Читать книгу Das Glasscherbenviertel - Erinnerungen eines Lausbuben - Christian Oberthaler - Страница 13
Rodeln – Palfnerbach
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Eine schier unerschöpfliche Quelle um die überschüssige Energie eines Heranwachsenden abzuleiten, stellte der unmittelbar hinter unserem Haus fließende Palfnerbach dar.
Im Sommer war noch kein großes Draufgängertum erforderlich. Man balancierte am Rand und bezahlte diese Herausforderung hie und da mit einem schneidigen Köpfler in das mit Stein ausgelegte Bachbett, was hin und wieder zu erheblichen Kopfblessuren führte. Dies war aber insofern nicht so tragisch, da wir diesen Körperteil in jenen Jahren ohnehin nur spärlich benutzten.
Die große Zeit kam aber im Winter, wenn der Bach zufror und so eine wunderbare Natur-Bobbahn bildete, welche schon fast an Innsbruck-Igls oder Cortina d`Ampezzo heranreichte. Man kann sich vorstellen, dass das Befahren dieser Bahn mit einem Schlitten Adrenalinschübe ungeahnten Ausmaßes hervorrief. Dass die Eltern eine regelrechte Aversion gegen diese Freizeitbetätigung entwickelten, versteht sich von selbst, zumal keinerlei Sicherheitsstandards wie Schützer, Protektoren oder gar Helme vorhanden waren. Dies tat aber unseren sportlichen Ambitionen keinen Abbruch und wir bearbeiteten zu Beginn der „Rennsaison“ das Bachbett sogar mit dem Gartenschlauch um die Qualität der Piste zu verbessern.
Der Start befand sich bei einem kleinen Steg auf Höhe des Bad Gasteiner Gemeindebauhofs und der Zieleinlauf bei der Brücke direkt neben dem Greissler-Laden von Lilo Witzany. Nach dem Passieren der Ziellinie bedurfte es einer raschen Reaktionszeit und guten Schuhwerks um das Sportgerät zum Stehen zu bringen, denn der Palfnerbach mündete (wie auch heute noch) unmittelbar nach der Brücke in die Gasteiner Ache. Unnötig zu erwähnen, dass die Verzögerung manchmal nicht ausreichend war, und die rasante Talfahrt sodann unwiderruflich im feuchten Flussbett endete. Dann war wiederum die Phantasie jedes einzelnen gefragt, um sich eine passable Ausrede für die durchnässte Kleidung zurecht zu legen.
Das schnöde Hinunterfahren ohne sportlichen Aspekt war allerdings unsere Sache nicht, zumal es ja in der Natur von jungen Menschen liegt, sich nicht nur zu betätigen, sondern auch zu messen.
Rasch war ein Modus ermittelt und es fuhren jeweils 2 Doppelsitzer-Paare gegeneinander im direkten Duell. Dabei sollte man freilich nicht unerwähnt lassen, dass bei diesem Bewerb jedwedes Foul, jede unfaire Aktion ausdrücklich gestattet war.
Rempeleien, Schneiden des gegnerischen Schlittens und Fußtritte gehörten zum Repertoire jedes Gespanns. Es ist nicht schwer zu erraten, dass selbstverständlich Günther und ich ein Team bildeten, das es im Laufe der Jahre und mit zunehmender Routine zu großen Fertigkeiten in diesem Metier gebracht hatte.
In heutiger Zeit wären unsere Fähigkeiten auf diesem sportlichen Sektor wahrscheinlich mit einem Ausrüstervertrag oder einem Kopfsponsor angemessen honoriert worden.
Aber schon damals gab es gewisse finanzielle Anreize, denn als zusätzlichen Ansporn
wurde pro Lauf um eine Summe von 50 Groschen gewettet, welches das unterlegene Duo gleich nach Zieleinlauf an die Sieger zu berappen hatte.
Unser großer Trumpf war ein massiver Eisenschlitten, der den damals üblichen Holzgefährten natürlich schon aufgrund seines Gewichtes um Lichtjahre voraus war.
Dazu kam noch ein gerüttelt Maß an Brutalität, Hinterlist und Tücke der Piloten, und so konnten wir pro Wintersaison eine beträchtliche Summe an Siegesprämien lukrieren.
Unsere Taktik war einfach aber zielführend.
Am Start hatten wir aufgrund der Schwere unseres Gefährts einen kleinen Nachteil, holten die davoneilende Konkurrenz aber rasch ein. Kurz bevor wir aus dem Windschatten ausbrachen um zu überholen, stellte Günther bei voller Fahrt (!) den gegnerischen Schlitten mit einem Schlag oder Tritt quer. Der Effekt dabei war, dass sich die Gegner meist im 90 Grad Winkel aus dem Kurs verabschiedeten. Das wäre an und für sich noch kein großes Übel, allerdings muss man dazu bemerken, dass die Strecke keine Auslaufzonen hatte, sondern unmittelbar von einer massiven Steinmauer begrenzt war.
Man kann sich vorstellen, dass der Einschlag in die Gesteinsblöcke relativ große G-Kräfte hervorrief, was durchaus zu kurzzeitigem Verlust des Bewusstseins bei den betroffenen Besatzungen führen konnte.
Es lag in der Natur der Sache, dass sich dadurch im Laufe der Zeit die Begeisterung unserer Gegner merklich verringerte, und in der Folge manche Paarung ein neuerliches Antreten verweigerte.