Читать книгу Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber - Christian Schmid - Страница 10
Der stolze Hahn
ОглавлениеDer Hahn erscheint als Wappentier, den kämpfenden Krieger symbolisierend, bereits in der griechischen Antike. Wegen seines feuerroten Kammes und weil er den Morgen verkündet, symbolisiert er zudem das Licht und als roter Hahn den flackernden Brand. Deshalb steht seine Nachbildung als Feuerwächter auf Hausdächern. Auf Kirchturmspitzen stellt der Hahn seit dem 9. Jahrhundert die Wachsamkeit dar. Im Mittelalter verkörperte er den Sieg Christi als lumen mundi «Weltlicht» über das Dunkel der Nacht und er mahnte die Gläubigen an das Morgengebet.
Der berühmteste Hahn der christlichen Welt ist wohl derjenige im Matthäusevangelium, von dem Jesus zu Petrus sagt: «In dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.»
Einer der bekanntesten Hähne der weltlichen Literaturgeschichte ist Chanteclair. Er ist der Gegner des Fuchses im altfranzösischen «Roman de Renart», dessen älteste überlieferte Fragmente aus dem 12. Jahrhundert stammen. Ab Ende des 12. Jahrhunderts entstehen deutsche, niederländische, niederdeutsche und englische Versionen der Geschichte um Reineke Fuchs. In den ältesten deutschen Fassungen hat der Hahn den noch ganz dem französischen Vorbild nachgebildeten Namen Scantekler. Später erhält er den zu Hahn stabreimenden Namen Henning. Er klagt Reineke an und trägt als Corpus Delicti die von ihm totgebissene Henne Kratzfuss vor König Nobel. Zwei weitere Hähne treten in der niederdeutschen Fassung «Reinke de vos» von 1498 als Zeugen auf. Der eine heisst Kreiant «Kräher» und ist «de beste hane, den men vant / twischen Hollant unde Frankrîk». Der andere heisst Cantart «Sänger (aus lateinisch cantare ‹singen› gebildet)» und ist «sêr kone unde upricht – sehr kühn und rechtschaffen». Noch in Goethes «Reineke Fuchs» von 1794 heissen die drei Hähne Henning, Kreiant und Kantart. Bis ins 20. Jahrhundert bleibt der Name des Hahns im Französischen literarisch lebendig, denn 1910 veröffentlicht der Theaterautor Edmond Rostand das Stück Chantecler. Im Märchen kennen wir den Hahn in den «Bremer Stadtmusikanten» und in «Hans mein Igel», in dem der mit einer Igelhaut geborene Hans einen Hahn, der Mut und Kampfwille symbolisiert, als Reittier benutzt.
Clemens von Brentanos «Märchen von Gockel, Hinkel und Gakeleia» klingt zwar der Namen wegen nach einer Hühnerhofgeschichte, aber es spielt ganz in der Menschenwelt und erzählt vom Raugrafen Gockel von Hanau, seiner Frau Hinkel und seiner Tochter Gakeleia.
Der stolze und kämpferische Hahn wurde bereits in der Antike sprichwörtlich. Das bei Seneca belegte lateinische Sprichwort gallus in suo sterquilino plurimum potest bzw. multium potest hat in den europäischen Sprachen eine starke Wirkung entfaltet. Es ist im Deutschen vom 16. Jahrhundert bis heute ganz unterschiedlich übersetzt worden. In Sebastian Francks Sprichwörtersammlung von 1545 lesen wir «ein yeder […] han ist freidig (kühn, furchtlos) uff sinem mist». Ein lateinisch-deutsches Wörterbuch von 1734 übersetzt «der Hahn gilt auf seinem Mist das meiste». Und in einem Wörterbuch der lateinischen Sprache von 1844 lautet die Übersetzung «jeder ist Herr in seinem Hause».
Dabei muss man wissen, dass der seit dem späten Mittelalter gebrauchte Ausdruck auf seinem Mist die Bedeutung «auf seinem Hof» hat, wenn von Bauern die Rede ist. Einen Tagelöhner soll man nur so lange beschäftigen, sagt eine Rechtsquelle, «das er allwegend (immer) ze naht da heime mit dem vihe uf sinem mist si». Und Heinrich Wittenwiler wundert sich in seinem «Ring» (um 1400) über einen Tölpel, der «da haim uf sinem mist / ist worden ein so guot jurist». Wir sagen heute noch das ist auf meinem Mist gewachsen für «das kommt von mir, das habe ich gemacht, das ist meine Idee, mein Plan».
