschmack. Auch der Park gefällt mir nicht, er ist ganz französisch angelegt und diese steifen langen schnurgeraden Alleen sind gar nicht hübsch. Inwendig soll es sehr einfach sein. Dann waren wir auf der Ruine und dem Borsberg [ein Ausflugsziel der Dresdner] und ich habe die Bastei [eine bizarre Felsformation im Elbsandsteingebirge in der Sächsischen Schweiz auf dem rechten Ufer der Elbe] und Lilienstein [einer der markantesten Berge in der Sächsischen Schweiz] schon sehr genau sehen können. In mehreren Konzerten war ich auch. Bis jetzt gefällt mir der Wittingsche Musikchor am besten. Nun aber lebe wohl, gutes Brüderchen. Wenn Du Professor Keils siehst, so empfiehl mich Allen recht herzlich. Nun adieu denke manchmal an Deine Dich zärtlich liebende Schwester Elisabeth Kämst Du doch Ostern oder Pfingsten es wäre doch himmlisch, herrlich, wunderschön!
Das nächste auffällige Ereignis in Ns Leben ist die Produktion seiner beiden grundlegenden und ebenso missverstandenen Jugendaufsätze über „Fatum und Geschichte“ und „Willensfreiheit und Fatum“. Vorher aber brachte er ein Gedicht über „Ermanarichs Tod“ zustande. Zehn Strophen zu je 16 Zeilen, hochdramatisch aufgemacht. Es beginnt mit:
Ein Waldtal, tief in Tannennacht, voll Steingeröll und Felsenpracht. Rings Totenstille, banges Träumen, nur leise wagt der Bach zu schäumen. BAW2.32 [So träumt-schäumt es fort bis Strophe 7:] Und dort! Und dort! So weiß und licht. Weh! Wie es durch das Dunkel bricht! Da flattert ein Schleier - ich kann’s nicht sehen, - So tränenfeucht im Winde wehen. Da flattert ein Schleier blutbetaut. Swanhild, Swanhild, o wie mir graut! BAW2.35 [usw. bis Strophe 9:] Da schlich’s heran zu ihm dem Greis und fiel zu Boden und weinte leis. Der König starrte, gebannt zur Stelle und stöhnte beklemmt: „Trugbild der Hölle! Du gleichst dem Sohn, den ich verlor!“ „Ich bins“, schallt’s laut zu ihm empor, „Ich bin’s, der um Vergebung flehe für alles tausendfache Wehe!“ Da wankt der Greis, sein Auge bricht, er fasst die Hand und hält sie fest und küsst das liebe Angesicht, bis ihn das Leben ganz verlässt. BAW2.36 [Nun ja, Ermanarich starb viele Todesversionen. Doch damit ist es noch nicht zu Ende. Das Gedicht zieht sich noch etliche Zeilen hin bis zu den letzten:] Da ruhten beide, Knab und Greis, umspielt von tausend lichten Funken vom warmen Sonnenglanz umloht. Die Vöglein sangen verstohl’ner Weis vom Baum hernieder wonnetrunken: „Wie süß bist du, o Tod, o Tod!“ BAW2.37
Die wesentlichen N-Biographen, Blunck und Janz, behaupteten, N hätte sich mit dem Kreis der Ermanarich-Sagen - es geht da um diverse Variationen fürchterlich intrigant gesponnener Familienmetzeleien - längere Zeit beschäftigt und wiesen dieser Beschäftigung eine Emerson vollkommen überblendende Rolle zu. Das dürfte den Tatsachen kaum entsprechen, denn die Episode von Ns Interesse am Westgotenkönig Ermanarich - schon vor der Reise nach Nürnberg - hinterließ in Ns „Denken“ längerfristig keinerlei Spuren. Er hat sich auch nicht um die vielen unterschiedlichen Sagenstränge im Vergleich zueinander gekümmert, sondern fixierte sich auf die Version des ehebrecherischen Zwistes um Swanhild mit des Königs Sohn, der darum sterben musste.
Es folgte noch ein ähnlich gedichteter Versuch: Über ein Ereignis aus dem Nibelungenlied, „Siegfrieds Tod“, im „Germania“-Verein vorgetragen. Er klingt auf ziemlich ähnliche Weise: 11 zehnzeilige, wacker gereimte Strophen zum Untergang eines Helden, mit allem Drum und Dran, noch ohne Wagnernähe, denn von dessen Nibelungen-Ring hatte N dazumal noch nichts vernommen. Teilweise klingt es darin wie eine beabsichtigte Wilhelm-Busch-Parodie. Nur die letzte Strophe sei angeführt:
Er [Siegried, den Speer Hagens im Rücken] schwieg; des blassen Todes Macht umhüllte ihn mit düstrer Nacht. Es zuckte seltsam durch die Glieder der finstre Gegner zwang ihn nieder. Sein Antlitz fahl, sein Blick verschwommen. Bald ächzt’ er leis, bald stöhnt er laut. Und als der Tod ans Herz ihm kommen, da brach sein Auge; blutbetaut lag er im Grase still und bleich, auf roten Blumen sanft und weich. BAW2.42
Die unter den Germania-Freunden daran angebrachte Kritik, vom ersten Chronisten Gustav Krug lautete:
„Das Mitglied N lieferte ein Gedicht: „Siegfrieds Tod“ nach den Nibelungen. Nach meinem Gefühl trägt das Ganze mehr den Stempel einer Improvisation [etwas unvorbereitet aus dem Stegreif Dargebotenes] an sich. Der Verfasser scheint es schnell hingeworfen zu haben. Dafür sprechen schon die metrischen Ungenauigkeiten im ersten Vers. Auch der 7te Vers gefällt mir nicht recht, der Vergleich mit einem Rosse, das „im höchsten Groll einhertobt“ scheint mir unpoetisch. Etwas komisch nimmt sich die Stelle aus „So schwingt er [Siegfried] wilden Zornes voll, den Schild hoch auf und stöhnt und schnaubt und schmettert ihn auf Hagens Haupt“….. BAW2.442f
Das ist der wahre N jener Zeit! Große Worte, viel Brimborium, viel Fantasie, viel „Effekt“, keine Lebenserfahrung und ein geringer willentlicher Bezug zur Realität, aus dem heraus ihm hätte klar werden müssen, um was für einen Schmus es sich bei diesen „Dichtungen“ handelte. Warum aber druckte man derartige Schwächen von einem ab, den man eigentlich gewillt war, auf ein hohes Ruhmespostament zu stellen?
Im Pfortaer Krankenbuch gibt es für den März 1862 den Eintrag: „Katarrh 24. - 29. III.“ J1.129 ohne dass von diesen 6 Krankentagen, von einem Montag bis Samstag, brieflich etwas „erhalten“ blieb.
Im April 1862 hatte Gustav Krug den Klavierauszug von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ angeblich „statutenwidrig für die »Germania« statt des fälligen Buches“ angeschafft „weil er glaubte, N damit [gemeint ist wohl „dafür“] gewinnen zu können; aber es gab wegen dieses Verstoßes einen ernsten Konflikt. Wir haben von N selbst aus dieser Zeit [Oktober 1862!] nur eine Äußerung über Wagners Musik in einem Fragment“ J1.90f, dessen Anfang fehlt ‹Über das Wesen der Musik›. Darin spricht N jemanden an, von dem unklar bleibt, wer es ist. Wahrscheinlich war es Gustav Krug. Er schrieb: „Auch über Dich und Deinen Verstand schütteln manche Leute die Köpfe, wenn Du wie niedergeschmettert von der Macht der Musik vor den leidenschaftlichen Wogen Tristan und Isoldens dastehst. Beides, sowohl Albrechtsbergers [1736-1809, Hoforganist am Stephansdom in Wien und Theorielehrer Beethovens] Kontrafugen und Wagnersche Liebesszenen ist Musik; beidem muss etwas gemeinsam sein das Wesen der Musik. Das Gefühl ist gar kein Maßstab für Musik;“ BAW2.114 - Was für ein Urteil. Wie hätte sich Musik ohne Gefühl als „musikalischem Raum der Tonfülle“ entwickeln können? All das sind Fragen des Geschmacks und der Hörgewohnheiten. Es war jedenfalls zu dieser Zeit mit Ns Begeisterung für Richard Wagners Komposition der Oper „Tristan und Isolde“ nicht weit her, - im Gegenteil, trotz seiner später des Effektes wegen so sehr gegenteiligen Behauptungen.
Ziemlich genau 4 Wochen darauf entstanden die aus intensiver Beschäftigung mit Emerson hervorgegangenen Jugendaufsätze in einem völlig neuen „Stil“, - ohne dass inzwischen von Ns innigem Umgang mit seinem Verführer anderweitig irgendetwas erkennbar geworden wäre. In den - wieder einmal so sehr ersehnten Ferien, Ostern 1862, der Ostersonntag fiel auf den 20. April, brach die von Emerson übernommene Weltsicht aus N unwiderstehlich hervor. Zusätzlich kam dabei eine Beeinflussung durch Ludwig Andreas Feuerbach, 1804-1872, einem deutschen Philosophen und Anthropologen mit Einfluss auf die modernen Humanwissenschaften, wie Psychologie und Völkerkunde sowie revolutionäre Religions- und Idealismuskritik zum Ausdruck, von dem N sich zum letzten Geburtstag „Das Wesen des Christentums“, Leipzig 1849, sowie dessen 1830 anonym erschienenen „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ gewünscht hatte. Aus dem Gemisch dieser Eindrücke heraus gab es für N nun kein Halten mehr! Er schrieb die beiden Aufsätze über „Fatum und Geschichte“ und „Willensfreiheit und Fatum“. Wenige Tage darauf, wieder nach Pforta zurückgekehrt, schrieb er am 27. April 1862, einen in diesem neuartigen „Stil“ gehaltenen Brief, der nur zum Teil erhalten ist, an die Freunde Gustav Krug und Wilhelm Pinder. Darin heißt es:
Nur christliche Anschauungsweise vermag derartigen Weltschmerz hervorzubringen [wie den seinen - weil Er christlich-gläubig erzogen worden war und nichts anderes kannte!], einer fatalistischen [„Anschauungsweise“!] liegt er [aber auf welcher Erfahrung sollte das beruhen?] sehr fern [denn N war dabei, die fatalistische Anschauungsweise anzusteuern].
Es war die Selbstverständlichkeit seines Weltschmerzes, der ihn im Zurechtkommen mit dem, was ihm an Emersons Sätzen so sehr gefallen hatte, sich jedoch so gar nicht mit der Wirklichkeit der ihn umgebenden Welt und den Ansprüchen, die er an diese stellte, vertrug. Das plagte ihn und brachte ihn zu dem Schluss:
Es ist nichts als ein Verzagen an eigner Kraft, ein Vorwand der Schwäche, sich mit Entschiedenheit selbst sein Los zu schaffen [womit er sich Mut zu machen versuchte!].
Es war typisch für N: „sich selbst sein Los zu schaffen“. Er hat sich mit diesem Text an die Freunde Gustav Krug und Wilhelm Pinder identifiziert: Für N gab es in allem nur ihn selbst - in seiner geglaubten und sich zugetrauten „Byron-Manfredischen“ Allmächtigkeit! Er kannte nichts sonst: keine außerhalb seiner selbst gegebenen Umstände, oder notwendige Rücksichtnahmen, fremden Wünsche und Vorlieben oder Begrenzungen in und an dem, was er - an sich selbst! - für so vollkommen hielt! Entsprechend fuhr er - allerdings noch fest ins Christliche zurückgebogen! - im Demonstrationsspektakel seiner Rebellion vor den Freunden fort:
Wenn wir erst erkennen, dass wir nur uns selbst verantwortlich sind [und niemandem sonst! - streng manfredisch! - auch nicht „den Anderen gegenüber! So war es gemeint. N hat das bei Emerson Gelernte und von ihm Angenommene von vornherein zu unmittelbar ausschließlich auf sich selbst bezogen; auf eine Verantwortlichkeit nur „vor sich selbst“], dass ein Vorwurf über verfehlte Lebensbestimmung nur uns, nicht irgend welchen höheren Mächten [als Reklamation?] gelten kann [eine solche aber stellen „die Anderen“ dar! - auch wenn er das nie begreifen wollte!], dann erst werden die Grundideen des Christentums ihr äußeres Gewand ablegen und in Mark und Blut übergehen. Das [ideale, von besten Voraussetzungen ausgehende] Christentum ist wesentlich Herzenssache; erst wenn es sich in uns verkörpert hat, wenn es Gemüt selbst in uns geworden ist, ist der Mensch wahrer Christ [ein Idealphänomen, quasi ein christlicher Übermensch, kaum einem lebenden Christenmenschen vergleichbar!]
Das war von Weltverbesserungsansätzen und -Ansprüchen nicht frei! Die Erkenntnis von der fatalistischen Weltschmerzfreiheit war nicht auf Ns eigenem Mist gewachsen, sondern frisch, fromm, fröhlich und frei aus Emersons „Führung des Lebens“, Kapitel 1: „Das Fatum“, Seite 3. gewonnen. Dort hatte N gelesen:
Der Spartaner, der seine Religion in seinem Lande verkörpert, stirbt für dessen Ruhm ohne irgendwelche Frage. Der Türke, welcher glaubt, dass seine Bestimmung auf eiserne Tafeln geschrieben ist, seit dem Tage, da er das Licht der Welt erblickte, stürzt sich mit ungeteiltem Willen in des Feindes Schwert. Türke, Araber, Perser, nehmen ein vorbestimmtes Schicksal an.
„Nie wirst an jenem Tage dem Schicksal du entgehen, Der von urew’gen Zeiten bestimmt und vorgesehen; Da kann nicht Arzt noch Salbe dich retten vor dem Tod, Noch an allen andern dich schlagen der Hölle gesamtes Aufgebot.“
Emerson kennzeichnete diese Zeilen mit den Anführungszeichen als ein Zitat; - ohne den eigentlichen Verfasser anzugeben, was er sonst für gewöhnlich tat. Es dürfte also nicht allzu fern liegen, anzunehmen, dass diese Zeilen von ihm selber stammten, ohne dass er sich damit offiziell geschmückt sehen wollte, denn er war, trotz seiner großen Sprüche ein eigentlich sehr bescheidener Mann. Zur Bekräftigung seiner Meinung fuhr er dann fort:
Der Hindu unter dem Rade [neben dem Schneckenhorn, dem Lotus und der Keule ein Attribut des Gottes Vishnu] ist eben so fest; selbst unsre Kalvinisten in der jüngstvergangenen Generation hatten etwas von dieser stolzen Würde. Sie fühlten, dass die Wucht das ganzen Universums sie an ihrer Stelle festhielt; was konnten sie tun? - Weise Männer fühlen, das etwas da ist, das nicht abgestritten oder abgeleugnet werden kann ….. EL.3
Hier ist zu beachten, dass Emerson bei der Betrachtung des Fatums gar nicht in gegensätzlichem Sinn vom Christentum sprach, - dass aber N, der nur dieses - als seine tiefst innerlich abgelehnte Realität! - kannte, sofort frontal eine Gegenposition zu ihrer vermaledeiten Jetztzeitigkeit aufbaute und behauptete, dass die Fatalisten sich durch besondere Kraft und Willensstärke auszeichnen würden, was nur nachgeplappert war. Auch wenn N seinen Brief mit einem prinzipiellen Einwand gegen das Christentum begann, versuchte er noch seine neue, auf das Fatum vertrauende Weltsicht mit dem gewohnten Glauben verbinden. Deshalb fuhr er an seine Freunde gerichtet fort:
Die Hauptlehren des Christentums sprechen nur die Grundwahrheiten des menschlichen Herzens aus; sie sind Symbole, wie das Höchste [der von N so heftig geliebte, greifbare Grenzwert!] immer nur ein Symbol des noch Höheren sein muss [schon hier findet sich die - N niemals bewusst gewordene! - endlose Fortsetzbarkeit „superlativistischsten“ Höherstrebens ohne zu bemerken, dass das für ein einzelnes Leben kaum einen Sinn haben kann!]. Durch den Glauben selig werden heißt nichts als die alte Wahrheit, dass nur das Herz, nicht das Wissen glücklich machen kann. Dass Gott [in Jesus Christus] Mensch geworden ist, weist nur darauf hin, dass der Mensch nicht im Unendlichen seine Seligkeit suchen soll, sondern auf der Erde seinen Himmel gründe; der Wahn einer überirdischen Welt hatte die Menschengeister in eine falsche Stellung zu der irdischen Welt gebracht [womit ausgedrückt sein sollte, dass die Welt auf dem falschen Weg war und er, N, folglich einen richtigeren kennen und nehmen würde!]: er [dieser Wahn] war das Erzeugnis einer Kindheit der Völker. Die glühende Jünglingsseele der Menschheit nimmt diese Ideen mit Begeisterung hin und spricht ahnend das Geheimnis aus, das zugleich auf der Vergangenheit in die Zukunft hinein wurzelt, dass Gott Mensch geworden. Unter schweren Zweifeln und Kämpfen wird die Menschheit männlich: sie erkennt in sich „den Anfang, die Mitte, das Ende der Religion.“ Lebt herzlich wohl.
Basta! Das war Ns letzte Erkenntnis im Versuch, seine alten Anschauungen mit seiner neuen zu versöhnen, - eine „Emersonierte“ Christlichkeit: Der Mensch gewordene Gott Christus im Gewand übermenschlich verliebter Genieseligkeit unter Auslassung „der Anderen“! Es hat nicht lange gehalten, zeigt aber, dass N nicht so ohne weiteres aus seiner alten „Schule“ herausgekonnt hatte. Der Übergang vom Einen zum Anderen ist aber nicht mit ernsthaften Seelennöten verbunden gewesen, denn weder das eine noch das andre ging in ihm selbst wirklich tief; - sonst hätte sich - da so vieles von dem, was sich in N regte, gesammelt und gehütet wurde! - von dahingehenden Zweifeln, Problemen, „Gedanken“ etwas erhalten, was davon zeugen würde. „Die Anderen“ waren für Ns zum Autistischen veranlagtes Wesen einfach nicht vorhanden; - sie wurden nicht wahrgenommen, nicht vermisst und waren damit auch nicht in der Lage, ihm in seinen Selbstbetrachtungen „Probleme“ zu bereiten.
