Читать книгу Also schrieb Friedrich Nietzsche: "Zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ..." - Christian Drollner Georg - Страница 25
Wieder angekommen in der Alltagswelt, in Schulpforta
ОглавлениеOft war N Jahrgangsprimus, Bester, allerdings nicht in allen Fächern zugleich, so in Schul-Pforta, wurde in recht jungen Jahren Professor ohne Doktor gar und ohne Habilitation, war dann hoch gehandelt auf den Erfolgswogen im Fahrwasser von Richard Wagnerscher Zukunftsmusik in der europäischen Musik-Elite, mit Freunden, welche - wie Overbeck es nicht ohne Stolz für sich selbst bezeugte! - sobald es sich ergab hinter N freiwillig ins zweite Glied traten, um seinen Freund die erste Geige spielen und als beinahe einzigem Basler mit grauem Zylinder seine Eitelkeit in feinen Stiefeletten frönen zu lassen, wo er kritikgeladene kluge Reden hielt und alles andersherum besser zu wissen meinte: Seht her, wer ich bin! Das war ein nicht unerheblicher Bestandteil seiner täglichen Pflichterfüllung, - brachte aber mit sich, dass er diese Scheinposition immer wieder beweisen musste, was bedeutete, ständig „unter Strom zu stehen“, auch wenn dieses offensichtliche „Mehrsein“ nicht so ohne weiteres aus ihm herausströmte, denn er war keine schöpferische Natur: Er musste „etwas bringen“, aber im Grunde steckte nicht mehr in ihm, als - entsprechend seiner sehr abseits stehenden Veranlagung! - so gut wie alles anders haben zu wollen, als es war: Eine an sich destruktive Natur, die ihren Gegensatz zu „den Anderen“ über Kritik, Ablehnung, Abwertung und Ausschluss definierte, ohne aber „den Anderen“ etwas überzeugend Besseres anzubieten zu haben. Wie das geht, hat die Emerson‘sche Schule ihm vorgemacht: Große idealistisch wirkende Töne, immer das Maximum, Superlative, Menschheit statt Mensch, hohe Erwartungen und Forderungen aufstellen um „den Anderen“ klarzumachen, wie klein sie - gemessen an seinen Maßstäben und Selbstverständlichkeiten! - doch waren. So sollte seine „Prominenz“ funktionieren, die letztlich aber nicht sonderlich weit entfernt war von dem, was viele andersartig begabte und veranlagte Hochstapler zu bieten haben.
Diesen Umständen entsprechend musste Ns „herrscheramtlich“ orientierte und so auch anzusehende „Philosophie“ im Wesentlichen aus dem Ausleben der Zwangsidee seiner Besonderheit bestehen, wozu es lästiger weise gehörte, durch Inhalte immer wieder beweisen zu müssen, dass Er mehr wäre als „die Anderen“, weil die ewige Behauptung dass es so wäre, allein nicht genügt. Dies hat er sehr erfolgreich durch den „philosophischen“ Anstrich und Anspruch seiner Äußerungen verdeckt: Überall schwingt es, klingt es, wirkt es mit, dass Er wichtiger sei, - klüger, moderner, weitsichtiger, bedeutungsvoller für „die Menschheit“, - schlichtweg ein wertvollerer Mensch als eben „die Anderen“, - Alle!
In diesem für jeden Menschen „zentralen Punkt“ lag - weil es bei N auf übertriebene Weise ablief! - lebenslang sein Problem: „Den Anderen“, die ihm - von jenen verständlicherweise nicht im gewünschten Ausmaß bereitwillig zuerkannte! - Berechtigung zu seinem beanspruchten „Herrscheramt“ „klar zu machen“! In immer neuen Anläufen von Buch zu Buch, von „Werk“ zu „Werk“, wobei nichts Neues zutage kam; - nur immer höher hinauf, immer schriller, bis auf dass er sich als neuer Schöpfer und Gott seiner ersehnten, von ihm verbesserten Welt ungestört von wahrgenommenen Widersprüchen glaubte „sicher“ fühlen zu können.
Emersons „Essays“ waren - in zwei Exemplaren, einmal 13, das andere Mal 14 - insgesamt also 27 Jahre lang, vom 17. bis zum gut 44. Lebensjahr, Anfang 1889 - als sich sein endgültiges „Bewusstseinsende“ ereignete - Ns „Leib- und Magenbuch“. Nur das zweite Exemplar blieb erhalten als ein broschierter Band, zerlesen, durch häufige Benutzung gekennzeichnet, auf den meisten Seiten beschrieben und markiert, wobei sich an Ns Schriftart jeweils ablesen lässt, wann ungefähr und wie weit seine Zustimmung und seine Bewunderung - seine Identifikationen! - mit dem jeweils Angestrichenen gingen. Die „Führung des Lebens“ hatte für kurze Zeit annähernd gleiche Bedeutung, sie wiederholte und ergänzte den Eindruck, den die „Essays“ bereits geleistet hatten. Die beiden weiteren in Ns Besitz befindlichen Emerson-Bücher besaßen für ihn bei weitem nicht die gleiche Bedeutung: Die „Repräsentanten der Menschheit“ aus dem Jahr 1857, über sechs herausragende geschichtliche Größen. Mit Missfallen bedacht gerieten die 1876 erschienen „Neue Essays“ erst später in Ns Blickfeld und gelangten ihres schlicht gehaltenen Inhaltes und Stiles wegen nicht in die seelischen Betroffenheiten und Zusammenhänge, d.h. nicht annähernd in die gleiche „Identifikationsnähe“ und Unmittelbarkeit wie die zuerst intensiv erlebten 20 „Essays“ der Fabricius-Übersetzung.
Zur Darstellung der Situation des Siebzehnjährigen nach seiner Nürnberg-Reise, die ihm völlig unvorbereitet zum überwältigenden „Emerson-Erlebnis“ geraten war, waren etliche Vorgriffe auf erst Kommendes, Künftiges, für N noch Ungeahntes fällig, um den heutigen Leser erkennen zu lassen, wohin Ns Lebensreise von nun an geht und sich erkenn- und erklärbar über markante Stationen hinweg verfolgen lässt, denn es ist bei allem Weiteren nicht außer Acht zu lassen, dass für N - ohne dass er davon auch nur eine Ahnung gehabt hätte! - nun sein „Frondienst“ unter der „geistigen Leitung Emersons“ begann! Auch wenn er selbst sich dabei geistig so frei und immer freier fühlte, - was sich wohl gerade aus einem vorgegebenen Gerüst heraus besonders eindringlich - in gesteigert überzeugtem „Erfüllen“ des in seinen Umrissen bereits Bekannten! - erleben lässt! Im wirklich freien Raum kreativ unbegrenzter Möglichkeiten, ohne bereits „bekannte“ und angenommene Grenzen, kann derlei kaum geschehen. Dort ist das Gefühl ein völlig anderes, eher ein Verlorensein in unbekannten Gefilden, nicht ein Erfüllen, Erreichen, Abschließen und Vollenden, wie bei N - denn was sollte im Unbegrenzten und Unbegrenzbaren gefühlsmäßig erfüllt und vollendet sein oder werden?
Auf alles, was N las oder was sonst in seine Nähe geriet, kam er irgendwann kritisch, zumeist vernichtend und umwertend, das Gegenteil für viel richtiger haltend, zurück. Nur gegenüber der einzigen Ausnahme Emerson galt dieses sonst geradezu prinzipiell durchgehaltene Verhalten des Gegenaufstandes nicht. Die Gründe dafür liegen in den vielfältigen direkten und mit Leidenschaft vollzogenen Identifikationen mit ihm, zu ihm, durch ihn - für eigene Vorteile und Zwecke! Emerson auch nur zu „berühren“, ihn gar von seinem aller Welt gegenüber verschwiegenen Sockel zu stoßen wäre für N einer Selbstverletzung, ja, einer Art Selbstmord gleichgekommen, - einer nicht wieder gutzumachenden Infragestellung des illusionären Konstruktes seiner selbst als „der Größte von allen“, - was für den ihm eingeboren „Ehrgeiz bis zum Defekt“ NR.320 als das Wichtigste von allem unverzichtbar war. Darum ging es ihm, bis er kurz vor seinem Ende, im Oktober 1888, gut zwei Monate vor seinem geistigen Zusammenbruch, der aber, bis auf die Fähigkeit, ordentliche Sätze zu zustande zu bringen, längst schon vonstattengegangen war, als er schrieb:
Ein Distanz-Gefühl [zu „den Anderen“], das zuletzt physiologisch [körperlich bedingt] sein möchte, bin ich aus der allernächsten Nähe [ein unleserliches Wort] nie los geworden: ich empfinde die Distanz, verschieden zu sein in jedem Verstande, gleichsam unvermischbar und obenauf [das immer wiederkehrende „Oben“!] im Vergleich zu jedem trüben Elemente [unten, das vor allem bei „den Anderen“ zu finden war, - denn das in diesem Sinne so wichtige Distanzgefühl galt nicht als Selbstkritik gegen ihn selbst! - So fuhr er fort:]
Mein Vorrecht, mein Voraus vor den Menschen überhaupt ist, ein Fülle höchster und neuester Zustände [die aber nichts anderes waren, als das, was jede andere Subjektivität mit und vor sich selbst“ gezwungen ist] erlebt zu haben [wie eben niemand sonst!], in Bezug auf welche zwischen Geist und Seele zu trennen ein Zynismus wäre [weil eine solche „Trennung“, die von Emerson her gegebene Hochschätzung seiner „Zustände“ und „Allzusammenklangsmomente“, zu Schall und Rauch, zu Asche und Staub würde zerfallen lassen]. Unzweifelhaft muss man [selbstverliebter und sich überschätzender] Philosoph sein, tief sein bis zum [wieder ein unleserliches aber von N her durchaus wichtig gemeintes Wort, das wohl versucht war, der eigenen Tiefe zu entsprechen!], um von dieser Lichtfülle [seiner ererbten „Anfälle“ in den „weggetretenen“ Momenten] herauszutreten: aber die Richtigkeit des Gefühls, die lange Tyrannei einer großen Aufgabe [die niemand außer ihm selbst „ihm hatte übertragen können“!] sind die noch unentbehrlicheren [unvermeidbaren und nicht zu verhindernden !] Vorbedingungen dazu. 13.597
In Emersons anderem Buch, mit dem Titel „Führung des Lebens“, das auch eine Sammlung von „Essays“ enthielt, aber für N nach seinen Ostern 1862 geschriebenen Jugendaufsätzen nicht die Bedeutung für ihn hatte, wie die weit über 400 Seiten umfassenden eigentlichen „Essays“ und aus dem N sich auch keine Auszüge machte und sich sehr selten auf etwas aus diesen berief, - da gibt es - selbstverständlich unter vielen anderen! - im 6. Hauptstück „Von der Würde und Gottesverehrung“ eine Stelle, die hinsichtlich des Zusammenhanges mit seinen „Anfällen“, seinen „Zuständen“, seinen „Allzusammenklangsmomenten“ unbedingt noch anzuführen ist. Es heißt da sehr ruhig, ernst und unaufgeregt in bedeutendem Stil:
Es ist ein Gedanke in uns [nach dessen Herkunft und Ursache nicht weiter geragt worden war!], welcher allen Dingen zu Grunde liegt, den jede Sprache ausdrücken und jede Handlung verkörpern möchte; ein einfaches, ruhiges, unbeschriebenes und unbeschreibliches Bewusstsein, welches friedlich in uns wohnt [und N in Form seiner „Absenzen“ immer wieder und unmissverständlich als bedeutend ins Bewusstsein geriet! - so dass er es so und als das einschätzen musste, wie Emerson fortfuhr es zu beschreiben:] und dennoch unser einziger rechtmäßiger Herr ist und ihm zu huldigen, verständigen sich alle denkenden und gerechten Männer aller Zeiten und Stände [war das Ns „zornige Herrin“ aus der „Stillsten Stunde“ des 2. Zarathustra-Teils?]. Diesem Gefühl entsprechen große und plötzliche Machterweiterungen [als von N immer wieder kurzzeitig erlebte Auflösungen aller Widersprüche und Schwierigkeiten im beseligenden Allzusammenklang]. Es ist bemerkenswert, dass ein fanatischer Glaube mit totaler Unkenntnis desselben Hand in Hand geht. Es liegt in der Weltordnung, Sinn und Verständnis sogfältig auszubilden und die Tätigkeit der Maschinenkraft [N hat sich selbst gelegentlich als Maschine betrachtet!], welche diese Mächte in die erste Reihe stellt [indem diese „Momente“ unaufgefordert immer wieder auftraten und unmissverständlich als wesentlicher als alles andere empfunden wurden! - das], hat ohne Zweifel ihre Berechtigung. Aber wir haben immer eine gewisse Ahnung, dass diese Mächte selbst mittelbar und untertänig sind und dass wir eines Tages dem wirklich Seienden, Wesen dem Wesen [so stand es da!], gegenüber treten werden. Selbst die Wut der materiellen Tätigkeit erzeugt Dinge, welche der moralischen Gesundheit zuträglich sind. Der energische Zeitgeist [den N ganz allgemeinverbindlich in die von ihm für einzig richtig gehaltene „Richtung“ verändern wollte!] lässt Individuen sich begründen und isoliert die Vertreter religiöser Monopole [wie die christlichen, die nach Ns Wunsch endlich entmachtet gehörten damit er sie beerben könne!]. Ich erachte, dies ist ein Schritt vorwärts. Zwischen uns und dem Himmel bedarf es keiner bezahlten Vermittlung. Die Rettung der Seelen [vor welcher Bedrohung? Dem Tod etwa?] geschieht nicht büschel- oder gruppenweise, sondern der Geist fragt den Menschen: „Wie steht es mit dir. mit dir allein, gut oder schlimm?“ EL.147f
Natürlich lässt sich dieser Text hinsichtlich anderer Ausgangssituationen auch vielfach anders interpretieren. So persönlich genommen aber, wie N alles undistanziert auf sich selbst bezog, liegt es nahe, dass er seine Allzusammenklangsmomente als derart grundlegende „Gedanken“ und „Bewusstseins“-Zustände wie hier beschrieben erlebte, und angesehen hat und für sie in Emersons Worten eine „Bevorrechtigung“ fand. Verständlich wird dann, dass und wie er mit völlig unkritischem Glauben alles aufnahm, was Emerson ihm in diese Richtung hin „erklärte“, weil diese Art von Erklärungen Ns Rettung vor dem Unverstandenen war, dem er sich immer wieder gegenübergestellt sah. Dabei waren Emersons Weisheiten wohl anders gemeint, - er hat schließlich nicht mit einem Ereignis wie N rechnen können! Nichts war von vornherein auf Ns Natur zugeschnitten, passte aber hervorragend zu seinem Naturell, dieses mit den „logischen Brüchen“, die an N hafteten, zu versöhnen und sie nicht so genau zu nehmen. Emersons Aussagen waren danach geraten, von Ns Natur ohne unüberwindbare Schwierigkeiten konsumiert zu werden und sich in etlichen empfindlichen, ansonsten immer verschwiegenen und zu verschweigenden „Dingen“ und „Fragen“ unversehens in Bestätigungen zu verwandeln, was N erlaubte, davon abzuleiten, dass sein vielfaches Missverstehen und Missverstanden-werden sich auch als Auszeichnung und als sein „Voraus vor den Menschen überhaupt“ 13.597 verstehen ließ!