Im Deutschen ist seit dem 18. Jahrhundert auch Hahn auf seinem Mist sein «Herr sein auf seinem, wenn auch noch so kleinen Besitz» belegt. Diese Redensart hängt vielleicht zusammen mit französisch fier comme un coq sur son pailler «stolz wie ein Hahn auf seinem Mist», neuer einfach fier comme un coq «stolz wie ein Hahn», belegt seit dem 17. Jahrhundert. Sie gelangte ins Englische as proud as a cock (on his dunghill) und ins Deutsche stolz wie ein Hahn (auf dem Mist). In der Mundart der deutschsprachigen Schweiz kann man für «er ist stolz» auch sagen er spreizt si wie ne Güggel oder er stellt dr Chopf wie ne Güggel. Im «Affenmährchen» von 1845 lesen wir: «Der Herr Vice-Ungerechte-Steuer-Erheber spreizt sich wie ein Hahn auf der Schwelle des Ausgepfändeten.» Einer, der sich grossartig und wichtig vorkommt, stellt dr Chamme (wi dr Güggel uf em Mischt), der Jähzornige springt uuf wie ne Güggel.
Kampfhähne werden für Hahnenkämpfe abgerichtet. Im übertragenen Sinn ist ein Kampfhahn ein «streitlustiger, leicht erregbarer Mann» und ein Hahnenkampf eine «Auseinandersetzung von eitlen Männern (um eine Frau)». Der Hahnenkampf ist auch ein Spiel, bei dem zwei Kontrahenten mit vor der Brust verschränkten Armen auf einem Bein gegeneinander anhüpfen, bis einer das Gleichgewicht verliert. Mit «Hahnenkampf am Penaltypunkt» überschreibt der «Bund» vom 18. September 2017 einen Artikel, der von einer Auseinandersetzung zwischen den Fussballstars Neymar und Cavani berichtet.
Der Hahn kräht nach der verlorenen Henne, weil er sie vermisst. Ein Mensch oder eine Sache kann so unbedeutend sein, dass ihnen, redensartlich gesprochen, kein Hahn mehr nachkräht. Einer der frühesten Belege findet sich 1524 in einem Brief, in dem der Steuereinnehmer Hans Zeiss behauptet, dass in seinem Ort Allstedt viele Leute erstochen und erschossen worden seien, und ergänzt: «Da kräht kein Hahn noch Henne nach.» Auch Luther braucht die Redensart, und der Dramatiker Hans Sachs schreibt 1561: «Wo aber ich armer nem schaden, / so kreet doch kein han nach mir.» Moses Pflacher predigt 1588:
«Der Mensch ist von Natur also geartet / wann er jemand beleidiget hat / so acht ers ring / schlägts bald in wind / meinet es sey gleich vergessen / kein Hane werde mehr darnach kräen.»
Die Redensart ist also bereits im 16. Jahrhundert gut bezeugt und wird noch heute gern gebraucht. Der Autor Harald Grill veröffentlichte 1990 sein erfolgreiches Jugendbuch «Da kräht kein Hahn nach dir», und die «Berner Zeitung» gab am 8. Februar 2017 einem Interview mit Martin Rufener, einst Cheftrainer der Schweizer Männer im Skisport, den Titel «Es kräht kein Hahn nach dir».
Doch seit dem 16. Jahrhundert kräht manchmal auch keine Henne einem toten Hahn nach. In Johann Fischarts «Geschichtklitterung» von 1575 lesen wir: «Wann der Han todt ist krähet kein Henne nach ihm, niemand truckt ihm mit tieffgesuchten Turteltaubenseufftzen die augen zu, niemand nimpt Leydkleyder auff ihn auss.» Und Christoph Lehmann behauptet in seinem «Politischen Blumengarten» von 1662 sogar, «wann der Hund tod ist / so krähet keine Henne mehr nach». Der «Hund» war in der Vorlage sehr wahrscheinlich ein Hahn; der Schreiber hat sich verschrieben.
Wer in einem Kreis der Mittelpunkt ist und bevorzugt wird, ist Hahn im Korb. Das «Oltner Tagblatt» titelt am 9. September 2014: «Der Auszubildende ist der ‹Hahn im Korb›.» Die Redensart finden wir in der älteren Form der beste Hahn im Korb sein seit dem 16. Jahrhundert, und zwar in Eberhard Trapps «Germanicorum adagiorum» von 1539 und in Sebastian Francks Sprichwörtersammlung von 1541 in derselben Form: «er duncket ime der beste hane im korbe sein – er hält sich für den besten Hahn im Korb.» Ein Lexikon der Künste und Wissenschaften von 1767 erklärt: «Der beste Hahn im Korbe seyn, heisst an einem Orte beliebt und vor andern angesehen und wohl gelitten seyn.» Dazu erklärt das «Deutsche Wörterbuch»: «Unter dem jungen hühnervolke, das im hühnerkorbe bewahrt wird, ist der hahn das beste und geschätzteste stück.»