In Emersons Essays zur „Führung des Lebens“ heißt es, einige Seiten weiter, und dass N dies wahrgenommen hat, geht indirekt aus seinen Zeilen an die Freunde hervor:
Der beste Gebrauch, den man vom Fatum machen kann, ist, einen fatalistischen Mut daraus zu schöpfen. Geh dem lodernden Feuer, der brandenden See, der Cholera in deines Freundes Hause oder dem Dieb, welcher in dein eignes bricht und jeder Gefahr die im Wege deiner Pflicht liegt, mutig entgegen und wisse, das der Cherub der Vorbestimmung [ein gedachter Engel, Paradieswächter, ursprünglich ein geflügeltes Wundertier mit menschlichem Antlitz, das oder der nichts anderes zu tun hat als] dich beschützt [bis du vor lauter Leichtsinn bei nächstbester Gelegenheit, nicht mehr bist, - könnte die sehr wahrscheinliche Fortsetzung dieses unüberlegt vorgebrachten Satzes lauten!] Wenn du zu deinem Schaden an das Fatum glaubst, so glaube es wenigstens auch zu deinem Besten [was sich nur leisten kann, wer über ausreichend Kenntnisse verfügt, den jeweils drohenden Gefahren mit überdurchschnittlichem Erfolg begegnen zu können. Der Aberglaube an den beschützenden „Cherub“ allein dürfte nicht allzu viel helfen]. Denn wenn das Fatum allmächtig ist, so ist auch der Mensch ein Teil von ihm und kann Fatum dem Fatum entgegenstellen. EL.17
Aber das bedeutet eine die Grenze der Fahrlässigkeit überschreitende Gläubigkeit an die Theorie einer Weltsicht, die kaum irgendwo eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit beanspruchen konnte. Bedauerlicherweise lassen sich zu den Emerson-Texten aus der „Lebensführung“ keine An- und Unterstreichungen Ns mehr nachweisen, weil sein Handexemplar als verloren zu gelten hat. So kann man nur aus der Erfahrung mit Ns Reaktionen auf die Inhalte der „Essays“ auf Ns ähnlich gelagerte Verhaltensweisen gegenüber den Essays der „Lebensführung“ schließen, - verfügt dafür aber über keine unmittelbaren „Beweise“.
In seinem Brief an die Freunde hat N letztendlich auf kürzeste Weise das dargestellt, wobei er - wenn man es genau betrachtet! - letztlich sein Leben lang geblieben ist! Auf den ersten Blick sieht das nach Glaubensproblemen aus. Es sind auch welche; allerdings nicht die eines an sich gläubigen Christen, sondern von einem, der sich bedingungslos neu zu orientieren wünschte und an etwas glauben wollte, von dem er jedoch selbst noch nicht genau wusste, wie das aussehen könnte, aber doch in so vielen Punkten mit seiner „Realität“ übereinzustimmen schien. Über die hier angerissenen Details ist er bis zu seiner geistigen Umnachtung im Prinzip - der „philosophischen Substanz“ nach, wenn man so will! - nicht hinausgekommen! Noch auf anerzogen alten Glaubens-Pfaden wandelnd, sind hier seine seit einigen Monaten in ihm gärenden Lieblingsgedanken aus der Emerson-Lektüre mit ihm durchgegangen: Ohne den Freunden gegenüber Emersons Namen zu nennen! - Denn die Identifikation mit dessen Weis- und Wahrheiten war vollbracht! Noch an christlichen Idealformen hängend, glaubte er gleichzeitig an das Abwracken und Überwinden der christlichen Religion, die für ihn - und damit für alle Welt! - durch die neu zu ihm gedrungenen und besser auf seine Existenz zutreffenden Erkenntnisse Emersons zu ersetzen waren! Kraftvoll und „Männlich“ selbstverständlich! - und in entschieden zu engem Sinn nur sich selber verantwortlich!
Den Freunden versuchte N mit seinen neuen Gedanken zu imponieren. Seitens der Freunde blieb nichts erhalten, aus dem sich auf eine irgendwie geartete Reaktion auf Ns Brief schließen ließ. Es erscheint als gut möglich, dass er mit seiner neunen Weltsicht ihnen gegenüber sehr alleine blieb.
Den offiziellen Kommentaren zur Briefausgabe (KGB) nach bezögen sich diese Weisheiten auf Ludwig Feuerbach, 1804-1872, einen deutschen, sozialdemokratisch orientierter Philosophen, dessen Religions- und Idealismuskritik grundlegenden Einfluss auf die Humanwissenschaft, wie die Psychologie gewann. Tatsächlich aber ist zu einem gut 90-prozentigen Anteil Emerson darin enthalten, denn Feuerbach hat allenfalls im Zusammenhang mit dem stark kritisierten Wagner bei N Erwähnung gefunden und lag entfernt nicht auf Ns genie-seliger Linie. Sein Name taucht bei N erstmals 1887, eineinhalb Jahre vor Ns „geistigem“ Ende auf und sicher hatte Feuerbach zu wenig mit N gemein, dass für N ein Anlass bestanden haben könnte, ihn zuvor als einen so geheim zu haltenden Schatz wie Emerson zu behandeln.
Dieser Emerson-lastige Brief an die Freunde ist ein Beleg für Ns „Öffnung“ in „dieser Sache“: Dass er das, was ihn selbst so bewegte, auch - ohne Emersons Namen zu nennen! - nach außen dringen ließ. Die beiden wenige Tage zuvor aus Emersons Geist heraus entstandenen Aufsätze waren nämlich nicht für den „geistigen Dreibund Germania“ geschrieben, sondern für N selbst, nach seinem auch später immer wieder befolgten Prinzip „mihi ipsi scripsi“ - ich habe für mich selbst geschrieben! Erst gut ein Jahr später, im Juli 1863, entschloss sich N unter diversen Notizen „Für die Ferien“ unter anderem zu dem Eintrag:
Emerson. Eine Skizze des Buches [dabei ging es jedoch um mindestens zwei, die aber für N sicherlich eine Einheit darstellen sollten] für meine Freunde. Seine Betrachtungsweise amerikanisch. „das Gute bleibt, das Böse vergeht.“ Über Reichtum. Schönheit [beides sind Überschriften von Kapiteln/Essays aus Emersons „Führung des Lebens“!]. Kurze Auszüge aus allen Essays [also auch des Bandes mit den „Essays“]. Über Philosophie im Leben [was hauptsächlich die „Führung des Lebens“ mit dem Eingangskapitel „Fatum“ betraf]. Vielleicht in Sangerhausen [dem Wohnort des Vormundes, Rechtsanwalt Daniel Dächsel, angeheirateter Onkel und Ehemann der Stiefschwester des Vaters, Tante Friederike, anlässlich eines Ferienbesuches bei diesen beiden] zu schreiben, morgens. Mit Muße und Sorgsamkeit. BAW221f
Innerhalb dieser Aufstellung „Für die Ferien“ gab es 1863 auch die Überschrift „Welche Bücher ich brauche“. Dort wird unter viel Schulischem an 8. Stelle „Emerson“ BAW2.222 genannt, - nur scheinbar so beiläufig wie es den Eindruck macht. Denn im Juli 1863 häufen sich Ns Einträge mit Bezug auf seinen Lehrmeister, auch wenn N sich nicht immer die „Mühe“ machte, seinen Namen zu nennen. N war also zwei Jahre später wieder tief in Emerson versenkt und versponnen. Davon wird des Genaueren zu berichten sein.
Zur Zeit der Jugendaufsätze, Ostern 1862 war N von Emerson bereits durch Monate hindurch seelisch unvergleichlich tief berührt, betroffen und geformt worden - die Inhalte erschütterten ihn ja noch nach zwanzig Jahren so sehr, dass er vor sich selber nicht wagte, Emerson zu loben, weil der ihm „zu nahe stand“ 9.588
Der zu jener Zeit in sich selbst sehr unsichere N, der sich und seine Bedeutung gerade von Emerson erklärt bekommen hatte, verhielt sich mit den ihm neu zugekommenen Weis- und Wahrheiten wesentlich vorsichtiger, zurückhaltender, verschlossener als bei der gut dreieinhalb Jahre später unternommenen streitbar konsequenten „Schopenhauerisierung“ seiner gesamten Umwelt, wo alle an das Gleiche, an den gerade entdeckten, damals allgemein ziemlich unbekannten und somit vom Seltenheitswert geadelten Schopenhauer zu glauben hatten - auf dass die Freunde auch das „elitäre“ Bedürfnis, „führend“ und „einzigartig“ zu sein, mit N teilen konnten: Dabei ging es N um ein Gemeinschaftserlebnis in seiner Parallelwelt, wo aber auch nicht alle als „Gleiche“ zu erachten waren.
Die N von Emerson her zugekommene „Erwähltheit“, sein gerechtfertigtes „Herrscheramt“ hatte unentdeckt zu bleiben. In diesem Punkt unterschied sich Ns Glaube an Emerson von seinen gläubigen Gefolgschaften anderen gegenüber, zum Beispiel Schopenhauer und Richard Wagner. - Es gab von Ns Seite her keine missionarische Arbeit in Sachen Emerson, der ihm wegen zu viel allzu Persönlichem letztlich selbst vorbehalten bleiben sollte! - Ihm gegenüber herrschte bei N das Bedürfnis vor, ihn für sich zu haben, verwahrt zur Sicherung seiner Vorrangstellung, zu der keine Konkurrenten durchzulassen waren. Über alle anderen vermochte N mitzuteilen und als nur einer von mehreren Anbetern zu gelten. Das war ihm „genug“ so lange er die tieferen Konsequenzen des ihn bevorzugenden Emersongeheimnisses wahren konnte. Emerson wurde zurückgenommen ins Private und allzu Intime, - wo N tief verwundbar war. Als sein Sprachrohr verkündete N Emersons Weisheiten und Wahrheiten über diese Welt - mit denen er sich, als wären es seine eigenen, identifizierte und brüstete! - in dem Brief wie in den Aufsätzen, die deshalb so fertig, so entschlossen, so seiner Sache sicher wirken. Hier nun der tief in Ns von Emerson abhängige Seele blicken lassende, vieles von Ns Psyche offenbarende, seinen „geistig-gefühlsmäßigen“ Standpunkt bestimmende Wortlaut der beiden „Aufsätze“:
Fatum und Geschichte. Gedanken. Osterferien 1862 FW Nietzsche
Wenn wir mit freiem unbefangenem Blick die christliche Lehre und Kirchengeschichte anschauen könnten, so würden wir manche den allgemeinen Ideen widerstrebende Ansichten aussprechen müssen [müssen! - Nicht wollen, nicht können, nichts was nach eigener Entscheidungsfreiheit klingen würde! - sondern das Müssen in unentrinnbarer Gefolgschaft und Verpflichtung einem höheren Gesetz gegenüber! Von Anfang an! Auf diese Weise geriet Ns Existenz, so wie sie war, in den schicksalsbestimmten und bestimmenden Mittelpunkt der wahren Zusammenhänge!] Aber so, von unseren ersten Tagen an eingeengt in das Joch der Gewohnheit [das hatte Er - außerhalb von all dem, aber nur auf einem anderen, ihm mehr zusagenden Glauben stehend! - „erkannt“!] und der Vorurteile, durch die Eindrücke der Kindheit in der natürlichen Entwicklung unseres Geistes gehemmt [aber nicht auch unglaublich gefördert? - Da offenbarte sich schon die betonte Kontra-Stellung, das Negieren dessen, was ist! - Unter Benutzung zumeist negativ besetzter, destruktiver Begriffe!] und in der Bildung unsres Temperaments bestimmt, glauben wir es fast [nur fast, also nicht tatsächlich!] als Vergehen betrachten zu müssen, wenn wir einen freieren [ohne zu werten! - nur einen anderen!] Standpunkt wählen, um von da aus ein unparteiisches [gerade das waren seine ihn begünstigenden, selbstmittelpunktlichen Standpunkte nie!] und der Zeit angemessenes Urteil über Religion und Christentum fällen zu können. Ein solcher Versuch ist nicht das Werk einiger Wochen, sondern eines Lebens. BAW2.54
Da sprach N aus der „Erfahrung“, den „Erlebnissen“ der letzten mit Emerson-Lektüre zugebrachten Monate, - seit Nürnberg, seitdem er an dem schweren Brocken Emerson zu kauen begonnen hatte und kein Ende sah und schon entschlossen war, das da auf ihn Zugekommene ein Leben lang zu vertreten und zu verteidigen - weil genau dies sein Eigenstes, seine gesamte - auf Besonderheit so sehr angewiesene! - Existenz betraf!
Noch war Ns Position als „dies Schreibender“ unsicher: Einerseits wollte er „mit freiem unbefangenem Blick“ - mit seinem von Emerson umfangenen - „neu gewonnenen“ Blick! - der in seiner Selbstmittelpunktlichkeit ja alles andere als „frei“ und „unbefangen“ war! - „die christliche Lehre und Kirchengeschichte anschauen“. Aber er traute sich noch nicht recht. Das zeigt sich in dem „anschauen könnten“, als eine von letztlich und vielleicht auch ganz anders gearteten Möglichkeiten, denn er empfand, wie sehr er „von unseren ersten Tagen an eingeengt in das Joch der Gewohnheit und der Vorurteile, durch die Eindrücke der Kindheit“ beeinflusst wäre und dies lastete auf seinem „Gewissen“, was er wahrnahm als „in der natürlichen Entwicklung unseres Geistes gehemmt“ - ohne zu bedenken, was denn diese „natürliche Entwicklung unseres [seines!] Geistes“ wäre - und wohin sie führen - könnte! - Wobei er das, woran er dachte, ihm seiner Erziehung gemäß ein Schlechtes Gewissen bereiten musste, weshalb er dazu sicherlich unbewusst das Wort „Vergehen“ einfließen ließ, so sehr war er doch eingebunden in das, was er bisher - und auch in dem Brief an die Freunde noch! - als alleingültig erachtet hatte! Die radikale Bereitschaft aber, dennoch - wie bei Emerson erfahren! - weit auszugreifen, zeigt sich schon im nächsten, mit aller Bestimmtheit angebrachten und auf ihn selbst bezogenen Satz:
Denn wie vermöchte man die Autorität zweier Jahrtausende [in diesem Rahmen spielte sich sein Gedankenspiel von Anfang an ab!], die Bürgschaft der geistreichsten Männer aller Zeiten durch die Resultate jugendlichen Grübelns [mit dem Er gerade begonnen hatte und damit allen Ernstes vollauf beschäftigt war, zu] vernichten, [was offenbar seine Absicht war!] wie vermöchte man sich mit Phantasien und unreifen Ideen [diese „Unreife“, das „Unzureichende“ daran, war ihm also nicht entgangen!] über alle jene in die Weltgeschichte tief eingreifenden Wehen und Segnungen einer Religionsentwicklung hinwegsetzen? [Denn auch dieses „sich-hinwegsetzen“ hatte bereits in seinen ersten Absichten gelegen!]
Im Gebrauch der beiden Worte „vernichten“ und „hinwegsetzen“ meldete sich in N mit einem gewissen Nachdruck der werdende totale und maßlose Rebell - der keinerlei Ahnung von seinen eigenen, ihm real gesetzten Grenzen hatte! So trat er gleich in einer superlativen, das gesamte Christentum umfassenden und herausfordernden Dimension auf; - was ihm „erlaubte“, sich vor den Einzelheiten, in denen ja für gewöhnlich die eigentlichen Probleme stecken, zu drücken! Im nächsten Absatz schrak er erst einmal vor dem eben genommenen Anlauf zurück:
Es ist vollends eine Vermessenheit, philosophische Probleme lösen zu wollen, über die ein Meinungskampf seit mehreren Jahrtausenden geführt ist [allerdings setzte die von N gewählte Formulierung voraus, dass er - bislang allerdings ohne vorzeigbares Resultat! - für sich selbst eine derartige „Vermessenheit“ bereits „ins Auge gefasst“ hatte]: Ansichten umzustürzen, die den Menschen nach dem Glauben der geistreichsten Männer erst zum wahren Menschen erheben: BAW2.54
Das war - entsprechend Emersons Vorgaben! - ein für N sehr wichtiger Satz! - „Ansichten umzustürzen“! Dazu hatte sich N in Ausübung seines „Herrscheramtes“ - und wohl als einer, „der Luther ähnlich sähe und am Ende ein Luther“ 30.7.56 würde - ohnehin entschlossen: Dazu war er von Emersons superlativer Ankündigung verführt - durch dessen verinnerlichtes Satzgefüge:
Seht euch vor, wenn der große Gott einen Denker auf unsern Planeten kommen lässt. Alles ist dann in Gefahr. Es ist, wie wenn in einer großen Stadt eine Feuersbrunst ausgebrochen ist, wo Keiner weiß, was eigentlich noch sicher ist und wo es enden wird. Da ist nichts in der Wissenschaft, was nicht morgen eine Umdrehung erfahren haben möchte [daraus ist Ns „umzustürzen“ und später dann das „Umwerten“ geworden!]; da gilt kein literarisches Ansehen mehr [aus dem der Bücherwurm N seine ganze Welterfahrung gesogen hatte!], noch die sogenannten ewigen Berühmtheiten, alles unterliegt einer Revision und muss sich verdammen lassen [wozu N entschlossen war, den das Vorgeschriebene erfüllenden Mut aufzubringen!]. Die unmittelbarsten Hoffnungen des Menschen, Gedanken, die er sich ganz zu eigen gemacht hatte, die Religion von ganzen Nationen, Gewohnheiten und Sitten der Menschheit im Allgemeinen, sind alle der Gewalt einer neuen Verallgemeinung anheim gegeben. Verallgemeinung ist nichts anderes, als dass der Geist des Menschen aufs Neue einer göttlichen Eingebung unterliegt ….. EE.226
Ns Problem mit derlei verkürzten Darstellungen von Emerson war, dass er - weil „die Anderen“ nie in sein Blickfeld gerieten! - das alles allein auf sich - auf seine eine Person! - bezog, was von Emerson allerdings als von vielen geleistete geschichtliche Entwicklung gemeint gewesen war! Die von Emerson angegebene „Eingebung“ bezog sich nicht auf einen einzigen, sondern auf viele Beteiligte an der „geistigen Evolution“. - N verstand aber unter dieser „Eingebung“ die noch völlig unklare Empfindung für eine besser zu ihm und seinen ihm angeborenen „Wahrheiten“ passende Vorstellung davon, wie die Welt eigerichtet sein müsste, um ihm zu genügen! Frei von all dem, was er - für sich! - als unpassend erachtete und wogegen er in dunklem Unbewusstsein entschlossen war einzuschreiten und sich etwas einfallen zu lassen, - weil sein Bedarf über alle Maßen in eine andere Richtung ging! - Sein weiteres Leben wird viele Belege dafür liefern, ihn auf diesen Pfaden befindlich und fortschreitend zu zeigen!
