Читать книгу Also schrieb Friedrich Nietzsche: "Zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ..." - Christian Drollner Georg - Страница 28

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Mit sehr viel weniger Worten hatte Goethe sehr viel mehr und richtigeres gesagt als N, von dessen Ausführungen, wenn es hoch kommt, nur etwa 10% stimmen mag; - der große Rest ist Gerede über etwas, von dem N nichts verstanden hatte, dazu aber von seinem Bedürfnis nach Ordnung getrieben worden war. In das, was N geschrieben hat, lässt sich viel hineininterpretieren. Ob das dann auch „an sich“ in seinen Worten enthalten war, dürfte bei den Widersprüchlichkeiten, die sein Text enthält, fraglich erscheinen; überdies ist der „freie Wille“ nicht mit dem Fatum nur auf der schmalen Spur von „bewusst“ und „unbewusst“ verbunden, was N mit seiner Abhängigkeit von Emerson ja selbst bewies, denn Emerson hat N allerlei sehr verschiedene Fatums-Auslegungen vorgegeben, wie beispielsweise auch:

Der freie Wille kann nicht abgestritten werden, oder, um das Paradoxon [die widersprüchlich erscheinende Aussage] auszusprechen: Freiheit ist notwendig. Wenn du dich selbst auf die Seite des Fatums stellst und sagst, dass Fatum Alles ist, dann müssen wir sagen, dass die menschliche Freiheit ein Teil des Fatums ist. Fortwährend bewegt die Kunst zu wählen und zu schaffen die Seele. Verständnis vernichtet das Fatum; so wie der Mensch denkt, ist er frei EL.16 [einfach so? Unabhängig von dem, was er zu „denken“ meint? Hier hatte N den Bezug des Gedachten auf die Wirklichkeit außer Acht gelassen!]

Oder andere, teilweise schon angeführte Emerson-Varianten zum Fatum-Problem:

Ist der Schlag gewaltig, so muss auch die Reaktion eben so mächtig sein. Aber Fatum mit Fatum parieren heißt nur in der Defensive operieren; wir besitzen auch edlere, schöpferische Kräfte. Der Aufschwung der Gedanken hebt den Menschen aus der Knechtschaft zur Freiheit empor [was für N, nach all dem, was er in dem „Ihn-Erhebenden“ demonstrierte, von großer Bedeutung war - aber wegen seiner Emerson-Hörigkeit für ihn nicht stimmte! Er ließ sich die Tatsache des „Denkens“ genügen und fragte nicht danach, um was für eine Art von Denken es sich inhaltlich jeweils handeln würde, das heißt, er hatte kein Gespür für dessen schwer zu ergründende Unabhängigkeit, die er vor allem im Maß des Widerspruchs zum „allgemein Üblichen“ sah, maß und anerkannte!]. Wir sagen mit vollem Recht von uns, dass wir geboren und mehrmals wieder geboren werden. Wir machen nach und nach so wichtige Erfahrungen, dass wir über den neuen ….. EL.17

Oder:

So zeichnen wir das Fatum in Materie, Geist und Moral in den Rassen, in der Lagerung der Erdschichten eben so wohl als in Gedanken und Charakter. Überall gibt es Grenzen und Schranken. Aber auch das Fatum hat seinen Herrn; die Begrenzung ihre Grenzen und sie nehmen sich von oben anders als von unten, von innen anders als von außen aus. Denn wenn das Fatum unendlich ist, so ist auch die Kraft, welche der zweite Faktor dieser dualistischen Welt ist, unendlich. Wenn das Fatum die Kraft verfolgt und beschränkt, so erwartet und bekämpft die Kraft das Fatum. EL15 [Und gleichen sich denn ja wohl, egal auf welcher Intensitätsstufe, immer aus, so dass nach außen hin keinerlei Folgen aus ihrer unmöglichen Ungleichheit zu erwarten sind?]

Oder:

In der Wissenschaft haben wir zwei Dinge in Erwägung zu ziehen: Kraft und Bedingung. Alles, was jede neue Entdeckung uns vom Ei kennen lehrt, ist ein anderes Besiculum [ein Beryll, ein durchsichtiger Stein, der, optisch geschliffen der Ursprung der Brille war; - daher ihr Name: die Beryllen, für beide Augen!] und wenn nach fünfhundert Jahren ein neuer Beobachter kommt, mit einem bessern Glase [wie heute der zur Selbstverständlichkeit gewordene „Varilux“-Schliff für Brillengläser, die für jede Entfernung ein scharfes Sehen erlauben], so findet er in dem zuletzt beobachteten wieder ein neues EL.9 [sollte heißen: etwas Neues, noch Kleineres, genauer Erkennbares und so fort].

Es gibt bei Emerson ganz offensichtlich eine Vielzahl von Fatums-Deutungen, jeweils zugeschnitten auf das Problem, das mit den gewählten Begriff gerade dargestellt und „erklärt“ werden sollte. Dazu kamen die Varianten, die N in Emersons Angaben zu erkennen geruhte und sie wiederum in seinen Abwandlungen zum Besten gab. Das flimmert alles tüchtig durcheinander. Was er in seinem Aufsatz anschließend aber zusammenreimte, verursacht viele weiterer Fragezeichen:

Ähnlich meinen wir oft, wenn wir im Hellen Sonnenschein die Augen geschlossen haben, dass für uns die Sonne nicht schiene [kann das angehen? - Sollte N das tatsächlich so naiv empfunden haben ohne daran zu zweifeln?]. Aber ihre Wirkung auf uns, das Belebende ihres Lichtes, ihre milde Wärme hören nicht auf, ob wir sie auch mit den Sinnen [mit gerade mal einem von sechsen!] nicht weiter wahrnehmen [wie kommen bei einem Siebzehnjährigen solche letztlich doch blödsinnigen Aussagen zustande, da er doch die „mit den Sinnen“ wahrgenommene „milde Wärme“ beschreibt? Diese Sätze gemahnen an ein kleinstkindisches Verhalten! - Oder ging es im Grunde um Ns gestörtes Verhältnis zur Realität insgesamt?]. Wenn wir also den Begriff des unbewussten Handelns nicht bloß als ein Sich-leiten-lassen von früheren Eindrücken nehmen, so entschwindet für uns der strenge Unterschied von Fatum und freiem Willen und beide Begriffe verschwimmen zu der Idee der Individualität.

Das war ein hilfloses Jonglieren mit Begriffen, die N in eine Anordnung gebracht hatte, bei der sich etwas - allerdings nicht sonderlich Logisches! - denken ließ: Weil er in der Lage war, sie in ein mehrheitstauglich „logisches“ Verhältnis zueinander zu bringen. Seine Empfindungen dürften dem entsprochen haben, was ihm dafür zu Papier zu bringen gelungen war und auch wenn das für ihn seine Ordnung hatte, so kritisch Gesonneneren doch chaotisch anmutet. Die „Eigengesetzlichkeit“ von als allzu gültig erachteten Begriffen, die zur umgebenden Wirklichkeit in keiner praktikablen Beziehung stehen, ergeben ein ziemlich unerklärliches Gedankengemisch - oder auch einfach nur Quark!]

Je mehr sich die Dinge vom Unorganischen [vom Stein zum Weisen hin?] entfernen und je mehr sich die Bildung erweitert, um so hervortretender wird die Individualität, um so mannigfaltiger ihre Eigenschaften. Selbsttätige, innere Kraft und äußere Eindrücke, ihre Entwicklungshebel, was sind sie anderes als Willensfreiheit und Fatum? [Hier schwamm und schwiemelte N endgültig hilflos mitsamt seinen Begriffen durch einen Text, dem er versuchte, mit weit greifenden Begriffen einen logischen Anschein zu geben. Was haben „Dinge vom Unorganischen“, „Bildung“, „Individualität“, „selbsttätige innere Kraft“, Willensfreiheit“ und „Fatum“ auf die hier unterstellte Weise tatsächlich miteinander zu schaffen? Danach setzte N dann zu seinem Schlussabsatz an, in welchem er - wieder einmal auf versteckte Weise! - seine eigne Befindlichkeit, seine Schwierigkeiten mit dieser Welt und das, wohin seine Sehnsucht ging, beschrieb:]

In der Willensfreiheit liegt für das Individuum das Prinzip der Absonderung, der Lostrennung vom Ganzen [als die wahrgenommene Stellung seines „Herrscheramtes“ hoch über „den Anderen“?], der absoluten Unbeschränktheit [die für N in seinem manfredisch-seelisch-geistigen Verhalten - sich an nichts gebunden sehen zu wollen! - auf diese Weise fühlbar wurde?]; das Fatum aber setzt den Menschen wieder in organische [zur belebten Natur gehörige] Verbindung mit der Gesamtentwicklung [aber was sollte diese sein? und wohin sollte sie führen? N meinte wohl „Gesamtentwicklung“ was, wenn die Betonung doch eher auf das „Gesamt“ gelegt wird und die unbewiesene „Entwicklung“ beiseitegelassen würde, so viel wie Umwelt, wie „die Anderen“ hätte bedeuten müssen] und nötigt ihn [den Einzelnen? den nach Einsamkeit, vor allem aber nach Besonderheit Strebenden?], indem es ihn zu beherrschen sucht [auch diese Wortwahl war für N nicht ohne Bedeutung, verrät sie doch ein Stück seines Befindens, sich unterdrückt zu fühlen, was ihn antrieb] zur freien Gegenkraftentwicklung; die fatumlose, absolute Willensfreiheit würde den Menschen zum Gott machen [schon dort fand N diese unsinnige Vorstellung und maßlose Wahl eines unüberbietbar superlativen Grenzwertbegriffes: Es musste „Gott“ sein, weil über diesen hinaus kein anderer Begriff zur Verfügung stand. Mit weniger aber war N nicht zufrieden!], das fatalistische Prinzip [aber machte ihn in seiner Schwarz-Weiß-Wertung] zu einem Automaten. BAW2.62

Schwarz oder weiß, Alles oder nichts, - immer die größten und gröbsten Kaliber für und von jemanden, der sich nicht gut in und an Zwischentönen orientieren und sich indiesen verständlich machen konnte! Damit war zu den beiden Jugendaufsätzen der Schlusssatz erreicht: Zu so etwas, wie Ns Start in die Produktion von philosophisch gemeinten Äußerungen hinsichtlich der Ordnungen und Wertsetzungen in dieser Welt, in deren ihm zugemessenen Verlauf N am Ende zu der Überzeugung gelangen sollte, der „Gott“ einer von ihm neu erschaffenen Welt zu sein, - auch wenn er lieber Basler Professur geblieben wäre!? Er liebte es von Anfang an in großen und größten Dingen, immer die Grenzen des Seins berührenden Zusammenhängen zudenken“, - aber von diesen in Wirklichkeit keine selbst gewonnene, sondern nur eine von Emerson her angefeuerte und angenommene, nur geborgte Ahnung zu haben.


Wenige Tage später schrieb N den dieser Darstellung der Jugendaufsätze vorangestellten Brief an die Freunde, der auch als eigenständige „Arbeit“ in den Jugendschriften aufgeführt wird. Danach, zum Ende des Monats April, fabrizierte N noch ein kurzes Schriftstück, etwas kürzer als das, was er den Freunden mitzuteilen hatte, aber von dermaßen anderem Inhalt, dass man schwerlich auf die Idee kommen würde, dass N sich unmittelbar zuvor, so waghalsig freigeisterig à la Emerson ausgesprochen haben könnte! Die Überschrift dazu lautet „Heidenwelt und Christentum“ und nichts daran ist mit oder von Emerson infiziert. N zeigt sich in diesem Kurztext wie ausgewechselt. Er tauchte zurück in seine weltschmerzgetrübte, düstere, Manfredisch-Byronische Romantik, - kurz in das wo er herkam und eigentlich darin „zu Hause“ war: Aber Achtung! Er war auch bei dieser Darstellung von Weltgeschichte in Wirklichkeit mit nichts anderem, als mit seinen persönlichsten Befindlichkeiten beschäftigt als er schrieb:

Ein düsteres Nachtbild - tiefgraue Wolken eilen am Himmel hin - mitunter gleiten geisterhafte Lichtstreifen des auftauchenden Mondes über die Gegend. Die Klage der erlösungsbedürftigen Menschheit tönt [wie ein Kirchenchoral?] schmerzlich zerrissen aus der Tiefe der Nacht hervor. Unheimliche Gedanken, grelle Ausbrüche der Verzweiflung und schwärmerisches Sehnen nach einem rettenden Heiland -, bald Klänge des Irrsinns, sonderbar unbestimmte Tonverschlingungen, bald weiche und rührende Harmoniewechsel [die gut und gerne seinen damals unternommenen Kompositionsversuchen entspringen konnten! Oder beruhten sie auf den Selbstzweifeln nach den auf Emersons Vorgaben beruhenden „eigenen“ Ausbruchs- und Erlösungsversuchen? In diesem Zusammenhang ist die „Erlösungssehnsucht“ Ns mehr eine persönliche als an christliche Vorstellungen gebundene. Wenn ein 17½-jähriger mit Haut und Haaren gerade frisch an Emerson verfallener Jüngling - besonders nach seinen Aufsätzen über „Fatum“, „Geschichte“ und „Willensfreiheit“! - diese Worte verwendet, sind diese längst mit deutlich anderen - und speziell bei N! - mit absolut auf ihn selbst bezogenen Inhalten versehen worden!]. -

Das klang nun sehr schwärmerisch und ist, wie auch später alles von ihm, mit Sinn für Effekte aus der Perspektive eines oder sogar des Betrachters von Allem geschrieben: Schon die theatralische Kulisse des Nachthimmels, des Mondes, der Wolken, scheint detailliert und vorstellungsweise naturgetreu. Aber dazu unstimmig hat es eine „schmerzlich zerrissen aus der Tiefe der Nacht hervortönende Klage der erlösungsbedürftigen Menschheit“ nie gegeben. Das ist eine nachträglich erdichtete Konstruktion zur Rechtfertigung für einen institutionalisierten Glauben! Wie sollte eine Menschheit in „schwärmerischem Sehnen“ nach etwas „bedürftig“ sein, was sie gar nicht kannte und ihr in ihrem täglichen Lebenskampf nicht unmittelbar nutzen würde, sondern ihr stattdessen sogar eher ein vergrößertes Pflichtenmaß aufzubürden versprach? N aber schwärmte, dem Glauben seines „Vaters“ nach, - auf den er auch später viel gab, gehorsamst, aber nur nach außen hin Achtung zollend, fort:

Leise, aus der Tiefe aufsteigend, in liebevollen Akkorden kündet sich das Christentum an, nicht in himmelstürmender Tonfülle, sondern bescheiden und doch weltumschlingend. Ein wilder Kampf beginnt; starr und eisern scheint das Heidentum zu widerstehen; in grollenden Figuren steigt es zu drohender Höhe empor, aber leise tönt doch das süße Evangelium hindurch, trostverkündend der ruhelosen, sehnsüchtigen Welt, bis endlich in vollen Klängen die himmlische Verheißung ertönt [das ist nicht ohne innig eigenes Gefühl geschrieben! Da ist in N etwas vorgegangen, das ihn für solche Worte empfänglich gemacht und ihn diese zu benutzen getrieben hat]; die heidnischen Stimmen verhallen; das Christentum hat gesiegt und nun wogt es in gewaltigen, breiten Harmonien über das Erdenrund, die Welt wieder an den Himmel knüpfend, den sie verloren, nicht ohne harten Kampf, aber doch in maßvoller Ruhe flutend, ein Weltstrom, unaufhaltsam, großartig dahinrollend, dessen Quelle die unendliche, weltumfassende Liebe Gottes ist. - BAW2.64

Und das unmittelbar nachdem N den Freunden gegenüber seine von und mit Emerson getränkten „neuen Ideen“ - sofort ablehnend und in regelrechter Kampfstimmung gegen dieses - hier plötzlich so gefeiertes! - Christentum gerichtet hatte!

