Читать книгу Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber - Christian Schmid - Страница 6
Huhn und Hahn Herkunft und Benennung
ОглавлениеDer Geistliche, Schriftsteller und Ökonom Christoph Fischer beginnt in seinem sehr erfolgreichen Hausväterbuch «Fleissiges Herren-Auge» von 1690 das Kapitel über das Geflügel mit folgenden Worten:
«Ich wil von der Hennen / als der rechten Eyer-Mutter / und gluckzendem Hof- und Bauren-Vogel / so nicht allein auff dem Lande / sondern auch in Städten / wegen vielfältigen Eyerlegens bekannt / und sehr angenehm / den Anfang machen.»
Weil das Huhn der weitaus häufigste Vogel auf der Welt und der wichtigste Eier- und Fleischlieferant ist, beginne ich, wie Fischer im 17. Jahrhundert, auch mit dem Huhn.
Das Huhn hat Flügel und Federn und zählt deshalb seit dem Mittelalter mit Enten und Gänsen zu den Hofvögeln oder Hausvögeln, zum Geflügel, Gefieder, Klein- oder Federvieh. Die «Teutsche Sprach und Weissheit» von 1616 zählt zum «Feder Viech»: «Schwanen / Pfawen / Gänse / Ente / Hüner / Tauben / etc.» Die «Deutsche Sprache in der Volksschule» von 1855 lehrt uns: «Hausvogel fasst in sich: Gans, Huhn, Hahn, Ente, Taube etc.» Kein anderes Nutztier kommt auf der Welt so häufig vor wie das Haushuhn. Man schätzt, dass es etwa 20 Milliarden gibt, d. h. auf jeden Menschen ungefähr drei, weil es, wie eine Naturgeschichte von 1833 behauptet, «eines der nützlichsten Thiere [ist], welche der Mensch sich zum Genossen erwählen konnte».
Unser Haushuhn stammt aus Südostasien, wo man es vor 5000 bis 6000 Jahren zu domestizieren begann, vielleicht weil der Hahn am Morgen die Sonne begrüsste, die als heilig galt. Dann züchtete man es, damit man Hahnenkämpfe veranstalten konnte; bei den Griechen war der Hahn als Motiv auf Kampfschildern und Gefässen beliebt. Erst seit den Römern hält man Hühner vor allem als geschätzte Eier- und Fleischlieferanten. Nach Europa kam das Huhn aus Persien und dem östlichen Mittelmeerraum; etwa 2300 Jahre alte Funde zeugen von der Existenz des Haushuhns in der israelischen Stadt Maresha. Bereits in der Eisenzeit wurde es von Phöniziern nach Spanien gebracht, dann, sehr wahrscheinlich aus Persien, kam es um 900 nach Griechenland; Homer erwähnt es noch nicht. Aus Europa gelangte es schliesslich im 16. Jahrhundert mit den Entdeckern und Eroberern nach Amerika.
Lange glaubte man, am Anfang seiner Zähmung stehe das wilde, von Indien bis China weit verbreitete Bankiva- oder Rote Kammhuhn. Neuere Forschungen ergaben jedoch, dass noch andere Wildhuhnrassen beteiligt gewesen sein müssen, denn seine gelben Beine hat das Haushuhn offenbar nicht vom Bankiva-, sondern vom südwestindischen Sonnerathuhn.
In Europa gibt es ungefähr 200 Haushühnerrassen, weltweit dürften es über 500 sein. Einige sind sehr alt, wie die Krüper, die von Konrad Gessner bereits im 16. Jahrhundert als Kriechhühner beschrieben werden, weil sie kurze Beine haben. Heute gelten sie in der Roten Liste der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e. V. in Deutschland als stark gefährdet. Auch der Bartli, das Appenzeller Barthuhn, das in der Mitte des 19. Jahrhunderts gezüchtet wurde, konnte 1985 nur dank ProSpecieRara vor dem Aussterben gerettet werden. Diese Organisation sorgte zudem dafür, dass das einst beliebte weisse Schweizerhuhn, das erst am Anfang des 20. Jahrhunderts gezüchtet wurde, aber in der industrialisierten Landwirtschaft rasch an Bedeutung verlor, noch heute existiert. Haushühner sind oft weiss; lange Zeit schätzte man weisse Hühner eher gering. Der Theologe und Geograph Anton Friedrich Büsching gibt in seinem «Nützlichen und angenehmen Lehrbuch für die Jugend» von 1772 einen Rat, den er dem römischen Autor Columella abgeschrieben hat:
«Das zahme Federvieh muss röthliche oder braune Pflaumfedern, und schwarze Flügel haben, und wann es möglich, müssen alle von dieser, oder dieser am nächsten kommenden Farbe erwählt werden: kan es aber nicht seyn, so meide man doch die weissen, welche […] leicht ins Gesicht fallen (gut sichtbar sind), und wegen ihrer sonderbaren Weisse von Habichten und Adlern oft hinweg gerissen werden.»