Diese Stelle hatte für N zentrale Bedeutung. Beginnend mit seinen Jugendaufsätzen vollzog, erfüllte und lebte er, was deren Inhalt war. In seinem Handexemplar von Emersons „Essays“, das er seit Herbst 1874 benutzte, gibt es dazu keine Anstreichungen von ihm. Die früheren Anstreichungen waren ihm mit dem ersten Exemplar „gestohlen“ worden und er hat sie nicht „wiederbelebt“ - weil sie ihm zu „heilig“ waren? - und nach 13 Jahren als gründlichst praktizierter Selbstverständlichkeit seines Lebens keiner neuerlichen Anstreichung bedurften? - Denn genau davon meinte N aus seinen von Licht durchfluteten „Momenten“ heraus, doch eine ausreichende Ahnung gehabt zu haben! Dabei handelt es sich nicht um spekulative Vermutungen!
Welche Bedeutung diese Emerson-Sätze tatsächlich für N besaßen, wird hinlänglich dadurch belegt, dass er sie in der ersten Hälfte des Jahres 1874 - vor dem Verlust seines ersten Essay-Handbuches! - in seiner Huldigung von „Schopenhauer als Erzieher“ mit voller, preisgebender Nennung von Emersons Namen, zitierte! - Da „schenkte“ Emerson N die gleichsam „verbriefte“ Überzeugung, dass eine derart maximal weltumstürzlerische Leistung ihn „erst zum „wahren“, beispielhaften, vorbildlichen und alle anderen überragenden „Menschen“ erheben würde, denn N hatte bei Emerson schließlich auch - und hier zur Erinnerung noch einmal angeführt! - gelesen, wovon er sich leiten ließ:
Deinem eignen Gedanken Glauben zu schenken, zu glauben, dass was für dich in deinem innersten Herzen wahr ist, dass das für alle Menschen auch wahr sei, - das ist Genie [und genau das hat N unter „Genie“ und später unter dem „Übermenschen“ verstanden!]. Sprich deine geheime Überzeugung aus und sie wird die allgemeine sein, denn immer wird das Innerste zum Äußeren, - und unser erster Gedanke wird uns zurückgebracht durch die Trompeten des jüngsten Gerichts. EE.32f
Ebenso galt für ihn:
Große Menschen haben es immer so gemacht und auf kindliche Weise sich dem Genius ihres Zeitalters anvertraut, unverhohlen ihr Bewusstsein zeigend, dass das Ewige sich in ihrem Herzen regte, durch ihre Hände schaffte und in ihrem ganzen Wesen vorherrschend sei. EE.34
Sowie:
Wer ein Mann sein will, muss ein Nonkonformist sein [war das vielleicht die Aufforderung gewesen, alles besserwisserisch umzudrehen? Alles umzuwerten? Von allem zu behaupten, dass genau das Gegenteil wahrer und deshalb besser wäre? - Auch danach sollte N sich sein Leben lang richten!]. Wer unsterbliche Triumphe ernten will, muss sich nicht bei dem Namen der Kraft aufhalten, sondern muss [durch eigene Lebenspraxis!] erproben, ob es wirklich Kraft sei. Nichts ist endlich heilig als die Lauterkeit allein unserer eignen Seele [die bei N keinen Orientierungspunkt kannte außerhalb seinem eigenen Selbst!]. Sprich dich vor Dir selber frei und du wirst des Beifalls der Welt gewiss. EE36
Für Ns Zukunft wäre das mit den Worten zu ergänzen: Erkläre nur - wie es im Laufe des Jahres 1884 für N „wahr“ werden sollte! - Sein „Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt“ 4.340 und man würde ihm jubelnd in alle daraus sich ergebenden Katastrophen folgen? Wie Recht Emerson doch in seiner Funktion von Ns umgewerteten Machiavelli hatte! Auch diese „Grundwahrheiten“ hat N nicht nochmals angestrichen. Ebenso „galt“ für ihn die schon einmal angeführte Stelle:
Mein Leben sollte eines ohne Gleichen [also maximal superlativ!] sein; es sollte ein Wohltun [dieses Wort übernahm N in seiner vollen messianischen Bedeutung - hat er sich doch als der Erfinder der „Lehren“ seines Zarathustra und mit diesem ausschließlich als Wohltäter an der Menschheit empfunden!], es sollte ein Wohltun, ein Kampf, ein Sieg, ein Wunder sein. Erstlich fordere ich den augenscheinlichen Beweis, dass du ein Mann bist und übertrage dann jene Anforderung vom Manne auf seine Handlungen. EE39
Sonst noch Wünsche? Das alles lag auf der in den Jugendaufsätzen bereits angerissenen Linie von Ns Geschmack! Ebenso die von N seitlich sogar nach 1874 - wieder? - angestrichene Stelle, die, schon einmal zitiert, hier für die Jugendaufsätze von frischester Bedeutung war:
Lasst uns der glatten Mittelmäßigkeit und der grauenhaften Zufriedenheit der Zeiten mit sich selbst die Stirn bieten und unsern Tadel aussprechen und der Gewohnheit, dem Handel und den Beamten jene Tatsache unter die Augen halten, welche das Resultat der ganzen Geschichte ist, dass ein großer verantwortlicher Denker und Handelnder überall ist [oder „sein kann“, um die Aussage nicht fragwürdig erscheinen zu lassen], wo nur ein Mann sich regt; und dass ein rechter [idealer und superlativer!] Mann keiner anderen Zeit noch anderem Ort angehört, sondern den Mittelpunkt der Dinge bildet [was der extrem selbstmittelpunktlich veranlagte N nur allzu gern für absolut richtig zu halten gedachte!]. Wo er ist, da ist Natur [was nicht als nur positiv angesehen zu werden verdient, denn die Natur kennt auch sehr destruktiv sich auswirkende Gegebenheiten. - Überdies steckt davon - zumeist in realistischen Maßen! - in jedem Menschen ein gewisser Teil!]. Er ermisst euch und alle Menschen und alle Begebenheiten [nach jeweiligem Belieben!]. Ihr seid [bei ausreichender Kritiklosigkeit!] gezwungen, seine Standarte anzunehmen EE.45 [wofür aber auch - zu derartiger „Gleichschaltung“! - einfachste, gut bewaffnete und ausreichend gewaltbereite „Hilfs-Mannschaften“ eingesetzt werden können, sollte das gewünschte „Standarten-Maß“ nicht auf einhellig freiwilliger Anerkennung einem Größe-Beanspruchenden folgen wollen!].
Und:
Der Mensch muss so hoch dastehen [wie hoch? Und woran sollte das vernünftigerweise - und von wem vor allem? - überprüft und gemessen werden?], dass alle Umstände vor ihm unbedeutend sind, - alle Mittel von ihm in den Schatten gesetzt werden. EE.45
Wozu oft jedoch schon ein entsprechender mit Macht verbundener Dünkel genügt! - Und:
Alle großen Menschen sind und handeln so. Jeder wahrhafte Mann ist eine Ursache, ein Land und ein Zeitalter; er bedarf unendlichen Raum, Zahlen und Zeit, um seinen Gedanken [aber warum hatte er denn nur einen?] völlig auszuführen [bei N waren es immerhin 2: Seine Idee einer „Ewigen Wiederkehr“ und die Vollendung der Evolution in einem nie endgültig zu vollendenden „Übermenschen“!]; und die Nachwelt scheint wie eine Prozession seinen Schritten zu folgen. EE.45
Ja! Ego! Genau das wollte N für sich auch. Es gibt von ihm viele beispielhafte Äußerungen dafür. Zu diesen beiden Ausführungen, die bereits eine Rolle in den Jugendaufsätzen spielt, hat N sich, wie schon einmal zitiert - noch Anfang 1882! - auszugsweise und so, wie er es verstanden hatte, notiert:
Der rechte Mann ist der Mittelpunkt der Dinge [diesen Standpunkt vertrat N bereits in diesem ersten Anlauf seiner Gedanken zu „Fatum und Geschichte“]: er nimmt von der ganzen Schöpfung Besitz, er erinnert an keinen Anderen [damit bezog N das elitär maximale Prinzip des Superlativs „Einmaligkeit“ auf sich und meinte deshalb], alle Umstände werden von ihm in [den] Schatten gestellt, er bedarf unendlichen Raum, Zahlen und Zeit, um seine Gedanken auszuführen [was mächtig übertrieben sein dürfte und die Fähigkeit eines Einzelnen übertrifft!]: - die Nachwelt folgt wie eine Prozession seinen Schritten. 9.670f
Das als Beleg dafür, wie wichtig N auch die Feinheiten zu alledem waren! Außerdem wirkten hier „lehrhafte“ Emerson-Sätze aus der „Führung des Lebens“! Beispielsweise:
Der nur ist ein wohlgemachter Mann, der seine Bestimmung erkannt hat [davon wollte N doch überzeugt sein, dass er dies von sich sagen und sich deshalb zuzählen durfte!]. Und das Endziel der Kultur ist nicht, dies zu zerstören, bewahre Gott! sondern nur alle Hindernisse und schwächenden Mischungen zu entfernen und nichts als reine [letztlich göttlich zu nennende] Kraft zurückzulassen. Unser Student muss Stil und eine bestimmte Richtung haben und in seiner eignen Spezialität Meister sein. Aber wenn er dies erreicht hat, so darf er scheinbar keinen Wert mehr darauf legen, vielmehr muss er sich eine Allgemeinheit der Anschauungen, einen freien und ungetrübten Blick [durch Emersons Brille in Ns Fall!] für jeden Gegenstand bewahren. EL.93
Und:
Es ist jedoch dieses Interesse am eignen Selbst so überbürdet, dass, wenn Jemand einen Gefährten suchen wollte, der die Sachen um ihrer selbst willen, ohne persönliche Bemerkung, ohne Beziehung auf sich selbst, betrachten kann, er Wenige finden würde, die ihm darin genügen können, denn die meisten Menschen zeigen vollkommene Kälte und Teilnahmslosigkeit, sobald der fragliche Gegenstand in keiner Beziehung zu ihrer Eigenliebe steht. EL.93
So, wie N „den Anderen“ gegenüber. In Bezug auf Ns „Nebenmenschen“ hat sich dies, bis auf wenige Ausnahmen, erfüllen sollen. Für N selbst galt „dieses Interesse am eignen Selbst so überbürdet“ derart tatsächlich, - dass er. überfodert von sich, selbst gar nicht in der Lage war, die hier von Emerson ausgesprochene Warnung wahrzunehmen - und eben auch nicht wahrgenommen hat! Er konnte solches zwar bei „den Anderen“ erkennen, zu einer daraus abgeleiteten Selbsterkenntnis aber hat es nie gereicht. Und:
Man kann kühnlich sagen, dass ein Mann noch keine rechte Erkenntnis von der Wahrheit hat, der nicht von ihr so [wahnsinnig?] durchdrungen ist, dass er bereit ist, als ihr Märtyrer zu sterben. EL.21
Aber das war keine Aussage über den Wahrhaftigkeitswert der Wahrheit, sondern berichtete nur über das Maß an Überzeugtheit von etwas, das ebenso gut auch völlig unwahr und falsch sein konnte! N hat sich solche Sätze der Beliebigkeit nur allzu gerne zu Herzen genommen, fühlte er sich darin doch ohne „schalen Nachgeschmack“ gut aufgehoben! Seine Argumente liefen zumeist auf die gleiche gefühlsbedingte Entscheidungsentschlossenheit hinaus!
Ebenso:
Wille ist eine ernste und furchtbare Naturkraft. Die Gesellschaft ist kriechend, untertänig, weil sie keinen eigenen Willen hat [kann sie doch - statt eines eigenen Willens! - nur den Willen der Teilnehmer haben, aus denen sie besteht!] und deshalb braucht die Welt Erlöser und Religionen. Ein Weg ist der rechte; es sieht ihn der Held und bewegt sich nach diesem Ziele und hat unter sich die Welt zur Straße und Stütze. Er gibt den Andern so viel als die Welt [was Balsam für Ns Anspruch war, immer wieder gegen „den Rest der Welt“ antreten zu dürfen!]; seine Gutheißung ist Ehre, sein Tadel Schande. EL.21
So hat N die Welt aus dem Mittelpunkt seines so angelesenen Erlebens heraus „geliebt“. Das entsprach seiner Vorstellung von sich, seinem „Herrscheramt“ und der „Notwendigkeit seines Ruhmes“. 1.755 Er wiederholte dies in der hier angerissenen „Formel“ nach 10 Jahren noch, in seiner Vorrede zum ersten von 5 nicht geschriebenen Büchern, wo es um „das Pathos der Wahrheit“ ging und Er, Emerson verdächtig ähnlich klingend, kundtat:
Denn die Welt braucht ewig die Wahrheit, also braucht sie ewig Heraklit [einen etwa 544 bis 483 v. C., lebenden vorsokratischen griechischen Philosophen, der - N darin sehr gleich! - beanspruchte, eine „zur Erlösung der Welt“ von allen herkömmlichen Vorstellungsweisen abweichende Einsicht in die Weltordnung zu besitzen: Dass nämlich alles Widersprüchliche und Gegensätzliche vereint sei im Göttlichen, so wie N dies aus seinem „Momenten des Allzusammenklangs“ kannte:] obschon er ihrer nicht bedarf. Was geht ihn [Heraklit] der Ruhm an! „Der Ruhm bei immer fortfließenden Sterblichen!“ wie er höhnisch ausruft [um zu zeigen, wie hoch er, N, über alldem stand!] ….. sein Ruhm geht die Menschen etwas an, nicht ihn; seine Eigenliebe [und die Ns!] ist die Liebe zur Wahrheit [Ns Wahrheit, um mit der Welt zurechtzukommen, zu seiner „Erlösung“!] - und eben diese Wahrheit sagt ihm, dass ihn die Unsterblichkeit der Menschheit brauche, nicht er die Unsterblichkeit des Menschen Heraklit.
Wie weit das einen Sinn macht, bleibe dahingestellt. Für N hatte es einen! Und in ausgerechnet diesem Abschnitt Ns folgen dann die hinreißend hochtrabenden Sätze:
„In irgendeinem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls [das war weiß Gott sehr hübsch gesagt!] gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere [von denen eins den Namen Friedrich N besaß und die dort] das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der Weltgeschichte, aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur [während immerhin zig Millionen oder sogar von Milliarden von Jahren!] erstarrte das Gestirn und die klugen Tiere mussten sterben. Es war auch an der Zeit: denn ob sie schon viel erkannt zu haben sich brüsteten [genau das tat N hier; er brüstete sich stolz wie ein sich für intelligent haltender Pfau oder Affe!], waren sie doch zuletzt, zu großer Verdrossenheit [genau genommen jedoch war es nur N, den es hier drängte, dieses anlässlich der Betrachtung und Beschreibung seiner Umwelt - längstens schon vor dem „Termin“ seines Überschnappens Anfang 1889! - so verdrossen zu Papier zu bringen! - und voll von unbeschreiblichem Erkenntnisvergnügen!], dahinter gekommen, dass sie alles falsch erkannt hatten [denn nur N wusste alles besser!]. Sie starben und fluchten im Sterben der Wahrheit [aber es war N, der noch zu seinen vergleichsweisen Eintagsfliegen-Zeiten im Jahr des Herrn 1884, der Wahrheit fluchte, indem er behauptete „Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt“! 4.340]. Das war die Art dieser verzweifelten Tiere, die das Erkennen erfunden hatten.“ 1.759f
Warum erzählte N diese zeitlich haushoch überdimensionierte und überzogen anekdotische Geschichte, die ihn eigentlich doch gar nichts angehen dürfte, da es, bis es so weit war, noch viele über ein Einzelerleben hinausgehende Generationen dauern würde? Es war N darum gegangen, „den Anderen“ ihre Bedeutungslosigkeit vorzuführen und sich selbst dabei wenigsten den Trost der Klugscheißer-Position zu bewahren: nämlich „dies erkannt zu haben“! - Auch wenn „darüber hinaus“ - jenseits von „Gut“ und „Böse“ gewissermaßen! - damit weiter nichts anzufangen war!
Ebenso traf für N, abgeleitet aus Emersons Weisheiten, zu :
Aber ich sehe, dass wenn Seelen bis zu einer gewissen Klarheit des Gedankens gelangen, ihre Urteile und Motive über alle Selbstsucht erhaben sind [was auch ein Trugschluss sein konnte, denn der subjektive Schein der „Klarheit“ entsteht aus der Intensität von Gefühlen, - hat unmittelbar jedoch nichts zu schaffen mit dem Inhalt und Gehalt des Gedankens, insbesondere nichts mit dem Nutzen, den dieser Gedanke für jemanden - oder für einen selbst! - haben kann!]. Ein Willensstrom in der Richtung des Rechten und Notwendigen weht seit Ewigkeiten durch das Reich der Geister EL.19 [wie jedoch lässt sich gerade dies objektiv ermitteln? - und geht dort vielfach um in der Form von „Gespenstern“, - als Ns „Übermensch“ oder fast zeitgenössisch nebenher mit Karl Marxens kommunistischer „Gleichheit aller“! - Zugleich spielten hier Ansichten eine Rolle, die N aus bereits angeführten Emerson-Sätzen kamen, wie diesen:]
Und in Wahrheit verlangt es ein gottähnliches Wesen von dem, der sich von den gewöhnlichen Motiven der Humanität losgemacht hat und es [wie N in einem Daueranfall von Selbstgefälligkeit und Eigennutz] wagt, sich als dem eigenen Wächter zu trauen. EE.57
Und:
In männlichen Augenblicken da fühlen wir, dass unsere Stelle da ist, wo die Pflicht [oder auch nur die zur Pflicht erhobene Lust?] uns ruft und dass die sorglosen Zufalls-Menschen [„die Anderen“ natürlich!] uns dahin folgen sollten, wie sie nur könnten. EE.62
Ebenso ihn bestärkend in seiner subjektivistischen „Bedeutsamkeit“:
Für Dich gibt es eine Wirklichkeit, eine Stelle wo du hingehörst und entsprechende Pflichten. Stelle dich in die Mitte des Stromes von Macht und Weisheit, welcher als Leben in dich hinein sich ergiesst; stelle dich in den vollen Mittelpunkt jener Strömung, dann bis du ohne Anstrengung zum Rechten, zur Wahrheit und zu einer vollkommenen Zufriedenheit [zumindest mit Dir selbst!] getrieben. Dann schlägst du alle deine Widersacher. Dann bist du die Welt, das Maß für Recht, für Wahrheit und Schönheit. EE.103
Sowie auch:
Was ein Mann schafft, das hat er. Was hat er mit Hoffnung und Furcht zu tun? In ihm selbst liegt seine Macht. Lass ihn kein Gut als ein beständiges ansehen, als allein das, was seiner Natur liegt und was aus ihm erwachsen muss, so lange er existiert. Die Glücksgüter mögen kommen und gehen gleich Blättern, die der Sommer bringt, lass ihn damit spielen und sie in alle Winde streuen, als die momentanen Zeichen von seiner nie aufhörenden Produktionsfähigkeit. Mag er sein Eignes haben. Eines Menschen Genie, die Eigenschaft, die ihn von jedem Andern verschieden macht, die Empfänglichkeit für eine gewisse Art von Einfluss, die Auswahl dessen, was für ihn passend ist, die Verwerfung dessen, was unpassend ist, bestimmt für ihn den Charakter des [aber eher nur seines!] Universums. Wie ein Mensch denkt, so ist er und wie ein Mensch wählt, so ist er und so ist seine Natur. EE.106
Mit diesen schmierigen Ansichten schmorte N wieder nur in grundsätzlich seinem eigenen Fett. Ist das so unbedingt notwendig und als allgemeingültiger Normalfall anzuempfehlen? Immer wieder kreiste N - und es wurde ihm bei Emerson immer wieder vorgemacht und als „gut“ und „bestes“ erklärt! - um sich selbst, um allein sein Wirken, Denken, Handeln, Fühlen als Gesetzmäßigkeit für die ganze Welt! Es gibt zu viele solcher „Flöhe“, die Emerson N nachdrücklich ins Ohr gesetzt, aber „vergessen“ hatte, ihm gleichzeitig und nachhaltig beizubringen, dass es außer ihm selbst auch „die Anderen“ gibt und dass von diesen - wie immer man sich seine „Moral“ zurechtlegen mag! - im Ganzen gesehen jeder für sich die gleichen Rechte geltend machen kann, - auf gleiche Weise wie sie ein Einzelner - wenn er auch zu wer weiß wie grotesk ausfallenden Extrawürsten neigt! - diese für sich allein reservieren möchte!