Aus den Monaten nach Ns Emerson-Infektion gibt es bis zur Niederschrift der Jugendaufsätze zu Ostern 1862 kaum einen deutlichen Hinweis, darauf, dass N sich mit Emerson beschäftigt hätte, auch nicht durch Rückäußerungen von Jemandem, den N vielleicht in sein Geheimnis eingeweiht hätte. Nach den im oben beschriebenen Umfang erlebten, unfreiwilligen, N seelisch vollständig umkrempelnden „Emerson-Ferien“ wieder in Pforta angelangt, schrieb er am 5. August 1861 an die Mutter in Naumburg:
Liebes Mutterchen! Es ist jetzt Montag, ¼ auf 6 Uhr früh; zum ersten Mal wieder um 5 aufgestanden! - Ich bin noch gar nicht so eingewöhnt und denke noch zu oft an die vergangenen Tage, bin sonst übrigens ganz wohl auf. Ich danke dir, liebe Mamma, noch viele Mal für alle Freuden und Annehmlichkeiten, die du mir in den langen Ferien bereitet hast. Wie oft bin ich im Geiste noch bei euch, wie oft auch in meinem Stübchen; es war doch alles so hübsch gemütlich! [Das war alles fast zu lieb. Von Nürnberg, von der ganzen „geistig“ doch ungeheuren Reise kein Wort! Als hätte er die ganze Zeit in seinem Stübchen mit „Tisch, ein Stuhl und ein Bücherkasten“ gesessen; mit am „Fenster ein paar Blumen des Geruchs halber, einen Krug Wasser der Erfrischung halber, meine Uhr, Stöße von Schriften und Noten usw.; so denke ich mir meinen schönen Aufenthalt.“ 2.6.61 - So hatte es ja in Erwartung der Ferien geheißen. Und nun? Als wäre außer einem ungewöhnlichen Traum inzwischen nichts weiter geschehen! Dabei wurde der 17-jährige N so sehr mit Emersons Weisheiten „in der Wolle“ durchfärbt und getränkt dass er sich in so gut wie keinem Punkt wieder daraus lösen konnte. Nirgends gab es einem Schimmer von Distanz dazu. Nichts davon war ihm „bewusst“ und es ging - scheinbar! - alles weiter wie bisher:] ….. Mir fehlen noch meine Morgenschuh und Seife [an die er von sich aus wieder einmal nicht rechtzeitig genug gedacht hatte, sie tags zuvor in Naumburg, bei der Rückkehr nach Pforta, mitzunehmen!]. Du kannst dir denken, dass das etwas sauer wird, wenn man so lange Ferien gehabt hat. - Grüße Lisbeth schön von mir, sie will mir ja einen langen Brief schreiben! Nicht wahr? Lebe recht wohl! Dein Fritz NB. Ich brauche ein kleines Trinkgläschen sehr nötig (253) [denn auch das hatte er nicht mitgenommen!].
Im August übergab N der „Germania“ seine Komposition für das Klavier zu vier Händen. Der Titel davon lautet „Schmerz ist der Grundton der Natur“; grad so, als demonstriere er damit eine ideale Voraussetzung für seine „Bereitschaft“ zur Weltsicht von Arthur Schopenhauer, welchem er aber erst in vier Jahren - wieder mit erheblicher Bereitwilligkeit zur Identifikation! - begegnen sollte. Die Musik allerdings ist hervorgegangen aus einem von August 1860 bis März 1861 versuchten Weihnachtsoratorium, bzw. aus dessen Vorarbeiten dazu: Drei Instrumentalstücke [„Heidenwelt“, „Sternerwartung“ und „Der Könige Tod“] NM.350. was als „musikalisches Material“ offenbar zu unterschiedlichsten Anlässen verwendbar war. Das vor den Ferien feierlich geplante Stiftungsfest zum einjährigen Bestehen des Vereins „Germania“ war allerdings inzwischen verpasst und „ins Wasser gefallen“.
Am 20. August 1861 schrieb N an die Mutter in Naumburg:
Liebe Mamma! Hr. Prof. Buddensieg [Ns bisheriger Tutor, 44-jährig] ist tot! Diese Nacht um zwei Uhr ist er gestorben. Ach du glaubst nicht, wie mir traurig zu Mute ist! Wir haben ihn alle so sehr geliebt; wir alle sind außerordentlich ergriffen; überall ist es totenstill. Wir wussten es gestern genau, dass er die Nacht nicht mehr überleben würde. Der Doktor hatte es vorausgesagt. Näheres über sein Ende weiß ich gar nicht; man kann auch nicht fragen. Ach, es ist schmerzlich! Doch - was Gott tut, das ist wohlgetan! - Ihr kommt doch wohl zu seinem Begräbnis heraus; ich muss nun einen neuen Tutor haben und werde H. D. Heinze heute oder morgen darum ansprechen. Wenn du damit einverstanden bist oder etwas dagegen hast, so schreib mir nur auf das eiligste. Denn sonst kommen wir zu spät; Heinze wird viele neue Empfohlene bekommen. Willst Du ihm nicht auch schreiben? - Lebt recht wohl und weinet mit mir, liebe Mamma und Lisbeth! Dein sehr betrübter Fritz (Sendet mir ja weiße Wäsche zum Begräbnis.) (257)
Das nach der nicht sonderlich „gelungenen“ Konfirmation und dem Emerson-Erlebnis! - nur der Mutter zu Liebe? - Oder war das nur ein standhaftes Pastorensohn-Bekenntnis?
Am 20. September 1861 schrieb der musikalisch bewanderte Freund Gustav Krug aus Naumburg an N in Pforta:
Lieber Fritz! Endlich komme ich dazu Dir die Dante-Symphonie und die August-Lieferung [seine „Produktion“ für den Germania-Verein] zu schicken ….. Ich bin begierig, ob bald die Faustsymphonie [wie die Dante-Symphonie von Franz Liszt, 1811-1886] erscheinen wird und was der Klavierauszug kostet, denke jedoch nicht, dass ich die Absicht habe diesen zu kaufen, bei weitem lieber hätte ich etwas von Wagner, etwa Lohengrin, Tristan und Isolde. Nach letzterer habe ich mich immer sehr gesehnt. Wenn ich nur das nötige Geld dazu hätte, sie mir anzuschaffen. Dies muss ich jedoch auf spätere Zeiten verschieben und meine Ungeduld zurückhalten ….. S.M.N.A. [semper manet nostra amicitia, Ewig bleibe unsere Freundschaft, wie unter fast jedem Brief] Vivat Germania !!!!!
Eine Erwiderung auf diesen Brief blieb nicht erhalten. Aber es ist von Ns Seite auch keine anderweitige Erwähnung von Wagners „Tristan und Isolde“ aus ungefähr dieser Zeit erhalten. Den Klavierauszug gab es seit 1859. Dies hier nur, weil N später, als es darum ging sich herauszustellen, des Effektes wegen, ganz andere Angaben dazu machte.
An seine Mutter schrieb N am 26. September 1861:
Liebe Mutter! Ich freue mich sehr, dass nun mein ganzes Examen [die Versetzungsprüfungen] glücklich überstanden ist [offenbar war er dessen nicht in jedem Fall sicher! Seiner angeblichen Genialität war es jedenfalls nicht beschert, einmal eine Klasse zu überspringen, was durchaus nicht unüblich gewesen wäre!]. Nun ist beinahe alles vorüber, morgen Zensur, Sonnabend Versetzung. - Wie seid ihr denn gestern zurückgekommen, ich habe noch gar nichts davon gehört. Es wird dir doch gut bekommen sein? Schade, dass wir uns gar nicht so hübsch unterhalten konnten, da der Regen so dazwischen kam. Nächsten Mittwoch werde ich nach Naumburg kommen; um 1 Uhr erwarte mich nur. Da werde ich auch meinen Wunschzettel [für den zunächst anstehenden Geburtstag] mitbringen. Ich bin sehr froh, dass ich wieder eine Klasse überstanden habe. Das ist wirklich nichts Kleines [und ist ihm nicht genialisch leicht gefallen!]. Lisbeth will, glaub ich, auch schreiben. Nun leb recht wohl, liebe Mamma und fühle dich nicht so einsam, wenn wir fort sind! Dein FWN. (278)
Der Brief verrät, dass es N nicht so ohne weiteres und schon gar nicht aufgrund einer genialen Veranlagung leicht gefallen ist, mit durchweg überragenden Zensuren voranzukommen.
Ende September - Anfang Oktober 1861 schrieb N an seine Mutter in Naumburg:
Liebe Mutter! ….. Herzlichen Dank für das schöne Gebäck und die Menge Pflaumen, die wirklich sehr schön sind. Ich gedenke euch für alles nächsten Mittwoch mündlich zu danken, wo von nach Tisch bis 3 großer Spaziergang ist. Wir müssen uns aber zu Hause sehen, da ich eine Anzahl Bücher mitnehmen muss ….. Ich will euch nur gleich meine Wünsche [zum bevorstehenden Geburtstag am 15. Oktober] schreiben; sie sind wahrlich nicht groß und streng genommen ist es ja bloß ein Hauptwunsch [für den Geburtstag]; das ist nämlich R. Schumann op. 98, Requiem für Mignon im Klavierauszug bei Breitkopf und Härtel [einem schon damals namhaften Musikverlag. - Von Schumann, den N später verachten sollte! - und nichts von Wagner!]. Außerdem wünsche ich, dass zwei Notenhefte eingebunden werden, die ich euch nächsten Mittwoch bezeichnen werde ….. Beiläufig gesagt bin ich jetzt also Obersekundaner [mit Unter- und Oberprima noch 3 Jahre bis zum Abitur!]; ich teile Dir meine Zensur hier mit; sie ist erstaunlich schön [lauter Zweien und eine Eins, solche auch in Fleiß und Betragen] Damit kannst du wirklich zufrieden sein. Nun lebe schön wohl, liebe Mamma, noch vielen Dank von Deinem Fritz. (279)
Der Erziehungsbericht von Ns neuem Tutor Heinze dazu lautet:
Hochgeehrte Frau Pastor. Aus der beifolgenden Zensur Ihres Sohnes erfahren Sie, dass seine Lehrer mit seinem Betragen und mit seinem Fleiß in dem halben Jahr recht wohl zufrieden sind und dass auch seine Leistungen in den meisten Fächern das Prädikat „gut“, in einem und zwar einem Hauptfache (Latein) sogar das Prädikat „sehr gut“ verdienen. Es sind dies Resultate, wie sie nicht gar zu häufig hier erzielt werden und ich freue mich, dass ich Ihnen eine derartige Zensur zuschicken kann indem ich zugleich den Wunsch ausspreche, künftig immer in derselben Lage zu sein. - Dass es mir eine große Freude ist, der Tutor eines solchen Schülers zu sein, brauche ich Ihnen, hochgeehrte Frau Pastor wohl kaum noch besonders zu versichern. Genehmigen Sie bei dieser Gelegenheit den Ausdruck meiner ganz besonderen Hochachtung, mit der ich mich zeichne Ihr ganz ergebener Heinze KGBI/4.178
Am 12. Oktober 1861, einem Samstag, 3 Tage vor seinem 17. Geburtstag, schrieb N an die Mutter und die Schwester in Naumburg:
Liebe Mutter. Ich danke dir für den allerdings ein wenig kurzen Brief; es ist doch keine hübsche Einrichtung mit dem Sonnabendkistenschicken; denn dadurch werden die Briefe sehr kurz. Ich bedarf der Hefte sehr notwendig [„blaue große und kleine Hefte, die großen nicht über 4 Bogen, die kleinen nicht über zwei. Außerdem ein großes Heft von etwa 10 Bogen. Also 6 große zu 4, 1 großes zu 10, 2 kleine zu 2 Sendet mir die camera obscura, die Stiefeln“, so genau in dem Brief zwei Tage zuvor!], bis zum Dienstag [seinem Geburtstag, den er aber aus unbekannt gebliebenen Gründen an dem Tag nicht gefeiert sehen wollte] sende sie mir ja ….. Wie steht es denn mit dem Taschengeld? Du hast mir gar nicht geantwortet. - Ich schreibe jetzt übrigens wieder mit Gänsefedern; es ist das aller bequemste und ich habe mich jetzt völlig daran gewöhnt; du könntest mir ein paar mitsenden. - Morgen [am Sonntag] gehe ich [in treuer Pflichterfüllung?], wie du weißt zum heiligen Abendmahl und kann euch also nicht sehen, so sehr ich es wünschte ….. Nun noch ein spezieller Auftrag für Lisbeth, der aber die höchste Eile hat. Ich bedarf zu einer deutschen Arbeit über Hölderlin notwendig seine Biographie, sie liegt in meinem Bücherkasten. Die Kamera obscura habt ihr mir auch nicht gesendet. Alles erwarte ich spätestens Dienstag, wo ich übrigens durchaus keine Gratulation haben will, aber auch mit keiner Silbe. Denn mein Geburtstag ist erst Freitag ….. (281) [am 18. Oktober? Warum? Weil sein Geburtstag nicht mehr zugleich der des Königs war?]
Zu Ns Geburtstag schrieb ihm sein Freund Wilhelm Pinder aus Naumburg:
Lieber Fritz! Vor allem meine herzlichsten Glückwünsche zu dem heutigen Tage, der nun leider, nachdem [der König] Friedr. Wilh. IV gestorben ist, nicht mehr im ganzen Lande gefeiert wird. Ich hoffe, dass Dir Dein Geburtstagsfest von allen Unannehmlichkeiten frei bleibt, die Dir Pforta in so reichem Maße bringt [da wird er sich also mal bei seinem Freund ausgeweint haben] ….. Mittwoch haben wir auch unsere Zensuren bekommen, sie sind natürlich in Vergleich mit der deinigen nicht einen Heller wert. Nun vielleicht wird dein gutes Beispiel uns zu größerem Eifer anfeuern! Mit unseren Oktoberlieferungen [für die „Germania“] sind wir noch immer rückständig [was auf ein gewisses Drängen durch N schließen lässt], Du sollst sie aber so bald wie möglich übersendet bekommen ….. [auch an diesen Zeilen ist abzulesen, wie sehr N die Vorbildrolle zu spielen hatte und in diese von „den Anderen“ auch angenommen wurde!]
Am 17. Oktober 1861, einem Donnerstag, schrieb N an Mutter und Schwester in Naumburg:
Liebe Mutter. Loskommen werd‘ ich morgen [am geplanten Geburtstagsfeiertags-Freitag] auf keinen Fall, indem den ganzen Nachmittag [Pfortaer] Festlichkeiten sind. Es wird wahrscheinlich erst um 1 Uhr gegessen, bei gutem Wetter (denn heute sieht es sehr bedenklich aus) würde ich sodann etwa von ¾2-4 Spaziergang haben, wo ihr mich also wenn ihr nichts wichtigeres vorhabt, erwarten könnt. Um 4 ist Schauturnen, Tierquälerei, dann Feuer auf dem Berg und Feuerwerk und abends Ball für die Primaner. - Ich danke übrigens Lisbeth schön für den Brief und für die schnelle Besorgung meiner Wünsche, ebenso für das inliegende Konfekt, das mich doch einigermaßen wieder an Königsgeburtstag erinnerte. Wir hatten gerade einen üblen und schwierigen Lektionstag. - Übrigens fehlt mir noch der erste Band von Hölderlins Leben, den will ich mir morgen noch mitnehmen ….. (282)
Zwei Tage darauf schrieb N einen sehr persönlich gehaltenen Schulaufsatz über Hölderlin, der ihm einen Rüffel eintrug, aus dem ersichtlich war, fürderhin mit Einblicken in das, was ihn wirklich interessierte und ihm wichtig war, vorsichtig, zurückhaltender, verschwiegener zu sein. Er war mit seiner Hölderlin-Bewunderung nicht verstanden worden, so viel war klar und damit hatte das Ansehen der realen Welt gegenüber seinen Idealen und Vorstellung ein Stückchen mehr an Vertrauen und Ansehen verloren.
Am 21. Oktober 1861 schrieb N an die Mutter in Naumburg:
Liebe Mutter. Es war sehr angenehm, dass wir uns gestern [am Sonntag] noch etwas sahen. Denn vorigen Freitag haben wir uns nur sehr wenig gesprochen. Also sende mir die Brille, die Stiefeln, die zwei Taler von der Tante hebe mir auf ….. Ich habe mich am 18. Oktober [dem so problematisch verabredeten Geburtstags-Freitag] mehr als je gesehnt, einen gemütlichen Nachmittag in eurem Kreis zuzubringen und ich fühlte mich sehr ungemütlich in Pforta. Das Schauturnen furchtbar langweilig, auf dem Berge Feuerwerk und Feuer etwas weniger, dann aber wieder der ganze Abend! Das ist schrecklich. - Dein Geschenk liebe Mama [der Klavierauszug von Schumanns „Requiem für Mignon“] erfreut mich ungemein; es wird euch wohl auch gefallen wenn ich’s euch vorspiele. Der Kuchen und die Weintrauben - alles sehr delikat. Hast du mir vielleicht den Don Juan mitgebracht? Ich habe es vergessen, neulich danach zu fragen. Ich bin übrigens durch die hübschen Photographien darauf gekommen, mir Weihnachten wieder welche zu wünschen; es sind viele von großen Männern der Neuzeit erschienen. - Nun lebt recht wohl ….. (283)
Am 28. Oktober 1861 schrieb N an die Mutter:
Liebe Mutter. Ich muss euch leider die unangenehme Mitteilung machen, dass ich heute wieder veranlasst worden bin, auf die Krankenstube zu gehen. Ich habe einen auffallend schnellen Pulslauf und dicken Hals und Schmerzen im Hinterkopf. Dabei gräulichen Frost. Alles so dumpf. Im Allgemeinen wirklich dem vorjährigen Zustand beim Eintritt der Kopfschmerzen gleich. Deshalb hielt ich es für meine Pflicht, dem Doktor Mitteilung zu machen, der mir herüber zu kommen riet [auf die Krankenstube]. Ich werde mich zu Bett legen. Sende mir schleunigst den Bettüberzug, ein weißes Hemd, wollne Strümpfe und Geld, das ich hier nötig brauche. Lisbeth wird mir den „Muretus“ [ein Buch des französischen Humanisten Marc Antoine Muret, 1526-1585, der 1550 eine lateinische Tragödie „Julius Caesar“ veröffentlicht hatte] beilegen. Nun lebe recht wohl, hoffentlich geht es bald besser. Dein Fritz. (284)
Die zugehörige Eintragung im Pfortaer Krankenbuch lautet: 28. -30. Oktober 1861: „Katarrh“ J1.128
Aus dieser Zeit gibt es neben Gedichtfragmenten und anderen Niederschriften nachgelassene „Lebensläufe“. Sie enthalten viele „Emersonnahe Elemente“ und können deshalb, wie von den Herausgebern seinerzeit angenommen, nicht im Mai 1861, sondern Monate später, vielleicht gar erst Anfang 1862 entstanden sein, denn sie enthalten mit dem mehrfach benutzten Wort „Stufenleiter“ und der Erwähnung einer „Sitten- und Geistesgeschichte“ sowie dem gesamten „Geist“ ihres Inhalts nach eindeutige Elemente aus Emersons offiziell erst 1862 in der Übersetzung von E. S. v. Mühlberg erschienenen „Führung des Lebens“.