So hergesucht es erscheinen mag, aber zu Beginn seiner Zarathustra-Ideen kam N - und gerade bei ihm dürfte dies kein Zufall sein! - auf das hier mit feierlichen Worten entworfene „Bild“ vom Heraufkommen des Christentums zurück. Es hieß - im Herbst 1881, also nach 19 Jahren! - zu seiner ihm gerade gekommenen Idee, einen oder sogar den „Zarathustra“ zu schreiben, wie hier, wo es um das Heraufkommen des Christentums als Beginn einer neuen, das Heidentum ablösenden „Geschichte“ gegangen war:

„Von dem Augenblicke an, wo dieser Gedanke [an den „Zarathustra“] da ist, verändert sich alle Farbe und es gibt eine andere Geschichte.“ 9.616

Eine andere Geschichte als das Christentum sie geprägt hat! - Das war die Aussage! - N stand zum Zeitpunkt jener Notiz, im Herbst des Jahres 1881, nach einem ihn auf nie zuvor erlebte Weise aus der Bahn geworfen habenden Erlebnis im August in Sils-Maria, als ihm „an seinem Horizonte Gedanken aufgestiegen waren, dergleichen er noch nicht gesehen hatte“ 14.8.81 noch voll unter dem Faszinosum seiner ihn vollkommen blendenden Idee des „Incipit tragoedia“ FW.342, der beginnenden Tragödie seiner ihm gerade „klar“ gewordenen „Philosophie“ als Weltwirklichkeit! Da notierte er sich:

Zarathustras Müßiggang. Von F. N. flüssig feurig glühend - aber hell: das letzte Buch [nicht nur von ihm, sondern überhaupt, so war das gemeint!] - es soll majestätisch und selig einherrollen. - 9.616

Das passt wie ein fernes aber doch deutliches Echo zu dem von N hier vorformulierten „in maßvoller Ruhe flutend“ und „unaufhaltsam, großartig dahinrollend“ BAW2.64; - beides bezogen auf das Heraufkommen einer neuen, Jahrtausende lang gelten sollenden Geistes- beziehungsweise Glaubens-Epoche. Die gleichen auch über lange Zeiträume nur auf N selbst bezogenen Gefühle, Erwartungen, Hoffnungen und Gestimmtheiten seines „Geistes“ haben sehr ähnliche und zum Teil sogar gleiche Worte gefunden. Unmittelbar danach übrigens notierte sich N, im Herbst 1881, wie zur Abrundung dieser Zusammenhänge!: „Stellen des Glückes [Stellen, die N besonders glücklich gemacht hatten!] zu sammeln z. B. Emerson.“ 9.616


Die eigentlich schockierende Bruchlosigkeit der Emerson-Feier einerseits gegenüber seiner offen zutage tretenden Inbrunst in christlichem Schwärmen, Feiern und Huldigen andererseits, wirkt bedenklich, handelt es sich doch in seiner „Seele“ um ein friedliches Nebeneinander von zwei eigentlich unverträglichen „Welten“, in denen N sich aber auf recht gleichartige Weise verhielt: Begeistert, schwärmerisch, anbetend, bewundernd, - mehr der ästhetizistisch enzusehendenForm verfallen, als dem Inhalt, - romantisch, voller Sehnsucht nach dem, was ihn aus dem Alltäglichen emporhob in „bessere“, interessantere, reichere, gefühlvoll idealisierte Zustände des Seins, in denen er eine sonderbare Verwirklichung seiner Sehnsüchte erleben konnte.


Neben seinen Gedanken über „Heidenwelt und Christentum“ beschäftigte sich N, wie das in seinem Text auch deutlich durchklingt, mit „christlicher Musik“. Er notierte sich dazu anschließend, zwei Druckseiten lang, die Namen etlicher Komponisten der Zeit von etwa um das Jahr 1000 bis ins späte 17. Jahrhundert. In einer darauf folgenden Liste mit dem Titel „Meine Bücher“ nennt er obenan drei Bände von „Byron“, einmal Gedichte und einzelne Dramen, „Manfred“ wird besonders erwähnt und „Foscari“ usw., - dann unter anderem einen Titel „Nachfolge Christi“, 9 Bände „Shakespeare“, zusätzlich fünf Bände „Byron englisch“, obgleich er doch von der Sprache nicht viel verstand und noch zehn andere, so dass er insgesamt auf knapp auf dreißig Bücher kam.

Warum ist diese, in sonst wohl keiner Biographie behandelte Bücher-Liste in hohem Grade erwähnenswert? Einem, der über N nicht etwas genauer Bescheid weiß, wird das Wichtigste an dieser Liste - wegen dem gravierenden Umstand, weil der Name fehlt! - kaum auffallen können! Es geht um die irgendwo himmelschreiende Tatsache, dass N - denn das war seinerzeit für ihn, wie durch seine Jugendaufsätze nachgewiesen, brandaktuell und stand mit hohem Stellenwert in intensivem Gebrauch! - die in seinem Besitz befindlich gewesenen beiden Bände von Emerson in dieser Liste nicht aufgeführt hat! - Als Begründung dafür kann es keine Sekunde lang den Gedanken geben, dass er sie schlichtweg „vergessen“ hätte! Das hieße N von Grund auf verkennen. Er hat Emersons „Essays“ und dessen „Führung des Lebens“ ganz bewusst und absichtlich - auch vor sich selber! - verschwiegen! - Das gehörte untrennbar zu seiner nachhaltigen Geheimniskrämerei über den auch in jeder anderen Hinsicht allzu persönlich genommenen, seiner lebenslangen Meinung nach „gedankenreichsten Autor dieses [seines!] Jahrhunderts“ ….. 9.602

Ns Leib- und Magenautor gehörte aus seelischen Gründen nicht auf oder in die Trivialität einer Liste von Büchern! Emerson stellte für N ein gewissermaßen anderes „Kaliber“ dar. Emerson war nicht nur „Buch“. Er war für N weit mehr, etwas, das auf unvergleichliche Weise mit seiner Existenz als Besonderheit - herausgehoben aus allem! - zusammenhing. - Es ging einfach nicht an, ihn auf der „Stufe“ einer Bücherliste preiszugeben! Das ging N seelisch entschieden „zu nahe“, - wegen der allzu persönlichen, zu Heiligtümern erklärten Ausnahme-Zustände, die Ns nun einmal gegebenen „Anfälligkeiten“ für diese besonderen, das All-eins erlebbar machenden „Momente“ in die höchsten Sphären des Menschsein hoben! - Obgleich Emerson für die nächsten Jahre bei N in seinen Problemstellungen recht weit in den Hintergrund geraten sollte.


Selbstverständlich sind dem gerade 17½-jährigen N als dem Opfer der Umstände, von dem man nicht zu viel erwarten darf, bei seinen frühen schriftlichen Ergüssen etliche Unvollkommenheiten und sogar grundlegende Fehler nachzusehen. Wenn er aber den Mut besaß, sich an solche - und dann noch als gleichsam seine! - „Grundsätzlichkeiten der Weltbetrachtung“ zu wagen, dann ist, anstatt in Bewunderung auszubrechen eher mit hintergrundlich-verständnisvoller, die Dinge ins rechte Lot bringender Kritik nicht zu sparen: Der schwerlich zu übertreffende Großbiograph Ns, Paul Janz, hat zur gesamten Jugendzeit Ns - und damit auch zu den Jugendaufsätzen! - den bereits 1945 fertig gestellten, aber erst 1953 erstmals veröffentlichten Text von Richard Bluncks großangelegter, aber über diese Jugendzeit hinaus wegen seinem frühen Ableben 1962, wegen einem Herzinfarkt im Alter von 60 Jahren J1.8, nicht fertig gestellten Text - mitsamt den Vorarbeiten für die Gesamtbiographie! - übernommen und damit sein Einverständnis mit deren Inhalten erklärt. Darin heißt es in guter alter, nicht übermäßig kritischer, Ns sklavisch folgender Heroen-Tradition, die Paul Janz vorbehaltlos bejahte:

Dem Gewitter fühlt er [N] sich verwandt, im Gewitter enthüllt sich seine [ach so bewunderte und deshalb auf das Heroische verpflichtete?] Natur, jetzt wie später [also in jungen Jahren und auch als ausgewachsener „Philosoph“]. »Im dunklen Gewitter will ich verschwinden: und für meine letzten Augenblicke will ich Mensch zugleich und Blitz sein« 10.427 schreibt er auf der Höhe seines Schaffens, in der Zarathustra-Zeit, in sein Notizbuch. [Genauer angegeben geschah das im Sommer 1883, so etwa zur oder auch erst nach der Fertigstellung des 2. von den 4 Zarathustra-Teilen. Was Blunck/Janz hier einhellig bewundernd die „Höhe seines Schaffens“ nannten, war für N die Zeit endloser und vielfach unbenutzter Variationen von Zarathustra-Sprüchen. Diese wurde aber von N in seiner „Inkarnation“ [in der Fleisch- beziehungsweise im christlichen Sinne der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus] als Zarathustra hervorgebracht: In der absoluten Identifikation mit dessen Charakter, Auftrag und messianisch auf den Übermenschen hinweisende und dabei selbstverständlicher Weise nur zu bewundernde „Erscheinung“! Mit folgenden Worten setzte Richard Blunck seinen respekterfüllten Text fort:]

Wie ein Gewitter, nur das zugleich das ungrelle [etwa milde?] Licht der Besonnenheit darüber liegt [aber von irgendwelcher „Besonnenheit“ ist vor lauter Emersonanhänglichkeit bei der hier vorgenommenen genaueren Durchsicht der Aufsätze nichts erkennbar geworden! Im Gegenteil. Das Ganze ist nichts weniger als in irgendeiner Weise „besonnen“ oder durchdacht. „Wie ein Gewitter“ aber meinten Blunck/Janz], wirkt auch die erste im eigentliche Sinne philosophische Niederschrift, die der Siebzehneinhalbjährige im März 1862 für seine »Germania« verfasste und im April den Freunden vorlas, nachdem er sich das Thema »Fatum und Geschichte« und »Willensfreiheit und Fatum« schon Monate vorher [seit Nürnberg im August 1861!] vorgenommen hatte. [Das speziell „Gewittrige“ an den Jugendaufsätzen hat aber weit mehr an dem Gedankengeber Emerson und dessen ach so gerne nach kosmischen Dimensionen greifenden Vokabular gelegen, als an N!]

Die erste Eruption seines eigenen geistigen Wesens [das nachgewiesenermaßen von Emerson seinen entscheidenden, überaus kräftigen und machtvoll vorantreibenden Anstoß bekommen hatte, erschien hier Richard Blunck wie Paul Janz], wenn auch gedämpft und gebändigt durch ein waches Bewusstsein, dass dies erst der Anfang und etwas sehr Unvollkommenes sei ….. wie ein Programm seines ganzen Lebens und Denkens [womit die „programmatische Bedeutung“ dieser Jugendaufsätze durch zwei Hauptvertreter des N’schen, philosophisch vorbildlichen Heroismus, zur allerhöchst anerkannten Tatsache erhoben wurde! Allerdings letztlich, wie nachgewiesen, zu einem - von Emerson vorgegebenen! - Lebensprogramm, in dem als „heroisch freie Entscheidung“ Ns nur enthalten war, dieses Lebensprogramm quasi wortwörtlich zu erfüllen! Zudem sind die beiden Aufsätze ganz bestimmt nicht für den Bildungsverein „Germania“ geschrieben worden; - das geht daraus hervor, dass N erst gut ein Jahr später - im Juli 1863! - notierte: „Emerson. Eine Skizze des Buches [der „Essays“ oder eher nur, was wegen der Kapitel-Angaben näher liegt, aus der „Führung des Lebens“?] für meine Freunde. Seine Betrachtungsweise amerikanisch. „das Gute bleibt, das Böse vergeht.“ Über Reichtum. Schönheit [das waren beides Kapitel-Überschriften aus der „Führung des Lebens“!]. Kurze Auszüge aus allen Essays [also die Stellen, die N so begeistert hatten!] Über Philosophie im Leben [weil N die Emerson-Inhalte, für sein eigenes Leben für so bedeutsam hielt!]. Vielleicht in Sangerhausen zu schreiben, morgens. Mit Muße und Sorgsamkeit.“ BAW2.221 Davon hat sich nichts erhalten - oder, was das weitaus Wahrscheinlichere sein dürfte, dass eine solche „Einführung in Emerson“ nie entstanden war und N es unterließ, seinen Freunden dergleichen zu liefern! - Und weiter heißt es von Blunck/Janz:] Fast alle seine wichtigen Themen werden hier schon angeschlagen und er wird von nun an nur aus immer weiter gespannten Kreisen und von immer größeren Entdeckungsfahrten mit immer größerer Leidenschaft [tatsächlich aber nur immer enthemmter und immer schriller, immer superlativer!] und immer gewichtigerer [eher immer maßloser beurteilter] Fracht von Einsichten stets wieder zu ihnen zurückkehren.