Und ebenso:
Was hast du getan? ist die göttliche Frage, die dem Menschen gestellt wird und die jedes falsche Ansehen zu Boden streckt. EE.117 [Dabei sollte die Frage nicht so sehr „Was“, sondern für wen „getan“, lauten, denn was N sein Leben lang verfolgte - der übermäßige „Ruhm“! - er erfüllt sich nicht allein aus ihm selbst heraus, sondern wäre - im Sinne von Nachhaltigkeit! - von denen zu tragen gewesen, für die und um die Er sich verdient gemacht hätte: Also nicht als Anspruch, sondern als Lohn! Nicht nur aufgrund der Kräfte seiner Sehnsucht konnte ihm ein solcher gelingen, sondern aus vollbrachten Taten, die sich für das Leben „der Anderen“ als wohltätig erwiesen: Gibt es die? Bis auf zwei hätte N da nichts anzugeben, - denn neben einer Unmasse an Kritik und festgestellter Unzulänglichkeit „der Anderen“ ist von ihm als positives Ziel nicht mehr geblieben, als sein Wille zum „Übermenschen“ und zu einem allgemeinen Bekenntnis zu seiner „Ewigen Wiederkehr“. Nichts-desto-Trotz hat N zu der von Emerson gestellten und von ihm selber unterstrichenen Frage hier ein „Ja!“ an den Rand geschrieben.
Und auch:
Der Gentleman ist ein Mann der Wahrheit, [ein unverkennbar Byron-Manfredischer] Herr seiner eignen Handlungen und drückt die Herrschaft in seinem Benehmen aus, das in keiner Weise etwas von Abhängigkeit und Unterwürfigkeit an sich trägt [worin Ns Vorstellung von seiner später so wichtig genommenen und zum Argument gebrauchten „Vornehmheit“ vorgeprägt war], weder in Hinsicht auf Personen, Meinungen oder Besitztum. Außer diesem Tatbestande von Wahrheit und wesentlicher Kraft bezeichnet das Wort [„Gentleman“] Gutmütigkeit oder Wohlwollen: Männlichkeit hauptsächlich und dann sein Benehmen. Die populäre Vorstellung bringt hiermit immer einen Zustand von Behagen und Glück in Verbindung. Aber das ist ein natürliches Resultat persönlicher Macht und Liebe, dass sie die Güter der Welt besitzen und verteilen EE.360 [worunter N allerdings „geistigen Besitz“ verstehen wollte!].
All diese größenwahnsinnigen Sprüche haben Ns jugendliche Vorstellung vom starken, selbständig denkende „Mann-„ und „Menschsein“ - der sich um die nirgends vorkommenden „Anderen“ nicht zu scheren brauchte - beeindruckt! Sie stammten aus einer ganz anderen Welt, als dem ihn bislang umgebenden und ihm wohl auch ein Stück weit zum Halse heraushängenden häuslichen Pfaffentum und dessen alles in Gottgefälligkeit kehrende „höhere“ Anpassung und Gehorsamkeit, die einem widerspruchsgeneigtem Wesen, wie dem seinen, für die gesamte Christlichkeit typisch erscheinen musste, weil er kaum Anderes kannte, so dass er - und auch das hat er bis an das Ende seiner „Schaffenstage“ beibehalten - in seinem für ihn selber geschriebenen Aufsatz erklären konnte, dass „nur [seine!] christliche Anschauungsweise“ einen und seinen „Weltschmerz hervorzubringen“ vermag! Was er nicht kannte, von dem glaubte er, als „fatalistische Anschauungsweise“, dass dort sein Weltschmerz nicht vorkommen würde, was als „Logik“ recht einfältig, aber bei einem Siebzehnjährigen verzeihlich wäre, - - - wäre er nicht lebenslang immer wieder solchen kurzschlüssigen Annahmen und Folgerungen erlegen. Für die Zeit seines Jugendaufsatzes schien es ihm jedenfalls:
Vollends eine Vermessenheit, philosophische Probleme lösen zu wollen, über die ein Meinungskampf seit mehreren Jahrtausenden geführt ist: Ansichten umzustürzen, die den Menschen nach dem Glauben der geistreichsten Männer erst zum wahren Menschen erheben [deren einer Er - um alles in der Welt! - selbst sein wollte! Auf diesen Anspruch lief das von ihm Besitz ergriffen habende „Herrscheramt“ hinaus und so meinte er des Weiteren, es gehöre zu seinem gewaltigen Vorhaben auch:]
Naturwissenschaft mit Philosophie zu einigen, ohne auch nur die Hauptergebnisse beider zu kennen [diese Tatsache war ihm als Ursache seines „Weltschmerzes“ also durchaus bewusst!]: endlich aus Naturwissenschaft und Geschichte [das wäre dann der ihm zunächst bevorstehende Schritt gewesen] ein System des Reellen aufzustellen [worunter er verstand, zu einer „Weltanschauung“ zu machen, was ihm richtig schien, d. h. passte und gemäß sein würde! - Genau dem galt in seinen Jahren „als Philosoph“ von 1876 bis in die ersten Tage des Jahres 1889 seine gesamte Aufmerksamkeit und Mühe!], während die Einheit der Weltgeschichte und die prinzipiellsten Grundlagen sich dem Geiste noch nicht offenbart haben. BAW2.54
Diesem Ansatz ist N gefolgt, auf dass sich seinem Geist nach und nach in immer wieder angelaufenen Versuchen neue - von ihm stammende! - „mögliche“ Grundlagen, vor allem zur Zukunfts-„Moral“! - offenbarten! Das Endergebnis davon war seine von endlosen Widersprüchen umgebene „Ewige Wiederkehr“!
Sich in das Meer des Zweifels hinauszuwagen, ohne Kompass und Führer [die ihm nicht zur Verfügung standen!] ist Torheit und Verderben für unentwickelte Köpfe [nicht aber für ihn, denn genau das hatte er - kraft seines „Herrscheramtes“! - auf kolumbianische Weise vor. Hier schon! - Das gewählte „Bild“, um das, was er meinte, darzustellen, lässt hier schon unmissverständlich auf „Kolumbusartiges“ - wie er das später deutlich betonen sollte! - schließen: Alles in Zweifel zu ziehen, was ihm, seinem Wesen, seinem Wissen, seinen Gefühlen - die allesamt für jeden Menschen anders sind - nicht entsprach!]; die Meisten werden von Stürmen verschlagen, nur sehr wenige entdecken neue Länder. Aus der Mitte des unermesslichen Ideenozeans sehnt man sich dann oft [damit bot N einen Berichtsfetzen aus höchst eigner Befindlichkeit!] nach dem festen Lande zurück [die Tatsache, dass Er hier nur von sich selber sprach, offenbaren besonders seine unmittelbar folgenden Worte]: wie oft überschlich mich nicht bei fruchtlosen Spekulationen die Sehnsucht zur Geschichte und Naturwissenschaft BAW2.55 [die beschlichen ihn zwar, konnten ihm aber nichts anhaben, weil er - am wenigsten noch für die Wissenschaft! - auf keinste Weise ernsthaft geeignet war]!
„Fruchtlose Spekulationen“! Bisher! Die Richtung war vorgegeben! Hier ist nicht so sehr zu bewundern, dass N so früh so viel über sein kommendes Leben und Werden zu ahnen oder gar zu wissen schien, sondern den Fakten nach war es umgekehrt: Es scheint nur so! Weil zu dem, was N hier unter der geistigen Schirmherrschaft Emersons ausbreitete, nichts hinzugekommen ist! Er blieb einfach nur bei der unmöglich gelingen könnenden Vision von einer 5XL-mal überlebensgroß vorgenommenen oder ersehnten, an die unglaublichsten Superlative geknüpften „Lebensaufgabe“ stur und starrköpfig diese erfüllend hängen: Aufgrund von mangelnder Selbstkritik und Einsicht in die Realität des Lebens war er unfähig zu einer bescheideneren, dafür aber zu einem brauchbaren Abschluss zu bringenden Aufgabe als Inhalt seines Lebens, das zum Davon-ablassen geführt hätte, in superlativisch unersättlicher Lust immer nur ohnmächtig gegenüber der Realität „nach den höchsten Kronen“ 4.5.84 zu greifen.
Geschichte und Naturwissenschaft, die wundervollen Vermächtnisse unsrer ganzen Vergangenheit, die Verkünderinnen unsrer Zukunft, sie allein sind die sichern Grundlagen, auf denen wir den Turm unserer Spekulation bauen können. BAW2.55
Hier ist der 17-jährige N - sein „Ich“ neutralisierend! - in den Pluralis majestatis, in das reine Erhabenheit über alles vermittelnde, „herrscheramtliche“ „Wir“ der Fürsten und Autoren ausgewichen - denn er war - wie sich erweisen wird! - aus einer Reihe verschiedenartiger Gründe gar nicht bereit, „Geschichte und Naturwissenschaft“ in Emerson‘scher Konsequenz, so wie eben beschrieben, gelten zu lasen. In seinen Erfüllungs-Visionen des absolut Äußersten, das Emerson in seinen „Essays“, im Kapitel „Kreise“, geboten hatte - nämlich dass streng nach dessen in vollem Ernst die auf die eigene Existenz bezogene Aussage „Seht euch vor, wenn der große Gott einen Denker auf unsern Planeten kommen lässt“ alles „in Gefahr wäre“ EE.226 gelten sollte, beabsichtigte N die „Geschichte und Naturwissenschaft“ nur als „Grundlagen“ benutzen zu wollen, auf denen er „den Turm seiner Spekulationen bauen könne“, - was vollkommen unwissenschaftlich war, aber Ns Verhältnis zur Wissenschaft schlaglichtartig beleuchtet! Auf diese gedanklich chaotische Weise fuhr N, seine Meinung wieder direkt als „ich“ vertretend in seinem frühen Aufsatz fort; und wieder schloss er dabei von sich auf andre und wieder unterliefen ihm große Gedankensprünge:
Wie oft erschien mir nicht unsre ganze bisherige Philosophie als ein babylonischer Turmbau [da meinte der gerade gut Siebzehnjährige - aber was kannte er damals schon, außer einer Reihe von griechischen Schulungs-Texten? - an bisher gedachten Welterklärungsversuchen, die jedenfalls alle nicht seinen Vorstellungen und seelischen Bedürfnissen nach eigenem „Großsein“ entsprachen! Was nur durch ein Semikolon getrennt, darauf folgt ist ein vom Vorangegangenen eigentlich völlig unabhängiger Gedanke, d.h. eine in sich geschlossene Behauptung, denn er schrieb]; in den Himmel hinein zu ragen ist das Ziel aller großen Bestrebungen [da beschrieb er sein eigenes und wie er meinte geheimes Wollen, - das in Gestalt eines entschieden zu maßlos aufgefassten „Herrscheramtes“! - die Totalität seiner Vorstellung von dem hier bereits angerissenen „Ziel“ in Worte fasste: Einmal selbst größte, wahrste, alles Bisherige überstrahlende Philosophie und Welterklärung, Weltvermessung und Weltbewertung zu betreiben! Darauf folgte der etwas hilflos angehängte Satzteil]; das Himmelreich auf Erde heißt [für ihn?] fast dasselbe.
Was N da, mehr unbewusst als freiwillig zu Papier gebracht hatte, war ihm von seinen Gefühlen und Sehnsüchten - von seinen Illusionen! - diktiert. Er sollte über dieses mit tatsächlich „brauchbaren“ oder auch nur sinnvoll wirkenden „Erkenntnissen“ seiner „Philosophie“ nie hinausgelangen, - auch wenn er darum in den folgenden Jahren eine Unmasse von Worten in Bewegung zu setzten verstand.
Eine unendliche Gedankenverwirrung im Volke ist das trostlose Resultat [wann? warum? In einem gleichsam zweiten Satz-Anlauf lieferte er die Begründung, die aber - er sprach ja wieder von sich! - nur sein eignes Gefühlsleben schilderte:]; es stehen noch große Umwälzungen bevor, wenn die Menge erst begriffen hat, dass das ganze Christentum sich auf Annahmen gründet; die Existenz Gottes, Unsterblichkeit, Bibelautorität, Inspiration und anderes [all die Zweifel also, die - von anderen bereits angeregt! - er längst - allerdings nicht auch gegen die von ihm neuerdings angenommenen Emerson’schen Welt- und dessen Erwähltheits-Weisheiten - hegte! - Diese nämlich auch] werden immer Probleme bleiben. [Und an dieser Stelle kam er auf den Ernst seiner Lage zu sprechen! Deutlich und unmissverständlich war er dabei bereits Partei:] Ich habe alles zu leugnen versucht: o, niederreißen ist leicht, aber aufbauen! BAW2.55
Mit diesem elementaren Satz hat N sich selbst mit seinem „Ich“ in das beschriebene Problem gestellt und Partei ergriffen! Damit ist dies ein elementarer Satz über eine der wichtigsten Erfahrungen Ns! - Zugleich ist es eine der wenigen vollumfänglich stimmenden - weil nämlich am eigenen Leibe erfahrenen - „Erkenntnis“, die N von sich gegeben hat: „Niederreißen“, Vorhandenes in Frage stellen, in Zweifel ziehen, madig machen, kritisieren, mit geschickten Argumenten als nicht unbedingt glaubwürdig darzustellen ist leicht: darin würde er, schon wegen dem geschliffenen „Stil“ den er entwickeln sollte, schwerlich zu übertreffen sein und folglich seine zu respektierende „Kunst“ bestehen: „Aber aufbauen“? Bis auf zwei höchst fragwürdige oder sogar irre „Ideen“ oder eher nur „Einfälle“ wird es nichts geben, woran, worin und womit N erklärterweise eine gewisse Aufbauarbeit geleistet hätte: Es sind dies a) seine Lehre von der „Ewigen Wiederkehr“ als eine von ihm „hart erkämpfte“ moralische Grundlage dafür, dass jeder gegenwärtige Mensch sich durchzustreichen und zu dienen hat für die über b) seine Existenz „hinausgehende“ Kulturleistung der Züchtung des „Übermenschen als der Sinn der Erde“ 4.14, den N unter der Maske seines „Zarathustra“ als eine „Erhöhung des Typus Mensch“ JGB.257 in einigen Jahren lauthals propagieren sollte.
Auch diese Aussage Ns ist in ihrem Kern zurückzuführen auf Emerson. In dessen „Essay“ mit dem Titel „Kreise“ heißt es:
Die Hand, die baute, kann aber noch viel schneller niederreißen. Besser als die Hand und noch schneller der unsichtbare Gedanke, welcher das Ganze erfand und so ist immer hinter der groben Wirkung eine feinere Ursache, welche in der Nähe gesehen wieder nur die Wirkung einer noch feineren Ursache ist. Alles erscheint permanent [dauernd, beständig], ehe man [mit zunehmendem eigenem Alter] die geheime Entstehung [und die Vergänglichkeit] desselben kennt. EE.221f
Auch hier hatte N seitlich eine dicke Markierung angebracht! In seinem Aufsatz fuhr N nach der Erkenntnis, wie schwierig - ihm!- das Aufbauen fiel, fort:
Und selbst niederreißen scheint leichter, als es ist; wir sind durch die Eindrücke unsrer Kindheit, die Einflüsse unsrer Eltern, unsrer Erziehung so in unserm Innersten bestimmt, dass jene tief eingewurzelten Vorurteile sich nicht so leicht durch Vernunftgründe oder bloßen Willen herausreißen lassen. BAW2.55
Hier stellte N - wie im Brief an die Freunde! - seine ihm erstmals vorliegenden und als einzige „Vernunftgründe“ bezeichneten Einsichten gegen die in etlichen Jahrhunderten geistesgeschichtlicher Evolution entstandenen, aber von ihm - weil sie ihm keine Sonderrolle gestatten wollten! - abwertend als „Vorurteile“ eingeschätzten Kenntnisse! - und damit stellte Er sich - wieder einmal! - als ebenbürtig gegen den „Rest der Welt“! - Ohne in Betracht zu ziehen, wie sehr das alles - Ihn eingeschlossen! - in geschichtlichen Zusammenhängen steht, die nicht mit seinem Denken begonnen haben, sondern weit größer sind als er je zu ahnen schien, weshalb die von ihm gewählten Begriffe einfach nicht passten, so wenig, wie das, was er nachfolgend leichtfertig zusammenschrieb:
Die Macht der Gewohnheit, das Bedürfnis nach Höherem, der Bruch mit allem Bestehenden, Auflösung aller Formen der Gesellschaft, der Zweifel, ob nicht zweitausend Jahre schon die Menschheit durch ein Trugbild irre geleitet [wäre? - Dazu gehört doch - auf Jahrtausende bezogen! - die letztlich nichts als irre Einstellung, dass es möglich wäre, das Er besser wissen könne, als es der Menschheit - bis zum ihm hin! - gelungen war! - Natürlich gehörte dazu:], das Gefühl der eignen Vermessenheit und Tollkühnheit: das alles kämpft einen unentschiedenen Kampf, bis endlich schmerzliche Erfahrungen, traurige Ereignisse unser Herz wieder zu dem alten Kinderglauben zurückführen [um wieder alles auf sich beruhen zu lassen?].