Der erste Lebenslauf beginnt ganz grundsätzlich, mit einer allgemeingültigen Erklärung, die weit hinausführt über Ns eigene, gerade mal siebzehnjährige Existenz auf diesem Planeten und zeigt damit seine tief in ihm verankerte Neigung, sich selbst und seine Ansichten für „das Gesamte“ überaus wesentlich und auch für sehr maßgebend zu erachten. Der erste der drei lautet:
Die verflossene Zeit des Leben zu überschauen und Gedanken an die wichtigsten Ereignisse desselben anzuknüpfen, kann und darf Niemand [nur auf sich selbst oder ins Allgemeine zielend?] uninteressant sein, dem seine eigne Sitten- und Geistesentwicklung am Herzen liegt [wie es die Seine ihm hiermit erklärtermaßen war]. Denn wenn auch die Keime zu den geistigen und sittlichen Anlagen schon in uns verborgen liegen und der Grundcharakter jedem Menschen gleichsam angeboren ist, so pflegen doch erst die äußern einwirkenden Verhältnisse, die in bunter Mannigfaltigkeit den Menschen bald tiefer, bald flüchtiger berühren, ihn so zu gestalten, wie er als Mann sowohl in sittlicher als geistiger Beziehung auftritt [diese beiden Sätze allein sind „Emerson in Reinkultur“ aus den Kapiteln der „Lebensführung“] ….. Es ist aber ebenso undenkbar, die höchsten Interessen des Menschengeschlechts [da hatte N bereits den höchstmöglichen Superlativ am Wickel!] in die Hände eines gedanken- und unterscheidungslosen Wesens zu legen, als einem urbösen Etwas anzuvertrauen. Denn ein abstraktes, ungeistiges, Schöpferisches [das sollte bei aller Unklarheit des Gesagten alles schon recht philosophisch wirken!] kann ebenso wenig wie ein urböses Wesen [als absoluter Gegensatz zum häuslichen „lieben Gott“!] unsre Geschicke leiten, da im ersten Fall das Geistlose nicht existieren kann - denn alles, was ist, lebt - im zweiten Fall der dem Menschen angestammte Trieb zum Guten unerklärbar wäre ….. BAW1.276f
Dies Wenige verdient eine genauere Betrachtung. In einem Bericht mit dem Titel „Mein Lebenslauf“ ist N bereits im 6. Satz - 3 wurden ausgelassen - bei einem „Denken“ und „Sorgen“ in der Größenordnung für die „höchsten Interessen des Menschengeschlechts“, also - als Flucht vor der eigenen Unbedeutenheit oder um sich nicht auf Details einlassen zu müssen? - bei dem „absolut superlativsten“ Maß von denkbarer „Zuständigkeit“ angelangt! Was veranlasste einen Siebzehnjährigen an etwas derart „Nicht-zu-bewältigendes“ überhaupt zu denken? War das Genie? Ein genetischer Selbstüberschätzungs-Defekt? Das Schönburger „Herrscheramt“? Oder nur die banale Neigung sich in hoffnungsloser Unterschätzung der Realität selbst ebenso hoffnungslos zu überschätzen? So sehr sogar, dass hier eine Neigung zu blankem, unüberlegtem und auch unüberlegbarem „Wahn“ erkennbar wird? Was er da alles zusammengeschrieben hatte, besaß in sich selbst keinerlei Logik sondern wunschhafte Forderungen, dass es - in korrekte Syntax gebracht! - so wäre! - Das zeigt, dass N sich über etwas ausließ, von dem er zumindest keine leidlich vernünftig zu nennende Ahnung, dafür aber ein allzu hochgestochenes Selbstvertrauen hatte!
Von einem tatsächlichen Genie sollte - jedenfalls ansatzweise zumindest! - zu erwarten sein, dass es, so früh es auch „nach den höchsten Kronen greift“ 30.4.84 oder zu greifen wagt, verantwortlich und ausreichend selbstkritisch erwägt, ob der im „Geiste“ hier getane Griff nach den „höchsten Interessen des Menschengeschlechts“ sich überhaupt von einem Einzelnen mit keinem irgendwie gearteten „Erfolg“ verbinden lässt, weil doch die unendlich erscheinenden Verschiedenheiten hinter dem Begriff „Menschengeschlecht“ für einen Einzelnen prinzipiell „zu viel“ sein müssen, um eine sinnvolle „Aussage“ dazu von sich geben zu können! Zu einer solchen, genialischen Einsicht hat es bei N „nie nicht gereicht“! Kurzum, zum Genie hätte gehört, das Missverhältnis zwischen „Zuständigkeit“ und „Können“ zu erkennen oder zumindest doch zu erahnen und in angemessener Bescheidenheit entsprechende Zurückhaltung und Umsicht walten zu lassen. Im Gefüge derartiger Ahnungslosigkeit ging es bei N mit Getöse und gewaltiger Unordnung der Begriffe in diesem „Lebenslauf“ fort:
Es gibt in allem Geschaffenen Stufenleitern [ein Wort, welches auch der inhaltlichen Verwendung nach, eindeutig aus Emersons übersetztem Sprachgebrauch der „Führung des Lebens“ entnommen war!], die sich auch auf unsichtbare Wesen erstrecken müssen, wenn nicht die Welt selbst die Urseele sein soll. So bemerken wir den Fortschritt des Lebens, ausgehend vom Stein, überhaupt dem scheinbar Festem, Starren, fortschreitend zu Pflanzen, Tieren, Menschen und auslaufend in Erde, Luft, Himmelskörper, Welt oder Raum, Stoff und Zeit [was alles, abgesehen davon, dass Emerson ihm dies - zwar auf andere Weise und in anderem Zusammenhang! - vorgekautund eingeblasen hatte, und so modern und neuzeitlich N sich bei der „Verwendung von derlei“ fühlen und zeigen mochte, seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse, die in Pforta in nicht nennenswerter Weise gefördert wurden, keinesfalls über die Lehre der 4 Elemente der Antike hinausgehend, nicht überstieg!]. Soll hier die Grenze und das Ende sein? Nein, über das stoffliche, Räumliche, Zeitliche hinaus ragen die Urquellen des Lebens, sie müssen höher und geistiger sein, die Lebensfähigkeit unendlich, die Schöpferkraft unbegrenzt sein [alles orientierungshalber in Superlative gebettet, so dass nichts aus dem Rahmen des ja nur Vorstellbaren fallen konnte!].
Eine andere Stufenleiter bildet die anwachsende Verteilung der Geisteskräfte und hier steht von allen sichtbar der Mensch an der Spitze, da er die größte Geistesausdehnbarkeit hat. Aber die Unvollkommenheit und Beschränktheit des menschlichen Geistes, der die Welt klar durchdringen müsste wenn er der Urgeist [wer war das? - und bei welcher Lebensquelle sollte dieser angesiedelt sein? Hatte N Kenntnis von diesem aus dem Gefühl des Allzusammenklangs in seinen besonderen „Momenten“? - Was der „Urgeist“ also] sein sollte, leitet unsre Blicke auf eine höhere, erhabenere Geisteskraft, von der alle andern Geisteskräfte wie von einer Urquelle her fließen. So lassen sich noch viele solche Stufenleitern finden, wie der anwachsende Fortschritt des Stofflichen, Räumlichen, Zeitlichen, der Moral usw. Alle aber - und das ist das wichtige, bestimmen uns erstens die Existenz des ewigen Wesens, dann auch die Eigenschaften desselben. BAW.277f
Was waren das für Töne! Welche „Weltumspannung“ brach da - und mit welcher Macht vor allem! - plötzlich hinein in die bisherige Naumburgisch-Pfortensische Versorgt- und Behütetheit - einerseits in den Glauben von zu Hause und andererseits in das unausweichliche Eingespanntsein in die puritanische Schulorganisation! - Da tauchten etliche, hier eigentlich gar nicht recht passende exotische Worte auf: Da gab es in der „Realität“ von Ns Wahrnehmung unversehens „Stufenleitern“, eine „Urseele“, einen „Fortschritt vom Stein über Pflanzen und Tiere zum Menschen“. Über diesen hinaus die „Luft“, die „Himmelskörper“, das „Weltall“, „Stoff“ und „Zeit“. Der Mensch steht noch an der Spitze, - noch weist kein Übermensch über diesen hinaus, aber es gibt schon ein deutliches Anstoßnehmen an der „Unvollkommenheit“ und „Beschränktheit des menschlichen Geistes“ von dessen „Urquell“ her und es gibt eine nicht zu übersehende Einbeziehung der „Moral usw.“ in einen als „Stufenleiter“ - vom Primitiven her - aber wohin? - vorgestellten „Fortschritt“ des „Stofflichen, Räumlichen, Zeitlichen“, also auch eine in Relativierung befindliche „Moral“! - Aus dem Nichts heraus ist das einfach gewaltig! Wo kam das alles so plötzlich her? Aus dem mittlerweile vertieften Umgang mit Emerson, der derartig in N „rumorte“, blähte und Blasen schlug, um die Begeisterung für den eigenmächtigen Umgang mit „höchsten Dingen“ auszuleben, sich zu versuchen, sich darzustellen, - weil diesem - wie N viele Jahre später gesteht! - „mein weiteres Leben geweiht ist - es ist mir zu schwer zu leben, wenn ich es nicht im größten Stile [rundum umgeben von Superlativen!] tue“, wie es Mitte Juli 1882 in einem Brief dann ganz deutlich heißen sollte: Es geht darum, sich selbst, bewehrt mit den Einflüsterungen Emersons, in seinem „Herrscheramt“ auf unüberbietbare Weise zu fühlen, zu erfüllen und zu erleben!
Das hier häufig eingesetzte Wort „Stufenleiter“ könnte im Rahmen der in jenen Jahren aufkommenden Diskussionen um Darwins epochemachendes Werk zu der Fülle von Erkenntnissen über die Evolution auch woanders her gekommen sein, aber der Tenor des Ganzen trägt zu deutlich Emersons Färbung, besonders „vom Stein über Pflanzen und Tier zum Menschen“ als dass die Herkunft dieses Begriffes von jenem ernsthaft zu bestreiten wäre. Die Abfolge von Ns Gedanken zu dem Thema und Titel „Mein Lebenslauf“ - vom ersten Moment her mit dem Universum zusammengebracht! - fährt nach einem weiteren übersprungenen Satz fort:
Wie vermöchte auch der Mensch mit seinen so gering ausgebreiteten Anlagen des Geistes [vergleichsweise zu wem oder was? - oder nur nach dem, was N „den Anderen“ zutraute?] die erhabenen Pläne [letztlich das N Verwundernde, Unverständliche, Störende!] zu durchdringen, die der Urgeist aussann und ausführte! Es gibt keinen Zufall; alles was geschieht, hat Bedeutung und je mehr die Wissenschaft forscht und sucht, desto einleuchtender wird der Gedanke, dass alles, was ist oder geschieht, ein Glied einer verborgenen Kette sei. Wirf deinen Blick auf die Geschichte; glaubst du, dass bedeutungslos die Zahlen sich aneinanderreihen? Schau den Himmel; meinst du, dass ordnungs- und gesetzlos die Himmelskörper ihre Bahnen wandeln? Nein, nein! Was geschieht, das geschieht nicht von Ungefähr, ein höheres Wesen leitet berechnend und bedeutungsvoll alles Erschaffene. BAW1.278
Hier stand N - begabt, Worte in verführerische Reihenfolgen zu setzen! - im Versuch einer Nachahmung Emerson‘scher „Essay-Methodik“ offensichtlich zwischen zwei „Glaubensrichtungen“ und mischte sie, noch unentschieden durcheinander. Dieser neuerliche Anlauf seiner von den Weisheiten Emersons zwingend in Anspruch genommenen „Gedanken“ zu der schwerlich passenden Überschrift „Mein Lebenslauf“ geriet N hier - bezeichnenderweise?! - unversehens zu einer Beschreibung geradezu kosmischer Zusammenhänge mit Ihm, dem dies „denkend“ Entdeckenden als dem natürlichem Mittelpunkt von alledem.
Emersons Denk-Dimensionen hatten N so gefangengenommen, dass er - eigentlich über sich selbst berichten wollend! - sich auf dessen Betrachtungsstufe stellte, aber von dort her wieder einmal nur von seinen Gefühlen und Vorstellungen sprach! - d.h. von dem, wie er sich in „größtem Stile“ urteilend und beschreibend im Weltgefüge sah; - auf dieses sah und es beschrieb, wie er glaubte, dass es wäre! Er schlug sich just gerade mit Emersons Art, die Welt zu sehen, herum. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit ihm fand nicht statt. Was ablief, war Ns Vollzug der Identifikation mit Emersons weit ausgreifenden Bildern, die N gefallen haben, aber weder für ihn noch für irgendjemanden sonst gemacht worden waren: Es sind Bilder, die in Hinsicht auf die höhere Ordnung „Menschheit“ entworfen wurden, aber nicht in Hinsicht auf einzelne Menschen, was N aber entschieden zu wenig war, um sich damit zu begnügen und abzugeben! Es gibt in diesem Stück Text keine beweisfähig überzeugende, wortwörtliche Übernahmen aus Emersons „Führung des Lebens“: Alles atmet aber dessen hochpathetisch großmäulig übertreibenden Geist und Stil, der viel zu viele Eigenschaften zusammenfasste, als dass das Gesagte noch auf einen Einzelnen passen könnte.
Diesen gleichsam das gesamte Weltall für die eigenen Entfaltungsmöglichkeiten vorausetzenden und bemühenden Anlauf zur Darstellung seines „Lebenslaufs“ ist in Verstärkung seiner „Herrscheramtsgefühle“ als Ns Einstieg in eine „Parallelwelt“ zu werten. In dieser „findet die Erfüllung Emersons statt“! Hier führte N „von nun an“ sein ins „Philosophische“ erhobenes, „alle Anderen“ überragendes „Leben“ als „der unabhängigste Mann in Europa. Meine Ziele und Aufgaben sind umfänglicher als die irgend eines Andern“! 21.4.84 wie es etliche Jahre später heißen sollte; - eine Scheinwelt, die er wie ein Vogelnest nach und nach ausbauen, auspolstern, mit immer weiteren Argumenten rechtfertigen sollte, - je öfter und tiefer er in sie floh; eine angeblich „geistige“ Welt, in der er sich „logisch“ einrichtete, sich 1865 „ein eignes anpassendes Leben zu zimmern“ wie es „sein Bestreben von früh bis Abend“ war BAW3.297 und sich dort mit und bei Emerson „zu Hause“ fühlte; - dort eingemauert, massiv, dominierend und nichts sonst gelten lassend.
Ansonsten kommt Emerson in den Lebensäußerungen jener Zeit - bis zum erstmals veröffentlichten Zitat 1874! - nirgends bemerkbar vor. Man würde gar nicht darauf kommen, dass es Emerson in Ns „geistiger Entwicklung“ gegeben haben könnte, wenn es nicht diese gewissermaßen DNA-gleichen Spuren gäbe, denen nur genau genug nachzugehen ist, um festzustellen, wie viel Abhängigkeit in diesen geringfügig scheinenden Anzeichen verborgen ist. Die enorme, in Ns „Werken“, Briefen und in den Nachlassnotizen steckende Bedeutung des „Erhabenen“ und erhebenden, in dem ja so viel Erfolgspotential verborgen war, findet sich im statistisch signifikant häufigen Gebrauch von Begriffen dieser Art in Emersons „Führung des Lebens“ wieder. Belegt ist dieser „Vorgang“ zusätzlich dadurch, dass N sich bis an sein geistiges Ende nachgewiesenermaßen immer wieder in engem Kontakt zu Emerson-Texten befand. Bedauerlicherweise ist Ns Handexemplar der „Führung des Lebens“ - zum Nachweis seiner Abhängigkeiten auch davon - nicht verfügbar geblieben.
