Читать книгу Das Glasscherbenviertel - Erinnerungen eines Lausbuben - Christian Oberthaler - Страница 7

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Zielgruppe und Siedlungsoriginale

Allgemein

Wie man sich leicht denken kann, hatten wir nicht die geringsten Probleme, Personen zu finden, die sich besonders als Zielscheibe unserer Machenschaften eigneten. Das Angebot war überaus groß und reichhaltig. Mit untrüglichem Instinkt und feinem Gespür hatten wir sehr bald jene bedauernswerten Mitmenschen ausfindig gemacht, die sensibler auf unsere Umtriebe reagierten als andere, und die mit einer sehr niederen Reizschwelle in dieser Hinsicht ausgestattet waren. Mit traumwandlerischer Sicherheit gelang es uns immer wieder jene Individuen herauszupicken, die sich über unsere äußerst ideenreiche Freizeitplanung so richtig herzhaft ärgern konnten und so wunderbar schnell in Rage gerieten.

So kristallisierte sich nach und nach eine richtige Creme de la Creme der Opferlämmer heraus, wenn man so will eine Rangliste der Gepeinigten.

Wie hoch jemand in unserer „Gunst “ stand und somit in unsere Unternehmungen miteinbezogen wurde, richtete sich danach, wie er oder sie auf unsere kleinen Neckereien und „liebenswerten “ Spitzbübereien reagierte.

Es gab natürlich auch reichlich abgestumpfte Seelen, die unserem regen Treiben keine allzu große Bedeutung beimaßen und unsere feinsinnigen Späße und ausgeklügelten Lausbubenstücke kaum zur Kenntnis nahmen. Im Nachhinein würde ich diesen Personenkreis als verständnisvoll, gelassen und nachsichtig gegenüber der Jugend bezeichnen. Damals fasste ich diese Haltung aber nahezu als beleidigend und ignorant auf.

Eingeschlagene Fensterscheiben quittierten sie mit einem gütigen Lächeln. Ein Schneeballtreffer am Hinterkopf (sofern er keine gröberen Schäden hinterließ) veranlasste sie höchstens zu der Bemerkung, dass sie es in ihrer Jugend genauso gemacht hätten. War der Rasen auch noch so zerpflügt von den Stoppeln unserer Fußballschuhe, die frisch aufgehängte Wäsche total verschmutzt und der Blumentopf in 1000 Stücke geschossen, sie blieben uns unverständlicherweise wohl gesonnen.

Dieser Menschenschlag war naturgemäß für uns völlig uninteressant und Gott sei Dank (aus damaliger Sicht) eher dünn gesät.

Doch es gab zu unserer Freude auch andere Charaktere, die entsprechend unseren Erwartungen reagierten. Bei diesen „lohnenden Zielen“ durfte man als ehrbarer Rotzlöffel durchaus auf eine angemessene Beschimpfung für eine gelungene Untat hoffen.

Wollte aber einer in unseren „Charts“ ganz nach oben kommen, so musste er doch einiges mehr bieten. Zumindest eine spannende Verfolgungsjagd mit Androhung einer Tracht Prügel, oder ein angeregtes Beschwerdetelefonat mit unseren leidgeprüften Eltern. Dies erfüllte uns mit besonderer Genugtuung und wir nahmen den einige Tage schief hängenden Haussegen und die verhängte Buße gern in Kauf.

Wirkliche Sternstunden waren uns aber erst dann beschieden, wenn ein zornentbrannter Mitbürger den letzten Ausweg darin sah, uns die Exekutive an den Hals zu hetzen.

Besonders in Ferienzeiten kursierte daher in Bad Gastein gerne das Gerücht, dass in unserer Siedlung die Gendarmeriestreife regelmäßiger verkehrte als der Briefträger.

Der Dickeldack

Aufgrund der bisweilen recht abenteuerlichen Unternehmungen war das Verhalten einiger Mitbewohner uns gegenüber doch von einem gewissen Maß an Misstrauen und Antipathie geprägt. Die Absolute Nr. 1 auf der Hitliste unserer Widersacher war aber ein Mann, der schon alleine aufgrund seiner Funktion zu den natürlichen Kontrahenten aufgeweckter Jugendlicher zählte. Der rüstige Zeitgenosse bekleidete nämlich das äußerst schwierige Amt eines Hausmeisters in unserem Musterviertel und hatte demzufolge für Sauberkeit, Ruhe und Ordnung zu sorgen. Er war sich seiner Bürde voll bewusst und ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, wer in dem Grätzl das Sagen hatte. Ob kaputte Glühbirnen, defekte Leitungen oder verbogene Teppichstangen, er war einfach zuständig und an ihm führte kein Weg vorbei. Sei es, dass jemand die Mittagsruhe durch Arbeiten an der Kreissäge störte oder unberechtigter Weise einen Parkplatz in Beschlag nahm, er war kompetent, war befugt, konnte einschreiten. Ich bin fast geneigt ihn als „Master of the Universe“ des Gemeindebaus zu bezeichnen. Dementsprechend imposant und lautstark war auch sein Auftreten und allein seine Stimme klang in unseren Ohren wie das Grollen des Donners, wenn sich über dem Gamskar-Kogel ein Gewitter zusammenbraute. Da es uns selbst noch an Körpergröße mangelte, kam er uns hünenhaft vor, und wenn er sich mit seiner zerschlissenen Schnürlsamt-Hose und seiner blauen Arbeitsjacke bedrohlich vor uns aufbaute, war es für uns meist höchste Eisenbahn den geordneten Rückzug anzutreten. Auch das gewaltige Ausmaß seiner Pranken, denen man die vielen Jahre schwerer Handwerkstätigkeit ansah, flößte uns gehörigen Respekt ein. Der Selbsterhaltungstrieb riet uns dazu, lieber keinen allzu engen Kontakt mit diesen Bärentatzen zu riskieren und so hielten wir so gut es eben ging vornehme Distanz und respektvollen Abstand.