Da sieht man N geradezu zwischen seiner Neigung zur Selbstüberschätzung und der Verkennung seiner Wirklichkeit hin und her schwanken, in unvollständigen Satzfetzen - zwischen der Lust an Selbstentfaltungs- und Besserwisserwillen gegenüber den „zweitausend Jahren“, die „schon die Menschheit durch ein Trugbild irre geleitet“ nach Weisheiten „der Anderen“, verbracht hat! - Alles im Vergleich mit der erleuchtenden „Wahrheit“, die ausgerechnet seine Seele erfüllte! Diese hier kaum zu bemerkende Keimzelle seines zu Berühmtheit gelangen wollenden „Willens zur Macht“ im „Kampf“ mit den beklemmenden Schwierigkeiten, die dazu notwendigerweise „aufbauenden“ Leistungen vollbringen zu können! - Mit dem Erfolg, vielleicht doch lieber - aus Unfähigkeit entsagend! - beim Glauben an Altbekanntes zu verharren! - Der Wille hervorzutreten und etwas zu wagen gewann jedoch bei N - nicht nur hier ohne an „die Anderen“ zu denken! - die Übermacht:
Den Eindruck aber zu beobachten [was eine Position war, über die N nie hinausgekommen ist, weil er nicht in größeren Zusammenhängen denken konnte und], den solche Zweifel auf das Gemüt machen, das muss einem Jeden ein Beitrag zu seiner eignen Kulturgeschichte sein. Es ist nicht anders denkbar, als dass auch etwas haften bleibt, ein Ergebnis aller jener Spekulation, was nicht immer ein Wissen, sondern auch ein Glaube [eine unbewiesene Illusion!] sein kann, ja was selbst ein moralisches Gefühl bisweilen anregt oder niederdrückt. BAW2.55f
Da war schon alles, was N ausmachen sollte, beisammen: „Zweifel“, „Gemüt“, „Kulturgeschichte“, „Spekulation“, „Wissen“, „Glaube“, „moralisches Gefühl“ und die „Anregung“, das „Erhobensein“ mitsamt dessen Gegenteil, der „niedergedrückten“ und niederdrückenden, bei ihm letztlich „bipolaren“ Empfindungen: Lauter Begriffe, mit denen seine Art zu „philosophieren“ es mit durchaus bewundernswerter Effekthascherei verstehen sollte, behände zu jonglieren:
Wie die Sitte als ein Ergebnis einer Zeit, eines Volkes, einer Geistesrichtung dasteht, so ist die Moral das Resultat einer allgemeinen Menschheitsentwicklung [aus der aber - noch nie so wie bei N! - „die Anderen“ einfach herausgelassen werden konnten!]. Sie [die Moral!] ist die Summe aller Wahrheit für unsre Welt [in der „die Anderen“ die ihnen - auch wenn N das 10 mal nicht auf der Rechnung hatte! - ihre gebührende Beachtung verdienen!]; möglich, dass sie in der unendlichen Welt [was hätte als solche zu gelten?] nicht mehr bedeutet, als das Ergebnis einer Geistesrichtung in der unsrigen [genau das wagte N zu seinen Gunsten hoffen, weil das, für wahr genommen, ihm die Chance bot, seine Vorstellungen als neue Moral zu positionieren!]: möglich, dass aus den Wahrheitsresultaten der einzelnen Welten sich wieder eine Universalwahrheit entwickelt! BAW2.56
Da lieferte er umgehend gleich eine Kostprobe seiner typischen Vorgehensweise: Eine hingestellte Behauptung zur „Sitte“ und eng dabei eine Aussage zur „Moral“, um diese, ganz beiläufig, gleichfalls in einem etwas weniger endgültig wirkenden Geltungsanspruch erscheinen zu lassen und dabei das Wesentliche, „die Anderen“ nämlich - die ihm nicht in den Kram passten! - einfach unerwähnt und unberücksichtigt zu lassen:
Wissen wir doch kaum, ob die Menschheit [um deren Superlativ N sich bereits in seiner ersten „philosophischen“ Vernehmlassungen zu „kümmern“ vorgab! - und sich damit den Anschein gab, um sie bemüht zu sein und Sorge um sie zu tragen - bloß um nicht konkret wirklich in einen praktischen Kontakt zu „den Anderen“ - aus denen die Menschheit doch besteht! - zu geraten und sich damit zu deutlich bescheideneren Größenordnungen bekennen zu müssen! Er griff von Anfang an außerordentlich hoch. Nicht aus sachlichen Gründen, sondern weil allein in diesem „superlativistischen Stil“ sein Selbstbewusstsein die maximal mögliche Befriedigung finden konnte und bei der Flucht in die Riesenmaße er den für ihn so schwierigen Kleinigkeiten des wirklichen Lebens enthoben war! Sein Geltungsbedürfnis brauchte die Dimension, ob nicht - wenigstens! - „die Menschheit“] selbst nicht nur eine Stufe, eine Periode im Allgemeinen, im Werdenden ist [auf dem Weg zu etwas, das er entfernt noch nicht mit „Übermensch“ zu bezeichnen wagte, aber in etwa so meinte!], ob sie nicht eine willkürliche [darauf lag die Betonung! - die also zu nichts verpflichtende] Erscheinung Gottes [darstellt?]. Ist nicht vielleicht der Mensch nur die Entwicklung des Steines [des leblosen Granits?] durch das Medium Pflanze, Tier? BAW2.56
Wie wenig Ahnung hatte N vom „Leben“, von Biologie im Unterschied zur Physik. Er lebte nur von und in seinen Vorstellungen von einer Welt, die sich für ihn, weit ab von allen neuerlich wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen, noch in einem magischen, frei ausdeutbaren Zustand befand!
Wäre hier schon seine Vollendung [Ns „Übermenschenvorstellung“?] erreicht und läge hierin nicht auch Geschichte? [Nämlich darin, diese Entwicklung a) erkannt zu haben und b) nun absichtlich voranzutreiben zu wollen?] Hat dies ewige Werden nie ein Ende? Was sind die Triebfedern dieses großen Uhrwerks? Sie sind verborgen, aber [das glaubte der 17½-jährige Schlaumeier zu wissen!] sie sind dieselben in der großen Uhr, die wir Geschichte nennen. Das Zifferblatt sind die Ereignisse. Von Stunde zu Stunde rückt der Zeiger weiter, um nach Zwölfen seinen Gang [wie später dann Ns ewig wiederkehrenden Ewigkeiten!] von Neuem anzufangen; eine neue Weltperiode bricht an. BAW2.56
In diesem ersten Aufsatz Ns ist alles bereits im Keim vorhanden, was den gesamten N bis in die ersten Tage des Jahres 1889 ausmachen sollte! - Was wird von N in diesem galoppierendem Durchlauf durch die Jahrtausende - vom Griechentum bis in seine eigene Zeit - allerdings unter Auslassung von allem, was dazwischen lag! - und er von den neuesten Erkenntnissen seiner Zeit so gut wie nichts kannte und deshalb keinen Bezug darauf nahm! - nicht alles angesprochen! Die Welt als Uhr zu sehen war schon dem Mittelalter geläufig, wohl seit es die ersten komplizierteren Uhrwerke mit naturnachahmenden Anzeigen zu sich wiederholenden astronomischen Vorgängen gab. So etwa ab dem ausgehenden 14. Jahrhundert in der großen mittelalterlichen Uhr des Straßburger Münsters beispielsweise zur „wirklichkeitsnah“ nachahmenden Darstellung dessen, was „am Himmel“ beobachtet worden war, ein Rad, das für eine Umdrehung gut 26.000 Jahre gebraucht hätte, wenn der Uhr selbst nicht nach gut 100 Jahren „die Puste ihrer ans Materielle gebundenen Modernität ausgegangen“ wäre und sie erneuert werden musste! Das nebenbei. Hier hat N die Gleichartigkeiten zwischen der Natur und dem menschlichen, automatisierten Nachvollzug recht poetisch darzustellen versucht, auch wenn es, genauer genommen, vorne und hinten nicht passte, denn das, was „wir Geschichte nennen“ mit deren „Ereignissen“ auf einem „Zifferblatt“, ist „als Bild“ von recht undurchdachter Naivität, weil sich in der Geschichte nichts wiederholen kann, sind es doch immer andere Menschen, welche nicht eine so gedachte „Geschichte“ betreiben, sondern leben! Der phantastisch „geistig gemeinte“ Hintergrund von Ns Ausführung ist auch wieder von Emerson angestoßen. Bei ihm heißt es an verschiedenen Stellen, die N gelesen und sich von ihnen beeinflussen lassen hat:
Die Geologie hat uns in die Weltlichkeit der Natur eingeweiht und uns gelehrt, wie wir unsern kleinlichen Maßstab abschaffen und unsere mosaischen [nach Moses, dem „Gesandten Gottes“ aus dem Alten Testament] und ptolemäischen Schemata [Claudius Ptolemäus, 100-175 n. C., war ein griechischer Mathematiker, Geograph, Astronom, Astrologe, Musiktheoretiker und Philosoph. Seine Erkenntnisse bestimmten das Wissen der Zeit, besonders sein „Geozentrisches Weltbild“ mit der von Menschen bevölkerten Erde als Mittelpunkt von Allem - vom Universum! - für mehr als ein Dutzend Jahrhunderte lang geltende „Schemata“ also] gegen ihren [von der Geologie vorgegebenen] großen Stil vertauschen können. Wir sahen nichts richtig an, weil uns die Perspektive fehlte [diesen Satz hat N auch seitlich dick angestrichen! - meinte dabei aber wohl, „nicht nach seiner Auffassung von Evolution, hin zum Übermenschen!]. Nun lernen wir, wie Perioden sich an Perioden anreihen müssen, ehe der Fels gebildet ist, dann ehe der Fels sich abbröckelt [verwittert!] und das erste Flechtengeflecht die dünnste äußere Platte in Sand auflöst und der fernen Flora [das Pflanzenreich], Fauna [die Tierwelt], Ceres [die römische Göttin des Ackerbaues, der Ehe und des Todes] und Pomona [die römische Göttin des Obstsegens, die Frau des Gottes des Herbstes - das waren so die Kenntnisse, die Emerson hierzu immerhin „mitgebracht“ hatte!] die Tür öffnet. Wie fern ist der Trilobit [der in hoch liegenden Gesteinsschichten entdeckte „Dreilapper“, eine vor etwa 150 Millionen Jahren ausgestorbene Klasse meeresbewohnender Gliederfüßer]! wie weit das vierfüßige Tier [die Dinosaurier und hernach die Säugetiere]! Wie unbegreiflich der Mensch! Alle müssen kommen und dann Menschengeschlecht auf Menschengeschlecht. EE.399 [Wobei, grob und nur seit Jesus Christus gerechnet - was damals noch wichtig war! - erst höchstens 100 Generationen von den Letztgenannten über die Erde gegangen sind!]
Dies war eine der Quellen für Ns Zur-Kenntnisnahme der „Entwicklung[/Evolution] des Steines über das Medium Pflanze, Tier“ zum Menschen und in dem Punkt bereits eigenmächtig gedacht, wie er es aufgefasst hatte: Im Sinne eines vergrößernden „Stils“ zur bewussten, gewollten, forcierten Übernahme der Evolution als menschliches Ziel zur Züchtung eines „höheren Typus“ 8.105, zum „Übermenschen“! Ergänzend dazu gehört nämlich Emersons gleich darauf folgender Satz:
Es ist ein langer Weg vom Granit [dem „Stein“ in Ns Formulierung!] hin bis zur Auster; ein längerer noch zu Plato hin und zu der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. EE.400 [Als ob das eine wissenschaftliche Erkenntnis gewesen wäre!]
In die gleiche Richtung weisen folgende Emerson-Abschnitte:
Aber die Natur hat ein höheres Ziel bei der Produktion neuer Individuen als Säkularisation [Loslösung des Einzelnen aus überkommenen - eigentlich kirchlichen - Bindungen], nämlich Ascension [das Aufsteigen], oder das Übergehen der Seele in höheren Formen. EE.289
Das war eine N geradezu rettende Idee: Vor den zu verachtenden, pöbelhaften Niederungen „der Anderen“, denen gegenüber es ihm unerträglich erschien, dazuzugehören, - anstatt sein „Herrscheramt“! - mit seinen von Anfang an geringschätzigen Ansichten und Meinungen über „die Anderen“! - getrost und ungeniert entscheidend ausüben zu können! Das schlägt sich wörtlich noch nieder in „Zarathustras“ Forderung, dass der Mensch „überwunden“ werden und „untergehen“ muss, um im „Übermenschen“ - bei Emerson der „plus-man“! - als „Erhöhter Typus“ wieder aufzuerstehen, was ja im bei Emerson vorgefundenen Wort „Aszension“ [die Himmelfahrt Christi!] geistig enthalten war! - Die Bedeutungsschwere dieser Emersonbindung reichte bis in derartige, aber gar nicht mal weit von Ns überkommenen Glaubenstiefen entfernte „Inhalte“ zurück oder hinein und ersetzte deshalb bei N auch ziemlich nahtlos das häuslich christlich „alte“ Evangelium, durch ein neues „Emersonsches“ - und machte damit Ns Einschätzung des „Zarathustra“ auch als neues „heiliges Buch“ - allerdings mit allen nur möglichen Vorbehalten! - „verständlich“!
Eine weitere „Wegleitung“ seitens Emerson bietet die Stelle, wo „wir uns selbst“ auf „einem Wege, dessen Endpunkte wir nicht kennen“ begegnen: „Wir erwachen und erblicken uns auf einer Treppe: da sind Treppen hinter uns, die wir heraufgestiegen zu sein scheinen; da sind Treppen über uns, manche, die hoch gehen und die wir aus dem Gesichte verlieren“ EE.304 und so weiter. Bei N heißt es - diesem Emerson-Bild entsprechend! - in einer Notiz aus dem Sommer 1883:
Wie hoch in wohne? [Hoch über allem, was für „die Anderen“ die Welt ausmacht! - oder: was „den Anderen“ etwas bedeutet!] Niemals noch - wenn ich stieg [aufwärts natürlich!] - zählte ich die Treppen [die Stufen!] bis zu mir [die von „den Anderen“ zu ersteigen sind, um ihn in seiner „herrscheramtlichen“ Höhe zu erreichen! - und das natürlich von oben her - von ihm aus! - gesehen!]: - doch soviel weiß ich von meiner Höhe: mein Dach und Fach beginnt [in superlativischer Unersättlichkeit, die ihm eigen war und im Gegensatz zu „den Anderen“!] da, wo alle Treppen aufhören. 10.440
Also da, wo niemand außer ihm hingelangt! Er als der Endpunkt, gemäß seinem Ausspruch aus dem Sommer bis Herbst 1883, dass er sich als „Vollender des Daseins“ 10.487 erleben wollte. Für ihn war das leicht, da er eh in völlig haltloser, nur eingebildeter Höhe lebte! Bezeichnend für N ist diese immer wiederkehrende Wortwahl und Formulierung seiner Besonderheit, die - für den, der über N Bescheid weiß! - aus allem, was er schrieb, herauszuhören ist.
Was die von N lebenslang intensiv betriebene, beschworene, erwünschte und - in Form einer ausgewachsenen Lebenslüge! - krampfhaft bemühte „Erhöhung des Typus Mensch“ FW.377 betrifft, ist festzustellen, dass diese, da sie realistischer Weise entfernt nicht im Bereich seiner praktischen Möglichkeiten lag, eine der Wirklichkeit nicht entsprechende Vorstellung darstellte, eine Fiktion, die N aber - letztlich aus ihm unbewusst gebliebenen Nützlichkeitserwägungen heraus! - unbeirrt beibehielt, weil sie ihm „erlaubte“, mit einer gut gemeinten und auch noch moralisch erscheinenden Ausrede, seine ihm „herrscheramtlich“ eigene Verachtung „der Anderen“ - vor sich selbst „gerechtfertigt“! - ausleben zu können. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen Ns Bemühungen um eine „Erhöhung des Typus“ - seiner selbst und „des Menschen“ ganz allgemein! - als Symptom, als Merkmal eines geistigen Defektes, einer bedenklichen Schieflage in der Einschätzung seiner Selbst und seines Bezuges zur ihn umgebenden Welt!
Weitere Vorlagen für das nach zweierlei Maß bemessene Oben und Unten, für die „Steigerung“, „Veredelung“, für das angeblich evolutionäre „Streben“ der Natur, in welcher N sich als Spitze selbstbewusster Avantgarde, als Vorkämpfer, Vorbild und „edles Beispiel“ sah, lieferte Emerson auf vielfache Weise:
Pflanzen sind die Kleinen der Welt, Gefäße, in denen Gesundheit und Lebenskraft verborgen liegt; aber immer streben sie zum Bewusstsein zu kommen; die Bäume sind unvollkommene Menschen und scheinen, im Boden festgewurzelt, ihre Gefangenschaft zu betrauern. Das Tier ist der Anfänger und Probelehrling einer schon vorgerückten Klasse. Die Menschen, die, wenngleich jung, den ersten Tropfen aus dem Becher des Gedankens gekostet haben, sind schon zerstreut: der Ahorn und das Farnkraut sind noch unverdorben ….. EE.401
Da wurde N das philosophisch prahlerische Drauflosgerede auf verwirrende und zur Nachahmung reizende Weise vorgemacht! Auch das „Zurück zur Natur“, die negative Sicht auf den Menschen als ein Mängelwesen, das viel besser ausgerüstet sein sollte, sowie der anthropozentrische Blick im Vergleich zu den „Nicht-Menschen“ in der sonstigen Natur, ohne zu bedenken, dass es sich nur um graduelle Unterschiede im „Umgang des Lebens mit Informationen“ bezüglich des möglichen oder eben nicht möglichen inhaltlichen Abstraktionsgrades handelt.