Mit den Worten „ein höheres Wesen [ein Gottersatz?] leitet berechnend und bedeutungsvoll alles Erschaffne“ bricht dieser nicht durchzuhaltende Ansatz zu einem „Lebenslauf“ BAW1.278 in astronomischen Dimensionen als einfach nicht fortsetzbar ab. Der 2. Lebenslauf - unter dem gleichen Titel! - ist weitaus maßvoller gehalten, dramatisierte ein wenig, kam aber nur bis zum Tod des Vaters, gut eineinhalb Druckseiten lang. Der dritte Anlauf ist noch schlichter und beschreibt vollkommen diesseitig die wenigen nennenswerten Fakten, die es in Ns Leben bis dahin gab. Der Wahrtraum vom Tode des Bruders aus dem Jahr 1858 wurde wiederholt aber ansonsten hat N gegenüber 1858 viel Ausschmückendes vergessen oder nicht mehr für nötig erachtet, zu beschreiben, was er früher über viele Seiten hinweg interessant und wichtig fand. Der gerade mal nur noch gut 4 Druckseiten lange Bericht - gegenüber den damals mehr als 25! - endet mit der schulischen Übersiedlung nach Pforta. Kein Wort über die dort inzwischen verbrachten 3 Jahre und kein Wort über Emerson, der ja zu einem wesentlichen - aber nicht wirklich distanziert bewussten! - Teil seiner Lebensrealität geworden war.
Auf die wirklichkeitsgetreue Einordnung dieser drei Lebensläufe scheint wenig Verlass. Es liegt vom Inhalt her nahe, dass der kosmische Anlauf nicht zu der heute vorliegenden BAW1-offiziellen Zeitangabe passt, da er derart „Emerson-infizierte“ Elemente enthält, die keinesfalls vor der Nürnberg-Reise, sondern eher erst deutlich danach in Ns Gedankenwelt gelangt sein können. Abgesehen von der zu bezweifelnden zeitlichen Zuordnung auf den Mai 1861 stehen sie aber im Band BAW1 physisch abgedruckt „richtig“ hinter der Nürnberg-Reise. BAW1.276ff
Anfang November 1861 schrieb N an seine Mutter:
Wir haben uns schrecklich lange nicht gesehen und geschrieben: ich bin nämlich seit Montag [4. November 1861] bis Donnerstag auf der Krankenstube gewesen, da ich von Husten geplagt wurde. Als ich nun Donnerstag wieder herüberkam [in den nicht kränkelnden Pfortaer Schulbetrieb] und mich sehr freute, euch besuchen zu können, da war zu meinem großen Ärger niemand zu Hause ….. Ihr sendet mir doch bestimmt morgen die Kiste, vergesst ja nicht das Paket von Wilhelm [Pinder], die Brille und einen Geburtstagstaler beizulegen, den ich notwendig für die Anschaffung eines Buches brauche ….. Ich hoffe doch, dass wir uns Sonntag in Almrich sehen, damit ich nicht wieder nach Naumburg hetzen muss. Noch 7½ Wochen, dann ist Weihnachten! Ich freue mich ganz erschrecklich darauf und ich werde mir [wie gewöhnlich!] die ganzen Ferien wieder ordentlich einteilen ….. (285)
Aus dem Treffen in Almrich dürfte kaum etwas geworden sein, denn im Pfortaer Krankenbuch ist für die Zeit vom Montag dem 4. bis zum 16. November, einem Sonnabend, für seinen Aufenthalt in der „Krankelei“ als Grund nichts von Husten, sondern „Rheumatischer Kopfschmerz“ vermerkt; eine wohl beabsichtigte Fehlinformation Ns, um die jeweils besondere Beunruhigungen hervorrufenden Kopfschmerzanfälle für diesmal nicht nach Hause dringen zu lassen? Dass N „Anfang November“, am Donnerstag den 7., nach Naumburg hinübergegangen war, könnte auf „stark nachgelassene“ Kopfschmerzen hinweisen. Dann aber, bei seiner empfindlichen Anfälligkeit für Kopfschmerzen gleich die Anstrengung des Fußmarsches? Mit dem Erfolg, dass der „rheumatische Kopfschmerz“ anderntags wiederkehrte und N weitere 8 Tage, bis zum Samstag, den 16. November auf der „Krankelei“ verbrachte? Der folgende Brief unter dem Datum des 19. November, einem Dienstag, würde dazu passen:
Ich sage euch herzlichen Dank dafür, dass ihr mir die Bücher sogleich herausgesandt habt. Ebenso war es sehr hübsch, dass wir uns Sonntag [am 17. November] doch noch gesehen haben, besonders da erst Sonntag über 8 Tage eine Zusammenkunft möglich ist. Es scheint jetzt sehr kalt zu werden. Die Fenster sind gefroren. Ich freue mich ungemein auf Weihnachten, das wird herrlich werden. Ich habe mir schon allerhand dazu vorgenommen und denke viel in meinem warmen Stübchen zu vollbringen [was einen gesteigerten Willen zu parallelweltlicher „Produktion“ verrät! Es sollte eine sinfonische Dichtung zu „Ermanarich“, dem ersten und letzten historischen Gotenkönig vor dem Einfall der Hunnen, 375 n. C. entstehen]. - Natürlich habe ich auch schon viel über Weihnachtswünsche nachgedacht und bin ziemlich einig [mit sich selbst!]. Was wünscht denn Lisbeth sich? Ich könnte ihr mehrere interessante Bücher [aus seinen eigenen Interessengebieten!] vorschlagen. Ich schreibe nächstens an sie. Was ich euch schenken soll, weiß ich gar nicht; wenn ihr aber auch keine Wünsche habt, so bekommt ihr auch nichts. Was kann ich euch auch schenken etwas Komponiertes, Gezeichnetes, Gedichtetes? (286) [wie er es gerne tat] …..
Im Dezember 1861 verfasste N für die „Germania“ eine Abhandlung „Über die dramatischen Dichtungen Byrons“ zu der Lesungen Byron‘scher Texte vorgesehen waren. Die Einführung für die Germania-Freunde in Ns geliebte „Welt“ Byrons beginnt mit den Worten:
Der Hauptreiz der Byronschen Dichtungen besteht in dem Bewusstsein, dass in ihnen die eigne Gefühls- und Gedankenwelt des Lords [und nicht auch Ns eigene?] uns entgegentritt, nicht in ruhiger, goldklarer Fassung goethischer Poesie, sondern in dem Sturmdrang eines Feuergeistes [das erinnert an Emersons „Feuerbläser der Inspiration“ EE.48], eines Vulkans, der bald glühende Lava verheerend einherwälzt, bald, das Haupt umdüstert von Rauchwirbeln, in dumpfer, unheimlicher Ruhe auf die blühenden Gefilde herniederschaut, die seinen Fuß umkränzen. Die unglückliche [N aber besonders gefallende] Poesie des Weltschmerzes nimmt in Byron ihren Ursprung und ihre genialste Entfaltung [diese Art Superlativ diente nicht der Feststellung einer Tatsache, sondern brachte zum Ausdruck, wie sehr und besonders N vieles an Byron gefiel!]; und gerade darin, dass sich uns der Dichter in jedem Charakter, den er zeichnet, selbst vorführt, ohne jedoch in den Fehler grenzenloser Einseitigkeit zu verfallen - denn Byron verstand es, alles Hohe und Edle, die zartesten und erhabensten Gefühle, in der großartigen Universalität seines Geistes zu erfassen - gerade darin ruht der Zauber, der uns eine begeisterte Hinneigung zu ihm und seinen Dichtungen fühlen lässt [irgendwie erstaunlich, wie gut ein Egomane den andern „kennt“ und an dessen Neigungen einen Gefallen wie an dem Eigenen findet! - Und das, ohne dabei irgendwelche Rückschlüsse auf das eigene Verhalten zu ziehen!] ….. seine dramatischen Werke, im höchsten Grade eigentümlich durch die maßlose Subjektivität des Dichters, sollen heute der Vorwurf [im Sinne von Vorbild, im eigentlichen Interesse stehend, bei] meiner Abhandlung sein. BAW2.9
George Gordon Noel Byron, 6. Baron Byron of Rochdale, 1788-1824, war bekannt als Lord Byron, ein sehr erfolgreicher romantischer, britischer Dichter und wichtiger Teilnehmer am Freiheitskampf der Griechen im Griechisch-Türkischen Krieg.
Das erste seiner Trauerspiele ist der in der Schweiz und am Rhein begonnene [und in seinem Geschehen als „Dramatisches Gedicht“ räumlich in den Hochalpen angesiedelte] Manfred [aus dem Jahr 1817], in dramatischer Beziehung ein Ungetüm, man möchte sagen, der Monolog eines Sterbenden, in den [aber nur Ns Meinung nach] tiefsten Fragen und Problemen wühlend, erschütternd durch die furchtbare [oder auch nur aufgeblasen maßlose, alles Superlativische bemühende, hohle] Erhabenheit dieses geisterbeherrschenden [als „geistig“ allmächtig dargestellten] Übermenschen [den der jugendlich begeisterte N eins zu eins wie von Byron entworfen für bare Münze nahm, ohne die hinter dem Aufwand an großen Worten verborgene Hohlheit des erz-romantischen, nahe der „Gothik Novel“ angesiedelten Machwerks zur Kenntnis zu nehmen], entzückend durch die prachtvolle, wunderbar schöne [vor allem aber in Superlative verliebte] Diktion, aber undramatisch im höchsten Grade [hier übrigens erschien bei N das ihm aus Goethes Faust bekannte Wort „Übermensch“ zum ersten Mal!]. Seine [Byrons] Mußezeit in Ravenna im Januar 1820 benutzte Byron zur Produktion seines Marino Faliero [1285-1355, eines Dogen in Venedig, ein „Historisches Trauerspiel“ in fünf Aufzügen] ….. das dramatische ist immer noch höchst unbeholfen; das Anhalten an [beharren auf] französischer Einheit des Ortes und der Zeit verleitet den Dichter zu Missgriffen ….. dann auch zu breiter Ausführung lyrischer Stellen, die allerdings zu dem Entzückendsten gehören, was je geschrieben worden ist. BAW2.10
Das war blindselig schwärmerische Bewunderungslobhudelei mit der Jung-N in Unkenntnis von vielerlei sein Idol auf einen höchstmöglichen Sockel zu stellen gedachte. Danach folgt eine genauere Darstellung von Byrons Trauerspiel „Die beiden Foscari“, mit den Freunden vorzulesenden Textbeispielen.
Zuerst also kann man nicht leugnen, dass Byron kein Meister der Charakteristik ist. Es gibt im Allgemeinen für ihn nur einen einzigen Charakter, den er völlig und erschöpfend zu zeichnen versteht: und das ist sein eigner. Alle andern Charaktere sind, so zu sagen, Teile seines eigenen Charakters ….. Ebenso muss man zugeben, dass Byron überhaupt kein Dramatiker war, indem seine Subjektivität die plastische Gestaltung zu dramatischer Einheit und Objektivität verhinderte. Auch sein Ideenkreis ist trotz seiner unendlich scheinenden Gedankenfülle und Geistesblitze nur ein auf sein eigenstes Wesen beschränkter, relativ natürlich bei der Genialität seiner Weltanschauung ein von den weitesten Grenzen umsponnener BAW2.12 [was auch bei N so zu sein scheint, aber nicht so ist. Was N hier als Beschreibung seiner selbst bei Byron an-erkannte, ist zwar richtig, jedoch ohne so weit zu gehen, diese Erkenntnis auf sich selbst anzuwenden und Lehren für sich selbst und sein eigenes Verhalten hinsichtlich Lord Byrons „Manfred“ daraus zu ziehen.] …..
Haben wir vorhin gesagt, dass Byron nur seinen eignen Charakter zu zeichnen verstand, so klingt dies paradoxer als es ist. In den vier Charakteren Manfred [eine von Byron erfundene Figur, genaueres zu ihm später], Marino Faliero [ein venezianischer Doge des frühen 14. Jahrhunderts], Jacopo Foscari [Sohn des venezianischen Dogen Francesco Foscari, 15. Jahrhundert] und Sardanapal [ein so von den Griechen genannter letzter König des assyrischen Reiches, welcher im 7. Jahrhundert v. C. in den brennenden Ruinen seines Palastes in Babylon Selbstmord beging] tritt uns trotz der scheinbar bedeutenden Verschiedenheit immer derselbe entgegen, nämlich Byron selbst in der Vielseitigkeit seines umfassenden Geistes [was N so dafür hielt, solange es seinen Gefühlen entsprach]. Während Manfred seine düstren Grundzüge, seine höhnende Resignation, seine übermenschliche Verzweiflung hervorhebt, während Sardanapal seine sinnliche Natur mit den grellsten Farben ins Licht stellt, lodert uns in Marino Faliero [den N meist „Falieri“ schrieb] sein glühender Freiheitsstrom entgegen, daneben aber auch die südliche Glut seiner Affekte ….. Und sind dies nicht die Grundtöne seines ganzen Wesens, die er [und das hat N so unglaublich beeindruckt und in eine erhabene Stimmung versetzt, es „den Anderen“ zu zeigen!] uns wie ein Beichtgeheimnis mit höhnender Weltverachtung und göttlichem Selbstbewusstsein entgegenschleudert? [Mit einem „göttlichen Selbstbewusstsein“! - Dafür muss man Antennen haben, um argumentativ damit so umgehen zu können!]
Indessen fehlen doch noch zu diesem Bilde einige Züge, seine fast weibliche Zartheit der Empfindung und Feinheit im Erfassen edler [überidealisierter] weiblicher Charaktere, Gaben, die besonders in den wundervollen Frauengestalten ….. hervorleuchten [es sind derer im Wesentlichen 12 Schönheiten, die N alle von Stahlstichen her „persönlich“ kannte BAW1.251, mit Namen nannte er hier deren drei]. Wenn man bedenkt, dass Byron frei von aller Religiosität, ja überhaupt von allem Gottesglauben ist, unbeständig in der Liebe, sinnliche Genüsse im Übermaß schöpfend, wenn man diese ewigweiblichen Frauen betrachtet, von seiner Meisterhand mit den feinsten Grenzen umzeichnet, so muss man wahrhaftig die überaus große Genialität seines Geistes anstaunen [die im Wesentlichen aber aus einem allzu sehnsüchtig veranlagten Herzen bestand]. Und gerade der Umstand, dass wir die Vielseitigkeit seines Charakters bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele kennen lernen, ersetzt uns die ungemein dramatischen Mängel, die seinen Dichtungen anhaften ….. BAW2.13f
Die sonderbarste Ausgeburt seines Hirns ist jedenfalls der Manfred [von diesem nämlich war N besonders beeindruckt!], der in jeder Beziehung die Grenzen des Gewöhnlichen überschreitet und beinahe ein übermenschliches Werk zu nennen ist. [Dieses Urteil wirft ein erhellendes Licht auf Ns grundsätzliche Einstellung zu „Kunstwerken“, Dichtungen und Opern besonders, die er mit dem Bayernkönig Ludwig II. gemein hatte und für beide eine eigenartig totalitär angehauchte Lebenswirklichkeit ausmachten; als ob sie - als Vorbild! - die Wirklichkeit gleichsam ersetzen könnten und auf diese Weise das gewöhnliche Leben eine Erhöhung fände.] ….. Das Großartigste und zugleich Anziehendste ist Byrons Ideenfülle in seinen Dramen, besonders in seinem, Manfred, in dem der Sturmgang seiner Gedanken [es handelt sich aber vielmehr nur um eine entfesselte Phantasie, die] alles andre überwiegt und alles Interesse [insbesondere hinsichtlich der vorgegebenen Allmacht im Umgang mit dieser Welt] an sich reißt. Es gibt in der Tat kein ideenreicheres Werk [N kannte nur keins!], das in solchem Grade trotz seiner dramatischen Mängel, trotzdem dass es eigentlich eine Gedankenanhäufung der Verzweiflung ist, den Leser [N vor allem!] mit Zaubergewalt bannt und in den Zustand der tiefsten Melancholie versetzen kann. BAW2.14
Die hier angeführten Urteile entstammten allesamt Ns Begeisterung, ungetrübt von irgendwelchen Sachkenntnissen zu dem, was dramatische Kunst ausmachen kann. Nach Ns Gefallen hat er hier entschieden, dass es „in der Tat keine ideenreicheres Werk“ gäbe. In seiner Aussage aber ließ er keinen Unterschied erkennen, ob etwas tatsächlich so war, wie er sagte, oder ob alles nur auf seinen persönlichen Geschmack gerichtet war: Am liebsten machte N ein allgemeines Gesetz aus seinem persönlichen Dafürhalten, weil ihm das die größte „herrscheramtliche“ Genugtuung versprach.
