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Das Huhn als Fleischlieferant

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Wir behandeln zwar den grössten Teil der Haushühner wie den letzten Dreck, aber ihr Fleisch essen wir in Massen. Weltweit wurden 2018 über 91 Millionen Tonnen Geflügelfleisch verzehrt; in der Schweiz steht das Geflügelfleisch mit 12,5 kg pro Kopf im Jahr beim Fleischkonsum an zweiter Stelle. Schnell wachsende Hybrid-Masthühner mit viel Brustfleisch werden gezüchtet; die männlichen Küken sind unbrauchbar und werden vergast oder geschreddert, was in naher Zukunft verboten werden soll.

In den Hausväterbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts werden die Hühner hingegen gerühmt als Eier- und Fleischlieferanten. Die «Oeconomia ruralis» von 1645 führt sie mit folgenden Worten ein:

«Die Hüner sind einem Hausswirte sehr nützlich und nötig / derwegen man zu sagen pflegt / wer Eyer haben will / der muss der Hüner gatzen (gackern) leiden. Drumb muss ein Wirth viel gute Hüner haben / nit allein umb des woldäwlichen (gut verdaulichen) Fleisches willen / das man bissweilen in den Mahlzeitten brauchen kan / sondern auch umb der Eyer willen.»

Der Ausdruck wer Eier haben will, muss der Hühner Gackern leiden ist eine Redensart mit der Bedeutung «wer etwas haben will, muss auch Unangenehmes, das damit verbunden ist, ertragen», die bereits in der «Teutschen Sprach und Weissheit» von 1616 erwähnt wird. Am 9. Oktober 2016 beginnt die «Süddeutsche Zeitung» einen Artikel über Fluglärm mit den Worten: «Wer Eier haben will, muss der Henne Gackern leiden, so weiss es ein altes Sprichwort. In die moderne Zeit übertragen könnte es lauten: Wer billige Produkte aus den und Reisen in die letzten Winkel der Welt haben will, darf sich über Fluglärm nicht beschweren.»

Wir essen heute am liebsten ganze gebratene junge Hühner, die in Nord- und Mitteldeutschland Brathähnchen heissen, im Süden Deutschlands und in Österreich (Brat)hendl, im deutschen Osten mit dem englischen Lehnwort Broiler «Bratrost, Brathühnchen» und in der deutschsprachigen Schweiz mit dem französischen Lehnwort Poulet «junges Huhn» oder Mischtchratzerli «junger Hahn». Legehennen im Alter von ungefähr 18 Monaten kommen selten als Suppenhühner in die Küche. Noch lieber essen wir nur die leckeren Teile vom Huhn, nämlich Hähnchenbrust und Hähnchenschenkel bzw. Pouletbrust und Pouletschenkel, oder wir bestellen in einem Fastfood-Restaurant einen Chickenburger mit einem ganzen Schnitzel oder einem Schnitzel aus Hähnchenhack, bzw. Chicken-Nuggets, d. h. in Würfel geschnittene Hähnchenbrust, die paniert und schwimmend im Öl gebacken wird.

Zur Verbreitung von Hühnerfleisch als Fastfood trug Harland D. Sanders bei, der 1930 die Kentucky-Fried-Chicken-Kette gründete. Sie fasste 1960 auch in Deutschland Fuss, gehört heute Yum! Brands Incorporation und besitzt in China mehr Restaurants als in den USA. Wie Kentucky Fried Chicken den chinesischen Markt eroberte, ist eine der grossen Erfolgsgeschichten der modernen Ökonomie.

In der alten Küche der frühen Neuzeit verwertete man die ganzen Tiere, auch die Knochen, Füsse und Innereien, die man auskochte für Suppen, Brühen, Bouillons und Sülzen. Man ass sie süss oder salzig, gebraten und gekocht, in Limonen eingemacht, als Brustknödel oder Gehacktes von der Brust, man zerstiess das gekochte Fleisch in einem Mörser zu Mus und ass es als Brotaufstrich oder eingebacken in einer Pastete oder einem Kuchen, man machte Hühnersülze.

Ganz besonders schätzte man den Kapaun. Entlehnt ist die Bezeichnung für den kastrierten und gemästeten Hahn aus französisch capon, die alte Bezeichnung Kappe, Chappe aus spätlateinisch cāpo. Man übertrug das Wort auf zeugungsunfähige Männer: «Ein Maden oder Kappaun ist ein Mann, der seines Gezeugs nit hat», lesen wir im «Buch der Natur» von 1483. Eine Kastratenehe nannte man Kapaunenheirat. Kapaune galten als eine derart begehrte Leckerei, dass Wohlhabende als Kapaunenfresser beschimpft wurden. Im Jahr 1646 murrten die unzufriedenen Bauern von Knonau gegen ihre Stadtzürcher Herren: «Die Kapuunenfrässer seigend jez schon lang meister gsyn, sie buren wöllend iez auch einmal meister werden.»