Das Buch der Natur ist das Buch des Schicksals. Sie [die Schicksalsgöttin oder die Natur?] wendet die gigantischen Seiten, Blatt für Blatt, - niemals schlägt sie eins zurück. Ein Blatt legt sie nieder, es ist eine granitne Flur; dann, nach eintausend Menschenaltern, ein Blatt von Schiefer; noch eintausend Geschlechter und eine Kohl[e]schicht; eintausend Menschhalter und eine Lage von Marmor und Kreide; es erscheinen vegetabilische [pflanzliche] Formen; ihre ersten missgestalteten [was für ein naiver homo- und egozentrischer Nerv doch zu einer solchen Wertung gehört! Es ist die eingefleischte, unüberlegte Arroganz dieser Rasse - wie aber wohl jeder anderen auch] Tiere, Zoophyten [festsitzende Hohltiere, wie Seeanemone oder Weichkoralle], Trilobiten [Urform der Spinnentiere, Krebse und Insekten], Fische; dann Saurier, raue Formen, in welchen sie nur in Blöcken ihre künftigen Statuen gemeißelt hat [wie da die biblische Schöpfungsgeschichte mit ihren Zielen und Zwecken auf den Menschen hin, welcher im Zuge der Aufklärung gerade überraschende Naturphänomene zur Kenntnis bekommen hatte, noch durchklingt!] in diesem ungeschlachten Ungeheuern den schönen Typus ihres künftigen Königs [des homo-sapiens?] verbergend. Die Oberfläche des Planeten kühlt und trocknet aus, es veredeln sich die Rassen und der Mensch wird geboren [herrlich!]. Aber wenn eine Rasse ihre Zeit ausgelebt, so kehrt sie nimmer wieder zurück. EL.10
Aus dieser recht einfach gestrickten Vorstellung von Evolution erwuchs N der ihm ja wohl realistisch erscheinende „epochale Gedanke“, ihren weiteren Verlauf in Richtung auf den „höheren Menschen“ MA2.64 - vor dem ihm dann kein Ekel mehr ankommen würde! - als seine „Schöpfung“ und seine Erhöhung, züchtend „in die eigene Hand“ genommen! - Das, meinte N, würde die göttlich großartigste Aufgabe für einen Sterblichen werden müssen: als Vollender der Schöpfung gelten zu können! Das meinte N auch, als er im Herbst 1883 allen Ernstes an „Zarathustra“ denkend, aber von seinen eigenen Absichten berichtend in sein Notizbuch schrieb:
Er legt auf Jahrtausende die Hand. 10.567 Das wiederum ergab sich aus Ns Absicht: Beherrschung der Menschheit zum Zweck ihrer Überwindung Überwindung durch Lehren, an denen sie zu Grunde geht, ausgenommen die, welche sie aushalten. 10.512
Dazu gehört die eindeutige Formulierung aus dem Jahr 1883 - zu der wohl im Stillen an sich selber gestellten Frage, was seine Absicht war und N sich diese Antwort gab:
„Nicht den Menschen wohlzuthun - das Dasein selber zu vollenden, mich als Vollender zu schauen
3. Der größte Schmerz: die nutzlose Vergeudung Zarathustra’s als ewig wiederholt.
Lösung: noch einmal versuchen!
Nicht ihre Sünden und Schwächen, sondern alle ihre Vollkommenheiten trug ich, als ich am meisten von allen Menschen litt.“ 10.487
Wieder ging es also um die „Starken“! Und auch N wollte „es“ aushalten! Deutschland musste es aushalten, - bis 1945 endlich so gut wie alles in Schutt und Trümmern lag!
Die Bevölkerung der Erde ist eine bedingte Bevölkerung; nicht die beste, aber die beste, die jetzt eben leben kann [immerhin hatte Emerson seinen Leibniz (Gottfried Wilhelm, 1646-1716, ein deutscher Philosoph, Mathematiker, Diplomat, Historiker, Politiker und einer der wichtigsten universalen Vordenker der Aufklärung) gelesen oder von ihm vernommen, von dessen „Theodicee“, in der jener zur Rechtfertigung Gottes weit in die geistige Relativierung des Seins vordringend, die bestehende Welt „zur besten aller möglichen Welten“ erklärte]; und die Stufenleiter der Stämme und die Stetigkeit, mit welchen Sieg dem einen und Niederlage dem andern folgt, ist eben so uniform als die Übereinanderschichtung der Erdreichslagen. EL.10f
Das Fatum [Schicksal, Geschick, Verhängnis, der geschichtliche Verlauf?] schließt Verbesserung [eine Neigung zum Komplexeren!] in sich. Kein Zustand des Universums kann ein gesunder sein, wenn er nicht eine aufstrebende Anstrengung zulässt. Die Richtung des Ganzen ist zum Besten und im Verhältnis zur Gesundheit.
Da schien Emerson der Natur so etwas wie eine „Übermensch-Tendenz“ zu unterstellen und so hat N das übernommen! In diesem zentralen Zusammenhang war das für den ja sehr kranken N von Emerson hier vorgegebene „Verhältnis zur Gesundheit“ sogar von besonderem Interesse, bedeutet es doch, wie es Ns „Lebenspraxis“ erweisen wird, dass und wie sehr N seine Bestrebungen um die Erhebung, „Erhöhung des Typus“, die „Züchtung des Übermenschen“, immer unmittelbar mit der Gewinnung seiner eigenen „höheren“ oder überhaupt nur dauerhaft erscheinenden „Gesundheit“, über die er nie verfügte, verbunden hat!
Hinter jedem Individuum schließt sich die Organisation, vor ihm öffnet sich die Freiheit. Die ersten und geringsten Rassen sind tot, die zweiten und unvollkommenen sterben aus oder bleiben, um zu höheren heranzureifen.
Zum Übermenschen? Überaffen? Überelefanten? Zu Überhund und Überkatze? Oder was noch alles - um die Lächerlichkeit dieses Bestrebens deutlich zu machen! - Weil ja auch das denkbar wäre? An dergleichen erlebte N die „philosophische“ Eigendynamik seines falsch verstandenen Wertens!
Bei der letzten Rasse, dem Menschen, ist die Großherzigkeit, jede neue Erkenntnis, die Liebe und der Dank; die er seinen Mitmenschen abzwingt, ein Beweis von seinem Vorwärtsbewegen aus den Kreisen des Fatums heraus nach denen der Freiheit; Befreiung des Willens von den Scheiden und Klötzen der Organisation, aus welcher er heraus gewachsen, ist das Ziel und der Zweck dieser Welt. EL.25
Das ergab zwar ein hübsches „Weltbild“ für die eigene Vorstellungskraft, hat aber nichts mit der Wirklichkeit dieser Welt zu schaffen. Sie ist ganz einfach nicht so. Das ist alles! Einmal jedoch in dieser Vorstellung befangen, wird sie in zig Varianten vorgeführt, wie beispielsweise in Emersons Ansichten „Von der Macht“, - eingeleitet wieder einmal mit wohl selbst verfertigten Versen, deren Superlativierungen Ns Seele geschmeichelt haben:
Seine Rede war Glockentönen, Seine Hand warb Künstlers Lohn, Sein Gesicht war das Urbild des Schönen, Sein Herz des Willens Thron. EL.36
Und es folgt:
Ein vollkommener Mensch [der sich, ausgehend von seiner realen Existenz, in jedem Fall und in jeder Beziehung noch vollkommener denken lassen wird!], stark in Kenntnissen und kühn in Taten ist das Ziel, nach welchem die Natur hinstrebt und die Erziehung des Willens ist die Blüte und Frucht all dieser Geologie und Astronomie. EL.37
Das Motiv kehrte immer wieder und hat N „überzeugt“. Er hat dem nachgelebt, sehr einseitig und - alles andere als auf neuartige Weise denkend! - all seine Wertungen kritiklos auf dergleichen uralt biblisch geprägte „Ziele“ bezogen. - Genau so stand es mit Emersons Aussagen „Von der Bildung“:
Der nur ist ein wohlgemachter Mann, der seine Bestimmung erkannt hat [wovon N für seine Person doch überzeugt sein wollte! Er wusste somit, wozu er geschaffen war!] Und das Endziel der Kultur ist nicht, dies zu zerstören, bewahre Gott! sondern nur alle Hindernisse und schwächenden Mischungen zu entfernen und nichts als reine Kraft zurückzulassen. EL.93
Das war - wie auch das Folgende! - N geradezu auf den Leib geschrieben. Mit diesen Inhalten hatte N sich identifiziert, sie verinnerlicht, sie „erfüllt“ und nach ihnen als seinem neuesten „Schulgesetzt“ gelebt. Wie auch nach „Anweisungen“ wie diesen:
Die fossilen Strata [Lebensraumschichten, Ablagerungen in einem Biotop] zeigen uns, dass die Natur [das Leben?] mit Urformen begann und zu den zusammengesetzteren aufstieg, sobald die Erde zu ihrem Wohnplatze geeignet war; und dass die niederen untergehen, wenn die höheren erscheinen [was durchaus nicht immer so erfolgen muss]. Noch können wir von nur wenigen unsrer Rasse sagen [und hier brach wieder der auch N so zutiefst eigene elitäre Dünkel durch], dass sie vollkommene Menschen sind [das war der immerwährende Stachel, sich „Menschen“ - oder sogar nur einen! - zu wünschen, die/der ihm gefallen würde, d.h. seinen unerfüllbaren Ansprüchen genügen würde! - So übertrieben wie bei N geriet das zu seinem „Übermenschenwahn“]. Es kleben uns noch manche Überreste von der nächstniederen, vorhergehenden Vierfüßlergattung an. Wir nennen diese Millionen Menschen, aber sie sind noch keine [wobei der so Urteilende aus unerfindlichen Gründen nie auf die Idee gekommen wäre, sich selbst zu den „Viel-zu-Vielen“, „Überflüssigen“ 4.55 und „Noch-nicht-Ausgereiften“ zu zählen, - obgleich, wegen der Unzulänglichkeit seiner Urteile, dazu Grund genug gegeben wäre und also kaum überzeugende Argumente dagegen sprechen würden!].
Halb noch [auf allen Vieren] am Boden klebend, sich zerarbeitend, um frei zu werden, braucht der Mensch alle Musik [als begünstigende Begleitumstände war das gemeint], die beigebracht werden kann, um sich emporzuheben. EL.115
„Empor“! „Excelsior“! Das ist echtester N, weil genau solches dem Wesen seines angeborenen Selbstüberhebungsbedürfnisses entgegenkam. Aber auch Er war - darin allen anderen gleich! - wie alle anderen mit dem geboren worden, worüber er verfügen konnte - mit nicht mehr und nicht weniger! - denn es war nicht unbedingt sein „Verdienst“ - am Ende, die gut zehn letzten Jahr seines Lebens - als hilfloser Idiot dahinzuvegetieren. Genau so wirkte auf ihn:
Das Zeitalter der Vierfüßler [der nicht von ihrem Verstand geleiteten Menschen] geht zu Ende - das Zeitalter des Kopfes und Herzens beginnt [dies einfach so festzustellen setzte ein reichlich naives Gemüt voraus!]. Die Zeit wird kommen, wo die plumpen Formen, die wir noch gekannt haben, sich nicht mehr bilden können. Das Zivilisationswerk der Menschen [was sehr danach klingt, dass der Zweck alle Mittel heiligen dürfe!] darf nichts verschonen, braucht alle Materialien. Er [wer aber? einfach nur „der Mensch“ oder doch wieder ein Idealbild von ihm?] verwandelt alle Hindernisse in Werkzeuge, alle Feinde in Macht. Das furchtbarste Unglück wird sein nützlichster Sklave. Und wenn man die Zukunft der Rasse in dem organischen Streben der Natur sich zu erheben und zu verbessern und in der entsprechenden Richtung der menschlichen Rasse zum Bessern vorgezeichnet sehen soll, so werden wir zu bestätigen wagen, das es nichts gibt, was sie nicht überwinden und bekehren kann, bis zuletzt die Kultur das Chaos und Gehenna [eine biblische Bezeichnung der Hölle] absorbieren [einsaugen, in sich aufnehmen] wird. Sie wird die Furien [die Rachegöttinnen] in Musen [Göttinnen der Künste] und die Höllen in Paradiese verwandeln. EL.115
Darauf ein „Naja“ oder auch ein N‘sches „wohlan“! - Eine solche Begeisterung und Hoffnungsfreude ließe sich auch gemäßigter ausdrücken, zumal es nur Illusionen galt. N jedoch hat so etwas so gut wie wortwörtlich in ein philosophisches „Programm“ verwandelt. Damit zurück zu Ns Gedanken über „Fatum und Geschichte“. N fuhr darin, sein Emerson-Verständnis offenbarend, fort:
Und könnte man als jene Triebfedern [zu dem Uhrwerk für das Zifferblatt der „Ereignisse“ in der Geschichte] nicht die immanente [in den Grenzen der Erfahrung bleibende] Humanität [echte Menschlichkeit mit Sinn für das Gute und Edle im Menschen] nehmen? (Dann wären beide Ansichten [aus der blind wirkenden Evolution und der Zielstrebigkeit zu ewig Höherem?] vermittelt.) Oder lenken höhere Rücksichten und Pläne das Ganze? Ist der Mensch nur Mittel oder ist er Zweck? [Wohl weder, noch! Das lässt sich aus dem Zustand „Zweck“ oder „Mittel“ zu sein, doch gar nicht entscheiden!]
Für uns [oder meinte N gar nur „für ihn“?] Zweck [als Behauptung! - Aber welcher? - wenn es nach allgemeinverbindlichen, für alle geltenden Grundsätzen und nicht nur nach Ns Dafürhalten gehen sollte?], für uns ist Veränderung da, für uns gibt es Epochen und Perioden. Wie könnten wir auch höhere Pläne sehen [denn N war längst schon - weit jenseits des bloß einen jeden Betreffenden! - auf Menschheitsmaßstäbe höchster Dimension eingeschworen!]. Wir sehen nur, wie aus derselben Quelle, aus der Humanität sich unter den äußeren Eindrücken Ideen bilden; wie diese Leben und Gestalt gewinnen; Gemeingut aller, Gewissen, Pflichtgefühl werden [grad so, wie N es später für seine „Übermenschen-Moral“ und seine Idee der „Ewigen Wiederkehr“ geregelt sehen wollte]; wie der ewige Produktionstrieb sie als Stoff zu neuen verarbeitet, wie sie das Leben gestalten, die Geschichte regieren; wie sie im Kampf von einander annehmen und wie aus dieser Mischung neue Gestaltungen hervorgehen. Ein Kämpfen und Wogen verschiedenster Strömungen mit Ebbe und Flut, alle dem ewigen [„geistigen“] Ozeane zu. BAW2.56f
Das waren gleichsam freie, aus dem Stegreif gebotene Impressionen Ns „eigener“ Gedankenläufe zu Eindrücken, die er Emersons Einfluss zu verdanken hatte. Es ging in enger Gebundenheit noch darum, wie die „Evolution“ sich mit ihrem bisherigen Zweck- und Ziel-Verständnis von Menschsein zu vertragen hätte. Und weiter formulierte N - in seinen Jugendaufsätzen eng an Emersons Wortlaute aus dessen Kapitel „Kreise“ angelehnt:
Alles bewegt sich in ungeheuren, immer weiter werdenden, Kreisen um einander; der Mensch ist einer der innersten Kreise [wieso? warum? Ist N da noch beim geozentrischen in Form eines homozentrischen Weltbildes hängen geblieben?]. Will er die Schwingungen der äußeren [Kreise] ermessen, so muss er von sich und den nächst weiteren Kreisen auf noch umfassendere abstrahieren [verallgemeinern und dabei das Wesentliche aus dem Zufälligen heraus deuten. Hier bediente N sich eines Bildes von Emerson und spielte mit dessen Begriffen, ohne ihnen einen wirklich eigenen Sinn zu geben!]. Diese nächst weiteren [Kreise] sind Völker-, Gesellschaft- und Menschheitsgeschichte. Das gemeinsame Zentrum aller Schwingungen, den unendlich kleinen Kreis zu suchen, ist Aufgabe der Naturwissenschaft [den „Stein des Weisen“ gewissermaßen, in dem das gesamte Wissen versammelt ist, zu finden? - Das waren nach den Früchten der Aufklärung allerdings längst überholte Vorstellungen]; jetzt erkennen wir, da der Mensch zugleich in sich und für sich jenes Zentrum sucht, welche einzige Bedeutsamkeit Geschichte und Naturwissenschaft für uns haben müssen [auch wenn N einige Jahre später gegen die Geschichte und die Naturwissenschaften sehr kritisch eingestellt sein sollte? Hier verriet er nicht, was er sich unter der „einzigen Bedeutsamkeit der Geschichte und Naturwissenschaft“ vorgestellt hatte! Es dürfte auch hier schon das ihm von Emerson vorgegebene und sein Leben ausfüllende Prinzip der „Erhöhung des Typus Mensch“ gewesen sein - auf dem „langen Weg vom Granit [bei N vom „Stein“] hin bis zur Auster; ein längerer noch zu Plato hin und zu der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele“ EE.400 und darüber hinaus! - Die Beschreibung der Welt als „Kreise“ ist dem Jungen N nicht sonderlich geglückt. Es sind Begriffe, die Emerson verwendet hatte, von denen N beeindruckt war und sie dankbar aufnahm, obgleich sie zu dem, was er nun selber zum Ausdruck bringen wollte nicht so recht passen wollten].
Emerson hatte einen seiner 20 „Essays“ - den 10., um genau zu sein! - mit dem Wort „Kreise“ betitelt. Darin findet sich unter anderem auch dessen ins geradezu Astronomische verzerrte Ausführung zu dem „vom großen Gott“ hin und wieder „auf den Planeten gesandte Denker“ durch den immer wieder mal „Alles in Gefahr gerät“, weil er alles umstößt, was zuvor Geltung besessen hatte, denn „Alle Dinge, die dem Menschen zu dieser Stunde teuer und wert sind“, wären „dies nur auf Rechnung der Ideen, die an ihrem geistigen Horizonte aufgestiegen sind und die gegenwärtige Ordnung der Dinge ebenso verursachen, wie ein Baum Äpfel trägt.“
Ein solches „Denker-Amt“ wäre Ns „herrschaftsamtlich“ veranlagtem Wesen als angemessen erschienen. Jedoch hatte er übersehen, dass bei Emerson „die Anderen“ - ungenannt zwar! - dennoch aber mitgedacht waren; N aber hatte sie, Emersons Aussage damit verhunzend, „vergessen“, ausgeschlossen, nicht bedacht und deshalb sah sein Verständnis für Emersons Satz anders aus, als eigentlich vorgegeben: „Ein neuer Grad der Kultur [in welcher „die Anderen“ nicht verloren gegangen wären!] würde augenblicklich das ganze System menschlicher Beziehungen einer Umwälzung unterwerfen.“ EE.226f In seinem Handexemplar hatte N diese Stelle - nach 1874 noch einmal! - seitlich zweifach angestrichen und diesen letzten, hier kursiv gesetzten Satz in seinem einzigen öffentlich gemachten umfangreichen Emerson-Zitat mit seiner stillschweigenden Betonung gegen „die Anderen“ gerichtet!