Die von N den Freunden vorzulesenden und wohl auch vorgelesenen Stellen sind kaum zu ermitteln, führten wohl auch, wenn man sie kennen würde, nicht wesentlich weiter. Interessant in dieser Byron-Betrachtung ist vor allem die von N wiederholt betonte Bedeutung des „Manfred“ als menschen(un)mögliche „Figur“, der sogar einiges vom „Zarathustra“ eignet! Sie tritt bei N lebenslang mit und wegen der Maßlosigkeiten ihres Charakters an beispielhaften Stellen immer wieder in Erscheinung und spiegelt damit Ns eignen Charakter, - was Anlass genug ist, hier näher auf diese Gestalt einzugehen, um verstehen zu können, was die Identifikationsneigung Ns mit ausgerechnet dieser Figur bedeutete:
„Manfred“ ist eine freie Erfindung des englischen Dichters und griechischen Freiheitskämpfers George Gordon Noel Byron, 6. Baron Byron of Rochdale (1788-1824), der wegen eines Klumpfußes an den damit verbundenen Behinderungen und Schmerzen, auch in gesellschaftlicher Hinsicht, sehr gelitten hat. Das dramatische Gedicht mit seinem sehr deutsch klingenden Namen verfasste er 1817. Seit seiner ersten Begegnung mit dieser Hauptfigur des Hauptwerkes tiefschürfender Gruselromantik - das war 1861 - hat den siebzehnjährigen N dieser „Typ“ immer wieder über alle Maßen fasziniert, ja, N war echt erzromantisch maßlos nach Faser und Maser von dieser „Idealgestalt“ angetan und sogar in ihn verliebt. Bewundernd hat er sich immer wieder mit ihm beschäftigt. Noch im Winter 1880-81 notierte er sich:
Manfred: niemandem das Recht geben ihn zu strafen, zu begnadigen, zu bemitleiden („es ist nicht so schwer zu sterben, alter Mann“). 9.388
Das in der Notiz von N Zitierte sind Manfreds letzte Worte in Byrons dramatischem Gedicht in der Übersetzung von Adolf Böttger, erschienen 1839, 5 Jahre vor Ns Geburt, mit 12 Stichen der schönsten Frauegestalten. N bezog sich auf Manfred - in der angeführten Übersetzung! - weil ihm dessen „geistige Position“ - gemäß seinem eigenen absolutistisch verstandenen „Herrscheramt“! - als beispielhaft galt: Niemandem gegenüber verantwortlich sein zu müssen oder zu sein! Das lässt sich als Maß und Zeichen dafür nehmen, wie eingefleischt und selbstverständlich N diese Position - unter Ausschluss „der Anderen“! - als Siebzehnjährigem schon war! Zum „Geist“, zur unreflektierten Selbstverständlichkeit dieser Einstellung passend findet sich 3 Notizeinträge weiter eine Eintragung, die typisch ist für die Zeit von Ns Suche nach einer neuen Moral, ebenfalls aus dem Winter 1880-81:
Der Sitte folgen und endlich sich an sie gewöhnen - das heißt doch unredlich sein! NB, feige sein! faul sein! Quelle der Moralität!!! 9.388
Feige und faul, - so war es von Immanuel Kant in seiner Definition der Aufklärung angegeben, aber keineswegs zur „Quelle der Moralität“ erklärt! Bei N hatte das einen anderen Anstrich, weil ihm nur moralisch, gut und zufriedensstellend erschien, was er - auch hierin maßlos! - für selbstständig freies Tun hielt, nicht von anderen vorgedacht, vorgetan oder vorgeschrieben sondern eigenwillig und mutig von ihm selber „erfunden“ wurde. Das steckt als seelisch-geistige Einstellung hinter diesem Wert- und Leistungsmaßstab und Ns Verständnis von „Moral ohne die Anderen“ überhaupt: Selber, aus eigener Machtvollkommenheit heraus nach eigenem Zweierleimaß und zu eigenen Gunsten die Werte setzen und bestimmen, was gut und böse sei! Das galt N - ohne einen Blick auf „die Anderen“! - als „gut“, als Gegenteil von Feigheit und Faulheit, die der deutsche Philosoph Immanual Kant, 1724-1804, in seiner 1784 erfolgten Beantwortung der Frage, was Aufklärung sei, als die hindernden „Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es andern so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen“ bezeichnete. „Es ist so bequem, unmüdig zu sein!“ - Sonst ist man nur Mitläufer, schwach, unfähig, unproduktiv, beherrscht und nicht „Herrscher“: Streng auch nach Emersons schon besprochener Weisheit:
„Wenn wir ein neues Bewusstsein haben, so werden wir mit Freuden das Gedächtnis von seinen aufgehäuften Schätzen wie von altem Schutte befreien. Wenn ein Mensch im Umgang mit Gott steht, wird seine Stimme so lieblich sein, wie das Murmeln des Baches und das Rauschen des Korns ….. Jener Gedanke, so wie ich ihn nun am deutlichsten aussprechen kann, ist ungefähr dies: Wenn du dem Guten nahe bist, wenn du Leben in dir fühlst, - nicht auf einem dir schon bekannten oder bezeichneten Wege; du sollst nicht die Fußstapfen Anderer zu entdecken suchen ….. so soll dir der Weg, der Gedanke, das Gute etwas völlig Fremdes und Neues sein. Es soll alles andere Sein ausschließen.“ EE.51
Der Umstand „Wenn du dem Guten nahe bist“ heißt doch nur: „Wenn du dich dem Guten nahe fühlst“! Das ist nicht mehr als ein subjektives Dafürhalten, aber kein „allgemeingültiger Wert“! Wie kann jemand, der so denkt und schreibt, in aller Öffentlichkeit als „Moralist“ bezeichnet werden? Als wäre Moral ein herrenloses Gut, mit dem man ungestraft nach eigenem Belieben verfahren könne? Es macht staunen, wieso derlei durchging und nicht massive Proteste veranlasste. Diese Stellen waren zu wenig bekannt. N hatte sie nicht verraten, nicht öffentlich gemacht. In ihnen erkannte N, als er das schrieb, nach eigenem Wortlaut die „Quelle der Moralität“! Das ist nicht gestümpert, das ist nicht dilettiert, sondern schlicht und einfach vollkommen unzureichend, allerdings ausreichend als Nachweis dafür, dass N nicht einen Funken weit über das nachgedacht hatte, was er dem Papier überließ, sondern seinen Ressentiments auf erschreckend stupide Weise folgte.
Zur gleichen Zeit, 1881, drang dieser „Manfred“ auch in Ns damals neuestes, zweites großes Aphorismen-Werk, die „Morgenröte“. Er erscheint - als Argument benutzt! - für einen beispielhaft „sehr stolzen Menschen“, obgleich es sich bei ihm doch nur um ein ausgedachtes Kunstprodukt gehandelt hat: N führte ihn aber ins Feld unter der Überschrift „Die unbedingten Huldigungen“ - im Aphorismus 167:
Wenn ich an den gelesensten deutschen Philosophen [Arthur Schopenhauer? - sicher war er gemeint, weil N selbst ihn viel und oft gelesen hatte, aber tatsächlich traf das nicht zu], an den gehörtesten deutschen Musiker [Richard Wagner] und an den angesehensten deutschen Staatsmann [Otto von Bismarck, - alle drei aus Ns Perspektive mutwillig zu solchen erklärt] denke, so muss ich mir eingestehen: Es wird den Deutschen, diesem Volke der unbedingten Gefühle [was nicht die erste unsachlich verallgemeinernde, von ihm selbst ausgehende Unterstellung war], jetzt recht sauer gemacht [aber doch erst von der schief liegenden Ausgangslage, überhaupt „unbedingte Gefühle“ haben zu wollen, veranlasst ist!] und zwar von ihren eigenen großen Männern [die N doch willkürlich nach eigenem Dafürhalten dem Leser um des folgenden Effektes wegen zu solchen erklärte: Alle drei sind nicht unumstritten und durchaus nicht einhellig so beurteilt, wie N es aus seinem recht eng gezogenen Horizont als notwendig oder wünschenswert unterstellte. Danach argumentiert er dann in seinem Sinne eine gute halbe Seite lang, um zu seinem Effekt zu kommen - und der geht so:] …..
Was kann der unbedingte Verehrer [was eine weitere Einschränkung der Gültigkeit seiner Aussage war!] mit einem solchen Vorbilde anfangen! Und was überhaupt mit drei solchen Vorbildern, die unter einander selber nicht Frieden halten wollen! Da ist Schopenhauer ein Gegner der Musik Wagners, und Wagner ein Gegner der Politik Bismarcks und Bismarck ein Gegner aller Wagnerei und Schopenhauerei! Was bleibt da zu tun! Wohin sich mit seinem [vor allem mit Ns!] Durste nach der „Huldigung in Bausch und Bogen“ [der grundsätzlich falschen Voraussetzung in dem auf diesen Knalleffekt hin angelegten Aphorismus!] flüchten!
Gekonnt gemacht war das; sicher! Raffiniert! Fast meisterhaft! - Der hinterhältige Eigennutz darin ist nicht zu erkennen! Wer hat bemerkt, worum es N wirklich ging? Stil muss man haben, um den Leser in die gewollte Irre zu führen! Es ging N um die Infragestellung, die Relativierung dessen, was „gültig“ sein könnte: Man erklärt an falsch liegenden und falsch gelegten Beispielen, was und wie wenig „allgemein gültig“ ist, um den eigenen, den selbst aufgestellten Gültigkeiten den Weg des Ansehens zu ebnen: Das ist N in einer Unzahl von Fällen auf breiter Front immer wieder gelungen! Sein Aphorismus geht indes auf folgende Weise fort:
Könnte man sich vielleicht aus der Musik des Musikers einige hundert Takte guter Musik auslesen, die sich Einem ans Herz legen und denen man sich gern ans Herz legt, weil sie ein Herz haben, - könnte man mit diesem kleinen Raub beiseite gehen und den ganzen Rest - vergessen? Und ein ebensolches Abkommen in Hinsicht des Philosophen und des Staatsmannes ausfindig machen - auslesen, sich ans Herz legen und namentlich den Rest vergessen?
Kurz gesagt: Wenn man doch in allem und jedem nach eigenem Belieben Maßhalten könnte! Aber ausgerechnet das konnte N - und damit war er seinem „Manfred“ sehr nah - nicht! Und er fährt, nahtlos in die Gültigkeiten seiner Parallelwelt hinübergleitend fort:
Ja, wenn nur das Vergessen nicht so schwer wäre! [Und nun kommt es:] Da gab es einen sehr stolzen Menschen [nein, es gab ihn nicht, denn er war nur ein erdachtes Schemen!], der durchaus nur von sich selber [und hier sprach N unter der Maske von Manfred im Sinne seines eigenen ewigen „Mach-es-wie-ich“ wieder von sich, von dem, was ihn so begeistert hat, da dieser durchaus nur von sich selber] Etwas annehmen wollte, Gutes und Schlimmes: als er [Byrons Figur „Manfred“!] aber das Vergessen nötig hatte, konnte er es sich selber nicht geben, sondern musste dreimal [immer mächtigere - aber Manfred „besaß“ immerhin die ihm von Byron angedichtete „Macht“ diese aus dem Bühnenboden zu stampfen!] die Geister beschwören; sie kamen, sie hörten sein Verlangen und zuletzt sagten sie: „nur dies gerade steht nicht in unserer Macht!“ Sollten die Deutschen [da trat N aus seiner Parallelwelt zurück in die „Realität“!] sich die Erfahrung Manfreds nicht zu Nutze machen? Warum erst noch die Geister beschwören! Es ist unnütz, man vergisst nicht, wenn man vergessen will. Und wie groß wäre „der Rest“, den man hier, von den drei [von N dazu passend ernannten!] Größen der Zeit [Schopenhauer, Wagner und Bismarck], vergessen müsste, um fürderhin ihr Verehrer in Bausch und Bogen sein zu können!
Damit war N, mal wieder geschickt argumentierend und formulierend - aber bar jeglicher Logik! - wieder dort angekommen, wo er begonnen hatte: Bei der falschen Voraussetzung nämlich, „unbedingt“ - wovon seine totalitäre Natur nicht loskommen konnte! - maßlos huldigen zu wollen! - Muss man das? So einseitig und absolut, wie es ihm so oder so herum immer wieder geschehen sollte?
Die 1881 offiziell getane Aussage „Sollten die Deutschen sich die Erfahrung Manfreds nicht zu Nutze machen?“ ist „philosophisch“ unglaublich grotesk! - Für N jedoch typisch: Der „die Anderen“ immer zu seinen eigenen Verrücktheiten überreden wollende Träumer N schreibt in einer kritisch gemeinten Betrachtung deutscher „Realität“ tatsächlich „Da gab es einen sehr stolzen Menschen“ und empfiehlt mit dieser Behauptung mir nichts dir nichts, als wäre es ein sachlich erscheinendes Argument, die alle Maße der Realität bis in den Kitsch hinein überschreitende erfundene Romantikfigur dass „sich die Deutschen - wie N selbst es tat! - dessen „Erfahrungen zu Nutze machen sollen“! - womit N den um des romantischen Effektes wegen erfundenen Rat erfundener Geister als eine brauchbare Weisheit in das irreale Spiel seiner Weltbetrachtung und seines „Philosophierens“ brachte! Bloß weil ihn das beeindruckt hatte und ihm, seiner Natur nach, gefiel, war er nicht in der Lage, die Ebenen seiner Träume von denen der Realität zu unterscheiden und logisch auseinanderzuhalten! Wie immer ohne zu überdenken, was eine solche „geistige Haltung“ - bezogen auf eine wie immer auch zu realisierende Weltveränderung oder Weltbeeinflussung! - zu bedeuten hätte!
Mit seiner Beschreibung hat N hier ganz nebenbei selber im Wesentlichen gesagt, worum es - ihm vor allem! - in Byrons „Manfred“ gegangen ist. In der „Morgenröte“ kommt „Manfred“, ungenannt eigentlich, noch ein weiteres Mal - und in Ns Denken ohnehin im Untergrund überall und immer wieder - an die Oberfläche. Im Aphorismus 187, unter der Überschrift: „Aus einer möglichen Zukunft“, - womit N darlegte, dass ihm eine solche Zukunft nicht nur möglich, sondern sogar wünschenswert erschien! - da heißt es:
Ist ein Zustand denkbar, wo der Übeltäter sich selber zur Anzeige bringt, sich selber seine Strafe öffentlich diktiert [aufzwingt, befiehlt, vorschreibt! Aber in der Praxis für gewöhnlich auf „Freispruch“ plädieren dürfte!], im stolzen Gefühle, dass er so das Gesetz ehrt, das er [wie eben der bewusste „Manfred“!] selber gemacht hat, dass er seine Macht ausübt [wobei es N - im Jahr 1881! - mehr denn je zuvor darum ging - wie es im Untertitel der „Morgenröte“ heißt! - „Gedanken über die moralischen Vorurteile“ zu wälzen, um endlich dann, Jahre später, eine von N selbst gemachte „Moral“ - die selber auch nur auf Vorurteilen beruhte! - zutage zu bringen: Wegen der „Macht“, die immer eine „ihr gemäße Moral“ braucht um bestehen und Einfluss ausüben zu können! Deshalb zuletzt von N das Wort „Macht“, - die er ausüben wollte], indem er [der überidealisiert gedachte „Übeltäter“! - wie immer und in allem nur auf sich selbst bezogen:] sich straft, die Macht des Gesetzgebers? [die er über sich selber ausübt? Ein skurriler Einfall! Fernab von aller menschlichen Wirklichkeit, aber unmittelbar ein Bild gibt von Ns Wahrnehmungsfähigkeit dessen, was um ihn her geschah! Das Beispiel zeigt, wie wenig N - aus selbstsüchtig widersprechen-wollenden Gründen! - in der Lage war, zwischen seinen Vorstellungen und der Realität der ihn umgebenden Welt zu unterscheiden! Denn wer von allen Menschen kann in der Lage sein, gegen selbst gemachte Gesetze, wenn es denn solche sind, zu verstoßen?]
Er kann sich einmal vergehen, aber er erhebt sich durch die freiwillige Strafe über sein Vergehen, er wischt das Vergehen durch Freimütigkeit, Größe, Ruhe nicht nur aus: er tut eine öffentliche Wohltat hinzu. - Dies wäre der Verbrecher einer möglichen Zukunft, welcher freilich auch eine Gesetzgebung der Zukunft [in erhöhender Nachahmung zur Wagnerschen „Zukunftsmusik“?] voraussetzt, des Grundgedankens: „ich beuge mich nur dem Gesetze, welches ich selber gegeben habe, im Kleinen und Großen.“ [Wie Lord Byrons Phantasiefigur Manfred!] Es müssen so viele Versuche [mit der Moral?] noch gemacht werden! Es muss so manche Zukunft noch ans Licht kommen! [gemäß dem Titel des Ganzen: „Morgenröte“!]
