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Einleitung und Beschreibung

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Wenn man auf der Badgasteiner Bundesstraße am Bahnhof vorbei Richtung Böckstein fährt, so sieht man nach ein paar hundert Metern linkerhand eine moderne, neue Wohnsiedlung. Aufgrund ihrer gelblichen Färbung wird sie von den Einheimischen "Eierspeisblock" genannt. Böse Zungen behaupten, dass der wahre Grund dieser Namensgebung der sei, dass den Bewohnern aufgrund der hohen Mieten nichts anderes übrigbleibt, als sich von Eierspeise zu ernähren.


Nun, wie dem auch sei, die erwähnte Ansiedlung befindet sich am Fuße des sogenannten Palfnergrabens, welcher vom Palfnerbach durchflossen wird. Die älteren Bewohner Badgasteins erinnern sich noch, teils freudig, teils mit Schaudern an die Zeit, da dieser Wildbach seine Bezeichnung zu Recht trug. Seine Wildheit wurde später durch Ingenieure und Bauarbeiter gezähmt, indem man ihn in ein Bett aus massiven Steinblöcken zwang. Fortan zeigte er meist seinen freundlichen Charakter und nur manchmal, nach extremen Gewittern und Regenfällen, polterten noch größere Steine oder Baumstämme mit den Wassermassen zu Tal. Die Menschen ringsumher erinnerten sich dann für einige Stunden wieder ehrfürchtig daran, welche Urgewalten eigentlich in diesem Gewässer schlummerten, welches sonst das ganze Jahr gemächlich bei ihren Fenstern und Türen vorbeiplätscherte.


Dieser Bach also trennt die erwähnte Siedlung von einem benachbarten Gemeindebau, welcher irgendwie einen wohltuend altvaterischen Kontrast zu den sterilen Hochhausklötzen bildet. Eigentlich handelt es sich hierbei um einen langen Schlauch aneinandergebauter Häuser, die in Form eines verkehrten "L`s" an einen Abhang platziert wurden. Am unteren Balken dieses "L`s" gelangt man durch einen großen Durchlass ins innere dieser Ansiedlung und nicht zuletzt deswegen hat sie mich seit meiner Kindheit an eine mittelalterliche Burg erinnert. Diese "Festung" kann natürlich auf den ersten Blick mit den heutigen, modernen Wohnanlagen keinesfalls konkurrieren. Mit Sicherheit kann man behaupten, dass es nicht gerade die ideale Wohngegend für jemanden ist, der " in " sein will. Kein Domizil für Trendsetter, die ihre Lebensgewohnheiten um jeden Preis dem Pulsschlag der Zeit (was immer das auch sein soll) angleichen wollen. Dazu fehlt es schon an den Grundvoraussetzungen, wie z.B. einem Abenteuerspielplatz, auf dem die hoffnungsvollen "Kids" ihre neuesten Designerklamotten stilgerecht vorführen könnten. Welcher modebewusste Sprössling möchte schon seine Nikeschuhe in einem einfachen, staubigen Hinterhof verschleißen. Eine Parkgarage, sozusagen eine Kathedrale für das "Allerheiligste" von Herrn und Frau Österreicher, sucht man hier vergeblich. Sogar Carports, die ansonsten schon überall anzutreffenden hölzernen KFZ-Unterkünfte, haben bis heute noch keinen Platz in dieser idyllischen Altbausiedlung gefunden.


Der mit dem neuesten Adidas Equipment ausgestattete Feierabendjogger wird auch den bequemen Personenaufzug vermissen, welcher ihm, nach vollbrachter sportlicher Höchstleistung das lästige Stiegen steigen erspart. Für die zwei Stockwerke tut`s auch eine alte, knarrende Holztreppe. Natürliche möchte ein High Tech orientierter Freizeitradler sein 5.000,- €uro - Bike mit Karbonrahmen nicht an die Hausmauer lehnen, doch ein eigener Abstellraum ist dafür leider nicht vorhanden. Der Einwand des Lesers an dieser Stelle, dass es früher durchaus üblich war ein Fahrrad im Keller einzusperren ist leider völlig absurd. Kein halbwegs vernünftiger Radler kauft sich heutzutage ein derartiges Gefährt, nur um es zu benutzen. Es soll gesehen und bewundert werden, was bei der Aufbewahrung im Kellergeschoß relativ schwierig ist. Dem echten Mountainbike-Freak erscheint allein schon der Gedanke daran, sein KTM oder Scott neben Brennholz und Briketts zu lagern, als äußerst frevelhaft.


Wenn ich das alles so bedenke, frage ich mich, wie ich hier eigentlich aufwachsen konnte. Wie war es möglich, bei all den angeführten Mängeln, hier eine Kindheit zu verbringen und eine glückliche noch dazu? Wie kommt es, dass ich noch heute an die Tage in diesem alten Gemäuer so gerne zurückdenke? Warum habe ich diesen alten Gemeindebau, der sich scheinbar dem "Zeitgeist" über Jahrzehnte hinweg erfolgreich widersetzt hat, so in mein Herz geschlossen?

Um dies zu ergründen, müssen wir uns genauer mit diesem Viertel auseinandersetzen,

welches in meinen Kindertagen von vielen Leuten das Glasscherbenviertel genannt wurde.

Das Glasscherbenviertel - Erinnerungen eines Lausbuben

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