Aus den Anstreichungen und dem Bedürfnis, gerade diese Stelle öffentlich zu zitieren geht deutlich hervor, wie überaus bedeutsam der darin vermittelte „Lebenssinn“ - und dessen Umgebung für Ns „bis zum Defekt“ NR.320 ausgeprägte, geltungsbedürftige Seele war, so dass er dies - mitsamt so gut wie allem Anderen, was Emerson ihm zu bieten hatte - noch 1874 und bis an sein geistiges Ende hin! - als sein höchstes „Schulgesetz“ würdigte: Diesen „Wahrheiten“ wollte und sollte er „in größtem Stile“ 15.7.82 nacheifern und sie als „philosophische“ Lebensanschauung und Lebensweise „erfüllen“!
Das für N so schicksalhafte Kapitel, welches für den Siebzehnjährigen seit Nürnberg unter den vielen anderen, eine nicht zu übersehende Vorlage für seine Jugendaufsätze war, beginnt mit den Worten:
Das Auge ist der erste Kreis; der Horizont, den es formt, ist der zweite; und überall in der Natur wiederholt sich diese ursprüngliche Figur ohne Ende. Es ist das höchste Emblem [Sinnbild, Kennzeichen] in der Chiffre [dem Geheimzeichen] der Welt. Der heilige Augustinus beschrieb das Wesen Gottes als einen Kreis, dessen Mittelpunkt überall und dessen Umfangslinie nirgends sei. Unser ganzes Leben hindurch spiegelt sich uns in Allem diese erste Form wieder ab. Eine Moral haben wir schon daraus hergeleitet, indem wir den Charakter einer jeden menschlichen Handlung als einen kreisförmigen oder kompensierenden [ausgleichenden] in Betracht gezogen haben.
Einer anderen Analogie [einer Beziehung zwischen Dingen und Vorstellungen, die in gewisser Hinsicht übereinzustimmen scheinen, einer sinngemäßen Ähnlichkeit oder Entsprechung] werden wir nun folgen, nämlich der, dass jede Handlung von einer anderen übertroffen werden kann [also gute vergleichsweise besser und schlechte auch schlechter ausfallen können und somit jede Art Abwägung und Urteil zu verdeutlichenden und eben deshalb so beliebten Superlativen führen!]. Unser Leben ist eine Lehrzeit, in welcher wir zu der Wahrheit gelangen müssen, dass um jeden Kreis ein anderer gezogen werden kann; dass es kein Ende in der Natur gibt, sondern dass jedes Ende ein Anfang ist; dass jede Tageszeit nur immer ein neuer Tagesanbruch ist, und unter jeder Tiefe eine noch tiefere Tiefe sich auftut. EE.220
Die letzte Unterstreichung hat N wohl eingedenk seiner ihm damals noch nicht in den Sinn gekommenen „Ewigen Wiederkehr“ - als Bestätigung für sie gewissermaßen - empfunden und deshalb angebracht! Die anderen Unterstreichungen betreffen wieder die Betonung seiner „Leistungen“ vor anderen: in Bezug auf seine Gedanken zu einer „neuen Moral“, von der es später noch viel zu berichten gibt. Auch seitlich hat N diesen Absatz markiert.
Von Emerson her mag das alles ja - besonders zu jener Zeit! - recht weisheitsdurchtränkt geklungen haben, auch wenn es logisch kaum brauchbar war, - außer der angedeuteten Suche - oder auch Sucht! - nach Anhaltpunkten zur Orientierung auszusehen und dass diese sich am leichtesten in nicht weiter steigerbaren Superlativen finden! Auf der folgenden Seite heißt es bei Emerson:
Es gibt keinen festen Anhaltepunkt in der Natur. Das Universum ist flüssig und veränderlich. Permanenz [unveränderliches Dauern] ist ein Wort, das man nur in gewissem Maß gebrauchen darf. Unsere Erdkugel, von Gott gesehen, ist ein transparentes Gesetz, nicht aber eine Menge von Tatsachen.
Das Gesetz löst das Faktum auf und erhält es flüssig. Unsere Kultur ist das Vorherrschen einer Idee, welche diesen ganzen Schweif von Gemeinden und Institutionen hinter sich her zieht. Erheben wir uns zu einer andern Idee [was N ein „Sprungbrett“ versprach, selbst mit einer „neuen Idee“ auftreten zu können und auch zu dürfen!]: so werden sie verschwinden. Die griechische Skulptur ist gleichsam zerschmolzen, als hätte sie aus Statuen von Eis bestanden: nur hier und da noch eine einsame Figur oder ein übrig gebliebenes Fragment ….. denn der Genius, der sie schuf, schafft [inzwischen?] etwas anderes ….. EE.221
Immer aber waren und sind es Menschen, die etwas Derartiges schaffen! Ns Unterstreichungen heben wieder sein Interesse hervor: Das „Erheben“ über die Gewöhnlichkeit mit dem dazugehörigen Satzteil „so werden sie verschwinden“ und überwunden! - Überwunden durch Ihn!? Denn das war - als Ergebnis von Ns Bedeutsamkeit! - stets mitzudenken! - Auch in dem Teilsatz „denn der Genius, der sie schuf, schafft etwas anderes“! Schließlich war N doch „herrscheramtlich“ davon überzeugt, dass es sich dabei um seinen Genius handeln würde, - schließlich hatte Emerson ihm in seinen Texten doch wohlklingende Versprechungen gemacht!
An so etwas war N gerne bereit zu glauben: Von seinem Können und seiner Kraft zu dergleichen war er zweifelsfrei überzeugt. Lag es da nicht auch nahe, an so etwas wie Wiederholung des Immergleichen zu glauben? Wenn es denn seinen Gefühlen eine Stütze war? Und auch aus den folgenden Sätzen Emersons ließ sich Zukunftsträchtiges für eigenes Tun gewinnen:
Jedes schließliche Faktum ist immer nur das erste in einer neuen Reihe. Jedes allgemeine Gesetz nur ein einzelner Teil von einem noch allgemeineren, welches sich bald entwickeln wird ….. In dem Gedanken des morgen [einer zu gestaltenden Zukunft!], da liegt eine Kraft verborgen, die allen deinen Glauben, den ganzen Glauben, die ganze Gelehrsamkeit der Nationen zusammenfasst und die dich in einen Himmel [unglaublicher Bedeutsamkeit!?] versetzen kann, wie er dir kaum im Traum [N aber immer wieder in seinen ihn gelegentlich überfallenden „Momenten“ und in seinen Hoffnungen auf eigenen Ruhm!] erschienen ist. Kein Mensch ist so sehr ein Arbeiter auf Erden, als wie er eine Andeutung ist von dem, was er sein sollte. Die Menschen sind nur die wandelnden Prophezeiungen des kommenden Jahrhunderts [was N gut nach- und mit-fühlen konnte und wollte!] ….. Schritt für Schritt erklettern wir diese mysteriöse Leiter: die Schritte sind Handlungen; der neue Prospekt ist Macht. EE.223
Diese Unterstreichungen hatte N in seinem Emerson-Exemplar nach 1874 angebracht. In solchen Emerson-Sätzen liegt Ns Übermensch bereits verborgen: Zukunft gestalten! Aber mit was? Womit? Auf welche Weise? Ns Anfang bestand daraus, es mit dem Dienst am Genie, in Hilfstätigkeiten, Unterstützung und Zulieferarbeiten für die Entfaltung des Künstlers Richard Wagner zu versuchen, bevor er um seiner selbst willen mit dem Niederreißen von Allem um ihn her begann. Auch die weiteren Sätze Emersons hatten in diesem Kapitel für N - besonders für seine Beziehung zu Richard Wagner! - große Bedeutung:
In Bezug auf das Wesen des Menschen nehmen wir eine fortwährende Anstrengung wahr, sich über sich selbst zu erheben, [woraus N eine seiner hervorstechendsten Eigenarten machen sollte] noch immer wieder etwas über die schon erreichte Höhe hinaus zu gehen [oder in dem, was er vortrug, immer schriller, immer „deutlicher“, immer extremer und immer fordernder zu werden!]. Wir dürsten nach Beifall, aber wenn ein Anderer Beifall findet, so können wir ihm das nicht vergeben [was N ebenfalls aus der Seele gesprochen war, wie auch das, was noch folgt:] Die Liebe ist des Lebens Süßigkeit; dennoch, wenn ich einen Freund habe, peinigt mich meine Unvollkommenheit diesem gegenüber [sein fehlender Superlativ über diesen hinaus!]. Meine Eigenliebe [denn diese war es, die vor dem Wort „Liebe“ stand] klagt den andern Teil [den Freund also] an ….. Der Fortschritt eines Menschen lässt sich am Besten an der folgerechten Reihe seiner Freunde erkennen. Für jeden Freund, den er im Dienste der Wahrheit verliert, wird ihm ein besserer wieder zu Teil. [Diese Unterstreichung hat N erst nach dem vollzogenen Bruch mit Richard Wagner - als nachträgliche Rechtfertigung? - angebracht]. Ich dachte mir, als ich im Walde ging und über meine Freunde nachsann, warum ich dieses Spiel der Idolatrie [der Götzenanbetung] eigentlich mit ihnen treiben sollte? Ich weiß und sehe zu gut, wenn ich nicht vorsätzlich blind sein will, auf welche Weise Menschen, die für hoch und vortrefflich gelten, zu dieser ihrer Höhe gelangt sind. Reich, edel und groß sind sie durch unsre Freigebigkeit im Reden, aber traurig ist die Wahrheit. O erhabener Geist, dem ich um dieser willen abtrünnig wurde, du bist es nicht, der in ihnen lebt! Jede persönliche Rücksicht, die wir in solcher Hinsicht nehmen, bringt uns um ein himmlisches Gut. Wir geben den Thron der Engel dahin um einer kurzen Wonne willen, die keine Befriedigung in uns zurücklässt. Wie oft werden wir dies noch lernen müssen? Die Menschen hören auf uns zu interessieren, sobald wir dahinter kommen, dass sie sich einschränken müssen [das hieß aber, dass „wir“ - in „unserer“ Art, uns Illusionen zu machen! - Grenzen an ihnen erkennen müssen, die sie natürlicherweise unterhalb der Maßlosigkeit „unserer“ Erwartungen haben!]. Die einzige Sünde ist Armut [im Sinne von Begrenztheit, egal in welcher Beziehung. Dies hat N seitlich markiert!], sobald wir diese [als einen Bestandteil der „Realität“] beim Menschen erblicken, ist es [mit der herzlichen Freundschaft!] vorbei mit ihm. EE.225
Es gibt im Kapitel „Kreise“ noch einige andere Aussagen Emersons, die für N wesentlich waren und derart ernst genommen wurden von ihm, dass sich vieles in seinen Vorstellungen und Ansichten stets danach richtete, - richten musste, Zum Beispiel:
Wenn wir die Erde uns als ein System von Kreisen denken, die sich auf einen Punkt konzentrieren, so nehmen wir hin und wieder in der Natur geringe Veränderungen wahr, die uns das deutlichste Zeichen sind, dass diese Oberfläche, auf der wir nun stehen, nicht immer in demselben Zustande, in dem sie jetzt ist, bleibt, sondern allmählich in einen andern übergehen wird. EE.230
Auch in diesem Satz steckte für N, von Emerson her, die Verheißung, dass Ns „Bedürfnis nach Höherem“ eine reelle Chance eingeräumt wäre, das so störend und zur Unselbständigkeit verdammende „Dasein“ um ihn her in gewaltigem Umfang ändern zu können!
Dasselbe Gesetz eines ewigen Fortganges zieht sich durch alles hindurch, was wir Tugend nennen und löscht eine jede in dem Licht einer bessern [die N zu kennen glaubte!] wieder aus. Der Große will nicht im gewöhnlichen Sinne klug sein, seine ganze Klugheit wird sich aus seiner Größe herleiten lassen. Aber es geziemt einem Jeden, wenn er seine Klugheit opfert, darauf Acht zu haben, welchem Gott er sie darbringt; weiht er sie der Behaglichkeit und dem Vergnügen, so wäre es besser, er behielte sie; wenn [wenn er sie] einer festen Zuversicht [weiht, denn geweiht musste werden!], so kann er wohl seine Maulesel mit ihren Tragkörben sparen, wenn er anstatt ihrer schon einen beflügelten Wagen hat. EE.231
Die Unterstreichung stammte wieder von N. Den Anfang dieses Textes hat N auch seitlich mehrfach angestrichen, was darauf verweist, dass ihm diese Stelle wichtig war.
So weit zu Ns „Kreisen“ aus Emersons Kapitel über „Kreise“. In seinem Aufsatz schrieb der junge N, von all diesen Gültigkeiten zutiefst angetan, weiter:
Indem der Mensch aber in den Kreisen der Weltgeschichte mit fortgerissen wird, entsteht jener Kampf des Einzelwillens mit dem Gesamtwillen [von dem bei Emerson nirgends die Rede war. Bei ihm gibt es nur den „Willen“, gelegentlich erweitert zu „willenlos“, „Willenstreue“, „Willensanwandlung“, „Willenskraft“ sowie „Un-„ und „Widerwille“. Bei Emerson bestand nirgends - wie N hier behauptet, ein Kausalzusammenhang zwischen dem „von der Weltgeschichte Fortgerissenwerden“ und einem „Kampf des Einzelwillens mit dem Gesamtwillen“. N wollte aus seiner Parteinahme heraus einen solchen erkennen, erklärte aber dazu - etwas zusammenhanglos eigentlich! - nur weil ihn das - im seinem eigenen Zusammenhang mit dem Ganzen! - persönlich am stärksten beschäftigte:]; hier liegt jenes unendlich wichtige Problem angedeutet, die Frage um Berechtigung des Individuums zum Volk, des Volkes zur Menschheit, der Menschheit zur Welt; hier auch das Grundverhältnis von Fatum und Geschichte.
Über das „Fatum“ - das war bei den Griechen und Römern ein „unwiderruflich gegebener Götterspruch“, ein „Verhängnis“ - war N für seine Jugendaufsätze aus Emersons inzwischen verfügbarer und verinnerlichter „Führung des Lebens“ hinreichend aufgeklärt worden. In dessen 1. Kapitel, „Das Fatum“ betitelt, erklärte Emerson dort nämlich:
Es war ein poetischer Versuch, diesen Berg des Verhängnisses [nämlich dass wir so sind, wie wir sind!] zu lüften, welcher die Hindus sagen ließ: „Fatum ist nichts als die Taten, welche wir in einem früheren Zustande unsres Daseins begangen haben.“ EL.8
Mithin also so etwas, wie eine „Erbsünde“? Etwas uns irgendwie und -woher Anhängendes? - oder vielmehr: Uns aus systemintern religiösen Logik-Zwängen Angehängtes, das a) aus einer Vielzahl von Gründen vom einzelnen Individuum nicht ohne weiteres zu beeinflussen ist und b) um in machttaktischen Fragen keine Entscheidungsbefugnisse in unkontrollierbare „Hände“ geraten zu lassen! Des Weiteren heißt es in Emersons sehr speziellem Kapitel:
Und zu allerletzt, hoch über den Gedanken in der moralischen Welt erscheint das Fatum als Sieger, indem es das Hohe erniedrigt und das Niedere emporhebt, Gerechtigkeit vom Menschen fordernd und früher oder später zu[zu?]schlagen bereit ist, wenn Gerechtigkeit nicht gewährt wird. Was nützlich ist, wird dauern, was verderblich ist, wird sinken. EL.14
Daraus wurde, ein Jahr später, im Juni 1863 anlässlich Ns dann gereiftem Plan, den Freunden Emersons Buch - das heißt die beiden N begeisternden Bücher, die „Essays“ und die „Führung des Lebens“, vorzustellen, der Satz: Seine Betrachtungsweise amerikanisch [aber was wusste N schon davon, inwieweit das nun typisch „amerikanisch“ war?]. „das Gute bleibt, das Böse vergeht.“ BAW2.221, was den Tatsachen dieser Welt wieder mal absolut nicht entsprach und auch nicht unbedingt traf, was Emerson hatte zum Ausdruck bringen wollen.
Die Beschränkung ist der Einsicht des Menschen undurchdringlich [wofür N selbst das schlagende Beispiel an versäumter Selbsterkenntnis geliefert hat. Er hat seine Begrenztheit „innerhalb der Gültigkeiten Emersons“ zu keiner Zeit seines Lebens erfassen und einschätzen können!]. In ihrer letzten und erhabensten Bedeutung sind Einsicht und Freiheit des Willens selbst Glieder, die ihr [wem? der „Beschränkung“? der „Einsicht“? der „Freiheit“? dem „Willen“? dem „Menschen“? der „erhabensten Bedeutung“?] dienen. EL.15
Bis auf das letzte ergibt von alledem nichts auch nur annähernd einen Sinn. Man liest darüber hinweg ohne es recht verstehen zu können. Als offensichtlich falsch ist es nicht zu erkennen, aber man fühlt sich nicht klüger, wenn man diesen Gedankenverläufen Emersons Folge leistet. Es sei denn, man denkt sich „sein Teil“ und idealisiert sich in die logisch klaffende Lücke hinein!