Unter Poularde versteht man hingegen ein gemästetes, vor der Geschlechtsreife geschlachtetes oder kastriertes Huhn. Sowohl die Bezeichnung als auch die Haltung von kastrierten Masthennen wurde aus Frankreich importiert. In seiner «Hausmutter in allen ihren Geschäften» von 1778 gibt Christian Friedrich Germershausen seinem Erstaunen Ausdruck, dass dieses vorzügliche Fleisch in deutschen Landen so wenig bekannt ist:

«Die Poularden sind Hühner, welche kastriret worden. Ihr Fleisch ist weit delicater, als das von Kapaunen, oder kastrirten Hähnen. Es ist mir immer unbegreiflich gewesen, da wir so viele ausländische Moden und Speisen angenommen haben, warum wir nicht Poularden schon längst eingeführet, da wir sie, als ein Landesproduct, eben so gut als die Kapaunen haben können.»

Er verspricht deshalb, seine Leserinnen im zweiten Teil seiner «Hausmutter» über die Aufzucht von Poularden zu unterrichten.

In der Zeit der gnädigen Herren, in der die Bauern noch Abgaben zu entrichten hatten, waren Zinshühner eine begehrte Abgabe. Das Ehrhuhn oder Twinghuhn musste man dem Gerichtsherrn geben, das Vogthuhn dem Vogt, meistens vor der Fasnacht oder im Herbst, deshalb auch Fasnachthuhn bzw. Herbsthuhn genannt, das Gartenhuhn für den Gemüsegarten, das Holzhuhn für den Waldertrag, das Herrenhuhn für den Grundherrn, das Leshuhn dem Pfarrherrn für das Lesen des Wettersegens, das Mooshuhn für das Weiderecht auf einer Sumpfwiese, das Stuffelhuhn für das Weiderecht auf einem Stoppelfeld, das Fürplatte-, Fürstatt- oder Rauchhuhn als Feudalabgabe für jede Feuerstatt usw. Der Erfindungsreichtum der Herren für Ansprüche auf Hühner ihrer Untertanen war offensichtlich fast grenzenlos. Eine Urkunde von 1472 aus Flawil, in welcher mit jegliche sundrige spys «jeder Haushalt» gemeint ist, schreibt vor:

«Es soll ein jegliche sundrige spys in der vogty zuo Flawyl järlichen einem vogt vor fassnacht ein vogthuen geben, das gesund ze gend und ze nemend syg.»

Man stelle sich vor, was für ein Hühnersegen bei einem Dorf von fünfzig bis hundert Haushalten auf den Vogt zukam. Eine Quelle von 1606 hält fest, dass im Jahr 1347 in Hemmental noch 57 Hausleute dem Kloster Allerheiligen in Schaffhausen «järlich das Fasnachthuen geben» mussten.

Geflügel spielte auch bei Festmahlzeiten eine Rolle. Vom 16. bis ins 20. Jahrhundert nannte man ein Festmahl nach der Ernte, nach der Weinlese oder beim Richtfest im Kanton Zürich und in einem Teil der Innerschweiz Krähhanen. Bereits in Josua Maalers «Teütsch spraach» von 1561 lesen wir, dass das Freudenmahl der Schnitter neben Sichellege auch «kräyhanen» genannt wird. Der Zürcher Oberländer Autor Jakob Stutz (1801–1877) schreibt in einem Text, die Schnitter hätten «am Krähane Speck und Küechli, Hammen und Würst» bekommen. Die Bezeichnung hat am ehesten damit zu tun, dass die ausgelassenen Festlichkeiten dauern konnten, bis der Hahn den neuen Tag verkündete.

Krähhahn wird aber auch ein meist junger Hahn genannt, der am Morgen kräht. In einer historischen Rechtsquelle des Fronhofs Lohmar aus dem 16. Jahrhundert wird unter den männlichen Tieren auf dem Hof der Kreyhanen erwähnt. Kreyhan, Krehan, Krähhahn sind bis heute verbreitete Familiennamen. Auch Huhn, Hühnlein, Henne, Hahn, Guller, Gockel und Göckelmann sind Familiennamen geworden.

Damit bin ich mit dem Huhn, das nicht dumm, sondern nützlich ist und uns viel wert sein sollte, am Ende.

Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber

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