Man muss sich der Gebundenheit Ns durch Erbmasse und Erziehung erinnern, um die Kühnheit dieser frühen Gedanken zu ermessen [eigentlich wird erst aus Ns „Erbmasse und Erziehung“ heraus deutlich, wie wenig die Jugendaufsätze aus N selber zustande gekommen sein können! Denn was von Emerson für N neu und an „Kühnheit“ kam, fiel bei N auf tief religiös gefärbten und auf Anbetung angewiesenen Boden - zu einem Zeitpunkt juveniler Entwicklung, wo es, für schizophrene Veranlagungen typisch, zu „geistigen“ Fixierungen kommt, die bei N sogar von offizieller Seite eine - wohl eher unfreiwillige! - Bestätigung fanden: Einfach weil sie durch die Faktenlage erwiesenerweise bestätigt wurde!]; man wird es aber andererseits nicht zum wenigsten dieser Erbmasse gutschreiben, wenn die Kühnheit nirgends in die Überheblichkeit genialer Jugend übergeht, [was aber nicht „genial“, sondern auf schwer behindernde Weise erfolgte. - Hiernach folgte von offizieller Seite noch eine frei in N hineininterpretierte Reihe von lobhudelnden Tugendbehauptungen, die nur zustande kommen konnten, weil in diesem Zusammenhang die Tatsache Emerson ausgeschlossen zu bleiben hatte:] sondern noch da von einer bezaubernden Verhaltenheit der Äußerung ist, wo sein verschwiegenes Bewusstsein sich schon viel selbsteigener weiß. J1.98

Das waren irregeleitete, idealisierend anbetungswillige, wunschgemäße Schlüsse, die sich aus vielerlei mehr oder weniger gewollter Unkenntnis und Verdrängung der wahren Umstände ergeben haben.]


Unabhängig vom Stand des Durchblicks in die wahre Faktenlage bleibt der fragwürdig zu nennende, von Blunck und anderen N-Anbetern nicht zur Sprache gebrachte Umstand, dass - wie hier festgestellt wurde, in diesen Jugendaufsätzen anklangsweise alles, was den späteren N ausmachen würde, ja, sogar - „ein Programm seines ganzen Lebens und Denkens“! - bereits enthalten wäre, sich in einem gar nicht mal böswilligen Umkehrschluss doch ebenso gut feststellen ließe, dass später nicht viel - vor allem nichts Wesentliches! - dazugekommen ist! - und dass dieses so Grundlegende N von Emerson eingeblasen worden ist! - Denn das bedeutet, dass N sein Leben lang - mit und bei Emerson! - „geistig“ eher „auf der Stelle trat“. Diese Sachlage der Dinge übrigens lässt sich bei Betrachtung der Einzelheiten immer aufs Neue beweisen.


In der genieselig überschäumenden Würdigung der Jugendaufsätze durch die Biographen Blunck und Janz kam es - ohne Emersons Namen und Bedeutung in diesem Zusammenhang auch nur annähernd gebührend anzuführen! - zu der gegenüber den tatsächlichen Gegebenheiten durch nichts zu rechtfertigenden - d.h. verantwortungslosen! - Aussage:

Wir geben diese frühe Arbeit Ns hier so ausführlich wieder [so blind parteiisch ihrem Anbetungswillen folgend, wie es in ihrem gelieferten „Lebensbild“ geschehen ist, allerdings aus ganz anderen Gründen!] wie wir es bei keiner späteren tun werden [hier dagegen jedoch gerade auf die Inhalte von Ns „Werken“ - als seine eigentlichen Fakten! - viel Aufmerksamkeit gelegt werden wird und sie deshalb ausführlich angeführt und erläutert werden sollen! - Ihr damaliges Verhalten begründeten die Biographen mit dem fälschlichen Glauben:] weil sie [die frühe Arbeit der Emerson-Aufsätze!] alle Impulse des Nietzscheschen Denkens schon zeigt [wobei es sich in Wirklichkeit jedoch um Emersons Denken gehandelt hat!] und weil sie schon alle entscheidenden Probleme [zu denen N aber durch Emerson verleitet wurde und an ihnen kleben blieb! - Bei ihnen hieß das] umkreist, freilich ohne die mächtigen [sprich maßlosen, einsamen, abwegigen, nur unter Auslassung „der Anderen“ beschlossenen und möglichen] Lösungen zu geben, die er später findet [bzw. ihm völlig unkritisch als akzeptierbar abgenommen wurden!]. Wer aufmerksam liest, findet hier alles vorgebildet: Die Diesseitigkeit des Nietzscheschen Denkens [die aber im Vergleich zum christlichen Jenseits nur zu einer ins Unerreichbare verschobenen „Zukunft“ wurde!], in dem der Mensch [nicht als solcher, sondern als „Übermensch“ allenfalls!] stets die Mitte ist, wenn auch nicht das Ziel und die Abkehr von der Gottergebenheit [die schließlich in die Anbetung von N selber kippen sollte!] und der Demut [die tatsächlich jedoch im Größenwahn, Gott sein zu können, endete!]. Hier greift er schon das Christentum, auch wenn er es dabei noch als »falsch verstanden« verteidigt, in einem ebenso wesentlichen Punkte an wie darin, dass er in einer gleichzeitigen Aufzeichnung [27. April 1862, in einem Brief an die Freunde Krug und Pinder] wiederum unter Bejahung des Christentums als einer »Herzenssache« sich gegen alle jenseitigen Welten wendet. J1.103

Unter solchen Verkennungen der Sachlage kommen Legenden zustande, von einem und für einen, der als genialster Denker der Neuzeit! - bedauerlicherweise durch eine böse ansteckende Krankheit zu Grunde ging! Da durfte es nur die unschuldigerweise von außen gekommene Zerstörungskraft des Bakteriums „Treponema vallidum“, der Syphilis, gewesen sein! Es war aber - neben einer defekten Seelenlage - wegen gewisser Ungewöhnlichkeiten auf unkritisch hingenommene Wahrheiten einzugehen! - eine „geistige“ Infektion, gegen die N auch mit keinem noch so speziellen Antibiotikum - wenn es dergleichen zu seiner Zeit schon gegeben hätte! - zu helfen gewesen wäre!


So weit über den Stand der Ansichten zu Ns unvollkommen verstanden wordenen Glaubensinhalten anlässlich seiner ersten „philosophischen“ Produktionen! Über die bereits herangezogenen Emerson-Zitate hinaus gibt es noch eine Reihe von Sätzen, die als für N programmatisch geworden gelten können. Der Vollständigkeit halber seien sie hier noch angeführt; - beispielsweise:


Die hohen Tugenden sind nicht leutselig, sondern haben ihre ganze Unterstützung darin, dass sie zuletzt berühmt werden. Welche Berge von Lorbeeren bringen wir, mit den Tränen des Menschengeschlechts, denen dar, welche [wie auch N das wollte!] fest standen gegen die Meinung der Zeitgenossen! Das Kriterium eines Meisters ist, dass zwanzig Jahre nach ihm alle seiner Meinung folgen. EL.114

Was sich in Ns Fall ja tatsächlich - verstärkt, wenn nicht gar erst ermöglicht durch die Aktivitäten der Schwester! - bewahrheiten sollte. Zu beachten wäre hier zusätzlich die für N nicht unbedeutende Formulierung „gegen die Meinung der Zeitgenossen“, denn N hat - als Aufforderung verstanden! - genau dies zur Grundlage seiner Meinungsbildung gemacht: Immer „gegen die Meinung der Zeitgenossen“ zu sein und umzuwerten! Das wurde eine seiner hauptsächlichen, am Superlativ orientierten, „philosophischen“ Leistungen! - Oder:

So auch ein geachteter Mann [wie N?] sich selbst für einen Gegenstand jener hundertjährigen Verbesserung ansehen muss, durch welche das Menschengeschlecht [bei N die zum Dauergebrauch immer wieder berufene „Menschheit“] verfeinert, veredelt und zivilisiert wird und jede Verschwendung seiner Kräfte für Vergnügen und Gewinn, welche diese Aufspeicherung geselliger und dauernder Tugenden gefährden könnte, ängstlich vermieden wird. EL.114

Bei N ist genau dies dann die generationenlang „akkumulierte [angehäufte, gesammelte, gespeicherte] „Arbeit von Geschlechtern“ GD.47, die bei ihrem „Tun“ aufgrund von Ns schulgesetzlichen Regeln das Ziel vor Augen hätte, die bislang unbewusst verlaufene Evolution nach eigenen Vorstellungen kraftvoll zu „vollenden“, - wie er es sich vorstellen wollte, als er dies ausdrückte in den Worten: „das Dasein selber zu vollenden [und] mich als Vollender zu schauen.“ 10.487

Es ist ganz gewiss, das Jedermann in seinem Auge die genaue Bezeichnung seines Ranges in der unendlichen Stufenleiter der Menschen trägt und wir müssen sie lesen zu lernen immer bestrebt sein [oder uns auch nur einbilden, dass wir das könnten, wozu ja jederlei dahergelaufener Dünkel genügt]. Ein vollkommener Mensch sollte zu seiner persönlichen Gegenwart keine andern Hilfsmittel brauchen. EL.125

Da war der so gut wie halbblinde N gut beraten! Die Wertschätzung der von ihm so geliebten „Stufenleitern“ und seine oft hervorgehobene „Rangordnung“ hatte N nicht nur, aber in nicht unwesentlichem - vor allem rechtfertigenden! - Ausmaß auch da her!


Die Basis guter Manieren ist: Selbstvertrauen [zur Stärkung von Ns ohnehin im Übermaß vorhandenem Bezug allein auf sich selbst!]. Notwendigkeit ist das Gesetz all derjenigen, die sich nicht selbst zu beherrschen verstehen. Die, welche sich nicht selbst beherrschen können, belästigen und ärgern uns. Manche Menschen scheinen zu fühlen, dass sie einer Paria-Kaste [in Indien die gesellschaftlich unterste Kaste der „Unberührbaren“] angehören; sie fürchten zu beleidigen, schmiegen und entschuldigen sich [sind, wie N einfühlsam, freundlich, zuvorkommend und rücksichtsvoll über die Maßen] und gehen mit furchtsamen Schritten [zu denen N gezwungen war, weil er kaum erkennen konnte, wohin er trat] durch das Leben. Wie wir manchmal träumen, dass wir uns in einer geputzten Gesellschaft völlig unbekleidet befinden, so tut Gottfried stets [Emerson benamste gern seine zur Verdeutlichung herangezogene Beispiel-Gestalten], als ob er in diesem ärgerlichen Zustande wäre. Ein Held [dagegen, der sich als solcher erweisen will] sollte überall, wo er auch sei, sich wie zu Hause fühlen und durch seine eigne Sicherheit auch allen Übrigen Behagen und Humor mitteilen EL.129

Wenn er aber nackt auftritt, weil ihm, wenn auch nur im Traum, gerade danach ist oder die Lage sich durch unglückliche Umstände ergibt? Wird das dann auch - immer und zu Erfolg führend - klappen?


Dem Helden ist verstattet, er selbst zu sein. Jemand von starkem Geiste [und das, meinte N, wäre auf ihn so zutreffend wie auf sonst keinen! - Der] wird bald bemerken, dass er ein Vorrecht, eine Befreiung von den Schicklichkeiten, Vorschriften und kleinen Pflichten, welche die Gesellschaft so tyrannisch ihren Mitgliedern auferlegt, so lange genießt, als er der Gesellschaft jene Dienste leistet, zu welchen sein eingeborner und eigenartiger [zum „Herrscheramt“ ausersehener] Genius ihn befähigt. EL.129f

Könnte N sein vielbewundert „sicher wirkendes“ Auftreten in der Art, wie er seine Meinung vertrat, nach diesem Rezept angenommen haben? Mitsamt der Hypothek, „bis zum Defekt“ NR.320 auch immer beeindruckend wirken zu müssen! - Es sollte für N immer schwieriger werden, seinen Vorrang bestätigend vorzuführen und seinen segensreichen „Dienst an der Gesellschaft“ konkret überzeugend zur Geltung zu bringen.


Aber auch solche Sätze, wie die folgenden, haben - ohne dass dies bislang an einer von N verwandten Phrase erkennbar wurde, ihren Einfluss auf sein Lebensprogramm gehabt:

Es geht ein [ästhetizistisches!] Geflüster durch alle Zeiten für den, der es verstehen mag: „das, was nur dir allein bekannt ist, hat immer großen Wert.“ EL.132f

Das war für N im Jahr 1881 besonders wichtig für seinen „einmaligen Gedanken“ der „Ewigen Wiederkehr“, den er von da ab „vor allen Menschen voraus“ hatte! 14.8.81

Das Einmalige! Das Elitäre! Das ästhetizistisch extreme Bedachtsein auf „eigene Gedanken“, die nur Er hervorbringen konnte und in seiner Gewalt hatte, wie Lord Byrons „Manfred“ die finsteren Mächte der Geisterwelt! Sein Gefühl, einmalig zu sein, erklärt sich aus diesem Satz von seinem ja ansonsten auch überaus wichtig genommenen und geheim gehaltenen Maße, Regeln und „Ideen gebenden „Lehrmeister“ Emerson. Es gibt zwar keinen wortwörtlichen Beweis aus seiner Feder dafür, dass er nach diesem Satz lebte, aber die Tatsache, dass dieser Satz durchgängig für sein Verhalten gilt, zutrifft und es beschreibt wie nichts sonst, dürfte als Verdacht ausreichen, dass unter vielen anderen auch die geistige Einstellung dieses Satzes einen großen Einfluss auf N ausgeübt hat.