Wir waren damals in der Blüte unserer Rotzbubenphase und versuchten dementsprechend möglichst stark und mutig aufzutreten. Bei unserem „Hausl“ jedoch schien uns eine übertrieben Verwegenheit nicht ratsam und wir gingen deshalb im Umgang mit ihm nach dem Grundsatz vor: „lieber 10 Sekunden feig, als 10 Stunden eine geschwollene Wange!“


Der eindrucksvolle Hausbesorger hieß eigentlich Herbert Dicklberger, doch Kinder sind ja wahre Meister im Abkürzen, Ändern und Verunstalten, und so wurde er von uns liebevoll nur „Dickeldack“ genannt.

Die Erwachsenen wiederum hatten eine andere Namensgebung, doch fehlte es ihnen an Phantasie und so bezeichneten sie ihn gemäß seiner Geburtsstadt der Einfachheit halber als den „Braunauer“. Dass dies auch politische Hintergründe gehabt haben könnte, war uns damals nicht bewusst.

Manchmal registrierten wir zwar, dass er etwas vor sich hin schimpfte und murmelte das sich wie „Arbeitsdienst“ und „früher hätte es das nicht gegeben“ anhörte, dies hat uns jedoch nicht tangiert und war uns auf gut Deutsch völlig wurscht.

Herbert verdiente sich sein täglich Brot durch den anstrengenden Beruf eines Spenglers und Dachdeckers, welchen er mit viel Fleiß und handwerklichem Können ausübte. Dementsprechend war er, ungeachtet seiner kleinen Diskrepanzen mit uns, ein hoch geachteter Mitbürger unseres Ortes.


Noch heute erinnere ich mich mit einem Schmunzeln daran, wie er mit seinem alten Waffenrad von der Hauptstraße kommend in den Durchlass zu unserer Siedlung einbog. Des Öfteren hatte er dabei eine elendslange Dachrinne oder ähnliches an seinem Gefährt befestigt und dieses Blechtrumm ragte vorne und hinten meterweit über das Fahrzeug hinaus. Nun konnte es aber durchaus vorkommen, dass er vor seinem Nachhausweg noch das beliebte Gasthaus Nussdorfer-Hof aufsuchte, was meist zu einer erheblichen Verminderung seiner Verkehrstüchtigkeit führte.

In solchen Fällen gestaltete sich das Anvisieren des Eingangstunnels, noch dazu mit dem sperrigen Ladegut als schwierig bis unlösbar. Das schleifende Kratzgeräusch von Metall an Mauer wurde dann nur noch von den infernalischen Flüchen des wackeren Heimkehrers übertönt. Ungeachtet dessen behielt er aber diese Art der Fortbewegung und des Materialtransportes bis ins hohe Alter bei, und obwohl er damit sicher gegen die eine oder andere Verkehrsregel verstieß, fiel keinem Gendarmen ein ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Er war einfach eine Institution und da drückte die Exekutive schon gerne mal ein Äuglein zu.


Allgemein bekannt war auch die Tatsache, dass er „geistigen“ Getränken durchaus nicht abgeneigt war. Enzian, Vogelbeer und andere edle Brände dürften einen fixen Platz in seinen Ernährungsgewohnheiten eingenommen haben. Er lehnte es jedoch strikt ab für diese Flüssigkeiten die profane Bezeichnung Schnaps zu verwenden. Als stolzer angehöriger der Spengler-Gilde war das sogenannte „Löt-Wasser“ genauso Bestandteil seines Werkzeuges wie Zange oder Blechschere.

Wigele Emmerich sen.

Als Pendant zu Hausmeister Dicklberger fungierte der ehrenwerte und hochgeachtete Kaminkehrermeister Emmerich Wigele sen.

Auf den ersten Blick unterschieden sie sich rein äußerlich doch sehr deutlich voneinander.


Der „Feger“, wie er vom Hausmeister liebevoll bezeichnet wurde, trug statt der blauen Arbeitsmontur seine schwarze Kluft und sozusagen als Markenzeichen sein rußgeschwärztes Gesicht.

Allerdings wiesen die beiden auch einige unübersehbare Gemeinsamkeiten auf, wie zum Beispiel das Fortbewegungsmittel, ein schwarzes Waffenrad Marke Saurer.

Weiters waren die beiden wackeren Gesellen auch diversen alkoholischen Köstlichkeiten nicht ganz abgeneigt.

Wie Hausmeister Herbert hatte daher auch der Schornsteinfeger manchmal gehörige Schwierigkeiten beim Zielen durch die Tunneleinfahrt am abendlichen Nachhauseweg vom Gasthof Nussdorfer.

Während aber beim Dachdecker eine mitgeführte Dachrinne oder ein langes Blechrohr zum Touchieren der Tunnelwand führten, war dies bei Herrn Wigele das mitgeführte Handwerkszeug seiner Zunft. Es kam nämlich hie und da vor, dass er mit Stoßbürste oder Schultereisen an der Mauer „einhackelte“, woraufhin sich meist ein unfreiwilliger Abstieg nicht vermeiden ließ.


Grundsätzlich muss man aber feststellen, dass der „schwarze Mann“ keinesfalls furchterregend war, sondern sich uns Siedlungskindern gegenüber sehr tolerant und aufgeschlossen zeigte. Dies war wohl auch einer der Hauptgründe, warum er niemals

als Zielscheibe unserer manchmal doch ruppigen Streiche ausersehen wurde.

Das Glasscherbenviertel - Erinnerungen eines Lausbuben

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