Читать книгу Das Glasscherbenviertel - Erinnerungen eines Lausbuben - Christian Oberthaler - Страница 8
Kössler Hansl
ОглавлениеIn deutlicher und liebevoller Erinnerung ist mir auch mein unmittelbarer Türnachbar Hans Kössler geblieben.
Aufgrund seiner Tätigkeit als Gemeindepolizist genoss er natürlich großes Ansehen bei allen Bewohnern. Er zählte deshalb auch nicht zu unserer Zielgruppe, aber zu den herausragenden Originalen und Respektspersonen des Viertels.
Seine markante Amtstracht bestand aus weißer Dienstkappe, grüner Uniformjacke, schwarzer Hose mit rotem Streifen. Elegante weiße Handschuhe rundeten das Ensemble ab und machten ihn somit zu einer der imposantesten Erscheinungen der ganzen Umgebung.
Seine stets zur Schau getragene strenge Mine und seine stramme Körperhaltung, welche einen verschluckten Spazierstock vermuten ließ, trugen ein Übriges dazu bei, dass Inspektor Kössler auf die meisten Menschen einen Ehrfurcht gebietenden Eindruck machte.
Wenn er stolzen Schrittes über unsere kleine, abschüssige Straße patrouillierte, ähnelte er nicht einem Exekutivorgan, sondern eher dem General einer
Militärparade.
In der Freizeit hingegen stolzierte er in der warmen Jahreszeit gerne mit nacktem Oberkörper durch die Gegend. Mit seiner im fortgeschrittenen Alter noch immer tadellosen und muskulösen Figur, der sonnengebräunten Haut und seiner markanten Glatze erinnerte er mich immer wieder an die Hollywoodlegende Yul Brynner.
Es versteht sich von selbst, dass der rüstige Zeitgenosse damit die bewundernden Blicke so mancher, verstohlen hinter den Vorhängen hervorlugenden Hausfrauen, auf sich gezogen hat.
Besonders in seiner Jugendzeit soll er eine große Ausstrahlung auf das weibliche Geschlecht ausgeübt haben, wobei einige außereheliche Früchte seines Erfolges bei den Damen Zeugnis davon ablegen.
Was uns Buben allerdings besonders faszinierte, war die Tatsache, dass er als Kriegsheimkehrer stets äußerst phantasievolle Geschichten aus seiner „Frontzeit“ zu berichten wusste.
Wobei manche behaupteten die Meisten davon hätte er nicht
selbst erlebt, sondern die geschilderten Abenteuer stammten eher aus seinen Landserheften, welche er mit Begeisterung zu lesen pflegte.
Angeblich hätte er die unselige Zeit nicht an der Front verbracht, sondern als Skiausbildner in Norwegen.
Aber sei´s drum, wir hingen staunend an seinen Lippen, wenn er von Feindberührungen, wilden Schusswechseln und Handgranatenwürfen erzählte.
Wie vielen männlichen Bewohner des Viertels war auch ihm ein gewisser Hang zu alkoholischen Getränken nicht abzusprechen.
In seiner Eigenschaft als Gemeindepolizist durchquerte er auf seinen Streifengängen unzählige Winkel unseres Dorfes und hatte somit in jeder Gegend seine Stammlokale.
Einige davon säumten in gleichmäßiger Verteilung seinen Heimweg und so konnte es schon zu deutlichen Verzögerungen kommen, wenn er sich vor seiner Dienststelle auf den Rückweg in seine 4 Wände machte.
Wenn die Verspätung allzu deutlich ausfiel, konnte es hin und wieder vorkommen, dass seine charmante Gattin Frieda, eine großgewachsene und sympathische Dame, ihren Filius Günther damit beauftragte, den Herrn Papa zu suchen und bei Auffinden desselben seinen Heimweg etwas zu beschleunigen.
Als bester Freund des Sohnemannes begleitete ich ihn auf diesen Touren des Öfteren, denn es konnte sich so eine Suche durchaus als Mammutaufgabe entpuppen. Diese Rückholaktionen wuchsen sich nämlich manchmal zu wirklichen Schnitzeljagden aus.
Gestützt auf Erfahrungswerte starteten wir unsere Ermittlungen meistens im Ortszentrum bei Familie Ritsch, welche einen Feinkostladen mit angeschlossenem Beisl betrieb. Seine weißen Handschuhe auf der Schank zeugten davon, dass Inspektor Kössler die Lokalität besucht hatte. Selbst war er allerdings nicht mehr anwesend, da er bereits einen Lokalwechsel vorgenommen hatte.
Der Fährte folgend hatten wir im nächsten Anlauf wiederum einen Teilerfolg zu verzeichnen, da sich beim Gasthof Schaffler an der Wasserfallbrücke zwar nicht er selbst, aber seine Dienst-Kappe befand.
Nächste Station war der Echowirt, ein Lieblingslokal von Hans und seinen Gesangsvereinsfreunden. Er hielt sich auch dort nicht mehr auf, hatte jedoch, vermutlich im Eifer eines Kartenspielgefechtes, Gurt und Uniformjacke an der Garderobe deponiert.
Inzwischen schleppten wir also bereits eine ansehnliche Sammlung seiner Utensilien mit uns und setzten nun unsere ganzen Hoffnungen auf die letzte uns bekannte Destination seiner abendlichen Streifzüge. Und siehe da, in der Konditorei Medwed war unsere Suche endlich von Erfolg gekrönt. Der rüstige Strawanzer empfing uns mit einem schelmischen Lächeln und einem Achterl Rot in der Hand.
Schon leicht illuminiert leistete er auf die Aufforderung uns zu belgeiten keinen größeren Widerstand. Bereitwillig und gerne machte er sich mit uns auf den Nachhauseweg, nicht ohne uns vorher noch auf ein Eis oder eine Limonade einzuladen.
Unbedingt erwähnen möchte ich auch noch, dass Hans Kössler ein eifriger und begnadeter Pilzesucher war.
Als „Schwammerlkönig“ des Viertels hütete er aber seine Plätze im angrenzenden Wald wie ein Staatsgeheimnis. Er war so auf Geheimhaltung seiner Reservate erpicht, dass ihn auf seinen Touren nicht einmal seine beiden Söhne Franz und Günther begleiten durften. Wobei zu bemerken ist, dass er zu seinen beiden Stammhaltern, zwei sympathische und fleißige Burschen, im Allgemeinen eher streng war. Anders verhielt es sich mit seinem hübschen Nesthäkchen und Töchterlein Irene, welches er zärtlich sein Rehlein nannte und dementsprechend auch verhätschelte und verwöhnte.