Neben den Haushühnern, die mit Pfau, Truthuhn, Goldfasan, Alpenschneehuhn, Auerhuhn und Birkhuhn in die Familie der Fasanenartigen gehören, gibt es vier andere Familien der Gattung Hühnervögel (Galliformes), nämlich die Grossfusshühner, die Hokkohühner, die Zahnwachteln und die Perlhühner.
Das Wort Huhn kann man seit dem Althochdeutschen des frühen Mittelalters für beide Geschlechter brauchen. Der Mönch Otfrid von Weissenburg übersetzte im 9. Jahrhundert den bibellateinischen Ausdruck antequam gallus cantet «ehe der Hahn rufen wird» mit êr thaz huan singe; selbstverständlich brauchte er daneben auch das Wort hano «Hahn». Noch heute verwenden wir Huhn als Gattungsbezeichnung, wenn wir von den Hühnervögeln oder hühnerartigen Vögeln sprechen, vom Rebhuhn und vom Zwerghuhn. Wenn wir Hühner sagen, meinen wir oft die Hähne mit. Unsere wichtigsten Bezeichnungen für das Huhn sind jedoch vom Wort Hahn abgeleitet:
Huhn ist ein Erbwort aus dem Germanischen, und zwar eine Ablautbildung zu Hahn. Das aus dem Westgermanischen entlehnte Henne ist eine alte weibliche Bildung zu Hahn mit der ursprünglichen Bedeutung «die zum Hahn Gehörige». Auch das Lateinische leitet die weibliche Bezeichnung gallina «Huhn, Henne» von gallus «Hahn» ab. Aus gallina wurde französisches geline, das jedoch durch poule ersetzt wurde, eine Bezeichnung für «junges Huhn», abgeleitet von lateinisch pullus «junges Tier, Küken». Zu gallina gibt es die lateinische Redensart gallina scripsit «das hat ein Huhn geschrieben»; Plautus (um 254–187 v. Chr.) brauchte sie, um eine unleserliche Schrift zu kritisieren. Von daher kommt vielleicht das seit dem 17. Jahrhundert belegte Wort Hühnerschrift oder Hühnerpfote, das eine unleserliche Schrift mit einem Gewirr von Hühnerspuren vergleicht; «als sey sie mit Hüner Pfoten geschrieben» (1708).
In den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz nennen wir das Huhn meistens Huen oder Hue, Hüeli mit der Mehrzahlform Hüen(n)er, in einigen Mundarten Hoo mit der Mehrzahlform Höör. Auch die Bezeichnungen Henn, Hene, Mehrzahl Henni, kommt vor. Der Berner Oberländer Melchior Sooder erwähnt in seinen «Zelleni us em Haslital» von 1943 «d’Henni ung Gäiss (Gänse)».
Seit dem 17. Jahrhundert ist die Bezeichnung Mistkratzer für Huhn belegt. Im «Misthauffen dess ungeduldigen Jobs» von 1684 bezeichnet ein Theologe seine Widersacher als «junge Mistkratzer». Der «Nürnberger Beobachter» von 1858 fragt: «Es heisst doch, das Hühnerlaufenlassen in der Stadt ist verboten; warum sieht man aber diese Mistkratzer noch auf gewissen Plätzen in der Stadt ganz ungenirt herumsteigen?» Als Wort des Rotwelschen, d. h. der traditionellen Gaunersprache, wird Mistkratzer «Huhn» sowohl von Bischoff (1822) wie auch von Avé-Lallemant (1862) aufgeführt. In einigen landwirtschaftlichen Zeitschriften vom Ende des 19. Jahrhunderts hat Mistkratzer die Bedeutung «Huhn von geringem Wert» oder «junger Hahn». Im heutigen Schweizerdeutschen ist das Mischtchratzerli ein «Brathähnchen».