Das klingt, als wäre es, der Wortstellungen im Satze wegen, von Logik getragen, obgleich es längst vom hellen Wahnsinn diktiert worden war. N bastelte zu der Zeit, 1881, geradezu verzweifelt an einer brauchbar verpflichtenden „neuen Moral“, vor allem an einer verständlichen und überzeugenden Grundlage für eine solche und stand dazumal unmittelbar vor der Entdeckung seiner „Ewigen Wiederkehr“. Dass aber „in Zukunft“ jeder „Übeltäter“ nur gegen von ihm selbst gemachte Gesetze verstoßen wird, - das entbehrte jeglicher Vernunft. Dennoch hat N es fertig gebracht, das von ihm Bewunderte in einem letzthin Unsinn darstellenden Aphorismus unterzubringen, denn der „Grundgedanke“, dass „Er selber“ sich „nur einem Gesetz beugen würde, das er selber gegeben habe“ atmet absolut Byrons „manfredischen“ Duft und Dunst - und zugleich, identisch damit! - ohne Zweifel daran als „eignes Gesetz“, Ns „Geist“: Und diesen hat er im Aphorismus mit der Nummer 187 auf die Welt losgelassen und damit zu einer angeblich vertretbaren Meinung erheben wollen.
Auf solche Sätze höchst möglicher Überhebung muss man erstmal kommen! Logische Denkfähigkeit ist keine Voraussetzung dafür! Im Gegenteil! So etwas liegt einem, wenn, im Blut! So etwas zu äußern war damals überraschend und neu und niemand war da, der in derlei ausreichend Erfahrung und Einfluss besessen hätte, zu beurteilen, was für ein Spielchen da seinen weiteren Lauf nehmen sollte. Wenn die eigne Phantasie nicht dazu reichte, so musste man festzuhalten suchen, was und wo man solches fand: Das war, allerdings auf die Spitze getrieben angehaucht von rassistisch orientiertem, kolonialem Zeitgeist und gefiel N, natürlich, superlativistisch wie er nur allzu gerne veranlagt war, um im Übermaß dieser Rolle zu glänzen und damit sein „allen voraus zu sein“ zu „beweisen“.
Im Herbst 1881, d.h. nach dem ihn wieder einmal auf manisch hohen Schwingen tragenden August jenes Jahres, brachte ihn sein Gefühl des Welterlebnisses in einer Notiz wieder auf eben diesen „Manfred“, diesmal in der Absicht, die Darstellung seiner „Philosophie“ in Form einer „Dichtung“, als ein „Kunstwerk“ zu gestalten, - also den „Zarathustra“, mit der Hauptgestalt „als eine Art Manfred“ Wirklichkeit werden zu lassen; - auf gleiche Weise, wie ziemlich zur gleichen Zeit Bayerns König Ludwig II seine Schlösser-Imitate, seine Wagnerschen Lohengrin-Grotten und seine nächtlichen, beleuchteten Schlittenfahrten für „königliche Wirklichkeit“ hielt. N schrieb, als die Idee zu dem erst später „Zarathustra“ geheißenen Übermenschen-Unhold an seinem geistigen Horizont aufgetaucht war:
Ich will das Ganze als eine Art Manfred und ganz persönlich schreiben. Von den Menschen suche ich weder „Lob noch Mitleid noch Hilfe“ - ich will sie vielmehr „durch mich überwältigen“. 9.588
N wollte dermaßen wirklich sein in dem, was er tat, dass „die Anderen“ gar nicht umhin könnten, ihn so anzuerkennen: Nämlich auf genau die Weise, wie Byrons „Manfred“ für N selber wirklich gewesen ist! Oder Richard Wagners „Bühnenfestspiele“, die doch nichts anderes als eben Opern waren! - N aber vorübergehend als eine für sich vorbildhafte Wirklichkeit beeindruckt hatten. - Dieses Mal sollte die Welt durch eine von ihm hergestellte, packende, überzeugende „Wirklichkeit“ beeindruckt werden. Auch aus dieser Formulierung leuchtet wieder hervor, wie sehr, oder vielmehr wie wenig N in seiner Weltsicht das ihm so dringlich Erscheinende von der Realität dieser Welt zu trennen in der Lage war. Es ging hier um die über die Dichtung zu realisierende Wirklichkeit Manfreds, - später dann Zarathustras!
Ein weiteres Mal kommt Byrons „Manfred“ in Ns „Werk“ in der „Fröhlichen Wissenschaft“ und dann noch einmal in „Jenseits von Gut und Böse“ vor, - abgesehen von seiner letzten maßlosen Erwähnung in dem schon in flammenden Größenwahn lodernden „Ecce homo“.
In der „Fröhlichen Wissenschaft“ gab N im 86. Aphorismus - mit Sicherheit nach den ungeheuren „Erhebungen“ des August 1881 entstanden - einmal mehr einen tief gehenden Einblick in sein damaliges Selbstverständnis preis; - auf unfreiwillige Weise. Der Aphorismus handelt „Vom Theater“. Er schrieb darin:
Dieser Tag gab mir wieder starke und hohe Gefühle [um die es N sein Leben lang ging!], und wenn ich an seinem Abend Musik und Kunst haben könnte, so weiß ich wohl, welche Musik und Kunst ich nicht haben möchte [womit N sich - seiner Natur gemäß! - auf die kritische, die verneinende, ausschließende, die mehr destruktive Seite schlug, denn er scheute sich, wie fast immer, etwas Positives - worüber er nicht verfügte! - vorzubringen:], nämlich alle jene nicht, welche [wie die von Richard Wagner war gemeint!] ihre Zuhörer berauschen und zu einem Augenblick starken und hohen Gefühls emportreiben möchte, - jene Menschen des Alltags der Seele, die am Abend nicht [wie Er sich lieber fühlen mochte!] Siegern auf Triumphwagen gleichen, sondern müden Maultieren, an denen das Leben die Peitsche etwas zu oft geübt hat. Was würden jene Menschen [„die Anderen“ wieder!] überhaupt von „höheren Stimmungen“ wissen, wenn es nicht rauscherzeugende Mittel und idealische Peitschenschläge gäbe! - und so haben sie ihre Begeisterer, wie sie ihre Weine haben.
Für seine „höheren Stimmungen“ war für N schließlich „durch Geburt“ gesorgt: Er besaß und genoss sie in seinen Allzusammenklangsmomenten in einer Form, von der „die Anderen“ keine Ahnung hatten und brauchte keine Rauschmittel dazu, obgleich er zu Zeiten seiner eigenen Wagnerbegeisterung sehr wohl solche gesucht und auch gefunden hatte.
Aber was ist mir ihr Getränk und ihre Trunkenheit [man könnte meinen, dass N da - 1882, nach 24 Jahren! - noch immer auf dem Turm der Schönburg aus seinem „Herrscheramt“ heraus Ausschau hielt über „die da unten“]! Was braucht der Begeisterte den Wein! Vielmehr blickt er mit einer Art von Ekel auf die Mittel und Mittler hin, welche hier eine Wirkung ohne zureichenden Grund [was ganz nebenbei ein Seitenhieb auf den mittlerweile verachteten Schopenhauer war!] erzeugen sollen, - eine Nachäffung der hohen Seelenflut [wie der seinen]! - Wie? Man schenkt dem Maulwurf Flügel und stolze Einbildung, - vor dem Schlafengehen, bevor er in seine Höhle kriecht? Man schickt ihn ins Theater und setzt ihm große Gläser vor seine blinden und müden Augen? Menschen, deren Leben keine „Handlung“ [sehr wohl im Gegensatz zu dem seinen, das er für schöpferisch und weltregierend hielt!], sondern ein Geschäft ist, sitzen vor der Bühne und schauen fremdartigen Wesen zu, denen das Leben mehr ist, als ein Geschäft [wobei N allerdings verkannte, dass sein fortwährendes „Geschäft“ - die ihn erhöhende Selbstdarstellung! - als sein eigentlicher Lebensinhalt zu gelten hatte und dass er diesen 86. Aphorismus seiner „Fröhlichen Wissenschaft“ dringend zur Befriedigung seiner Verachtung „der Anderen“ brauchte]? „So ist es anständig“, sagt ihr, „so ist es unterhaltend, so will es die Bildung!“ - Nun denn! So fehlt mir allzu oft die Bildung: denn dieser Anblick ist mir allzu oft ekelhaft. Wer an sich [selber?] der Tragödie und Komödie genug hat [wie N überzeugt war, genug „Tragödie und Komödie“ im Blut zu haben!], bleibt wohl am Liebsten fern vom Theater; oder, zur Ausnahme, der ganze Vorgang - Theater und Publikum und Dichter eingerechnet - wird ihm [dem „Besonderen“, der partout nicht zur „Masse“ gehören wollte, sondern es bevorzugte, sich lieber zum Lehrmeister der Menschheit zu stilisieren] zum eigentlichen tragischen und komischen Schauspiel, sodass das aufgeführte Stück dagegen ihm nur wenig bedeutet. Wer [wie N! - Das war parallel immer zwischen den Zeilen mitgesagt!] Etwas wie Faust und Manfred ist [beides! - und noch viel mehr!], was liegt dem an den Fausten und Manfreden des Theaters! ….. FW.86
Das war es, was N dem Leser unterzujubeln gedachte: Auf dass er oder sie, wenn dieser hohle Quark gefallen würde, sich ihm zugesellen können als solche wie Er einer „wäre“ - er benutzte das Wort ja allen Ernstes, dass er sich für einen wie „Faust und Manfred“ ausgab und erklärte so zu sein und so angesehen werden zu wollen!
In seinem nach dem Zarathustra entstandenen „Jenseits von Gut und Böse“ - so etwa aus der zweiten Hälfte des Jahres 1885! - stand noch immer die unverhältnismäßige, durch nichts geschmälerte Wertschätzung des „Manfred“ im Vordergrund von Ns „Natur“, wenn auch nur mittelbar, denn es ging um den ehemals von N sehr geschätzten Komponisten Robert Schumann, 1810-1856, und dessen Komposition „Manfred, nach Lord Byron, Ouvertüre für großes Orchester, Dramatisches Gedicht in drei Abteilungen mit Musik, op. 115“ aus dem Jahr 1848, ein Werk vom Ende der Biedermeier-Zeit, das N zu süß erschien, zu harmlos, zu ungenügend für seine so hoch bewunderte „Titanenfigur“, für die N selbst sogar ein „Gegenmusikstück“ komponierte. Darauf ist noch zu kommen. 1885 hieß es:
Schumann, in die „sächsische Schweiz“ seiner Seele flüchtend, halb wertherisch [entsprechend dem Erfolgsroman von Goethe: „Die Leiden des jungen Werther“], halb Jean-Paulisch geartet [nach dem deutschen, zum Teil außerordentlich erfolgreichen Schriftsteller und Dichter zwischen Klassik und Romantik, Johann Paul Friedrich Richter, 1763-1825, der mit einem seiner Romane sogar einen Erfolg wie den von Goethes „Werther“ erreichte], gewiss nicht Beethovenisch! gewiss nicht Byronisch! - seine Manfred-Musik ist ein Missgriff und Missverständnis bis zum Unrechte -, Schumann mit seinem Geschmack, der im Grunde ein kleiner Geschmack war, (nämlich ein gefährlicher, unter Deutschen doppelt gefährlicher Hang zur stillen Lyrik und Trunkenboldigkeit des Gefühls [war N also durchaus nicht heroisch und gigantisch genug!], beständig bei Seite gehend, sich scheu verziehend und zurückziehend, ein edler Zärtling, der in lauter anonymem Glück und Weh schwelgte ….. JGB.245 [also Ns Neigung zu Extremen, Übertreibungen und seiner Vorliebe zu Maßlosigkeiten entfernt nicht gewachsen war!]
Nun gut, hier trat inzwischen Ns Neigung zur Pöbelei bereits ziemlich deutlich hervor. Lauter Meinungen und Ansichten Ns, die er haben konnte, aber deshalb nicht viel bedeuten mussten, wenn man geneigt ist, mit gleicher Berechtigung ganz andere Ansichten pflegen zu wollen. Interessant bleibt daran, wie viel Entlarvendes über N diese Texte enthalten, wenn man sie aufmerksam, gleichsam mit kriminalistischem Spürsinn für das darin Verborgene liest.
Drei Jahre später, im „Ecce homo“ schließlich, im Herbst des Jahres 1888, unmittelbar vor seinem geistigen Entschwinden, kam N abermals auf Lord Byrons „Manfred“ zurück; Es heißt da in dem eigentlich nicht für möglich zu haltenden Ausbruch krassen Größenwahns - der aber keiner sein durfte, um Ns „wahre Größe“ zu retten! - im Kapitel „Warum ich so klug bin“, im Abschnitt mit der Nummer 4:
Mit Byrons Manfred muss ich tief verwandt sein: ich fand alle diese Abgründe in mir, - mit dreizehn Jahren war ich für dieses Werk reif. Ich habe kein Wort, bloß einen Blick für die, welche in Gegenwart des Manfred das Wort Faust auszusprechen wagen. Die Deutschen sind unfähig, jedes Begriffs von Größe ….. 6.286 [die Er aber - als der große besondere Deutsche! - auf besondere Weise hatte!]
Wie überragend vorteilhaft war das behauptet! Nur dass N mit dreizehn Jahren reif gewesen wäre für Byrons „Manfred“ entspricht den Tatsachen insofern nicht, als N Byrons Werke erstmals im Herbst 1861 erwähnte und da wohl auch erst kennenlernte, also als knapp Siebzehnjähriger! Eine solcherlei Äußerlichkeiten nie sonderlich genau nehmende Rückdatierung auf den Dreizehnjährigen dürfte insofern vertretbar sein, als ihn dieses Byron-Manfredisch „herrscheramtliche“ Weltgefühl schon seit jeher und besonders auf den Schönburg-Zinnen erfüllte, - denn natürlich bestimmten bei N auch da schon Elemente des „Effekts“ die Aussage. Er hat immer nach seinen jeweiligen Gefühlen für das Wahre und Richtige geurteilt! Nach nichts sonst.
Dass N „kein Wort“, sondern nur einen - selbstverständlich vernichtenden! - „Blick“ übrig hatte für eine auch nur annäherungsweise aus der Höhe des „Manfred“ gewagte Bezugnahme auf Goethes „Faust“ bewies wieder einmal, wie einseitig N aus dem Moment seines eigenen Ich heraus in allem veranlagt war. Vorrangig spielt da eine nicht zu vernachlässigende Rolle, dass Manfreds autistisches „Um-Sich-Selber-Kreisen“ Ns Wesen viel näher lag als der umtriebig in seine Umwelt ausgreifende Goethische Faust, der N, schon wegen seiner hingerissenen Beziehungen zu zwei weiblichen Wesen, Gretchen und Helena, zutiefst fremd bleiben musste. Dazu kam - als „Effekt“! - die Gelegenheit, den ungeliebten - das heißt aber auch den Ihn nicht „angemessen“ liebenden und verehrenden! - Deutschen eins auszuwischen, in dem er sich aus der Höhe seines „Herrscheramtes“ herausnahm, den „Faust“ als ein höchstens zweitklassiges „Machwerk“ zu verdammen: - aus Eifersucht auf eben diesen! Und als weiteren Beweis dafür, wie wenig seine Urteile und Wertungen gültig waren! - Letzten Endes! So, wie er gegen so gut wie alle Kulturtaten, sofern diese nicht seiner Erkenntnis entsprungen waren, nicht einlösbare Vorbehalte „auf Lager“ hatte.
Die Bezugnahmen auf den von N immer „heilig“ gehaltenen „Manfred“ sind relativ selten. Er gehörte mit dem gesamten Emerson in den verborgenen Wunsch- und Ideal-Bereich von Ns Seele, in die subjektiv beurteilt bessere und richtigere „Parallelwelt“ seiner Existenz. Dennoch taucht er in der Zeit vom Herbst 1880 bis Herbst 1888 drei Mal offiziell auf, was in Anbetracht der Umstände mit „oft“ zu bezeichnen ist, gemessen daran nämlich, wie konsequent er ihn ansonsten verschwiegen hat.
