Читать книгу Das Glasscherbenviertel - Erinnerungen eines Lausbuben - Christian Oberthaler - Страница 11
Entrümpelungsaktion – Starker Tobak
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Auch ich hatte einige Feuertaufen zu bestehen, und eine Narbe an meiner rechten Wange zeugt bis heute davon. Und das kam so….
Wieder einmal war der Herbst ins Land gezogen mit seinen trüben, regnerischen Tagen.
Eine Zeit, in der Freiluft-Aktivitäten (nach heutigem Deutsch Outdoor-Aktivitäten) wetterbedingt keine allzu große Begeisterung hervorriefen, und auch das Freibad seine Anziehungskraft verloren hatte. Das neu begonnene Schuljahr tat sein Übriges dazu, unseren Tatendrang deutlich einzuschränken.
Doch einer großartigen Einrichtung der damaligen Zeit verdankten wir es, dass das Aufkommen von Langeweile auch in dieser trostlosen Jahreszeit völlig unmöglich war.
An allen Anschlagetafeln im Ort war es in großen Buchstaben zu lesen und schon das Wort alleine ließ uns aus reiner Vorfreude das Herz im Leibe hüpfen.
Entrümpelungsaktion!
Jeder der seinen Keller oder Dachboden von überflüssigen Utensilien und Gerätschaften befreien wollte, legte diese vor dem Haus ab um damit seinen Beitrag zur Säuberung des Heimatortes und zur Reinhaltung der Umwelt zu leisten. Dabei kamen sehr oft gar wunderliche Dinge ans Tageslicht. Für die Erwachsenen unnötiges, nicht mehr gebrauchtes Zeugs, für uns aber eine Schatzkiste. War es für andere nur wertloser Plunder, so erschien es uns, als hätten wir in diesen Tagen an einer magischen Lampe gerieben, und ein orientalischer Geist wäre erschienen, um uns all seine Schätze zu offenbaren. Sesam öffne dich im Glasscherbenviertel.
Alte klapprige Fahrräder lagen neben staubigen Strohhüten, ebenso wie Fragmente einer elektrischen Eisenbahn oder die Überreste von Faschingskostümen. Vergilbte Ansichtskarten und nicht immer ganz jugendfreie Magazine entfachten genauso das Feuer unserer jugendlichen Phantasie wie Telefonhörer oder Teile eines Kugellagers, welche sich vortrefflich als Geschosse verwenden ließen, worauf ich aber später noch genauer eingehen werde.
So ging ich also an einem dieser Entrümpelungstage mit pubertärem Eifer und unglaublichem Forscherdrang ans Werk. Ich arbeitete mich durch löchrige Teppiche, zerbeulte Nachttöpfe und kaputte Spiegel, bis ich an ein unscheinbares Holzkästchen geriet. Mein Hirnkastl malte sich schon die wunderbarsten Dinge aus, die ich darin vorfinden würde. Golddukaten, Silbermünzen, Schmuck. Doch als ich es mit zittrigen Händen öffnete, wurden alle meine Erwartungen bei Weitem übertroffen. Eine prächtige Ansammlung alter Pfeifen kam zum Vorschein und ließ meinen Puls in ungeahnte Höhen rasen. Verstohlen umherblickend klappte ich den Deckel wieder zu, damit nur ja niemand Wind von meiner ungeheuren Entdeckung bekam. Eiligen Schrittes und mit stolzgeschwellter Brust eilte ich nun zu meinem besten Freund Günther, um ihm meinen sensationellen Fund zu präsentieren. Das Leuchten in seinen Augen zeigte mir, dass mein Mitbringsel seine Wirkung nicht verfehlt hatte. Gemeinsam beratschlagten wir, was mit diesem Geschenk des Himmels denn nun anzufangen sei.
Schließlich fassten wir, in einem frühen Anfall unternehmerischen Denkens, einen Verkauf dieser Prunkstücke ins Auge. Zumal ja Taschengeld in dieser Zeit nur kärglich bis gar nicht floss, ergab sich durch diese Entdeckung völlig unerwartet die Gelegenheit, unser Budget deutlich aufzubessern. Im nahe gelegen Altersheim gab es zahlreiche Pfeifenraucher und der Erlös würde uns monatelang ein fürstliches Dasein mit Schokolade, Cornetto-Eis und Fizzers-Rollen sichern. So waren jedenfalls im Großen und Ganzen unsere Pläne und Intensionen in dieser Hinsicht.
Der Praktiker Günther brachte nun aber einen nicht ganz unberechtigten Einwand vor. Was passiert, wenn diese hölzernen Rauchartikel gar nicht mehr richtig funktionierten? Warum sollte jemand völlig intakte Pfeifen auf den Müll werfen? Nimmt uns ein geübter Raucher solch schadhaftes Material überhaupt ab? Fragen über Fragen auf die es schließlich nur eine Antwort gab. Wir mussten die „Ware“ einem eingehenden Test unterziehen und sei es auch um den Preis, die eigene Gesundheit zu riskieren.