Im Kapitel „Die höhere Seele“ beschrieb Emerson gut eine Seite lang - geballt geradezu! - etliche unterschiedliche und variantenreiche Facetten oder Zustände, die N gut und gerne - um überhaupt nur verstehen zu können, was Emerson meinte! - auf seine besonderen „Momente“, seine alles zusammenklingen lassenden „Anfälle“ beziehen musste! Emersons Text aus seinem Essay „Die höhere Seele“ lautet dazu:

Wenn wir nicht immer mit unserm Denken uns einmischen wollten, sondern fest in unserm Handeln wären und sähen, wie das Ding in Gott stünde, so könnten wir die Einzelheit wie überhaupt jedes Ding und jeden Menschen erkennen. Denn der Schöpfer aller Dinge und aller Menschen steht hinter uns und verbreitet seine hehre Allwissenheit durch uns über die Dinge [womit denn die eigenen Ansichten gut und gerne und getrost als von einer „Höheren Instanz“ erlassen zu bewerten waren!].

Außer der Wiederkennung des Hehren in besondern Fällen der individuellen Erfahrung [die N sich bedenkenlos zuziehen konnte, denn dies war ja eine direkte Beschreibung und damit auch Berechtigung für seine Situation!] offenbart uns diese Allwissenheit auch die Wahrheit. [Wie kam Emerson hier zweimal so betont auf die nur in speziellen Fällen einem Menschen zugänglichen Gefühle der „Allwissenheit“, die ja immer nur ein Gefühl, aber kein tatsächlich gespeichertes, in Einzelheiten zugängliches Wissen über alles hinweg darstellen können? N musste sich - seiner „Momente des Allzusammenklangs“ wegen! - auch hier wieder angesprochen und wiedererkannt fühlen, da bei ihm eh alles auf Gefühlen aufgebaut war]. Und hier sollten wir [ver?]suchen grade durch ihre Gegenwart wieder fester zu werden und auf würdigere, erhabenere Weise von jenem Advent [der Ankunft der Allwissenheit?] zu reden. Denn wenn die Seele uns mit einer Wahrheit bekannt macht [in dieser für N geradezu verführerischen Formulierung!], so ist dies das höchste Ereignis in der Natur, denn sie gibt dann nicht etwas von sich, sondern sie gibt sich oder wird zu dem Menschen, den sie erleuchtet [sogar von der oft mit derartigen Anfällen, Momenten oder Zuständen einhergehenden Lichtfülle, war da also die Rede und sollte noch deutlicher genannt werden, so wie N selber sie entsprechend seinen Formulierungen kannte und in „lichtumgürteten“ Zuständen 4.136 verriet]; oder sie bemächtigt sich seiner, im Verhältnis zu der Wahrheit die er empfängt EE.206 [womit sogar die Unfreiwilligkeit und die Intensität dieser unerhörten „Augenblicke“ ihren Ausdruck fanden!].

Wir bezeichnen die Verkündigungen der Seele, ihre Kundgebungen von ihrer eignen Natur mit dem Ausdruck Offenbarung [das Wort benutzte N 1888 in seinem „Ecce homo“ zur Darstellung der Wahrhaftigkeit seines „Zarathustra“ als neues „Buch der Bücher“ 28.6.88 dann ungeniert in diesem Sinne für seine so erbrachten „geistigen Leistungen“! In vorherigen, nicht so weit fortgeschrittenen Stadien der Enthemmung, hätte er nicht gewagt, damit in Bezug auf sich selbst an die Öffentlichkeit zu treten. Offenbarungen und dergleichen kamen bei N zuvor nur in einigen Aphorismen als Wahn-Zustände, oder ihnen nahe stehend, zur Sprache]. Diese sind immer von erhabenen Wallungen [diese beiden Worte hatte N dick unterstrichen und seitlich daneben ein Ausrufungszeichen angebracht!] begleitet. Denn eine solche Mitteilung ist das Einströmen des göttlichen Geistes in unseren Geist. Es ist eine Ebbe des individuellen Baches vor den flutenden Wogen der See des Lebens [womit diesen „Ausnahme-Zuständen“ selbstverständlich das „Vorrecht“ zugesprochen war, - vor der jedem zugänglichen Banalität des Alltäglichen]. Jede klare Vorstellung von diesem zentralen Gebot erfüllt die Menschen mit Ehrfurcht und Entzücken. Ein Wonne-Schauer durchbebt alle bei dem Empfängnis einer neuen Wahrheit oder bei dem Vollbringen einer großen Handlung, die aus dem Herzen der Natur hervorgeht. [wie gut kannte N dieses Glücksgefühl der Allübereinstimmung von sich mit dem „Universum“? Was davon aber kann außerhalb der Gefühle „real“ - und somit für „die Menschheit, auf die N so gerne zielte! - auf auch nur annähernd gleiche Weise gültig sein?]

In diesen Mitteilungen ist die Macht zu erkennen nicht getrennt von dem Willen, zu tun, sondern die Einsicht geht aus dem Gehorsam und der Gehorsam aus einem freudigen Wahrnehmen hervor. [Daraus war für N so viel ihm ganz persönlich auf den Leib Geschriebenes zu entnehmen, dass er gar nicht umhin konnte, seinen Geist mit dem Emersons „zu vermählen“: Gehorsam, Schönheit, Notwendigkeit, „Wollen zu müssen“! Das alles kam bei Emerson vor und wurde N vor die Füße gelegt, es zu nutzen, sich damit zu schmücken, sich daran festzuhalten, sich aufzurichten, Halt zu finden an neuartigsten, passendsten „Schulgesetzen“ die Hülle und Fülle bis in die äußerst mögliche Selbstüberhöhung hinein!]

Jeder Moment, in welchem das Individuum sich davon ergriffen fühlt, ist denkwürdig. Die Notwendigkeit unserer Konstitution, glaube ich, bringt es mit sich, dass immer, wenn das Individuum sich jener göttlichen Gegenwart [jener höheren Macht in den immer wieder beseligenden „Momenten“. N hatte diese Stelle seitlich markiert!] bewusst ist, dies einen gewissen Enthusiasmus mit sich bringt [wie im August 1881 das Schaudern und Lachen machende, jauchzend-singende Unsinnreden in Sils-Maria anlässlich der „Schnapsidee“ seiner „Ewigen Wiederkehr“!]. Der Charakter und die Dauer dieses Enthusiasmus ändert sich mit dem Zustande des Menschen, von einer Ekstase und Entzückung und prophetischen Begeisterung, - welches aber seltner ist, - zu dem schwächsten Schimmer wirksamer Erregung, in welcher Form er, gleich dem Feuer in unsern Haushaltungen, alle Familien und Verbindungen von Menschen erwärmt und die Gesellschaft möglich macht. [Und dann noch, als Abrundung des Ganzen gewissermaßen:] Immer ist das Aufgehen des religiösen Sinnes im Menschen von einem gewissen Hange zum Wahnsinn begleitet worden, als wäre es „durch das Übermaß von Licht [vielleicht auch von einem brennenden Busch, in dem Moses Gott in Ägypten erschien? 2.Moses,3,2] vernichtet“. EE.207

Wie N es auch immer wieder als Lichtdurchflutung, Lichtfülle, Lichtumgürtet-sein bezeugte.


Zum Abschluss dieser Darstellung der überwältigenden Emerson-Bedeutung für N folgen noch einige weitere Textstellen Emersons, die für N mit Sicherheit von hoher emotionaler Bedeutung waren, auch wenn sich dazu keine Beweise in Form direkter Textübernahmen anführen lassen:

Der Tag der Tage, an welchem das eigentliche, wirkliche Leben erst beginnt, ist der, an welchem sich das innere Auge für die Einheit der Dinge und die Allgegenwart der Gesetze öffnet, an welchem es erkennt, was sein muss und sein soll und was das Beste ist. EL.17

Genau dies beschrieb, was N von Zeit zu Zeit und immer wieder mal in seinen Momenten des „Allzusammenklangs“ widerfuhr: Auch seine Hörigkeit dem Notwendigen gegenüber wurde ihm da sanktioniert!

Diese Seligkeit steigt zu uns hernieder und wir sehen sie weniger in uns, als uns in ihr. Wenn die Luft in unsre Lungen kommt, so leben wir, wenn nicht, so sterben wir; wenn das Licht in unsre Augen strahlt, so sehen wir, anders nicht; und wenn die Wahrheit in unsere Seele einzieht [analog zu Luft und Licht? - um was für einen Vorgang handelte es sich da? Schließlich ist die Wahrheit nicht so „gegenständlich“ wie Licht und Luft!], so erweitern wir uns plötzlich zu ihren Dimensionen: wir wachsen gleichsam zu Welten an. Wir sind wie Gesetzgeber [und als solcher hat N sich in fast allen Situationen seines Lebens empfunden!], wir weissagen und sehen Gesichte; [denn genau das entsprach Ns Auffassung von seinem Sein, das davon ausging, die - einzig mögliche! - Wahrheit gepachtet zu haben!] wir sprechen im Namen der Natur. Dieses Verständnis zieht uns auf die Seite [ins Aparte, Besondere, Überhöhte!] und in das Interesse des Universums, gegen Alle ohne Unterschied, gegen uns selbst eben so wohl als gegen andere. Ein Mensch, der mit diesem Verständnis spricht, bestätigt in sich selbst, was es im Seelenleben Wahres gibt: er sieht seine Unsterblichkeit [in Form seiner Vorbildlichkeit für Jahrtausende!] und er sagt: ich bin unsterblich; er sieht seine Unüberwindlichkeit und er sagt: ich bin stark. Es ist nicht in uns, sondern wir sind ihn ihm; es ist der Schöpfer und nicht das Geschöpf und alle Dinge werden von ihm berührt und verändert. Es herrscht und wird nicht beherrscht und unterscheidet diejenigen, welche daran Teil haben, von denen welche es nicht kennen. Die, welche es nicht kennen, sind Flocken und Herden. Es leitet aus sich selbst seine Begründung ab, nicht von früheren oder besseren Menschen ….. Wo es erscheint, ist die Natur nicht länger unverständlich, sondern alle Dinge runden sich zu einem harmonischen [alles zusammen klingen lassenden] und malerischen Bilde. EL.18

In solchen, viel Metaphysisches beschwörenden und enthaltenden Predigten hatten Ns „Anfälle“, seine immer mal wieder auftretenden Zustände des Allzusammenklangs, sein Glaube alles zu wissen und zu verstehen, eine unvergleichliche „Heimat“ gefunden! Es gibt anderweitig keine N bekannte Literatur, in der so „kenntnisreich“ beschrieben wurde, wie es in diesen heiklen Punkte um ihn stand. Deshalb fühlte N sich in Emersons Texten „zu Hause, in seinem Hause“ 9.588, denn da gab es Hinweise auf die so befremdlich erscheinenden Fundamente einer Vielzahl von Ns Widersprüchlichkeiten - und machten diese sogar verständlich, weil N sich - unter der Maske des „großen Denkers“! - an eben diese hochsubjektiv gültige Literatur mit seinem ganzen Wesen „gehalten“ hat! Klar auch, dass für diese Dingen höchste Geheimhaltungsstufe angesagt war!

Um so viel als dein Verständnis wächst, vermehrt sich auch deine organische Kraft. Derjenige, welcher die Absicht durchschaut [und des war N sich seit Emersons Lektionen besonders sicher, dass ihm dies als Grundlage seines „Herrscheramt“ gelungen war! Jeder Durchschauende also], steht über ihr [der Absicht] und muss wollen, was sein muss. EL.19

Diese „Formel“ bildet noch in der Mitte des 2. Teils des „Zarathustra“, geschrieben in der ersten Hälfte des Jahres 1883, eine Art Höhepunkt in den Worten „Wo ist Schönheit? Wo ich mit allem Willen wollen muss“, 4.157 - das Notwendige nämlich! Das, was ihm als größte Sehnsucht und als höchstes „Erfüllungsgefühl“ zu überkommen und immer wieder zu überwältigen pflegte.

Keine Wahrheit [ist] so erhaben, dass sie nicht morgen in dem Lichte einer neuen gesehen als trivial erscheinen könnte. Die Menschen wünschen in Allem eine Sicherheit: es ist hierin nur in so weit Hoffnung für sie da, als sie sich selbst nicht unsicher sind. EE.235

N dagegen war sich sicher. Überdies entsprach dies inhaltlich dem N besonders eindrucksvoll erschienenen, im gleichen Kapitel enthaltenen „Seht euch vor, wenn der große Gott einen Denker auf unsern Planeten kommen lässt. Alles ist dann in Gefahr ….. Da ist nichts in der Wissenschaft, was nicht morgen eine Umdrehung erfahren haben möchte; da gilt kein literarisches Ansehen mehr, noch die sogenannten ewigen Berühmtheiten, alles unterliegt einer Revision und muss sich verdammen lassen. EE.226

Seinem gesamten Verhalten nach muss N diese Stelle in einer Weise beeindruckt haben, wie sie ein „normal“ Denkender kaum nachvollziehen kann: Die ganze Welt auf hiermit erlaubte Weise umzudeuten und umzuwerten nach eigenen Maßen und damit zugleich seinem „bis zum Defekt“ NR.320 ausgeprägten Ehrgeizziel als erster von und vor allen Menschen erscheinen zu können! - Das hat - durch seinen Lebenslauf bewiesen! - eine unwiderstehliche Wirkung auf N ausgeübt!