Im Gesamtregister der 15-bändigen kritischen Studienausgabe von 1967-1977 und 1988 - man kann es kaum glauben! - ist der Name „Manfred“ überhaupt nicht verzeichnet! Es fällt von daher deshalb schwer, den vollständigen Nachweis zu führen, wie oft dieser im Nachlass tatsächlich Erwähnung findet. Das funktioniert erst im digitalen Zustand des Gedruckten: Erstmals taucht er auf in einer Notiz aus dem Jahr 1877, im Frühling-Sommer, also 18 Jahre nachdem N ihm in jugendlich unreifer Begeisterung für Byrons Werk erstmals begegnet war. Es heißt da, ganz am Rande - aber trotzdem:
Wer Religion und Kunst - Goethe - - - Manfred: Eckermann Riemer - - - 8.388, 25[54]
Die drei aufeinanderfolgenden Striche sollten wohl von N „Gedachtes“ repräsentieren. Damit bezog sich N letztlich auf ein Gespräch zwischen Johann Peter Eckermann, einem engen Vertrauten Goethes, der viel Einfluss darauf hatte, dass Goethe seinen Faust fortsetzte und eben Goethe, welches am 13. April 1823 stattfand. Eckermann schrieb dazu:
Abends mit Goethe allein. Wir sprachen über Literatur, Lord Byron, dessen ›Sardanapal‹ und ‹Werner‹. Sodann kamen wir auf den ›Faust‹, über den Goethe oft und gern redet. Er möchte, dass man ihn ins Französische übersetzte und zwar im Charakter der Zeit des Marot [im „style marotique“, Clément Marot, 1496-1544, der bedeutendste französische Lyriker der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts]. Er [Goethe] betrachtet ihn [den Faust, 1. Teil] als die Quelle, aus der Byron [1817] die Stimmung zu seinem ›Manfred‹ geschöpft. Goethe findet, dass Byron in seinen beiden letzten Tragödien entschiedene Fortschritte gemacht, indem er darin weniger düster und misanthropisch [Menschenfeindlich] erscheint …..
Der Knalleffekt besteht also darin, dass N hier schon, 1877, etwas „aufspießte“, nämlich eine sogar von Goethe vermutete Abhängigkeit des N zutiefst zusagenden „Manfred“ von „Faust“, der N gut zehn Jahre später! - im „Ecce homo“! - noch derart auf die Palme brachte, dass er nur „Blicke“ blitzen ließ aber keine Worte mehr dafür fand. Ein vollständig emotional-blind eifersüchtiges Verhalten, durch das hier deutlich wird, wie tief es gesessen hat.
Die 2. Erwähnung des „Manfred“ im Nachlass erfolgte im Herbst 1880, als N sich notierte:
Die Musik hat keinen Klang für die Entzückungen des Geistes; will sie den Zustand von Faust und Hamlet und Manfred wiedergeben, so lässt sie den Geist weg [und wie wird es gerade mit diesem „Geist“ bei seiner eigenen - gegen Robert Schumann gedachten! - Manfred-Meditation stehen?] und malt Gemütszustände, die [genau das sind, was N für „Geist“ hielt und die] höchst unangenehm sind ohne Geist und gar nicht zum Ansehen [Anhören?] taugen; 9.203
N hat nicht verraten, in wie weit bei dieser „Wahrheit“ das 1872 ausgesprochene Urteil des Dirigenten Hans von Bülow, 1830-1894, über Ns „Manfred-Meditation“ - vorzutragen mit der quasi-Satzbezeichnung „con cannibalido“! 29.10.72 - als „Notzucht an der Euterpe“ eine Rolle spielte und mitklang. Die Notiz jedenfalls verrät, dass N, wenn auch am Rande, Byrons „Manfred“ zu jener Zeit, 1880, sehr lebendig in seinem Bewusstsein enthalten war und seine Wirkung tat.
Die 3. Notiz stammt aus dem Sommer bis Herbst 1884, nachdem der dritte Teil des Zarathustra bereits erschienen war. Wieder ging es um die scheinbar völlige „geistige“ Freiheit, die bei N unter dem „Warenzeichen“ „Manfred“ ge-, be- und verhandelt wurde. Die Notiz lautet:
„Verantwortlich für etwas“ als Freiheit des Willens verstanden [so meinte N wäre eine] (Herden-Auffassung! [weil es nicht in superlativischer „Entfaltung“ nur für sich selbst und um seiner selbst willen geschah])
„Unverantwortlich, sein eigener Herr“ [das ist für jeden und schließlich durch niemanden zu toppen!]
„vor Niemandem sich verantworten müssen“ diese Art Freiheit des Willens geht bis Plato, als Erbschaft der Noblesse [des vornehmen, freizügigen Benehmens] - absolute Unschuld [für N ein Sinnbild der Herrenmoral!].
„Herr seiner Tugenden, Herr seiner Schuld“ wie Manfred [der ungeheuer hohle, aber aufgeblasene alpine Minifaust, den zu bewundern der inzwischen Vierzigjährige noch immer nicht unterlassen konnte; - weil er nicht um ein Thema, sondern nur um sich selber kreiste?]
Unschuld wegen der Beherrschtheit durch das Fatum ist die Sklavenauffassung. Der Stolz regt sich, wenn der Mensch für seine Verdienste als Urheber gelten will [wie N, - allerdings nicht bedenkend, dass zu Homers Zeiten aus jedem Stolzen, einmal besiegt, ein Sklave wurde und es viele solcher „Versklavten“ gab].
- aber Homers Stolz und aller Inspirierten [wie N selbst], nicht selber Urheber, sondern Werkzeuge eines Gottes zu sein!
- man wird für den Erfolg bestraft, nicht für die Absicht - als Schadenanstifter. Da gibt es noch nicht „Schuld“ im subjektiven Sinne. 11.196f
Diese Überlegungen, Gedanken, Stichworte gehören zu den Kernfragen von Ns „Moral“, die er inzwischen, wohl im August 1881 für sich selbst und spätestens in öffentlicher Erklärung am Ende des 4. Buches der „Fröhlichen Wissenschaft“ mit „Wirkung“ seit August 1882 an dem prachtvollen und heiß geliebten Absolutum der „Ewigkeit“ und an ihrer entsprechend „ewigen“ Wiederkehr aufgehängt hatte. Die Grundlage dafür ist dieser „Manfred“, der auf den jungen N einen so ungemeinen Eindruck gemacht hatte, dass er lebenslang in allen Ritzen von Ns brüchiger Logik erkennbar blieb.
Eine für N so früh und so lange derart wichtige Figur verdient genauer vorgestellt zu werden, damit deutlich wird, was N da so faszinierte:
Manfreds „Schicksal“ hat Lord Byron in seinem „dramatischen Gedicht“ als eine Art von „aufgeblasenem Faust“ in den Hochalpen angesiedelt. Die Szenen spielen in gotischen Gemäuern, auf dem Gipfel des Jungfrau-Massivs, in der Halle des Ahriman [eine in mittelpersischen, vor etwa 1000 v. C. entstandenen Texten der Zoroastrischen - also Zarathustrischen! - Götterlehre vorkommende Gegenmacht zum Guten, Schöpferischen: die „Macht des Zerstörerischen“], in gebirgiger Gegend, in Manfreds Schloss und zuletzt in seinem Studierzimmer „im Turme“.
Erster Aufzug. Erste Szene. Manfred allein. Eine gotische Galerie. Mitternacht.
Manfred: Die Ampel fordert frisches Öl, doch brennt so lang sie schwerlich, als ich wachen muss; Mein Schlummer - schlaf ich - ist kein wahrer Schlaf, nichts als ein Grübeln der Gedanken, dem ich zu widerstehen nicht vermag [wie gut glaubte der an Schlafstörungen leidende N sich in dieser Ruhelosigkeit wiederzuerkennen!?] ….. Der Gram nur sollte Lehrer sein des Weisen; [und die folgenden Zeilen zitierte N sogar in seinem ersten Aphorismenwerk „Menschliches, Allzumenschliches“, Aphorismus 109, „in Byrons unsterblichen Versen“, - im englischen Original! Hier in der Übersetzung eines Adolf Böttger aus dem Jahre 1839, die N aller Wahrscheinlichkeit nach bekannt gewesen ist:] Schmerz ist Erkenntnis, wer am meisten weiß, der fühlt am tiefsten auch die grause Wahrheit; des Lebens Baum ist der nicht der Erkenntnis.
Mit diesem Irrtum wird „Manfred“ von Lord Byron in sein „Dramatisches Gedicht“ eingeführt und sollte sich im Verlauf der kaum gegebenen „Handlung“ in immer stärkeren und wunderbareren Übereinstimmungen mit Ns Gefühlen befinden. Manfred befindet sich auf der romantischen Suche nach allgemeinem Vergessen, - wie Gilgamesch im ältesten bisher bekannten Menschheitsepos, das sich seit ungefähr 5.000 Jahren erhalten hat, auf der Suche war nach dem ewigen Leben! - Er „ist nicht gemeinen Standes, wie schon Haltung und sein Erscheinen hier bewährt; sein Leiden war gleich unsterblich wie das unsrige.“ So berichtet über ihn die - man erfährt nicht warum! - in Manfreds Gewalt stehende „Erste von drei Schicksalsschwestern“ und fährt fort: „Sein Wissen, Können und sein Wollen war, so weit es mit dem Staub vereinbar ist [aus dem er, als Sterblicher, schließlich bestehen musste], der Geistiges nur hemmt, so auserwählt, wie selten es erscheint [und Seltenheit besaß für N einen Wert „an sich“!]. Sein ganzes Streben schwang weit sich über das der Erdbewohner; doch lehrt’ es nur, was längst wir wissen, ihn: Dass nicht Erkenntnis Glück ist und dass Wissen uns nur Unwissenheit vertauschen lässt mit einer andern Art Unwissenheit.“
Das klingt tief, erfahren und vertraut mit geheimstem Wissen: Schicksalsschwester, Vergänglichkeit und Staub, Verwesung, nichts was ewig bleibt! Es geht im „Manfred“ eindeutig um einen „Übermenschen“, wie N ihn seinen Freunden gegenüber nannte. Da kam, 1861 das Wort bei ihm erstmals vor! In Byrons „Manfred“ sprach sich die Unsicherheit der Zeit aus, die dabei war, im Nachlauf der Aufklärung aus tausenderlei Aberglauben aufzubrechen in wissenschaftlich fundierte, immer nüchternere, nichts großartig unbekannt und geheimnisvoll erscheinen lassende, Tatsächlichkeiten - und diesen hatte man sich - als einer völlig neuen Art „Macht“! - zu fügen.
In dem durch und durch romantischen Gefühlsschwall, aus dem heraus man - und auch N! - nur allzu gerne Weltflucht betrieb, - da der „Zeitgeist“ spürte, dass „Wissen“ nicht ein im „Stein der Weisen“ verborgenes statisch endliches Gut, keinen auf einem Haufen liegenden „Schatz“ bedeutet, der sich in überschaubarer Größe - vielleicht gar als persönliches Eigentum! - besitzen, hüten und verteidigen ließ, - sondern eine „unendliche“, d.h. nicht enden wollende Mühe verlangt, immer tiefer in die Gesetzlichkeiten des nun einmal Gegebenen einzudringen und dabei stets geglaubtes „Wissen“ als nicht länger haltbar wieder zu verlieren. Verständlicherweise wurde das als in hohem Maße verunsichernd erlebt und ließ die Verzweiflung darüber wachsen, niemals die zuvor so gerne beschworene „Allwissenheit“ erreichen, sich einzuverleiben oder „sich in die Tasche stecken“ zu können.
An diesem Syndrom krankt Manfred, wie Byron selbst und der romantische Träumer N ebenso, - wenn nicht sogar noch viel mehr als die beiden andren zusammen! Man wird gezwungen, sein täglich Brot mit einem guten Teil Unwissenheit zu verdienen und sich im stets Ungewissen und meist Erstmaligen dennoch zu orientieren! Das feste, end- und allgemeingültig geglaubte Wissen, welches N grundsätzlich seinen momentan geltenden Ideen und Einfällen unterlegte, gibt es nicht. In den dreizehn großformatigen, auch im Original zweispaltig engbedruckten Seiten des „Manfred“ erkannte N sich selbst, seine Neigung, sich für allwissend halten zu wollen, - ohne es allerdings auch nur entfernt wirklich sein zu können! Dieser unauflösbare Zwiespalt erzeugte Ekel an der übermächtigen Wirklichkeit, denn sie verhinderte die ihm in seinen „Momenten“ immer wieder kommende Illusion „vollkommen“ zu sein oder zu scheinen und zwang dazu, eine unvollkommene Welt anerkennen zu müssen. Heutzutage ist das eine Selbstverständlichkeit, weil die Einstellung zum Wissen und zur Erkenntnis sich gleichsam „gewohnheitsmäßig“ in voraussetzungsloses „wissenschaftliches Denken“ gewandelt hat und den aufgeblähten Weltschmerz dieser Figuren historisch bedingt als reichlich albern erscheinen lässt.
Im „Manfred“ treten nur wenige menschliche Wesen auf: Nur Er selbst in übermenschlicher Überhöhung. Daneben gibt es kaum mehr als einen Diener, einen alpinen Gemsjäger und einen Abt, - alle nicht als Personen sondern als schemenhafte Statisten. Als treibend in diesem „Drama“ wirkt eine unaufgeklärte „Schuld“ und die Unmöglichkeit, diese - oder sogar überhaupt alle quälende Realität? - zu vergessen und dazu eine Unzahl von beschworenen und gehorchenden, aber als ungenügend angesehenen und anzusehenden, beinahe nur übermächtigen Geistern.
Von ihresgleichen wimmelt es nur so, - darunter eine „Alpenkönigin“, eine „Nemesis“, ursprünglich, in der griechischen Mythologie, eine geflügelte „Göttin des gerechten Zorns“, der Rache und der schon angedeutete „Ahriman“, der sich in seiner Machtfülle allerdings, von Byron her so angelegt, als ausnehmend wenig gesprächig erweist. Auf dem Höhepunkt des Dramas bringt es der Allobermächtigste zu dem Wort „Ja“ und etwas später zu „Gehorche diesem Zepter“. Das ist alles, bis vor dem unerlösten, nicht vergesslich gemachten Manfred der Vorhang des Mittelaktes fällt. Trotzdem ist von allen Geistern allein Ahrimans übermächtiges Vorhandensein von Interesse, stammt er doch als „das Zerstörerische an sich“ ursprünglich aus der zoroastrischen Götterwelt und ist mithin als ein Zeit- und Schicksalsgenosse auch von Ns „Zarathustra“ anzusehen - was für N in der lustvoll gesuchten „Verwunschenheit“ des „Manfred“ sicher nicht völlig ohne Bedeutung gewesen ist! - zumindest für Ns „sich für Zarathustra entscheiden“ in späteren Jahren, statt „das Ganze“ - das N 1881 auf der Seele lag! - „als eine Art Manfred und ganz persönlich geschrieben“ 9.588 unter die Leute zu bringen.
Über „Ahriman“ kommen sich „Manfred“ und „Zarathustra“ in der Rolle von Ns „herrscheramtlichem“ Außenseitertum unheimlich nahe: Als „Überlegener“, „Gedankenmächtiger“, „geistig Beherrschender“, der den Tod und den Untergang - das von N so geliebte und häufig bemühte „Zugrundegehen“! - nicht fürchtete, weil er sich in seiner destruktiven Veranlagung „allem Anderen“ überlegen wähnte.
Was N letztlich genau und tatsächlich dazu verleitete, für seinen „Zarathustra“ Zarathustras Namen zu wählen und zu verwenden, anstatt „Manfred“ - oder gar irgendeinen ganz anderen! - das bleibt unbekannt, ist aber von Emerson, mit dessen mehrfachen Erwähnungen Zarathustras als „besonders Weisen“ und seitens Lord Byrons „Manfred“, Ns anderweitiger Liebe, mit dem mächtigen „Ahriman“ als einzig angebetetem und anzubetendem „Wesen“ und als „Zerstörerische an sich“ in Erscheinung trat in diesem Vorgang die Verneinung des Bestehenden enthalten und damit der Hinweis auf zoroastrische Glaubensinhalte gegeben war, - als lauter Verführungen hin zu Zarathustras Namen schlussendlich gekommen: Aufgrund gefühlsgeladener Gemengelagen. Das gab den Ausschlag, - viel mehr als ein fundiertes Wissen um diesen Zarathustra als historische und ihrer „historischer Taten wegen“ ernst genommene Figur.