So zeichnen wir das Fatum in Materie, Geist und Moral in den Rassen, in der Lagerung der Erdschichten eben so wohl als in Gedanken und Charakter. Überall gibt es Grenzen und Schranken. Aber auch das Fatum hat seinen Herrn; die Begrenzung ihre Grenzen; und sie nehmen sich von oben anders als von unten, von innen anders als von außen aus. Denn wenn das Fatum unendlich ist, so ist auch die Kraft [aber was macht diese - hier unverhofft eingeführt! - aus? Und dann ist diese willkürlich irgendwo hergenommene Kraft], welche der zweite Faktor dieser dualistischen Welt ist, [auch noch, und auch bei Emerson schon, „superlativisch“] unendlich. Wenn das Fatum die Kraft verfolgt und beschränkt, so erwartet und bekämpft die Kraft das Fatum. Wir müssen das Fatum als Naturkraft respektieren, aber es gibt etwas Höheres als Naturkraft. Wer oder was ist dieser Kritizismus, der [versucht, die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkenntnis festzustellen und] in die Materie eindringt? Der Mensch ist keine Ordnung der Natur ….. [kein] Kettenring oder eine überflüssige Bagage [Gesindel, Pack], sondern ein lebendiger Antagonismus [Gegensatz], ein Versuch, die Pole des Universums zusammen zu ziehen [und da kehrte Emerson - aus Verlegenheit? - mal wieder den Maulhelden hervor, obgleich derlei doch auf gar keine Weise möglich ist! Es klingt nur „schön“, aufregend, mächtig und ist dabei nicht mehr als billige Effekthascherei!].
Er [der Mensch] verrät sichtlich seinen Zusammenhang mit dem, was unter ihm ist, mit jenen dickschädeligen, kleingehirnten, vierhändigen Säugetieren und ist völliger Gleichheit mit ihnen nur entgangen, indem er zum Zweifüßler wurde, wobei er für seine neuen Körperkräfte teuer genug durch den Verlust einiger alten bezahlte [grad so, als ob „er“ sich in seinen Möglichkeiten verschlechtert hätte! - Von der gleichzeitigen Entwicklung zur Sprachfähigkeit als ein wesentliches Mittel zum Verständnis der Welt war weder bei Emerson, noch bei N die Rede!]. Aber der Blitz, der herniederzuckt und Planeten formt, der Schöpfer der Planeten und Sonnen, lebt in ihm. Auf der einen Seite elementarische Ordnung, Sandstein und Granit [bei N wurde daraus der „Stein“], Felsenlagen, Torfmoore, Wälder, See und Küste, auf der andern der Gedanke, der Geist, welcher die Natur zersetzt und zusammensetzt - da habt ihr sie, in einander verschmolzen, Gott und Teufel, Kraft und Stoff, König und Verschwörer, friedlich zusammen findend im Auge und Hirn eines jeden Menschen. EL.15f
Wie alles Leben, nur möglich war indem es zu einem zielgerichteten „Umgang mit Informationen“ kam, was neben der Energie und der Materie einen „Freiraum“ für das Leben ergab. Das blieb bei Emerson sinngemäß recht dunkel gehalten, ahnungsvoll, andeutungsweise, mit großen Worten garniert. Und ob Fatum und Kraft unendlich sind oder winzig klein? Was sollte den Unterschied machen, solange die beiden sich in unverbrüchlichem Gleichgewicht gegenüberstehen? Alles in allem bezeugte Emerson da ein recht verschwiemelt durcheinander gedachtes Weltbild, das N lehrmeisterlich entgegentrat und in seiner Großspurigkeit von ihm weitgehend kritiklos hingenommen wurde. In seiner Gegenüberstellung der Materie gegen den „Geist“ - der sich woraus ergab? - kämpfte auch Emerson noch recht vergeblich mit einem für die Menschen uralten Widerspruch - sofern es denn einer ist! - der damals noch keinen angemessenen Standpunkt, ihn zu beurteilen, gefunden hatte.
Der freie Wille kann nicht abgestritten werden, oder, um das Paradoxon auszusprechen: Freiheit ist notwendig. Wenn du dich selbst auf die Seite des Fatums stellst und sagst, dass Fatum Alles ist, dann müssen wir sagen, dass die menschliche Freiheit ein Teil des Fatums ist. Fortwährend bewegt die Kunst zu wählen und zu schaffen die Seele. Verständnis vernichtet das Fatum; so wie der Mensch denkt, ist er frei.
Offenbar gehört jedoch mehr dazu, denn wie von dem Gespann Emerson-N exemplarisch vorgeführt, ist der Beweis für die Richtigkeit von Emersons Aussage nicht selbstverständlich gegeben. Auch auf sehr unfreien und abhängigen Pfaden, lässt sich Vieles denken und tausendmal mehr noch fühlen, was dennoch Unsinn ist!
Und obgleich nichts ekelhafter ist als wenn Sklaven, wie die meisten Menschen sind, nach Freiheit schreien [in Emersons Amerika stand der Bürgerkrieg wegen dieser Frage unmittelbar bevor!], oder wenn man, wie so häufig geschieht, Freiheit mit einem beschriebenen Papier, gleich einer „Unabhängigkeits-Erklärung“ verwechselt oder mit einem statuarischen [verbrieften] Stimmrecht für diejenigen, welche nie zu denken und zu handeln wagten [oder aber widriger Umstände wegen daran gehindert wurden?], so ist es doch dem Manne heilsam, nicht nach dem Fatum hinüber, sondern ihm entgegen zu blicken, diese andere Seite ist die praktische. Seine gesunde Beziehung zu diesen Fakten ist, sie zu brauchen und zu beherrschen, nicht sich vor ihnen zu beugen. „Sieh nicht auf die Natur, denn ihr Name ist Fatum,“ sagt das Orakel. Zu viel diese Grenzen betrachten, erzeugt Feigheit. EL.16
Ich sprach von den kräftigen und heroischen Rassen als solchen [es war damals üblich, sehr genau unglaublich viel Unterschiedliches über „die Rassen“], die streng an das Fatum glauben [zu „wissen“ und zu werten]. Sie verbinden sich mit ihm ….. Aber das Dogma [die festgelegte, nicht anzuzweifelnde Meinung] erscheint unter anderer Gestalt, wenn es von dem Schwachen und Feigen ausgestellt wird. Entartetes und lasterhaftes Volk gibt gern dem Geschick [an] sein[em] Ungeschick [die] Schuld [dazu aber wäre in jedem und für jeden Fall festzuhalten, dass - wie hier vorgeformt! - zu jeder „Herrenmoral“ mit gleicher Existenzberechtigung eine „Sklavenmoral“ gehört, weil sie sich - „rund ums Zweierleimaß“ herum! - bedingen!]. Der wahre Zweck des Schicksals ist, unser eignes Dasein [und das heißt das Sein eines Jeden!] zu der Erhabenheit der Natur zu erheben. Die Elemente sind rau und nur durch ihre eigene Kraft besiegbar; der Mensch soll also [genau so] sein. Er soll seine törichten Begriffe wegwerfen und durch Führung und Tat seine Herrschaft über die Natur beweisen EL16f
Das jedoch ist N letztlich schuldig geblieben, denn seine „Tat“ bestand daraus, sich selbst als das erweisen zu wollen, als was er gelten wollte, - aber nicht als das, was er letzthin wirklich war: ein in der Philosophie dilettierender, sie aus Liebhaberei betreibender Scharlatan, zuletzt ein krankheitshalber außer Dienst gestellter Professor der klassischen Philologie und unverbrüchlicher Gefolgsmann Emersons, weil dieser seiner an sich kläglichen Existenz Material und Werkzeuge geliefert hatte, dennoch als etwas ganz Großes zu erscheinen!
Der beste Gebrauch, den man vom Fatum machen kann, ist, einen fatalistischen Mut daraus zu schöpfen. Geh dem lodernden Feuer, der brandenden See, der Cholera in deines Freundes Haus [und so weiter] ….. mutig entgegen ….. Denn wenn das Fatum allmächtig ist, so ist auch der Mensch ein Teil von ihm und kann Fatum dem Fatum entgegenstellen ….. [aber das nützte vor dem Untergang nur so viel, wie des nachts das Pfeifen im Walde!]
Ein N besonders weit tragender Gedanke Emersons war ebenfalls im „Fatum“-Kapitel vorgeformt. Er lautet:
So wie der Gedanke, so macht auch der innere, moralische Sinn uns frei. EL.20 [Das hieß, inwieweit wir einer Aussage Glauben schenken! - inwieweit wir sie für wahr zu halten bereit sind oder sein sollten! Aber all das unter Weglassung „der Anderen“! - Dazu schrieb N zwischen dem Sommer 1884 und dem Sommer 1885:
Es ist endlich an der Zeit, die Kantische Frage [mit der Immanuel Kant, 1724-1804, einer der bedeutendsten Vertreter der abendländischen Philosophie, der wegen seinem machtvollen „kategorischen Imperativ“, welcher Ns geistigen Fähigkeiten so weit entzogen war, dass diesem das Verständnis für diesen schon vom Ansatz her fehlte und er, Kant, deshalb, in strengster Abwertung, zu Ns Erzrivalen werden musste. Kant hatte nämlich unter Berufung auf die menschliche Vernunft die Frage, wie jeweils gehandelt werden sollte, beantwortet mit: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“ (ca. 1787); - was N - trotz dem in der Form „jeder andere jederzeit“ darin aufscheinenden Superlativ! - dennoch ein Gräuel war, - denn N glaubte in Sachen Moral dagegen einen weitaus augenscheinlicheren, für ihn deshalb höherwertigen Superlativ - nämlich in Gestalt der von ihm so heiß geliebten „Ewigkeit“ 4.287-291 geltend machen zu dürfen - und das - ohne jede Logik allerding! - auch zu können! - weil dies seine „philosophischen“ Bestrebungen stützen würde! - Den seinen Interessen zuwiderlaufenden „kategorischen Imperativ“ von Kant galt es also madig zu machen, - indem N in Zweifel zog] „wie synthetische Urteile [der Ausdruck stammt aus Kants Philosophie und bezeichnet Urteile, die nicht offensichtlich aus einer umschreibbaren Erfahrung heraus gefällt und begründet! - werden, sondern aus umfänglichen Erkenntnissen der Lebensbedingungen entstammen und von Kant als - wie „die Anderen“ eben! - „von vornherein gegeben“ bezeichnet wurden, wogegen N fragte, wieso solche] a priori möglich“ [sind, denn er beabsichtigte sie] durch eine andere Frage [die er inzwischen mit seiner „Ewigen Wiederkehr“ besser beantwortet zu haben sich einbildete!] zu ersetzen [wobei er zugleich die Art der Frage verschob: In diejenige] „warum ist der Glaube an solche Urteile nötig?“ nämlich zu begreifen, dass zum Zweck der Erhaltung von Wesen unserer Art [womit N wieder seine Selbstmittelpunktlichkeit dick in den Vordergrund stellte!] solche Urteile als wahr geglaubt werden müssen [!]; weshalb sie natürlich noch falsche Urteile sein könnten! Oder, deutlicher geredet und grob und gründlich: ….. [und dann kam der frevelhaft betrügerische Satz:] Nur ist allerdings der Glaube an ihre Wahrheit [die also - ohne „die Anderen“ nämlich! - gar nicht gegeben zu sein brauchte!] nötig, als ein Vordergrunds-Glaube und Augenschein, der in die Perspektiven-Optik des Lebens gehört. JGB.11
Das war raffiniert gesagt! - in Anbetracht dessen, was N mit dieser Floskel, die ihn nichts kostete aber ihm bedeutete, alles Unzulängliche bei ihm selbst zu verdecken und zu maskieren! Das gelang! Deutlich, „grob und gründlich geredet“ hat N damit erklärt, dass „die Wahrheit“ ein Recht zur Verlogenheit hätte, wenn es denn dem „Zweck der Erhaltung von Wesen unserer [angeblich höheren, auf Zweierleimaß pochenden!] Art“ nützen würde! - jedenfalls auf die Art, wie N das Ganze in Hinsicht auf den von Ihm auf seine Fahnen geschriebenen „Übermenschen“ zu besehen geneigt war, - denn das würde sich erst nach Gebrauch der Verlogenheit einer jeweiligen „Wahrheit“ herausstellen können! - In seiner „Genealogie der Moral“ sollte er noch deutlicher werden: Schriller! - Da heißt es im Sommer 1887, zurückkommend auf eine Verkündigung, die er spätestens im Frühjahr 1884 so weit „fertig“ hatte:
„Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt“ … Wohlan, das war Freiheit des Geistes, damit war der Wahrheit selbst der Glaube [an diese] gekündigt [denn es sollte nicht mehr ankommen auf sie!] … Hat wohl je schon ein europäischer, ein christlicher Freigeist sich in diesen Satz und seine labyrinthischen Folgerungen verirrt? GdM3.24
Nein! Den Nerv zu einem so offensichtlichen und wahnsinnigen Betrug in diesem selbstsüchtigen Ausmaß hat zuvor niemand besessen! Vor N gab es noch keinen Philosophen, der die Begabung zur Dreistigkeit so ungeniert beherrschte, wie er - auch vor sich selbst! - es mit der Logik so wenig genau nehmen zu müssen. Im Dezember des Jahres 1887 äußert N eine noch enthemmtere, noch weiter in subjektive Beliebigkeit hinein verschobene Form seines Verhältnisses zur „Wahrheit“. Er schrieb davon an einen neu gewonnenen „Freund“: Es scheint mir mehr am Mut, am Stärkegrad seines Mutes gelegen, was ein Mensch bereits für „wahr“ hält oder noch nicht … 2.12.87
Dabei ging es nur um Intensitäten von Glaubensfragen! - und dies auch wieder ausschließlich - als ob es „keine Anderen“ gäbe! - aus Ns Perspektive beurteilt, denn es waren seine eigenen Empfindungen für seine eigene „Glaubwürdigkeit“ an und vor sich selbst! - gegenüber den von ihm aufgestellten Behauptungen, von denen er - trotz fehlender Begründungen und Beweise! - glauben wollte, dass nur sie richtig wären! Aber zurück zur Wirkung und Beeinflussung von Emersons „Fatum“-Kapitel auf N zur Zeit seiner Jugendaufsätze:
Die Zusammensetzungen der geistigen Chemie [so hatte Emerson es geschrieben] lassen sich nicht analysieren, aber wir bemerken, dass mit dem Durchdringen der Wahrheit sich der Wunsch verbindet, dass sie herrschen soll [über diesen sich leichthin totalitär gebärdenden „Wunsch“ hinaus wurde von N nie dargelegt, was diese - auch von N viel berufene! - „Wahrheit“ sei, insbesondere worauf sie sich zu gründen hätte und für wen sie gelten sollte! Sie verblieb stets als subjektives Gefühl, als Meinung, als Dafürhalten, als Abstraktum dem überlassen, der seine Überzeugungen zu vertreten gedachte. Aufgrund von was jedoch? - Von etwas, das auch außerhalb des eigenen Seins von Gültigkeit wäre? Alles in diesen Ausführungen Ns befindet sich in einem heillos unreflektierten Subjektivismus und wird dadurch zwangsläufig „brauchbar“ für Jedermanns Absichten, Neigungen und Aversionen! - Auch das war ein Grund für Ns ansonsten eigentlich unverständlichen „Erfolg“!]. Die Neigung ist im Willen wesentlich begründet und, wenn deshalb ein starker Wille zu Tage tritt, so entspringt er gewöhnlich aus einer gewissen organisatorischen Einheit, als ob die gesamte Energie des Körpers und des Geistes in Einer Richtung strömte. EL.20
Genau dem entsprang, was N in einem späten Brief in Worte fasste, als er - vergleichsweise noch sehr zurückhaltend! - schrieb: „Ich habe nur selten den Mut zu dem, was ich eigentlich weiß“ 2.12.87 [womit er aber nur gemeint war, „was Er für seine unbedingte Wahrheit halten wollte“! - was an dieser Stelle allerdings nur noch reine Effekthascherei und Imponiergehabe war, denn er hatte Jahre zuvor bereits veröffentlicht, dass es gar keine Wahrheit gäbe und damit - ihm vor allem! - für seine Zwecke! - alles erlaubt sei!]
Wenige Zeilen weiter folgt bei Emerson etwas, das N für sich und seine Zwecke wieder auf sehr persönliche Weise „nutzen“ konnte:
Wer sein moralisches Gefühl versucht hat [und N war immer - auch hier, zur Zeit seiner Jugendaufsätze schon wie zu allen Zeiten! - „Moralist“ - und zutiefst überzeugt von der einzigartigen Richtigkeit seines Tuns, Denkens und Fühlens - vor „allen Anderen“! Jeder, der das so „herrscheramtlich“ im Blut hatte wie er, der] kann nicht anders als an unumschränkte Macht glauben. Jeder Pulsschlag dieses Herzens ist ein Schwur zum Höchsten [ja, das beschrieb genau das für N typische Lebensgefühl!]. Ich wüsste nicht, was das Wort „erhaben“ [das bei N immer einen hohen Stellenwert besaß] bedeuten sollte, wenn nicht die Lebenszeichen dieses Kindes einer schreckvoll gewaltigen [wie im Satz zuvor totalitär als „unumschränkt“ bezeichnete] Macht [also von etwas, das mit einem vollkommen unüblichen und brutalen Ernst verfolgt und durchgesetzt werden sollte!]. Ein heroischer Ausspruch, ein plötzlicher mutvoller Aufschwung sind nicht Beweise, sondern Ausbrüche der Freiheit. EL.20
Diese freigeisterhaften „Ausbrüche der Freiheit“ stellten für N - wie bereits anlässlich seiner infektiösen Begegnung mit Emersons „Essays“ aufgezeigt - die später versuchsweise mit dem Begriff des Dionysischen beschriebenen „tieferen“, aus seinen gelegentlich immer wieder mal auftretenden Absenzen dar. - Die Gelegenheiten des unter besonderen Umständen erlebten All-Zusammenklangs waren immer wieder beseligende „Momente“, in denen die Widersprüchlichkeiten der Tatsächlichkeit aufgehoben und wie weggewischt erschienen und ihm immer wieder möglich wurde unbegründbare und nicht zu bezweifelnde Überzeugtheiten daraus zu schöpfen! Emerson hatte ihm diese Momente an vielen Stellen als von nicht zu überschätzender Wichtigkeit, ja als geradezu heilige Besitztümer erklärt - und als etwas, was die Realität mit ihren unbedeutenden „Äußerlichkeiten“ nicht aufwiegen könne und dürfe!
Werden wir durch das Lesen der Geschichte zu Fatalisten, welcher hohe Mut ist dann nicht nötig, um uns auf die andere Seite zu stellen! EL.20
Auf die Seite, wo wir an unsere eigene „Größe“ und Bedeutsamkeit zu glauben berechtigt sind! - Ein Ausspruch, eine Behauptung, ein „Erlass“, eine Art „Fatwa“, eine religiöse Rechtsauskunft Emersons, die für N durchaus eine Ursache für seine geradezu katastrophale Geschichts- und Historienfeindlichkeit war.