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Das Erziehungsvakuum

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Es gibt aber noch einen wichtigen Grund, warum wir dieses Buch schreiben: Viele Kinder werden heute nicht mehr erzogen. Viele Eltern sind unfähig, nicht willens oder – wegen Berufstätigkeit – nicht in der Lage, ihre Kinder zu erziehen. Und eine wachsende Zahl von Eltern scheint ihre Gleichgültigkeit und Nicht-Erziehung mit Liberalität und Toleranz zu verwechseln. Die an Geld-, Zeit- und Lehrermangel leidenden Schulen sind überfordert in dem Bemühen, das Versäumte auszubügeln, oder bemühen sich erst gar nicht darum.

Und alle zusammen sind verunsichert. Wie soll man Kinder erziehen, wenn es anscheinend keine verbindlichen, allgemein anerkannten Werte, Normen und Vorbilder gibt? Wie soll man sich in den tausend Konflikten, in die man als Erzieher gerät, verhalten? Auf welche Ziele hin soll man erziehen? Soll man überhaupt noch erziehen wollen, ist es uns denn erlaubt, unsere Kinder nach unseren Vorstellungen zu formen? Oder ist Erziehung sowieso sinnlos?

Auf jede dieser Fragen hören wir Dutzende von einander widersprechenden Antworten. Wir haben also nichts Gesichertes, nichts, worauf wir uns verlassen könnten. Darum beschränken viele Lehrer wie Eltern ihre erzieherischen Bemühungen auf ein Minimum oder stellen sie gleich ganz ein.

Wenn es aber schon mit der Erziehung nicht mehr klappt, dann klappt es mit der Bildung erst recht nicht mehr, denn lehren und unterrichten kann man nur Menschen, die zuvor erzogen worden sind.

Lernen in größeren Gruppen funktioniert nur, wenn die einzelnen Gruppenmitglieder die Mindeststandards des menschlichen Zusammenlebens beherrschen. Bildung setzt Erziehung voraus. Unsere Bildungsmisere ist eine Folge unseres Erziehungsnotstands. Wer eine bessere Bildung will, muss daher zuerst die Erziehung verbessern.

Weil wir in Erziehungsfragen unsicher geworden sind, entsteht ein Erziehungsvakuum, in das wie von selbst alles Mögliche eindringt, nur nichts Gutes. Allein schon aus diesem Grund – weil dieses Vakuum gefüllt werden muss und weil es sich von selbst mit allerlei Unrat füllt, wenn wir es nicht verhindern – haben wir gar keine andere Wahl, als zu erziehen.

Wie aber ist Erziehung möglich in einem Klima des permanenten Wertewandels und Werteverfalls und in einer Gesellschaft, deren letzte verbindliche Wahrheit lautet, dass es letzte verbindliche Wahrheiten nicht gibt? Über diese Frage, die wichtiger ist als alles, was auf Kultusministerkonferenzen verhandelt wird, müssen wir diskutieren. Dazu wollen wir einen Anstoß geben.

Seit vier, fünf Jahren werden Lernprogramme entwickelt, PC-gestützte Unterrichtsmodelle erprobt, Schulen und Universitäten vernetzt und Schulen für Computerkids gebaut. Es wird Zeit, dass man in dieser Experimentierwut mal einen Augenblick innehält und ein erstes Resümee zieht. Wir möchten dazu eigene Erfahrungen mit unseren Kindern und ein paar Fragen und Anregungen aus Elternsicht beisteuern.

Soll, kann die Schule Werte vermitteln? Ja, sie sollte, meinen wir, wissen aber nicht, ob sie es auch kann, denn dafür müsste die Gesellschaft hinter ihr stehen, ihr sagen, woran sie glaubt, und sie müsste der Schule und den Schülern die Werte glaubwürdig vorleben.

Aber weiß denn unsere Gesellschaft noch, woran sie glaubt? Glaubt sie überhaupt noch an irgendetwas? Auf solche Fragen Antworten zu finden – das ist für uns ein weiterer Grund, dieses Buch zu schreiben.

Der Erziehungsnotstand

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