Mit geübten Griffen wurde das Sparschwein um 10 Schilling erleichtert und forschen Schrittes ging es zur unweit gelegenen Tabak Trafik Lenglachner. Natürlich war uns bewusst, dass man Pfeifentabak nicht so ohne weiteres an Minderjährige aushändigen würde, doch wir behalfen uns in dieser Situation mit unserem ausgeprägten schauspielerischen Talent. Mit unschuldigster Engelsmine erklärten wir der Verkäuferin, dass die Rauchware natürlich nicht für unseren Konsum bestimmt ist, sondern für den ach so armen Onkel Ferdl im Altersheim. Er sei gehbehindert und überhaupt in bedauernswertem Zustand, sodass es uns ein Herzensbedürfnis wäre, ihm eine Freude in Form seines Lieblingstabaks zu bereiten. Um diese gute Tat zu vollbringen hätten wir sogar monatelang auf Süßigkeiten verzichtet und so das erforderliche Kapital angespart.
Nun ja, den guten Onkel Ferdl gab es wirklich und tatsächlich war er auch in seiner Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt, der Rest war dichterische Freiheit. Jedenfalls verfehlte unsere gefühlvolle Geschichte nicht ihre Wirkung und die gute Trafikantin überließ uns sichtlich gerührt das begehrte Kraut samt Pfeifentabakpapier. Außerdem bedachte Sie uns, ob unseres Mitgefühls für ältere Menschen, mit lobenden Worten und meinte, dass die Jugend von heute wohl doch nicht so schlecht sei, wie immer behauptet würde.
Schnurstracks kehrten wir in unser geliebtes Glasscherbenviertel zurück um endlich unser Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Da wir sehr verantwortungsbewusste junge Menschen waren, suchten wir uns als Testgelände die Waschküche im Kellerbereich aus. Diese wies naturgemäß sehr wenig brennbare Materialien auf und im Falle eines Falles stünde uns auch genügend Löschwasser zur Verfügung. Dazu hatte sie den unschätzbaren Vorteil, dass sie sehr abgelegen im Kellerbereich lag und nur sehr gering frequentiert wurde. Auf Augenzeugen unseres tapferen Selbstversuches legten wir verständlicherweise keinen gesteigerten Wert.
Nun gingen wir also daran den Pfeifentabak in das Papier zu legen und drehten dieses dann fachmännisch zu einer Art Bonbon zusammen. Das „Tabakzuckerl“ steckten wir dann in die Pfeife und entzündeten es stilgerecht mit einem Streichholz. Ein paar kräftige Züge und schon war das Werkl in Gang. Die Pfeifen funktionierten prächtig und es dampfte und kokelte in der Waschküche, dass es die reinste Freude war.
Umhüllt vom dichten Nikotinnebel gerieten wir in die höchste Euphorie und es schien uns, als seien wir in nur wenigen Minuten vom Knaben zum Mann gereift. Von Glückshormonen überschüttet realisierten wir nur verschwommen, dass unser lasterhafter Genuss langsam aber stetig seinen Tribut zu fordern begann. Zuerst machte sich ein leichtes Ziehen im Gedärm bemerkbar, welches stufenlos in ein eigenartiges Grummeln im Magen überging. Beides wurde von uns vorerst mit Stolz und Beharrlichkeit ignoriert. Als sich schließlich bei Günther ein leichter Grünstich in der Hautfärbung einstellte, welcher Mister Spock von Raumschiff Enterprise zur Ehre gereicht hätte, war es bereits zu spät.
Mit einem gequälten Aufschrei übergaben wir uns nacheinander in den Betongranter, was auch das unrühmliche Ende unserer kindlichen Raucherkarriere darstellte.
Wobei wir im Nachhinein betrachten noch froh sein konnten, dass der Schuss nur nach vorne losgegangen war.
Geknickt und auf wackeligen Beinen verließen wir die Waschküche, natürlich nicht ohne vorher zumindest notdürftig die Spuren unserer Schmach zu verwischen. Was mit den unseligen Tabakspfeifen in weiterer Folge geschah, ist leider in den Rauschwaden meiner Erinnerung bis heute verborgen geblieben.
Nach einem einstündigen Spaziergang zwecks Auslüften der Bekleidung ging´s ab nach Hause, wo noch kräftig Zähne geputzt und mit Odol gespült wurde. Meine Großmutter wunderte sich sehr über diese plötzlich auftretende Hygienebedürfniss, zumal das Reinigen der Beißerchen zum ersten Mal ohne ausdrückliche Aufforderung geschah.
Beim Abendessen hielt sich mein Appetit verständlicherweise in Grenzen und Oma war besorgt darüber, ob ich nicht etwas „falsches“ gegessen hätte oder vielleicht eine Kinderkrankheit ausbrütete. Ich konnte ihre Sorgen in dieser Hinsicht nicht gänzlich zerstreuen, beteuerte aber nach bestem Wissen und Gewissen, dass mein zögerliches Essverhalten keinesfalls mit der Qualität ihrer ausgezeichneten Krapfen im Zusammenhang stünde.
Die Episode hinterließ wahrscheinlich eine kleine Narbe an meiner Seele nicht aber die eingangs erwähnte an meiner Wange. Gemeinsam hatten beide jedoch den unmittelbaren Zusammenhang mit der noch immer im Gang befindlichen Entrümpelungsaktion.