Unser Leben ist ein fortwährendes Erstaunen. Wir ahnen gar nicht, welch eine Sinnesart, welches Vergnügen, welche Macht wir aus dem morgen ziehen werden, indem unser Wesen eine höhere Stufe der Vollkommenheit erreicht. Von etwas unter unserm jetzigen Standpunkt befindlichen, - von Handlungen der Routine und des Gefühls können wir wohl mitreden, aber die Meisterwerke Gottes, die volle Wahrheit, die universalen [superlativischen] Regungen der Seele, die verbirgt er [Gott!] unserm Auge; sie sind [auf von N so genannt „dionysische“ Weise!] unberechenbar. EE.235f


Der Unterschied zwischen Talent und Charakter liegt in der Geschicklichkeit einerseits, den alten einmal betretenen Weg weiter fortzugehen und dem Mut und der Kraft andererseits, einen neuen Weg zu neuen und besseren Zwecken anzubahnen. Der Charakter schafft ein überwältigendes Gegenwärtiges, eine entscheidende Stunde, die [für N im Willen, fürderhin die Evolution in die eigenen Hände zu nehmen] voll frohen Mutes ist und die allen den Menschen ebenfalls Mut und Kraft verleiht, die nun sehen, dass Vieles möglich und vortrefflich ausführbar ist, was sie nicht für möglich gehalten hatten. Der Charakter schwächt den Eindruck, den besondere [„von außen“, von der Welt, von „den Anderen“ ausgehende] Umstände auf uns machen. Wenn wir den Sieger sehen, so denken wir nicht mehr an Kampf oder Erfolg. Wir sehen, dass die Schwierigkeit uns übertrieben groß vorgekommen war. Ihm war es etwas Leichtes [aus was für Gründen auch immer! - wie bei David gegen Goliath 1.Sam.17,50]. Der Große unterliegt weder Konvulsionen [Schüttelkrämpfen] noch sonstiger Pein. Er steht so [maximal!] hoch da, dass die Umstände ohne besonderen weitern Eindruck an ihm vorübergehen. EE.236

Das rechtfertigte auch Ns stete Außerachtlassung aller ihn störenden Jetztzeitigkeiten. Dazu ist zu bemerken, dass von Emerson her niemals die Seelenzustände eines Besiegten bedacht oder beleuchtet wurden.


Als beinahe letztes Beispiel einer für N - wegen seiner ausgebliebenen Kritik daran! - sogar besonders charakteristisch und zugleich irre erscheinenden Weisheit Emersons, sei hier noch einmal die den Weisen in geradezu N’schen Ausmaßen überschätzende Überhöhung angeführt:

Den weisen Mann zu erziehen, dazu existiert der Staat; und mit dem Erscheinen des Weisen [also mit Ihm, wie N allen Ernstes glaubte, denn seine autistisch getrübte, zu sehr auf sich selbst bezogene Wahrnehmung reichte kaum über die Außenseite seiner eigenen Haut hinaus!] ist das Ende des Staates da [was so viel hieß, wie: Wenn alles, ach so „ideal“ - und totalitär! - mit sich selbst im Einklang befindlich nach seiner Pfeife tanzt, - wozu dann noch irgendwelche darüber hinausgehenden staatlich zwängenden Regeln? N meinte es doch nur gut, - mit sich selbst vor allem!] Das Auftreten des Charakters [den der „weise Mann“, also auch N, hat] macht den Staat unnötig. Der weise Mann ist der Staat [als das - moderne? - wiedererstandene „L’état c’est moi“ [„der Staat bin ich“ des Absolutismus?]. Er [der „weise Mann“] braucht kein Kriegsheer, keine Festung, keine Flotte, - er liebt dazu die Menschen zu sehr; keine Geschenke oder Feste, oder einen Palast, um sich Freunde zu erwerben: keine Überlegenheit, keinen günstigen Umstand. Er braucht keine Bibliothek, denn er hört nie auf zu denken; keine Kirche, denn er ist ein Prophet; kein Gesetzbuch, denn er hat den [oder ist er gar der?] Gesetzgeber; kein Geld, denn er ist der Wert desselben; keinen Weg, denn wo er ist, da ist er zu Hause; keine Erfahrung, denn das Leben des Schöpfers durchströmt ihn und spricht ihm aus den Augen. Er hat keine persönlichen Freunde, denn der, welcher den Zauber besitzt, dass er sich das Gebet und die Liebe aller Menschen erwerben kann, braucht nicht einige Wenige zu leiten und zu erziehen, dass sie mit ihm ein auserwähltes und poetisches Leben führen. Die Beziehung, in der er zu den Menschen steht, ist eine engelgleiche, sein Gedenken ist Myrrhen für sie [analog zu dem teuren, aus nordafrikanischen Bäumen gewonnenen Harz - für Rauchopfer und Arzneien], seine Gegenwart Weihrauch [das Harz des Weihrauchbaumes, - für Rauchopfer und heilkundliche Anwendungen] und Blumen. Wir sind der Meinung, dass unsere Zivilisation nun bald ihre Mittagshöhe erreicht habe [mit hoher Wahrscheinlichkeit gründet darin Ns überhöhte Einschätzung und Vorstellung von seinem „großen Mittag“ den N im „Zarathustra“ von der Einleitung bis zum letzten Kapitel immer wieder beschwor], aber wir sind noch beim Hahnenschrei und beim Morgenstern. In unserer barbarischen Gesellschaft ist der Einfluss des Charakters noch in der Kindheit. EE.426

Also noch in den Kinderschuhen, wie man das heute ausdrücken würde. Die Unterstreichungen hatte N vorgenommen. Zudem hatte er seitlich am Text rechts und links etliche Striche angebracht. - Dass Irre dieses Textes hat N in keiner Weise gestört! Für N war das alles in Ordnung. Da wurde der „weise Mann“ als Übermensch und Endzweck der Natur dargestellt. Auf geradezu karikaturistische Weise war Emerson damit - Lichtjahre weit! - entfernt von einer Realität, deren Komplexität ihm entfernt nicht vorstellbar gewesen sein konnte! - Zwar klang das alles wie eine Parodie, eine komisch-satirische, hohnlachend übertreibende Nachahmung, war aber - als Original gedacht! - eine von Grund auf ernst gemeinte Illusion ohne deren Lächerlichkeit zu erkennen. Von N gab es dazu kein noch so kleines Fünkchen Kritik. Die erhalten gebliebenen Unterstreichungen Ns gewinnen hier eine besondere Note, zeigen sie doch, wie wenig Urteilskraft er noch als über Dreißigjähriger besessen hat! Der offizielle Kommentar zur „Kritischen Studienausgabe“ von Ns Schriften aus dem Jahr 1999 bemerkt dazu: „Die ganze Stelle wurde von N mehrfach angestrichen.“ 14.694 Eine Nachprüfung an der Mikroverfilmung des Originals ergab erhebliche Anstreichungen rechts und links, allerdings durchaus im Rahmen dessen, was N „normalerweise“ vollbrachte, wenn er von der unüberlegten Geschwätzigkeit in Emersons Texten begeistert war. Der so unendlich viel an dieser Welt zu beanstanden findende N, fand zu dieser absolut weltfremd irrsinnigen Passage Emersons kein Wort der Kritik, des Vorbehaltes, der Distanz. Für jemanden, der die Menschen auch nur einigermaßen kennt, kann dieser Emerson-Text nichts anderes sein, als lächerlich zu nennende, scheinbare „Idealität“ und somit leeres Gefasel. Dazu notierte N sich im Herbst 1883 - vor lauter Lust an der Identifikation mit den Zeilen Emersons und zugleich mit seiner grotesken Figur „Zarathustra“, als wäre er blind geworden:

Zarathustra erkennt, [wie N seinerzeit selbst!] dass er auch nicht für seine Freunde da ist „Wer sind meine Freunde!“ Weder fürs Volk noch für Einzelne [weder für „Alle“ noch für „Einen“ oder „Keinen“? - wie N es seiner „Dichtung“ im Untertitel mit auf den Weg gegeben hatte!?] Weder für Viele noch für Wenige! [Genau genommen wohl - also am allerwahrscheinlichsten! - für niemanden, als nur für ihn selbst!] Die Freundschaft zu überwinden! [entsprechend Ns Widerspruchsgeist und Umwertungsmanie, es genau anders herum besser zu finden: den Menschen überhaupt zu überwinden! - auszulöschen, zu verdrängen, zu töten, was nicht zu ihm passte!] Zeichen seiner Selbstüberwindung im Anfang von III [dem 3. Teil des „Zarathustra“] Emerson p.426 Schilderung des Weisen. 10.512

Was muss in Ns Kopf vorgegangen sein, dass er von Emerson diesen unhaltbaren „Käse“ für bare Münze nahm und es wagte, sich darauf für eigene Denk- und Handlungsweisen „geistig“ zu berufen, d.h. seine zustimmenden An- und Unterstreichungen vornahm und kein Wort des Anstoßes hinterließ?! Sie muss ihn in all ihrer Blödigkeit doch beeindruckt und ihm durch viele Jahre hindurch sehr viel bedeutet haben! Den Inhalt dieser Notiz hat N auch dem enthaltenen Sinn nach nicht in den veröffentlichten „Zarathustra“ übernommen, aber dergleichen kam bei vielen Planungen vor und ist zum Thema „Zarathustra“ absolut nichts Besonderes gewesen.

In nächster Umgebung zu dieser dem ausgemachten Schwachsinn nahen Notiz finden sich zwei aufschlussreich ergänzende Notizen: Eine Seite zuvor steht da unter vielem anderen, - ein altes, seit Jahren in unzähligen Anläufen gepflegtes Thema streifend:

Die Erlösung von der Moral. Organisch-moralisch (Wettstreit der Affekte und Überherrschaft eines Affektes über den Intellekt) Rache, Unrecht, Strafe. Wer an gut und böse glaubt [gemeint waren diese nach der von N beanstandeten Moralvorstellung!], der kann niemals das Böse als Mittel zum Guten behandeln [was für N ein Meisterstück der umgewerteten Umwertung war!]; und jede teleologische [von vornherein auf Zwecke und Ziele ausgerichtete] Weltbetrachtung, die nicht mit Sittlichkeit [also der bestehenden Moral] absolut bricht, ist verloren [weil N sich in der bestehenden „Sittlichkeit“ verloren glaubte!] ….. So bleibt die Frage: welchen Wert hat es, dass so und so zeither gehandelt worden ist? ….. Kein Mensch wird sagen: dass der Stein falle, das sei Moral. Nun denn! der Mensch steigt - und das [diese Aussage wagte ein fast 39-jähriger, der beanspruchte als Philosoph zu gelten!!!] ist auch nicht Moral! 10.511

Gemeint war, dass es bei dem „steigen“, der „Erhöhung des Typus Mensch“, - in Ns Sinn Hoffnung und Absicht einer von ihm gestalteten Zukunft! - doch nicht nach überkommenem Sinn „moralisch“ zugehen müsse.

Ns Notiz entspricht in ihrer naiven, geradezu infantilen Art sich mit unpassendsten Analogien zufrieden zu geben, den veranlassenden Ausführungen Emersons. Hinter Ns sich direkt auf Emerson beziehende Notiz steht, eine halbe Seite weiter, wieder getrieben von seinem über alle Hemmungen hinwegschreitenden maßlosen Wunsch als „Hauptelement des Ehrgeizes“ so erstmals Anfang 1877 zur Sprache gebrachten und ja auch sprichwörtlich gewordenen „Willen zur Macht“:

Beherrschung der Menschheit zum Zweck ihrer Überwindung Überwindung durch Lehren, an denen sie zu Grunde geht, ausgenommen die, welche sie [die „Lehren“ Ns zur „Überwindung der Menschheit“!] aushalten. 10.512 [So, wie er das tat beziehungsweise tun wollte!]

Das war eine Aussage, die 12 Jahre bevor N offensichtlich dem Wahnsinn verfiel, den Einbruch eben dieses Wahnsinns in Ns „normale“ Weltsicht in fortgeschrittener Form bereits deutlich machte. Zu diesem Wahnsinn gehörte auch schon - im Vorlauf gewissermaßen, spätestens ab 1861! - die Tatsache, dass N in unlogischer, emotional gesteuerter, bloß teilweiser Wahrnehmung, zu viel von Emerson unkritisch verinnerlichte: zur fadenscheinigen Rechtfertigung seines „Herrscheramtes“, um die daraus ableitbaren Vorteile, Vorrechte, „Pflichten“, Zuständigkeiten und Herrlichkeiten, auskosten zu können, obgleich diese allesamt auf nichts zu begründen waren, als auf eine gestörte, ihn aber zufriedenstellende „Wahrnehmung“ seiner Selbst.


Wegen seines enormen Einflusses auf N ist noch ein weiteres interessantes, wichtiges und sehr spezielles Beispiel für Emersons „Einflüsterungen“, aus dem Lebensführungs-Kapitel „Würde und Gottesverehrung“ anzuführen. Es lautet - um dessen Wirkung auf N ausgiebig nachvollziehen zu können, mitsamt den gleichsam einleitenden Worten eines typisch Emerson’schen Redeschwalls:

Um Unsterblichkeit [für N das Leitmotiv seines in brennendem Ehrgeiz verbrachten Lebens!] braucht die Seele, die richtig fühlt, sich nicht zu sorgen [aber was ist, woraus besteht dieses „richtig fühlen“? - Die Seele fühlt und ist dabei - nur auf sich gestellt! - zumeist davon überzeugt, dass sie mit sich selbst „richtig“ läge!]. Alles ist [in widerspruchsloser Übereinstimmung mit sich selbst] so gut, dass auch hier die zweckdienlichsten und besten Gesetze walten ….. Es ist größer, die Überzeugung zu haben, dass, wenn es am besten ist, dass wir leben, [in der „eroberten“ Übereinstimmung mit uns selbst in ausreichender Überzeugtheit vom eigenen Tun begriffen! - dann gilt, dass] wir leben werden, als [besäßen wir] einen Kontrakt auf eine Fortdauer von Jahrhunderten oder Jahrtausenden oder Äonen [Ewigkeiten! - Der Satzbau ist hier wohl, vom Übersetzer E. S. v. Mühlberg her, ziemlich quer.]