Die Bezeichnung Legehuhn oder Legehenne für ein Huhn, das Eier legt, ist alt. Bereits 1686 lesen wir in einer Kriegsschilderung von «Leg-Hennen», 1705 in einem Hausväterbuch von «Leg-Hüner» und «Leg-Hennen». Weil Legehennen nach dem Legen oft lautstark gackern, entstand die Redensart verschwiegen sein wie ein Leghuhn «alles ausplaudern». Melchior Kirchhofer führt sie 1824 in seiner Sammlung schweizerischer Sprichwörter auf: «Er ist verschwiegen wie ein Leghuhn.» Die Bezeichnung Masthuhn ist jünger, aber vom Hühnermästen berichtet bereits Girolamo Ruscelli (1518–1566). Hans Jakob Wecker, der Stadtarzt von Kolmar, übersetzte Ruscellis «Kunstbuch des Wolerfarnen herren Alexii Pedemonta» (1581) ins Deutsche, und dort lesen wir im Abschnitt «Hüner zu mesten oder feist zu machen», wie man diese Tiere quälte. Man hielt sie im Dunkeln, zwang sie zur Bewegungslosigkeit und gab ihnen Kraftfutter:
«Die hüner werden vast (sehr) feist / so man sie an dunckel unnd warmen orten mit gerstenmeel und wasser durch einander vermischt mestet / auch inen die flüg federn ausszeucht.»
Lässt man eine Legehenne Eier ausbrüten, wird sie zur Bruthenne, zum Bruthuhn oder zur Glucke, mundartlich Glugge(re). Die Bezeichnung «brut henne» kommt in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bereits im «Sachsenspiegel», einem Rechtsbuch, vor; es legte fest, dass das Wehrgeld, d. h. die Busse, für ein getötetes Huhn einen halben Pfennig betragen soll, für eine Bruthenne während der Brutzeit jedoch drei Pfennige.
Das Wort Kluck(e) «Glucke», seit 1409 belegt, ist eine Entlehnung aus dem Niederdeutschen. Es ahmt den Laut nach, mit dem die Bruthenne ihre Küken ruft: sie gluckt. Die Bezeichnung Glucke, Gluggere lässt sich auf eine sehr fürsorgliche Mutter übertragen: Sie ist eine Glucke und lässt ihre Kinder nie aus den Augen. Der Reformator Martin Luther nennt in der Auslegung des Johannesevangeliums von 1527 Gott «eine edele henne, ein fein gluckhun» und eine «gluckhenne», weil er die Gläubigen wie eine Glucke unter seine Fittiche nimmt. Er brauchte Glucke auch, um den Sternhaufen der Plejaden bzw. das Siebengestirn zu bezeichnen, so wie Theodor May, der 1619 schreibt: «Die Glucken sein die siben kleine Gestirn.» Auch die Familiennamen Gluckhuhn, Gluckhohn, Glickhuhn, Gluckha(h)n sowie Kluckhuhn und Kluckho(h)n gehen zum Teil auf die alte Bezeichnung für die Bruthenne zurück; der erste Namensteil kann aber, wie bei Gluck, auf Glück oder dann auf klug zurückzuführen sein.
Aus den Eiern, welche die Bruthenne ausgebrütet hat, schlüpfen die Jungtiere, die wir mit dem aus dem Niederdeutschen entlehnten Wort Küken nennen. Die ältere Bezeichnung, die wohl aus dem Ostmitteldeutschen stammt und die wir heute kaum mehr hören, war Küchlein. Luther hat sie verbreitet; im Matthäusevangelium seiner Bibel von 1545 lesen wir: «Wie eine Henne versamlet ire Küchlin unter ire flügel.» Auch der evangelische Theologe Simon Pauli mahnt in seiner «Postill» von 1584, wir seien oft nicht so klug wie die «Küchlin», uns bei Gefahr unter die Fittiche «unser Gluckhennen Jhesu Christi» in Sicherheit zu bringen.