In der Darstellung von Byrons „Manfred“ haben N sicher die hochtönenden Sätze, die stürmerische und dränglerische „Lebenshaltung“ gefallen, was N auch bei Emerson so bewundernswert fand, liebte und bereit war, es zu genießen. Überdies traute er all dem Wirklichkeitsgehalt und „Verwirklichung“ zu! - wie beispielsweise folgende „Inhalte“, angeführt ebenfalls in der Übersetzung von Adolf Böttger, aus dem Jahr 1839:
„Philosophie und Wissen, samt den Quellen der Wunder und der Weisheit dieser Welt hab’ ich durchforscht - ich fühle Kraft in mir um Alles dies mir untertan zu machen [genau das machte N zu seiner parallelweltlichen Wirklichkeit - oder ist ihm das, seinem „Herrscheramt“ gemäß - längst schon gewesen? - und hat ihn das deshalb so angezogen?] ….. Gut oder Böse, Leben, Kraft, Leidenschaft, was ich an Andern seh’, mir war’s, was Regen ist dem heißen Sand seit jener namenlosen Zeit. - Nichts schreckt mich, den Fluch nur fühl ich, keine Furcht zu kennen, noch rege Wallung, wie von Wunsch und hoffen, von Lust nach irgendetwas auf der Erde. - Jetzt an mein Werk!“ [Von welchem dann nicht weiter die Rede war.]
Oder:
„Wenn ich nicht wüsste, dass Philosophie, die bunteste von unsern Eitelkeiten, das schalste Wort ist, das im Kauderwelsch des Schulpedanten unser Ohr betört [und doch hat N von einer eignen darum nicht gelassen!], - das [alchemistische] Goldgeheimnis glaubt’ ich aufgefunden, in mich gepflanzt das langgesuchte „Schöne“! Nicht gewährt es, doch genügt, es einmal kennen, ein neu Gefühl bereichert meinen Geist und merken möchte ich mir in meine Tafel, dass solch Gefühl bestehe.“
Oder:
„Mich selbst bezähmen konnt’ ich nie [was auf Ns Maßlosigkeit hinzuweisen vermochte!]; denn dienen muss erst, wer herrschen will, - und schmeicheln, buhlen und immer wachen - überallhin blicken - lebend’ge Lüge werden, dass er mächtig wird unter Niedern - denn das ist die Masse. Doch ich verschmäht’ es, wollt’ ich auch sie führen, zur Herde mich zu halten - unter Wölfe. Der Löwe steht allein und so auch ich.“
Dieser elitäre Schmus war N aus vollster Seele geschrieben. Darin fühlte er sich „zu Hause“, in der Gefühlswelt seines „Herrscheramtes“, das zum größten Teil auf Selbstüberschätzung und Verachtung basierte!
Oder:
„Hienieden altert mancher schon als Jüngling und stirbt, eh’ er die Mitteljahr’ erreicht und ohne dass ein blutger Krieg ihn raffte; der stirbt an Lust, - und der an Wissensdrang, den tötet Sorge - jenen Überdruss - den wieder Krankheit - jenen Raserei - den ein verstörtes und gebrochnes Herz. Denn letzteres Übel rafft noch mehr dahin, als in dem Schicksalsbuch verzeichnet sind, weil’s vielerlei Gestalt und Namen trägt. Sieh mich an! [wie steht diese Forderung dem künftigen Geist von Ns „Ecce homo“, „seht welch ein Mensch!“ doch nahe!] Alles dies hab ich erduldet und von dem Allen wär’ schon eins genug! Drum staune nicht, dass, was ich bin, ich bin - nein lieber, dass ich je war oder dass, da ich gewesen, noch auf Erden bin.“
Zu diesen Sinnlosigkeiten passte nahtlos Ns aus Pindar abgeleiteten Leib- und Magenspruch, „zu werden, der er längst schon war“! - Oder:
„Der Geist, der ewig ist, vergilt sich selbst das Gute wie das Böse, das er dachte; er ist sich selbst des Übels Quell und Ende, sich selber Raum und Zeit! sein innerer Sinn, entwand er sich von dieser Sterblichkeit, borgt keine Farbe von der Außenwelt, - ihn reißen Lust und Leiden mit sich fort, die nur sein Selbstbewusstsein [seine Einbildung also] sich gebar. Du hast mich nicht versucht - du konntest nicht; ich war dein Narr nicht - bin nicht deine Beute - Mein Selbstzerstörer war ich und ich will’s auch ferner sein! - Hinweg ihr Spottgeburten! Die Hand des Todes fasst mich - doch nicht eure.“
Die Geister verschwinden, Manfred sagt noch - immer bezogen nur auf sich selbst, wie N!: „Vorüber ist’s - ich kann dich nicht mehr sehen - es schwimmt mir alles ringsumher - die Erde scheint unter mir zu krachen. Lebe wohl - gib mir die Hand. Das Sterben, alter Mann, ist nicht so schwer.“
Und damit war’s mit ihm und seinem Großtun zu Ende und auch mit dem, was dem in all seinen Entscheidungen unsicheren N so haushoch über Goethes „Faust“ zu stehen schien. Manche dieser Stellen könnten von N selber geschrieben sein und bilden auf ihre Weise eine Reihe von „Beweisen“ dafür, wie stark von allen Produktionen Byrons vor allem der „Manfred“ N beeindruckt hat. Ns „Denken“ wurde auch durch „Manfred“ befestigt, so wie die übertriebenen Tiraden Emersons Ns „Denken“ geradezu einbetoniert haben in diese Bahnen weit überhobener Selbstüberschätzung als glänzende Rutschbahn schließlich hinein in seinen Wahn.
Ende November 1861 schrieb N, was damals nicht so oft vorkam, an seine Schwester:
Liebe Liese. Da ich Dir lange schon einen Brief schuldig war, will ich dir jetzt einen recht feinen schreiben, wenn nicht meine globige Feder mich daran hindern sollte [die „globige“ Feder beruht auf der Sächsischen Neigung ziemlich „weich“ zu sprechen, was beim Buchstabieren zur Unterscheidung zwischen harter und weicher Aussprache für „b“, „p“, „g“, „k“, und auch „d“ und „t“ führte, womit N rechtschreiberisch lange zu kämpfen hatte. Hier handelt es sich um ein hartes „g“ im Wort „klobig“; N schrieb bis zu seinem Abitur wohl auch mal „Gedraide“ statt Getreide usw. und ließ massenweise die letzten Buchstaben seiner geschriebenen Worte weg, - aber das nebenbei]. Ich werde dich wahrscheinlich von weiter nichts als von - Weihnachten unterhalten [denn darum kreiste, jeweils etliche Wochen vor dem Fest sein privates, parallelweltlich ausgerichtetes Denken, nicht zuletzt wegen der Wünsche, was er sich könnte schenken lassen!] Es ist ja auch jetzt unser Lieblingsgedanke und ist es alle Jahre um diese Zeit gewesen. Stelle dir nun recht gemütlich einen meiner [seiner! - nicht ihrer gemeinsamen!] ersten Ferienabende vor [derlei Formulierungsfeinheiten sind typisch für den Extremegozentriker N!], wie wir in warmer Stube, mit oder ohne Lampe dasitzen und uns gegenseitig unsre Wünsche vorzählen. Währenddessen bereiten drüben Mamma und Tante Rosalie geheimnisvolle Werke und - wir lauschen, wenn sie heimlich Worte tauschen; und ein ungewöhnlich Rauschen, bald ein Flüstern, bald ein Knistern macht uns nach den Wundern lüstern, und das geisterhafte Weben, Hin- und wieder ’nüber Schweben macht uns beben usw.
Ich hoffe, du wirst mit deinen Wünschen noch nicht so entschlossen sein, dass ich dir nicht wenigstens einige Vorschläge zur Güte machen könnte. Ich habe eine ziemliche Anzahl wünschenswerter Bücher und Musikalien aufgeschrieben und will dir [womit er die Schwester wieder in die Richtung seiner Interessen „steuerte“] so einiges mitteilen. Von letztern z.B. scheint mir sehr passend für dich ein Werk [Robert] Schumanns [1810-1856, ein deutscher Komponist der Romantik], desselben, der die zerbrochne Fensterscheibe komponiert hat [in op. 70.2, nach einem Gedicht von Titus Ullrich, 1813-1891] ….. Und zwar sind es seine schönsten Lieder überhaupt; es ist „Frauenliebe und Leben“, Gedichte von [Adalbert von] Chamisso [1781-1838, ein deutscher Naturforscher und Dichter] und muss so ungefähr 20 Silbergroschen kosten. Der Text ist gleichfalls wunderschön [Es geht um das, was ihm, nicht um das, was der fünfzehnjährigen Schwester gefallen hätte!].
Von Büchern kann ich Dir zuerst zwei theologische Werke anempfehlen, die dich und mich sehr interessieren werden ….. „Das Leben Jesu“ [von David Strauß, 1808-1874, einem Theologen, der in den Jahren 1835-36 eine gewaltiges Aufsehen erregende kritische Betrachtung der Quellen über die Geschichtlichkeit Jesu veröffentlicht hatte. Das Buch machte seinen Verfasser zum berühmtesten und berüchtigtsten Theologen seiner Zeit. N wird 1872-1873, in der ersten seiner „Unzeitgemäßen Betrachtung“ über den so sehr Bekannten fürchterlich kleinlich herfallen, um auf sich selber aufmerksam zu machen!] ….. und eine Kirchengeschichte …..
Ich an deiner Stelle würde ganz entschieden Byron englisch lesen [was er selber nicht konnte] ….. Ich könnte dir noch verschiedene Bücher aufschreiben, nun will ich meine Wünsche sagen. In Hinsicht auf Musik also wünsche ich mir Paradies und die Perie von Schumann für Klavier solo arrangiert. Das ist etwas Entzückendes für jedermann, also auch für dich. Dann Shelleys poetische Werke übersetzt von Seybt [weil er mit dem englischen Original nichts anfangen konnte!] ….. Ich würde mich ganz ungemein freuen, wenn ich beides bekäme, denn es sind meine einzigen Wünsche.
Da fällt mir übrigens etwas ein, das ich Dir noch erzählen muss. Ich war nämlich Sonntag Mittag zu Herrn Dr. Heinse zu Tisch eingeladen, wo sehr fein gegessen wurde und noch hübscher gesprochen. Dann ist Dr. Volkmann, der neue Lehrer bereit, englische Privatstunden zu geben. Es haben sich eine Menge gemeldet, ich denke aber doch erst Ostern beizutreten. Augenblicklich studiere ich ja italienisch noch privatim. Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, wo das erste Buch Mose [aus dem Alten Testament der Bibel] gelesen, Deutsch, wo das Nibelungenlied in der Ursprache gelesen wird [ein mittelhochdeutsches Heldenepos aus der Zeit um 1220-1250], Französisch, wo in der Klasse Karl XII gelesen, in einem Kränzchen mit dreien außer mir Athalie [die 1691 als letzte entstandene Tragödie von Jean Racine, 1639-1699, einem der bedeutendsten Klassiker und größtem Tragödienautor der Franzosen], Italiänisch wo im Kränzchen Dante [Alighieri, 1265-1321, ein italienischer Dichter und Philosoph, Verfasser der göttlich genannten „Commedia“] gelesen wird.
Wenn das nicht vorläufig genug ist, da weiß ich nicht, besonders da im Lateinischen zugleich Vergil [70-19 v. C., neben Horaz der bedeutendste römische Dichter zur Zeit von Kaiser Augustus, der Erhabene, 63 v. C., ab 27 v. C. erster römischer Kaiser, bis 14 n. C], Livius [Titus Livius, 59 v. C. - 17 n. C., römischer Historiker zur Zeit des Augustus], Cicero [Marcus Tullius Cicero, 106-43 v. C., ein römisch republikanischer Politiker, Anwalt, Philosoph und stilistisch vorbildlicher Schriftsteller], Sallust [Gaius Sallustius Crispus, 86-34 v. C., römischer Geschichtsschreiber und Politiker], gelesen, im Griechischen Ilias [ein Götter- und Helden-Epos des sagenhaften „Homer“, dem ersten abendländischen Dichter, Verfasser der wohl in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. C. entstandenen 24 Gesänge über den die gesamte griechische Kultur bestimmenden spätbronzezeitlichen „trojanischen Krieg“ welcher, wenn, um 1200 v. C. stattgefunden haben wird und eines der ältesten schriftlich fixierten Werke Europas darstellt], Lysias [445-380 v. C., im antiken Athen ein Produzent von bestellten, maßgeschneiderten Reden mit jeweils genau berechneter Wirkung], Herodot [von Halikarnassos, 490-424 v. C., ein antiker griechischer Geschichtsschreiber, Geograph und Völkerkundler, von Cicero als „Vater der Geschichtsschreibung“ bezeichnet] gelesen wird. Nun leb wohl und freu dich über diesen bedenklich langen Brief [der sich zum weitaus größten Teil um ihn drehte; - an eine Fünfzehnjährige, die es allerdings gewohnt war, im Schlepptau ihres Bruders zu leben und sich des „freuen sollte“!] Dein Fritz. Sonntag auf Wiedersehn in Almrich (288) [ein für N übrigens typischer Brief: angefüllt nur mit seinen Interessen!].
Seine Weihnachtswünsche warf N, von seinem Freund Gustav Krug musikalisch beraten noch ein paar Mal um denn dieser empfahl „Manfred“ von Schumann im Klavierauszug und einiges von Liszt. Er wünschte sich dann etwas ganz anderes.
Am 5. Dezember 1861 schrieb N u.a. nach Hause:
Sonnabend über zwei Wochen! Es ist ein entzückender Gedanke! Ihr glaubt nicht, wie ich mich auf Weihnachten freue, das wunderschöne Weihnachten! Jetzt sind noch ziemlich arbeitsvolle Wochen. Aber dann! Sonnabend früh als nur irgend möglich, komme ich, es wird herrlich! ….. Wir verreisen doch nicht etwa Weihnachten? Vorigen Sonntag bin ich noch etwa 7 Minuten bei Gustav gewesen, der mich dann nach Pforta begleitete. - Erkältungen sind jetzt überaus häufig. Die Krankenstube ist übervoll, es sollen neue Räume eingerichtet werden ….. Ich leide an Heiserkeit und Schnupfen. Weihnachten macht alles gut!
Übrigens habe ich noch einen Wunsch, nämlich irgendeine Photographie eines lebenden berühmten Mannes, z.B. Liszt oder Wagner oder eine Photographie aus dem Shakespearealbum des berühmten Kaulbach [das dürfte damals der Begründer der Malerdynastie derer von Kaulbach, Wilhelm, 1805-1874 gewesen sein] ….. Ihr müsst mir nun aber auch so schreiben, was ihr euch wünscht. [Das wenigstens hat er zu guter Letzt nicht anzumahnen vergessen.]
Als letzte Nachricht des Jahres 1861 an Mutter und Schwester blieb erhalten:
Wie hübsch war es doch, dass wir uns gestern etwas länger sprechen konnten. Ich bin ganz zur rechten Zeit wieder in Pforta angelangt; der Weg war nicht mehr so schmutzig wie am Vormittag. Ich sende euch außer mehrerer schmutziger Wäsche auch einen Brief, den ihr an Wilhelm oder Gustav abgeben mögt. Die Zeit vergeht übrigens doch allzu langsam, seit gestern erst ein Tag …..
Dazwischen berichtete er über Weihnachtswünsche und Hoffnungen, erwarteten Weihnachtskuchen und div. zu beschaffende Gegenstände.
Sonst habe ich euch nichts weiter zu schreiben, beeilt euch indessen mit Weihnachtsvorbereitungen, damit es nicht zu spät wird. Schenkt mir nur recht viel, auch allerhand Kleinigkeiten, z.B. ein Notizbuch, mein jetziges ist ganz voll und dann Notenpapier in der mir beliebten Fasson, das muss aber bestellt werden, da es nicht vorrätig ist. Nun lebt recht schön wohl! Viele Grüße von mir! Dein Fritz! Ich hatte die Unterschrift vergessen. (291) [Darauf achtete er mehr, als dass er sich an die Höflichkeitsform der Anrede in Briefen zu halten gedachte.]
Das Jahr ging zu Ende. Das stets so heiß ersehnte Weihnachtsfest stand als Höhepunkt des Jahres bevor, wo es sich - im zu Hause von Mutter und Schwester, Am Weingarten 18 und besonders nach den so unaussprechliche Unerfreulichkeiten erregenden Ereignis des letzten Osterfestes! einzuordnen galt, um nur ja keinen Liebesverlust zu erleiden, so, wie es N sein Leben lang beibehielt. - Zum guten Ton gehörte, auf Erfolg versprechende Weise brav, sanft, anmutig und demütig, verständnisvoll, feinfühlend, zurückhaltend und gütig zu erscheinen! N ließ dieses Mal kein Wort verlauten von dem und über das, was ihn in den letzten Monaten - seit Nürnberg! - am stärksten bewegte und rundum seelisch und „geistig“ umgemodelt und mit Beschlag belegt hatte: Ralph Waldo Emerson! - Bei dem niemand dem Suchenden und „auf die schiefe Bahn Geratenden“ - der doch die Familientradition fortsetzen sollte! - helfen konnte, - weil und indem er nicht mit irgendjemandem - vielleicht! - was aber eben unmöglich war! - über den „amerikanischen Spinner“ und über Ns wahren Probleme hätte sprechen können.