Höher als die Frage des Fortlebens steht die Frage von unsern Verdiensten ….. Was man gewöhnlich Religion nennt, verweichlicht und entsittlicht ….. Der einzig mögliche Pfad in allen Gotteswelten, sich seiner Pflicht zu entziehen, ist, sie zu vollbringen. Euer Werk muss getan werden, bevor es von euch genommen wird [das sollte heißen: „man muss es verwirklichen“!] ….. Die Religion, welche die gegenwärtigen und kommenden Zeiten erfüllen und leiten soll [so stellte N sich seine Absichten vor!], muss, was sie auch sonst bringen möge, geistig sein. Ein wissenschaftlicher Geist [für den N sich zeitlebens durchaus hielt ohne es im Geringsten zu sein!] muss eine Religion haben, die Wissenschaft ist [und für wissenschaftlich begründbar hielt N seine „Lehre“ - eigentlich ja „Leere“ - von der „Ewigen Wiederkehr“ - und auch seine „Züchtung des Übermenschen“, als die bewusst gewordene, zu beschleunigende „Evolution“!].

So weit die Einstimmung, die N in vollem Umfang befolgte. Nun Emersons Text, auf den es N eigentlich angekommen war:

Eine neue Kirche wird auf die Moralwissenschaft gegründet werden. [N hat im Zuge seiner Begründung und Rechtfertigung an einer von ihm stammenden, von ihm ausgehenden „Moral-Lehre“ jahrelang an einer von der bestehenden Moral abweichenden und mithilfe seiner unüberbietbaren Superlative auf ihn überzeugend wirkenden Basis herumgedoktert; - er hat gesucht und versucht und dabei die verschiedenartigsten Standpunkte eingenommen, bis er schließlich 1881 bei seiner aus allerlei Gründen als recht handlich erachteten „Ewigen Wiederkehr“ gelandet war, - des Glaubens dabei, er hätte tatsächlich Emerson’sche „Moralwissenschaft“ betrieben. In den Details wird diese „Entwicklung“ Ns noch eingehend beschrieben werden. Emersons Vorgabe für all das lautet weiter:]

Sie [diese soeben angerissene, auf einer „Moralwissenschaft“ beruhende „Kirche“] wird anfangs klein und nackend sein, ein Säugling in der Krippe wie ehedem [also einschließlich „Bethlehem“ in innigster „Parallelität“ zum Christentum, also in alten Bahnen gedacht!], - Algebra und Mathematik des Sittengesetzes des kommenden Menschengeschlechtes, die sich ohne Schalmeien [das sind Holzblasinstrumente in Vorform der Oboe und als solche in die Bibelübersetzung gelangt], Psalter [ein alttestamentarisches „Liederbuch“] und Posaunen begründet [Posaunen sind Blechblasinstrumente, waren ursprünglich aber aus Rinderhörnern hergestellt und wurden in der Bibel vielfach erwähnt!]. Aber Himmel und Erde wird sie [die neuen „Kirche“ - in Anlehnung an biblische Traditionen!] zu Stützen, zu Dach und Seitengebälke haben, die Wissenschaft als Versinnbildlichung und Erklärung und Schönheit, Musik, Malerei und Dichtung werden sich eng an sie anschließen. Nie war ein Stoizismus [eines der von den Griechen her wirkungsmächtigsten philosophischen Lehrgebäude der abendländischen Geschichte mit dem wesentlichen Merkmal der „Erkenntnis“ eines göttlichen Prinzips in allen natürlichen Zusammenhängen und Erscheinungen: Für den Stoiker als Individuum gilt es, seinen Platz in der göttlich gegebenen Ordnung einzunehmen, selbstbeherrscht sein Los zu akzeptieren und sich um Gelassenheit, Seelenruhe und Weisheit zu bemühen. Nie war also eine solche Haltung] so düster und streng, als sie [diese neue „Kirche“ aufgrund ihrer „Moralwissenschaft“] sein wird.

Im Ritter-Tod-und-Teufels-mäßigem Ernst eines solchen „Bewusstseins“ wird - 1882 in Ns „Fröhlicher Wissenschaft“ mit Bezug auf die angebliche Wissenschaftlichkeit der darin entwickelten Moral! - der Aphorismus „Incipit tragoedia“ - „die Tragödie beginnt“ - mit darauf folgender Ankündigung des „Zarathustra“ FW.342 daherkommen!

Sie [wiederum die neue „Kirche“ aus Emersons Vision einer „moralwissenschaftlichen Religion“] wird den Menschen in seine ursprünglichste Einsamkeit zurück verweisen, diese verwaschenen, verdorbenen und gleisnerischen Gesellschaftsmanieren vernichten und dem Menschen sagen, dass er den größten Teil seiner Zeit nur sich selber zum Freunde haben darf. EL.166f

Auch dies hat N zu einem Teil seines Lebensprogramms gemacht: Als ein Mittel, sich - weit hinausgehend über ein bloßes „neues Luthertum“! - als Lehrer einer für die gesamte Menschheit so überaus wichtigen „Entwicklungsstufe“, wie sie eine neue „Kirche“ darstellen würde, in seinem Autismus zu profilieren.

Er [der Mensch und Teilhaber an dieser neuen „Kirche“] darf keine Mitarbeiter erwarten, er muss ohne Gefährten gehen. Auf den namenlosen Gedanken, auf die namenlose Macht, auf das überpersönliche Herz allein darf er sich stützen. Er bedarf nur seines eigenen Urteils; kein guter Ruf kann ihm helfen, kein böser ihm schaden. Die Gesetze [die N da von Emerson kamen, wie haben diese auf Ns einsamkeitsversessenes Naturell gepasst! - Es war fast, als hätt er sie sich selbst gegeben! - sie] sind seine Tröster, die guten Gesetze selbst sind lebendig; sie wissen, ob er sie gehalten hat, sie beleben ihn [N!] mit dem Gefühle einer großen Pflicht [und großer Lust! - vor allem!] und geben ihm einen unendlichen Gesichtskreis [der aber nichts von dem mitbekam, was außerhalb seiner selbst und den Emerson‘schen Vorgaben lag, während er sich nur um sich selber drehte! - In einer „Kirchengemeinde“ aus lauter 5XL-Einzelgängern und Extremegomanen!]. Glück und Ehre gibt es nur für den, der sich immer in der Nähe des Großen, immer in strenger Beziehung zu den letzten [superlativistischsten!] Urgründen des Daseins fühlt. EL.166ff

Wie seinerzeit die Eremiten in der Wüste, die Einsiedler, Gottsucher und Märtyrer, die um den höchsten Preis ihres Glaubens willen ihr Leiden als Beweis für ihre Wahrhaftigkeit zu Markte trugen, war dies für N eine Offenbarung, Verheißung und Bestimmung, gewissermaßen seine „moderne“, in Wirklichkeit jedoch zutiefst rückständige Version eines endlos zu betenden „Vaterunser“! Auf diese Weise wurde aus einer Gottesverehrung eine Verehrung Emersons: Und das für das kommende Menschengeschlecht als Religion und neues Glaubensbekenntnis auf angeblich „moralwissenschaftlicher“ Basis!


Das wäre eigentlich alles zu Ns Emerson-Hörigkeit! - Doch nein! Es fällt schwer aufzuhören, typische Emerson-Stellen für Ns weiteren Lebensverlauf anzuführen - hier noch eine allerletzte, obgleich es über diese hinaus noch viele weitere gäbe. So las und beherzigte N auch:

Es gibt aber einen andern Maßstab der Selbstachtung eines Mannes, als die Zahl weißwaschener Hemden, welche er jeden Tag anzieht [dies ist ein derart amerikanisches „Motiv“ für männliche Wohlhabenheit und Leistungsfähigkeit, dass es sogar in dem erst 1925 erschienen, zum amerikanischen Kultbuch gewordenen Roman „Der große Gatsby“ des US-amerikanischen Schriftstellers F. Scott Fitzgerald, 1896-1940, eine nicht unerhebliche Rolle spielt: die gepflegte Anzahl blitzsauberer, weißwaschener Hemden!]. Die Gesellschaft will sich amüsieren; ich will Anderes [genau das wollte N auch und so war ihm dies mal wieder ganz speziell aus der Seele geschrieben:] Ich möchte, dass das Leben nicht billig, sondern geheiligt wäre, jeder Tag mit Ideen beladen und gewichtig, wie Jahrhunderte. EL.171

Das entsprach vollkommen Ns bis auf den Grund hinunter humorloser, stets superlativierend um strapazierende Grenzwerte bemühter Einstellung dem Leben gegenüber - und seiner Verachtung „der Anderen“! - die er als seicht empfand, weil sie an seinen Neigungen ach so uninteressiert und unbeteiligt waren und ihn deshalb immer wieder enttäuschten! Er wollte es halten, wie Emerson es beschrieben hatte und dachte sich, später, als er frei war, zu „philosophieren“ zu seiner Rechtfertigung jeden Tag möglichst eine die Welt „heiligende“ Ungeheuerlichkeit aus, - was ihm aber auch nicht immer gelingen sollte.


Zu einer realitätsnahen Auseinandersetzung mit N gehört - als Mindestvoraussetzung! - eine auf das Grundsätzliche eingehende Betrachtung seiner beiden so berühmt-berüchtigten Jugendaufsätze als angebliche Zeugnisse seiner frühesten ernsthaft unternommenen genialen und „philosophischen Regungen“.

Die beiden dort gemachten - Anerkennung verratenden! - Nennungen des damals in deutschen Landen wenig bekannten Namens „Emerson“ führen zwangsläufig zu dem damals in Amerika für wichtig erachteten und auch heute noch angesehenen „Propheten einer geistigen Jugend“. Sie ergeben über die gebotenen Inhalte hinweg ebenso zwangsläufig - gleichsam „nach Adam Riese“! - als das verbleibende Ergebnis eines simplen „Rechenkunststücks“ - eine grundlegend veränderte Sicht auf das, was lange als eine Ausgeburt von Ns „Genialität“ gegolten hatte.

Es geht hier, wie bereits erwähnt, nicht darum, N nachzuweisen, dass er irgendwie, irgendwo, irgendetwas abgeschrieben hätte. Die Gesamtproblematik Ns ist nicht philosophisch, sondern psychologisch darin begründet, dass sein „Denken“, seine Weltanschauung, seine „geistige Orientierung“ - was in jugendlichen Entwicklungen ja durchaus nicht selten geschieht! - mit 17 Jahren! - anlässlich seiner Emerson-Infektion! - eine von dessen Geschwätz dermaßen nachhaltige Prägung fand, dass er bis in Details hinein fortan wie in einem fein gesponnenen Netz philosophisch scheinender Zusammenhänge hängen und kleben blieb und nicht in der Lage war, sich daraus wieder zu befreien! So, wie später dann mit seinen Erlebnissen Schopenhauer und auch Wagner! Er zappelte fortan in ihm weitgehend unbekannt gebliebenen, philosophisch klingenden, Großes versprechenden Erwägungen, die er, auch in ihren extremsten Superlativen, immer auf seine eigene Existenz bezog und huldigte damit einem seinem Wesen eigenen Subjektivismus als Generalansatz des Lebens ohne aber um diesen mehr zu kennen, als seine Gefühle, die er für fundiertes, verlässliches Wissen hielt. Er wollte immer sich als das Gegenteil zu „den Anderen“ begreifen; - und das immer absolut, weil er nichts anderes als sich selber wirklich wahrzunehmen vermochte und sich damit als „das Maß aller Dinge“ erkannte, - ohne dass es - für ihn! - dagegen einen Widerspruch gab, - der höchstens daraus bestanden hätte, dass er, um nicht frühzeitig zu scheitern, in hohem Maße auf die Einsamkeit, die keinen Widerspruch hervorzubringen in der Lage war, angewiesen gewesen ist.


Hatte es daran gelegen, dass er von seinem ernsten, altklugen Wesen aus den Zeiten des „kleinen Pastoren“ in besonderer Weise zu grundsätzlichen „philosophischen“ Erwägungen neigte, aber im Vergleich zu Emerson von sich aus nichts gleichwertig himmelstürmendes zu erfinden in der Lage war? Lag es daran, dass ihn die leicht fassbaren superlativischen Übertreibungen Emersons etwas begreifen und verstehen ließen, was ihm in der normalerweise anfallenden Form von massenhaft widersprüchlichen, aber weit realitätsbezogeneren Einzelkenntnissen zur Bildung einfach gestrickter Rückschlüsse entsprechend seiner oft alles andere überblendender Interessenlage unzugänglich blieb? Lag es daran, dass er Emersons Art zu denken und zu formulieren für sein selbstherrlichkeitbestrebtes Widerspruchsverlangen als förderlich empfand? Oder vielleicht nur daran, dort Munition, Nahrung und Rückhalt für die tief in ihm sitzende „herrscheramtliche“ Vorrangstellung seines eigenen Seins gefunden zu haben? In Tat und Wahrheit wird es eine Mischung aus all diesen und wohl vielen ungenannt gebliebenen „Begründungsmöglichkeiten“ gewesen sein, was in Ns Jugendaufsätze einging, dort in einem scheinbaren Glitzerfeuer aufleuchtete und ihn plötzlich so vollendet „fertig“ erscheinen ließ, - auch wenn sich nach diesem Ausbruch auf Jahre hinaus nichts weiter auf gleiche Weise in ihm regen sollte, weil dergleichen nur im Feuer der Emerson-Infektion zum Ausschlag kommen konnte?