Die Bezeichnung Küken übertragen wir gern auf ein kleines Kind, so wie seit dem 17. Jahrhundert Nesthäkchen, älter Nestheckchen, Nesthecklein, das eigentlich ein im Nest ausgehecktes «ausgebrütetes» Vögelchen bezeichnet. In den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz heisst das Küken Hüentschi, Hüeli oder Hüendli, in der Kleinkindersprache, lautmalerisch sein Piepsen nachahmend, Bibii, Bibeli bzw. Bibbeli. Bibii gilt manchmal, wie folgender Kindervers zeigt, als Lockruf für Hühner allgemein:
«Ds Marii geit i ds Hüennerhuus / u laat sini Bibii uus; / ‹Guete Taag, ir Hüendli mii, / chömet gleitig, bibibii!› / U dr Güggel chrääit im Tou: / ‹Güggerüggii, daa bin i ou.›»
Das Huhn gackert, gackst oder gackelt, in den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz gagget, gagglet, gaggelet oder gaggeret es.
Auch Menschen, die schwatzen, durcheinanderreden oder wirres Zeug sagen, gackern. Bereits 1667 ist in einem Buch von einem «Rechtsverkehrer» und «Knäckles-Plauderer» die Rede, der «gackert und plappert». Bei Nietzsche fragt die Titelgestalt in «Also sprach Zarathustra» (1885) mit Blick auf die Menschen: «Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?» Und in einem ntv-Internetartikel vom 5. November 2007 wird der Sprecher der Verkehrsgewerkschaft, Uwe Reitz, zitiert mit den Worten: «Die GDL (Gewerkschaft der Lokomotivführer) ist wie ein Hühnerhof. Jeder gackert vor sich hin.»
Das Erbwort Hahn ist verwandt mit lateinisch canere «singen» und meint demnach «der Sänger». Direkt vergleichbar, so scheint es, ist die griechische Bezeichnung ēïkanós «Morgenröte-Sänger». Der Hahn ist das Tier, das den Tagesbeginn mit seinem Gesang begrüsst; Georg Philipp Harsdörffer gibt in seinem «Poetischen Trichter» von 1647 folgende mögliche poetische Bezeichnungen für den Hahn: «dess Tages gewiesser Bott / der Sonnen Herold / der Vorsinger dess Liechtes / der Morgenröte Verkündiger.» In seiner Predigtsammlung «Gallus cantans» oder «Krähender Hauss-Hahn», 1677 geschrieben zum Aufwecken des «im Sünden-Schlaff ligenden Hauss-Gesind des Grossen Hauss-Vatters», womit die Christen und Gott gemeint sind, reimt Ignatius Trauner:
«Dich auffzuwecken kreht der Hahn / Und kündt den Tag mit Freuden an: / Wer schläffrig ist den schilt er auss / Wer gar nicht will ist ihm ein Grauss.»
Der Hahn kräht, chrääit und wird lautmalerisch nach seinem Ruf auch Gockelhahn oder Gockel, in der Mundart Gul(l)i, Gülli, Güggel, Gugel oder Gügeler genannt, denn er ruft kikeriki, in der Mundart güggerüggüü oder giggeriggii. So ruft er allerdings erst seit dem 19. Jahrhundert, neben kikeriki kikeriki bzw. kikeri-ki-ki oder kükerükü(kü), niederdeutsch kükerü. Im 18. Jahrhundert schrieb man seinen Ruf kikri und kikri-kikri-kikri-ki, im 17. Jahrhundert kekerlekyh, kikerlekih oder kükerlüküh, im 16. Jahrhundert, zum Beispiel in Georg Rollenhagens «Froschmeuseler» von 1595, guck guck currith und im 15. Jahrhundert beim Lübecker Bürgermeister Gerhard von Minden kukulûk. Ganz fremd klingt uns heute tutterhui; so lässt der Reformator Johannes Mathesius im 16. Jahrhundert den Hahn krähen. Auf Französisch ruft er cocorico, auf Italienisch chicchirichì, auf Spanisch quiquiriquí, auf Niederländisch kukeleku, auf Englisch cockadoodledoo, auf Finnisch kukko kiekuu. Was wir als lautnachahmend empfinden, vollzieht sich in der sprachlichen Realisation zwei- bis fünfsilbig in einem weiten lautlichen Spielraum.