Seit dem 16. Jahrhundert ist auch die beste Henne im Korb sein belegt. Daniel Cramer schreibt 1596 in seinem «Antiquarius», dass beim fröhlichen Treiben junger Gesellen der ausgelassenste «die beste Henne im Korb» sei.
Im Französischen kennt man être bzw. vivre comme un coq en pâte. Ein Beleg aus dem Jahr 1694 lautet: «On dit prov. d’un homme qui est fort mollement à son aise, qu’il est là comme un coq en paste – man sagt redensartlich von einem Mann, der es sehr behaglich hat, er sei wie ein Hahn im Teig.» Meines Wissens hat Peter Rosegger diese Redensart zuerst auf Deutsch gebraucht in «Heidepeters Gabriel» von 1882. Darin sagt eine Wirtin von einem Arzt, er sei ihr lästig, weil er «auf hohem Ross herumhopse und stolziere wie der Hahn im Teig».
Der Mann, der stolz ist wie ein Hahn, wird zum Hahnrei «gehörnten Ehemann», wenn ihn seine Frau betrügt. Im ältesten Beleg für dieses Wort, einer Rechtsurkunde von 1297 aus der estnischen Stadt Hapsal, bezeichnet hanreyge jedoch nicht den gehörnten Ehemann, sondern den Ehebrecher. Dieselbe Bedeutung hat Hanreh in Bartholomäus Ringwaldts «Die lauter Wahrheit» von 1590. Deshalb vermutet man, dass das Wort aus Hahn und reihisch «brünstig» zusammengesetzt ist. In den meisten neueren, seit dem 16. Jahrhundert einsetzenden Belegen bezeichnet Hahnrei, Hanreh bis heute den betrogenen, gehörnten Ehemann, wie in den «Frauenzimmer Gesprechspielen» von 1647, in denen eine Frau ihren Ehemann zu einem «hochtrabenden Hanrey» machen will. Stützt man sich auf diese neuere Bedeutung, könnte der zweite Wortteil -rei auch auf rūn «beschnitten, beschnittenes Tier» zurückzuführen sein, wie in ostfriesisch hanrune «Kapaun, betrogener Ehemann».
Das Wort Hahn kommt nicht nur im Zusammenhang mit Hühnervögeln vor: Goldhähnchen sind eine Gattung von kleinen, baumbewohnenden Singvögeln, von denen es sechs Arten gibt, nämlich die Rubin-, Formosa-, Sommer-, Madeira-, Winter- und Indianergoldhähnchen.
Übertragen wurde das Wort Hahn auf ein Gerät, nämlich den Wasserhahn oder Wasserhahnen, älter auch Küchenhahn, bzw. den Zapfhahn. Genannt wurde er so, weil er in seiner ursprünglichen Gestalt einem Hahn glich. Einen der frühen Belege finde ich in der «Hydraulica Augustana» von 1754, wo vom «hiezu gehörigen Wasser-Hahnen» die Rede ist. Heute sprechen wir vom Bierhahn und Gashahn. Wir sagen in der Deutschschweiz dem Hahnenwasser «Leitungswasser» scherzhaft Hahnenburger in Anlehnung an das einst bekannte Weissenburger Mineralwasser.
Geben wir jemandem kein Geld mehr, drehen wir ihm den Geldhahn oder Geldhahnen ab bzw. zu. Diese vom Wasserhahn ausgehende Redensart stammt aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Frühe Beispiele finden wir in der «Bunten» von 1963: «der dreht dann seinem Sohn den Geldhahn ab», in der «Bild»-Zeitung» vom 31. März 1964: «Ausserdem drehte Feisal König Saud den Geldhahn ab» und im «Amtlichen Bulletin der Bundesversammlung» von 1964: «durch staatliche Massnahmen den Geldhahnen brüsk zuzudrehen».
Die Pflanzenbezeichnung Hahnenfuss, die seit dem Althochdeutschen des frühen Mittelalters belegt ist, geht darauf zurück, dass die Blätter dieser Pflanze einem Hahnenfuss gleichen. In der Fachsprache der Textilbranche ist ein pied-de-coq oder Hahnentritt ein Muster basierend auf Karos, deren Ecken verlängert sind. Die feinere Variante nennt man pied-de-poule oder Hühnertritt.
In vielen Mundartgebieten nennt man die Vogelmiere Hahnen-, Hühner- oder Hennendarm. In der Deutschschweiz unterscheiden wir den Fäld-, Bärg-, Wald- und Wasserhüennerdarm. Bereits 1575 erklärt ein «Rossarzneibuch»:
«Nim das krut hänendarm genempt, woll zerstossen unnd durch ein tuoch woll getruckt, saltz es ein wenig, thuo das über die ougen, so werden sy liecht und clar.»