Da Ns Produktionen in „einschlägigen Kreisen“ von diesen Jugendaufsätzen an für Philosophie und philosophisch gemeint gehalten wurden, glaubte man, ihm nur „philosophisch“ beikommen oder gerecht werden zu dürfen. Demzufolge hatten alle, die ihm und seinen Problemen näher traten, mit eigenen philosophischen „Klimmzügen“ und anderen gehirnakrobatischen Leistungen zu beweisen, auf welcher „philosophisch“ zu nennenden „Höhe“ sie sich seinen gut bis sogar blendend formulierten Tiraden gegenüber - auf Augenhöhe gleichsam! - gewachsen zu zeigen verstanden. Dabei entstanden philosophische Abhandlungen und Traktate in Massen! Viele interpretierten in Ns von „links“ bis extrem „rechts“ so gut wie Alles geduldig zulassende Beliebigkeit hinein, was sie auf ihre als „logisch“ erachtete Weise sich dabei „dachten“, - samt ihrer eigenen, vielfach erstaunlich erfinderischen Geisteskraft, in welche sie sich und Ns Aussagen hüllten, so wie sie auch! - warum nicht? immer wieder und weiter idealisiert! - verstanden werden konnten! Was aber, wenn es sich bei N, - einmal bis in Nuancen hinein hinter sein Emerson-Geheimnis gekommen! - den Fakten nach gar nicht um Philosophie gehandelt hat, sondern um selbstdarstellende, persönliche Probleme sich selbst „überwinden“ wollende, von Wunschträumen gelenkte Überredungskunst zu dem, was N ausnehmend wichtig schien? Im weiteren Verlauf der Betrachtung von Ns „geistigem“ Lebensverlauf wird dieser Gesichtspunkt den Vorrang haben, wenn das „Philosophische“ in seinem Zusammenhang zu beurteilen ansteht.


Damit wäre die einem Meteoreinschlag vergleichbare Bedeutung Emersons für N, in ihrem eigentlichen Umfang und ihrer Tiefe abgehandelt. Bevor er nach seinen „Jugendschriften“ aber sein tägliches Pfortaer Leben wieder aufnahm, reiste er in den Osterferien noch - von Karfreitag, den 18. bis Ostermontag, den 21. April - nach Dresden, zu einem Besuch der dort in einem Mädchenpensionat weilenden 14-jährigen Schwester Elisabeth. Das geht aus einem unmittelbar anschließend geschriebenen Brief an sie - aber aus sonst nichts weiter! - hervor. In diesem Brief heißt es, unter dem Datum Ende April 1862:

Liebe Elisabeth! Indem ich dies schreibe, stehe ich [in Pforta] am Stehpult, das Stehpult steht am Fenster, das Fenster bietet eine schöne Aussicht auf die blühende Linde und die sonnenbeschienenen Saalberge: die liebliche Natur aber erinnert mich sehr lebhaft an Dresden und die angenehmen, dort verlebten Tage. Um mich an Dich zu erinnern, liebe, liebe Lisbeth, brauche ich nicht erst dergleichen etwas weitschweifige Erinnerungshebel: im Gegenteil denke ich so beispiellos oft an Dich, dass ich eigentlich fast immer an Dich denke, nicht einmal, wenn ich schlafe, ausgenommen; denn ich träume ziemlich oft von Dir und unserm Zusammensein.

Da gab es Bande zwischen den Geschwistern, die ihrem Ausmaß nach nicht ohne psychische Bedenklichkeit erscheinen, vor allem seitens des autistisch veranlagten N, - blieb er doch sein Leben lang trotz schwerster Zerwürfnisse immer wieder unterlegen an seiner Schwester, die ihm im Umgang mit der Lebensrealität weit überlegen war, hängen!

Nicht wahr, es hat sich alles ganz köstlich getroffen? Ich habe es, bis ich wirklich fort war, nicht recht geglaubt, dass es zu der Reise kommen würde; und nun habe ich so wunderschöne Tage in Dresden verlebt und habe mich mit Dir so oft und so ausführlich unterhalten können! Du bist doch eigentlich kaum 7 Wochen fort: Gott, die Zeit scheint mir ein kleines Jahrhundert zu sein! Und jetzt bildet mein Aufenthalt in Dresden den farbenreichen, poetischen Hintergrund für die Prosa meines Alltagslebens! Ich hoffe, dass Du übrigens in keiner Beziehung traurig bist, dass ich nicht länger in Dresden bleiben konnte: mein Gott, Michaelis [am 29. September] sehn wir uns ja wieder, und das ist ja kaum ein Halbjahr! Meinst Du, das ist ein schlechter Trost! Lieb ich nicht!?

Dresden ist ja zu gemütlich, da wirst Du es doch die paar Monate aushalten können! Vor allen Dingen suche nur alle Kunstschätze Dresdens recht kennen zu lernen [kein Wort darüber, ob und was Er davon während seines Aufenthaltes selbst gesehen hat!] damit Du auch in dieser Beziehung etwas Ordentliches profitierst [zu deinem Vorteil hast]. In die Bildergalerie musst Du wöchentlich mindestens ein- bis zweimal laufen, wenn Du Dir auch immer nur zwei, drei Bilder so genau ansiehst, dass Du mir eine detaillierte Beschreibung (natürlich schriftlich) davon machen kannst. Nicht wahr, sehr egoistisch? Lieb ich nicht? [Es klingt beinahe danach, als wären sie in ihrer Gemeinsamkeit zu derlei nicht gekommen., denn von Dresden enthält der Brief mit keinem Wort etwas Konkretes!] Meine Rückreise war mehr oder weniger langweilig ….. Besuchte in Naumburg meine Freunde und wandelte am Abend ihn ihrer Begleitung anmutig [was mal wieder ein Wort aus selbstzufriedener Selbst-Betrachter-Perspektive mit reichlichem Selbst-Bewunderungsanteil war] meiner Pforte zu. Außer diesen großartigen Ereignissen habe ich noch nichts Bedeutendes erlebt, da wir uns genugsam über alles gesprochen haben. Lebe, beiläufig gesagt, recht hübsch wohl und denke ohne weitere sentimentalen Ergüsse an Deinen Dich herzlichen liebenden Fritz. (302)


Es steckt eine reiche Palette von Liebesgefühlen in diesem Brief. Sehr wenig aber über Dresden. Hat N dort überhaupt etwas gesehen? Das Ereignis Dresden perlte irgendwie ab, als wäre es eigentlich nicht geschehen. Die Reise nach Nürnberg vor knapp einem Jahr hinterließ wenigstens in den nachgelassenen Notizen - sehr versteckt zwar, aber doch erkennbare - Spuren! Von Dresden gibt es nichts als diesen Brief, in dem nichts außer N und der Schwester vorkommt; als wäre die Welt und Dresden außer den beiden nicht anwesend gewesen. Ebenso waren danach die geistigen Emerson-Höhenflüge wie nicht gewesen. N kehrte zurück in die Pfortaer Alltäglichkeit und dort hielt ihn nichts in den „herrscheramtlichen“ Höhen seiner ja nur erdachten Probleme. Diese waren jetzt von handfesterer Natur, bestanden aus Lernen, Aufmerksamkeit, Sehnsucht nach Wärme und Häuslichkeit, nach Träumerei und Müßiggang hin und wieder und der Vorfreude auf die zunächst anstehenden Sommer- und Hundstagsferien. Aus seiner Sicht war das eine Existenz, an der nicht viel zu ändern war. Durchstehen war die praktisch angesagte Parole! Es gab keinen Ausweg, keine Flucht. Nur die Träume und Illusionen über gedanklich erreichte „Einsichten“ von Zusammenhängen, wie sie ihm Emerson geboten hatte. Zur Gläubigkeit gab es, wenn auch die leeren Schablonen gelegentlich noch zu benutzen waren, keine innerlich halt- oder tragbaren Verbindungen mehr.


Mitte Juni 1862 traf bei N ein Brief der Schwester aus Dresden ein. Sie schrieb ihrem Bruder:

Mein teurer lieber Fritz! Recht lange habe ich Dich warten lassen mein Herzensbrüderchen auf eine Antwort, [auf den „Liebesbrief“ Ns gleich nach seiner Rückkehr aus Dresden Ende April!] nicht wahr. Nun hoffentlich bist Du mir nicht böse. Du weißt ja, wie vielerlei mich immer davon abhält und jetzt habe ich wieder so viel zu tun gehabt, oder ich hatte vielmehr so mannigfaltiges Vergnügen, dass ich kaum die Briefe an Mutterchen und die nötigen Geburtstagswünsche fertig brachte. Ich war jetzt mehrere Male im Sommertheater ….. natürlich waren es nur Possen oder kleine Lustspiele ….. Ach Fritzchen ich möchte Du kämst jetzt noch einmal ….. Ich habe mich jetzt die Zeit über sehr gut amüsiert ….. Denke Dir eine drollige Geschichte passierte neulich. Unser Stubenmädchen kommt mit der Nachricht zwei junge Herren wünschten die gnädige Frau zu sprechen [das war sie selbst!] ….. Diese holden Jünglinge! Sie machten mir Visite und luden mich auf einen ganzen Tag zu Bergmanns ein, wo es reizend war. Denke Dir es gab da 4 Studenten! Du kannst meinen Schreck denken ….. Einer der anderen Studenten gefiel mir auch sehr gut. Er war ein Schwede von Geburt. Wir haben uns sehr interessant unterhalten und ich habe die [für ihre Einfalt typische] Bemerkung gemacht, dass ich mich über Alles unterhalten kann, ohne sehr viel davon zu verstehen. Es ist dies sehr angenehm. Findest Du nicht? [Das war ein beinahe Oscar-Wilde-reifer Beitrag zu einem Bühnen-Dialog in einem seiner Stücke!] ….. Hast Du zum Geburtstag an den Onkel Oscar geschrieben? Ich habe es getan, aber nur sehr flüchtig, da ich an diesem Tag sehr wenig Zeit hatte ….. Nun kommt auch bald mein Geburtstag [am 10. Juli] ich freue mich riesig darauf. Ach ich wünsche mir so viel! Liebes Fritzchen ich habe auch ein Wünschchen für [an] Dich und dieser ist: Dein Bild. Bitte, bitte! Du könntest Dir gar nicht denken, wie ich mich freuen würde ….. Lebe wohl und denke manchmal an Deine Dich zärtlich liebende Schwester Elisabeth N.

Ohne weiteren Kommentar; - der Brief spricht ausreichend für sich. Es ist zu bedenken, dass N sonst kein weibliches Wesen so gut kannte, wie seine ihm wesensmäßig sehr ähnliche Schwester und dass seine vielfach herablassend ungünstigen Meinungen über das weibliche Geschlecht schlechthin aus den Erfahrungen mit ihr ihre Prägung fanden.


So sah Ns Alltäglichkeit aus. Aus dieser heraus notierte er kurz vor den anstehenden Sommerferien - im Jahr nach der „heiligen Stadt Nürnberg“! - im Juli 1862:

Die [sehr ferne, idealisierte und nicht mehr realistisch beurteilbare] Vergangenheit ist mir lieber als die Gegenwart; aber ich glaube an eine bessere Zukunft. BAW2.68

Seine Gegenwart schien ihm nicht erfreulich zu sein, das verrät diese Notiz eindeutig: N stand ohne rechte Verbindung zu seiner gering geschätzten „Jetztzeit“ 11.3.70 reichlich quer zu dieser, - sehr abseits und - folglich einsam im Leben. Er hatte aber Hoffnungen auf eine unbewiesene Zukunft, in der er - zwar unklar noch! - aber dennoch mit seinen Illusionen über diese Welt zur Entfaltung zu kommen hoffte!


So stand sein Ich gegen den Rest der Welt. Er im Gegensatz zu „den Anderen“! Im wertenden Sinn von „oben“ und „unten“ und unvermeidlich auch von „gut“ und „schlecht“ gemeint: Sein Grundsatz gegen die „Gleichheit der Menschen“ 10.58 stand von Anfang an fest und stellte das elementarste all seiner Feindbilder dar. Dabei hatte er doch genau genommen gerade das Erlebnis seiner Einmaligkeit mit vielen, genau genommen sogar mit allen anderen Menschen gemein, - wenn vielleicht auch nicht in der Intensität und den ungehobelt ungeheuerlichen Maßen, die er für sich meinte beanspruchen zu müssen, schließlich ist das Prinzip der „Extrawurst“ keine so seltene Erscheinung. Auch weitere nicht unterscheidbare Gegebenheiten teilte er mit „den Anderen“: Er wurde, was er nicht zu beeinflussen hatte, wie alle anderen Menschen, geboren und war in dieser Hinsicht bei weitem er Erste nicht. Er blieb - wie alle anderen auch! - ein Weilchen, mischte sich mehr oder weniger, - zumeist daran gehindert zu bestimmen, welche Gunst oder Ungunst ihn fördern oder hemmen mochte - ein und ging nach einer gewissen Zeit wieder, während die Welt - wie zuvor auch ohne Ihn! - weiterhin in der Lage war, zu existieren. Diese „über sein Leben hinausreichenden“ Bedingungen gelten für alle Menschen gleich, unabhängig von ihren sonstigen Verschiedenheiten, welche N aber - vor allem wegen der ihm fehlenden Fähigkeit, sich unterhalb von extremen Grenzwerten zu orientieren - unbegreifbar blieben. Insofern war seine Neigung zum Extrem nur seine Unfähigkeit zu erkennen, wo - für jeden irgendwo! - Grenzen liegen. Diese nicht einschätzen zu können war sein eigentliches Problem, seine Schwachstelle, auf der seine sämtlichen Schieflagen gegenüber der Welt und dem Leben, beruhten!


Nach der Notiz zu seinen Schwierigkeiten gegenüber der Gegenwart und einem hochweltschmerzträchtigen, wieder mit erheblicher Nabelschau beschäftigten Gedicht mit 9 Strophen, die zum Ende hin, mit der effekthascherischen Feststellung: „Der Mensch ist nicht der Gottheit Würdiges Ebenbild“ [und im Original so festgehaltenen] Von Tag zu Tag vertrackter …………… Nach meinem Urcharakter Gestalt ich mir auch Gott“ BAW2.69 hin zerfasern und nicht fertig geworden sind, aber für immerdar doch zu verstehen geben, dass bei N allein er selber der große Macher und der Herr im Hause war!


Aus dem Monat Juli 1862 gibt es einen - schon vom Titel her, weil dieser historisch belastet ist - wieder einmal einen zu hoch gegriffenen Entwurf zu einem „Euphorion“, eine Personifizierung aus „eu“ gleich gut, wohl, schön und „phor“ gleich tragend, - in der „Euphorie“ das Gefühl eines - gesteigerten! - Wohlbefindens. Zum Einen trug diesen Namen eine griechische Sagenfigur, nämlich der Sohn des nur beinahe unverwundbaren Achill, ein Held in Homers „Trojanischem Krieg“ wegen der schönsten aller griechischen Frauen, Helena, - und darüber hinaus hieß neben vielen unbekannten anderen so der Sohn des Tragödiendichters Aischylos, 525-456 v. C., ebenso ein griechisch-hellenischer Dichter und Schriftsteller aus der Zeit 276-225 v. C. - und Goethe nannte im zweiten Teil seines „Faust“ dessen Sohn mit der sagenhaft schönen und deshalb sagenhaft begehrenswerten Helena wiederum, als ein Sinnbild der Poesie im Geist von Lord Byron „Euphorion“. Das alles dürfte N bekannt gewesen sein.

Was tat nun N unter diesem Namen, in einem Kapitel 1 in der Länge von knapp zwei Druckseiten? - mehr gibt es dazu nicht! Er sprach von sich, denn darüber hinaus ist ihm fast nie etwas eingefallen. Er schrieb:

Meine Seele durchwogt eine Flut von weichen, beruhigenden Harmonien - ich weiß nicht, was mich so wehmütig stimmt [in einem sicherlich bewussten Anklang an die Anfangszeilen von Heinrich Heines „Lorelei“-Gedicht aus dem Jahr 1822], ich möchte weinen und dann sterben [diese Stimmung gab es bei N oft!] ….. Das Frührot spielt in bunten Farben am Himmel, ein sehr abgebrauchtes Feuerwerk, das mich langweilt [als bloße Realität? Oder weil „die Anderen“ alle es immer wieder bewundern, also aus reinem Seltenheitsbedürfnis und reiner Oppositionsmacherei?]. Meine Augen funkeln ganz anders, ich fürchte dass sie Löcher in den Himmel brennen [seine Augen „brennen Löcher in den Himmel“! Das waren so ganz beiläufig selbstverständliche Selbstüberschätzungen, die N gerne in Bezug auf seine Person „unterliefen“] ….. ich kenne mich durch und durch [auch das ein Ur-Aber-Glaube an und über sich selbst!] und möchte nur den Kopf meines Doppelgängers finden, um sein Gehirn zu sezieren oder meinen eignen Kinderkopf mit goldnen Locken … ach .. vor zwanzig Jahren [so alt war N derzeit noch nicht einmal] .. Kind … Kind … so fremd kling mir das Wort. Bin auch ich Kind gewesen, zugedrechselt worden durch den alten abgeleierten Weltmechanismus? Und schleppe jetzt ….. recht behaglich langsam das Seil, das man Fatum nennt, bis ich verfault bin, der Schinder [jemand der gerne andere quält, oder den Beruf des Abdeckers, des Schlachters alter Tiere ausübt - und] mich verscharrt und nur einige Aasfliegen mir noch ein wenig Unsterblichkeit zusichern?

Etwas so blödsinniges wie die „Aasfliegen der Unsterblichkeit“ konnte N faszinieren! In solchen sich fläzend hinlümmelnden, ungehobelten Ergüssen ging es N - am Rande, aber doch nicht unterdrückt! - um seine immer gleichen „Motive“, um etwas, was nicht zu erreichen war! Deshalb wohl dieser angeekelte Überdruss am ihn nicht fragenden und ohne ihn in irgendeiner Weise bedürfenden „alten abgeleierten Weltmechanismus“:] Ich fühle beinahe bei diesem Gedanken eine Disposition [eine Anlage, eine Verfassung] zum Lachen - indessen geniert mich eine andere Idee - vielleicht entsprießen nämlich meinen Knochen auch Blümchen ….. oder gar, - wenn nämlich der Schinder auf meinem Grabe seine Notdurft verrichtet - ein Vergissmeinnicht. Dann kommen Verliebte … Widerwärtig! Widerwärtig! Das ist Fäulnis! Indes ich hier in solchen Zukunftsgedanken schwelge, denn es deucht mir angenehmer in feuchter Erde zu verwesen als unter blauem Himmel zu vegetieren [was sehr wahrscheinlich eine absichtliche Umkehr des ihm aus der griechischen Antike hinlänglich bekannten Spruches über den Helden Achilles bedeuten sollte: Der wäre nämlich lieber Knecht auf der Erde gewesen, als der Fürst der Schatten in der Unterwelt, im Hades, der nicht gleichzusetzen ist mit dem was im Christlichen unter der Vorstellungen der „Hölle“ verstanden wird. Und dazu die Vorstellung, dass aus seinen Knochen Blümchen wachsen werden!

Der so sehr und früh auf Ruhm, Sonderrolle und „Herrscheramt“ geprägte N zeigte hier schon - scheiß-drauf! - seine Neigung zur „Umwertung“, wird er doch auf dem „Gipfel-Ende“ seines Schaffens, 1888, seinem - d.h. in seinen Augen! - aber das war von Buch zu Buch das Gleiche! - bedeutendstem und endgültigstem „Werk“ den Untertitel „Umwertung aller Werte“ verpassen! - hier in seinem „Euphorion“ aber - mit einem „oder“, vielleicht aber auch einem „und“! - fortfahren:] als fetter Wurm zu krabbeln [aber ein Wurm krabbelt nicht, das tun Käfer und kleine Kinder! Das Wort ist verwandt mit Krabbe und Krebs, der Beine wegen - und dann geht es bei N recht abrupt und gewaltsam weiter mit] süßer als Mensch - ein wandelndes Fragezeichen - zu sein - beunruhigt mich immer, dass Menschen auf der Straße dahinwandeln, bunte, geputzte, zierliche, lustige Menschen! Was sind sie? Übertünchte Gräber sind sie, wie weiland [damals, einst] irgend ein Mauschel [ein armer Jude] gesagt hat.

Damit setzte sich N einmal mehr von den Gegebenheiten und Freuden „der Anderen“ ab und frönte selbstsüchtig seinen sehr anders gelagerten - wie fast immer negativen! - Neigungen, denen er nicht anders als auf diese - letztlich destruktive Weise! - Ausdruck zu verleihen vermochte:

In meiner Stube ist es totenstill - meine Feder kratzt nur auf dem Papier [das war lebenslang der einzig tatsächliche Laut, der von ihm hervorgerufen war!] - denn ich liebe es schreibend zu denken [was er beibehielt, - allerdings gefiel dieses „Sich-etwas-ausdenken“ bei ihm gern und in den meisten Fällen in Selbstgefälligkeiten, was er für Denken hielt!], da die Maschine noch nicht erfunden ist, unsre Gedanken auf irgendeinem Stoffe, [und hier ließ er eine unrealistische Einschränkung folgen] unausgesprochen, ungeschrieben, abzuprägen.

Ohne diese „unrealistischen“ Einschränkungen könnte man N wegen dieser Stelle eine visionäre Ader zubilligen, aber wenn er darüber nachgedacht hätte, dann wären ihm bei dem Gedanken an eine solche Maschine seine Einschränkungen nicht in den Sinn gekommen! - Die maschinelle Konservierung von Schrift war mit der Setzmaschine, 1822, längst geschehen, die von Sprache stand unmittelbar bevor und die von unausgegorenen, unausgestalteten Gedanken ist auf automatische Weise bis heute nicht erfolgt.

Vor mir ein Tintenfass, um mein schwarzes Herz drin zu ersäufen, eine Schere um mich an das Halsabschneiden zu gewöhnen, Manuskripte, um mich zu wischen und ein Nachttopf [womit er zumindest schon mal ausreichend Elemente zusammengebracht hatte, um schockierende Wirkungen wach zu rufen. Auch dabei sollte er bleiben! Allerdings „geistvollere“, weniger nach Kot, sondern mehr nach philosophischen „Geistreichigkeiten“ riechende Versatzstücke zur Erzeugung von Effekten. Anschließend an diese „Entgleisung“, wenn man denn so will, geht es noch schlimmer auf puerilen „Con-cannibalido-Pfaden“ - dazu Näheres später! - weiter. Es macht sich hier - sicherlich im Zuge der Pubertät! - ein brutal gegen den Strich gehendes Element niveaulos unmaskierter Direktheit in seiner Darstellung breit. Er schrieb:

Mir gegenüber wohnt eine Nonne, die ich mitunter besuche um mich an ihrer Sittsamkeit zu erfreuen. Sie ist mir [und nun kommt genau das Gegenteil, - als ein ihm bereits Erfolg versprechender Umwertungstrick!] sehr genau bekannt, von Kopf bis zur Zehe [in einer „platonischen“ Sexphantasie! - denn sie war keine „Nonne“ und ist nie eine gewesen!], genauer als ich mir selber [was sich mit seiner eingangs gemachten Aussage beißt, dass er sich „durch und durch kenne“!]. Früher war sie Nonne, dünn und schmächtig - ich war Arzt und machte dass sie bald dick wurde [weil er sie schwängerte?] Mit ihr wohnt ihr Bruder zusammen, in zeitlicher Ehe, der war mir zu fett und blühend, den habe ich mager gemacht - wie eine Leiche [er machte immer, in angemaßt manfredischer Allmächtigkeit mit der N sich versehen „sah“, etwas Gegenteiliges!]. Er wird in diesen Tagen sterben - was mir angenehm - denn ich werde ihn sezieren. Zuvor aber will ich meine Lebensgeschichte niederschreiben, denn abgesehen davon, dass sie interessant ist, ist sie auch lehrreich, junge Menschen bald alt zu machen .. darin bin ich nämlich Meister [im Prinzip seines Schockierens! Und des Zerstörens? Auch das sollte er noch kultivieren!] Wer sie lesen soll? Meine Doppelgänger, deren noch viel[e] in diesem Jammertal wandeln.“ [Das abschließend angeführte Anführungszeichen besitzt im vorangegangenen Text keinen Gegenpart!] Hier lehnte Euphorion [sich] ein wenig zurück und stöhnte, denn er litt an der Rückenmarksdarre … BAW2.70

In der medizinischen Fachsprache: tabes dorsalis, - eine Krankheit, die nach damaligen Vorstellungen - und wohl als Drohmaßnahme! - als eine Folge übermäßigen Masturbierens angesehen wurde.

An diesem abgebrochenen „Phantasie-Stück“ versuchsweise unternommener „Literatur“, Aufzeichnung, „Kapitel“, Spaß oder wie immer man das Produkt benennen will, verwundert nicht so sehr der Inhalt - dergleichen dürfte in dem Alter nicht selten zusammengeschmiert worden sein! - vielmehr ist erstaunlich, es aufgehoben und also als erhaltenswert erachtet zu haben, von ihm, von der Schwester, die etliche Belanglosigkeiten ihres Bruders, sofern sie deren habhaft werden konnte, vor der Vernichtung bewahrte. Wenn es sich aber schon, egal aus welchen Gründen, erhalten hat und auch öffentlich gemacht wurde, dass N sich in solchen pubertären Geschichten gefiel, so gibt das einen „Eindruck“, den man einerseits zwar nicht überbewerten sollte, andrerseits aber zum Anlass nehmen kann, einmal mehr festzuhalten, dass und wie sehr N auch in abwegigen Belanglosigkeiten dazu neigte, in einem heftig auf sich selbst bezogenen Wirbel um sich selber zu kreisen! Kein neugierig interessierter Blick nach draußen, auf die Welt, kein Erstaunen über das, was sich ihm bot, sondern selbstgefällig abwertend sattes Genügen, Geringschätzung und Ekel als Grundlage für das ihm eigene Zweierleimaß gegenüber „den Anderen“, sofern es mit diesen Begegnungen und Umgang gab.

So etwas - egal aus welchen Gründen auch immer! - in die nachgelassenen Schriften eines angeblichen Genies aufzunehmen zeigt doch - zumindest! - die Unfähigkeit, zwischen bedeutsam und belanglos Unterschiede erkennen zu können! Letztlich führt die Veröffentlichung dieses Faktes Ns unentschiedenes Alles-oder-Nichts-Prinzip fort - aus Schwäche! Oder weil sich das eine vom anderen qualitativ ohnehin nicht groß unterscheidet?


Mitte Mai 1862 schrieb N an seine Mutter in Naumburg:

Nur ein paar Worte, liebe Mamma! Du willst also diese Woche bestimmt verreisen [die Schwester war in Dresden dabei, eine feine Dame zu werden, die Mutter also ungebunden und konnte verwandtschaftlich unterstützende Besuche machen]? Und wie lange etwa? Es muss jetzt wunderschön im Harz sein, jetzt wo alles grünt und blüht. Wie wird es denn nun mit der Wäsche? Die wird wohl in Pforta gewaschen [es war der erste Beleg dafür, dass N sich, wenn auch mit einer gewissen Unsicherheit, über Organisatorisches in seinem Lebenslauf Gedanken machte!] Und wohin begebe ich mich Pfingsten? Da sehen wir uns wohl bis Hundstage nicht wieder es sind ungefähr 8 Wochen [bis gut Mitte Juli!]. - Bis zu deiner Abreise sende jedenfalls also noch die gesamte Wäsche nebst Verzeichnis und außerdem ein kleines Glas zum Wassertrinken an der Quelle, das ich sehr nötig brauche. Wenn Du mir auch ein bisschen Pomade senden könntest, wäre mir es sehr lieb, da meine Haare zu trocken sind. Lass mir doch auch noch eine Anzahl von Heften machen ….. Bitte besorge dies mir so bald als möglich. - Wenn du mich diese Woche sehen willst, so komme doch Dienstag, da bin ich von 5 – 7 abends frei ….. Da wollen wir uns noch einmal sprechen. Und nun leb wohl! Noch schönen Dank für deinen lieben Brief und das Gesendete! Der neue Geistliche ist angekommen; er heißt Kletschke und hat [vom Vorgänger] etwas Buddensiegähnliches. Dein dich herzlich liebender Fritz. (305)

Also schrieb Friedrich Nietzsche:

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