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Die fürsorgliche Henne

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Wir können uns heute kaum mehr vorstellen, dass das Huhn für den Menschen einst die treusorgende Hausmutter symbolisierte. Der Schutz Gottes wird in der Bibel wiederholt mit dem Bild des Muttervogels illustriert, der seine Flügel schützend über seine Jungen hält. In Matthäus 23, 37 wird explizit die Henne genannt:

«Wie oft wollte ich deine (d. h. Jerusalems) Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt.»

In der lateinischen «Vulgata» lautet die Textstelle: gallina congregat pullos suos sub alas. Luther schreibt dazu: «Diese Gleichnis hie von der Hennen und iren Küchlin / ist dem Geist gar eine lustige / fröliche / hübsche Gleichnis.» Das positive Bild der Henne, das bereits in der frühchristlichen Literatur belegt werden kann, vermittelt die Literatur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit weiter: die Henne ist fürsorglich und fleissig. So schreibt Konrad von Megenberg in seinem «Buch der Natur», dem ersten deutschsprachigen Tierbuch (um 1350):

«Gallina haizt ain henn. Augustinus spricht, daz diu henn die art hab, daz si gar vleizig und fürsihtig sei gegen irn kindlein, wan si sament (sammelt) si under ir flügel und füert si und beschirmt si vor dem weien oder vor dem hüenrarn (Falken).»

Auch im 17. Jahrhundert wird die Henne wortreich gelobt, z. B. vom Barockdichter Georg Philipp Harsdörffer in seinem «Poetischen Trichter» von 1648 als Sinnbild für eine gute Hausmutter:

«Die Eyer Mutter / ist stark / wild oder zahm / dess Haanen frommes Weib / die weisse / freche / bekräntzte / zarte / junge Eyrreiche Hänne die ihre Küchlein liebt / kluckt / gatzet / gackelt etc. Die Hänne hat die Deutung einer guten Hausmutter.»

Im 18. Jahrhundert hält die positive Einschätzung der Henne weiterhin an. Doch dem dummen Huhn begegnen wir auch bereits im Mittelalter. Im «Reinfried von Braunschweig», einem nur teilweise erhaltenen Versroman vom Ende des 13. Jahrhunderts, belehrt uns der Erzähler, wer es zulasse, dass er sich verliebe, obwohl er keine Aussicht auf Erfolg hat, der handle wie ein «tumbez huon daz brüetet / ein tôtez ei». Schondoch, ein Dichter des ausgehenden 14. Jahrhunderts, bezichtigt in einem seiner Gedichte jemanden, er sei tumber dan ein huon. Man konnte auch handeln wie ein toubez huon «stumpfsinniges, einfältiges Huhn»; der in Basel wirkende Dichter Konrad von Würzburg (um 1220–1287) braucht den Ausdruck wiederholt. In einigen mittelalterlichen Texten steht das Huhn für etwas Geringes oder gar Wertloses. Man gibt etwas umb ein huon «um nichts», für die Heiden sei ein Christ als ein huon, also wertlos. Jemandem konnte man drohen, ihn zu (zer)brechen als ein huon.

Zu einem sehr häufig gebrauchten, abschätzigen Ausdruck wurde dummes Huhn nicht im Zeitalter der Aufklärung, sondern im Zeitalter der bürgerlichen Überheblichkeit, im 19. Jahrhundert, weil das Bild der fürsorglichen oder gar mutigen Henne allmählich verblasste und weil viele, auch in der Gelehrtenwelt, das Huhn tatsächlich für dumm hielten, was man damals bereits in der Schule lernte:

«Das Huhn ist auch ein Thier. Es wohnt im Stall, ist scheu und dumm», doziert Friedrich Krumbachers «Lesebuch für das erste Schuljahr», das 1855 bereits in der zehnten Auflage vorliegt. In seinem «Bilderschmuck der deutschen Sprache» von 1886 will uns Herman Schrader weismachen, das redensartliche dumme Huhn sei tatsächlich dumm:

«Das Wort Huhn, in verächtlichem Sinne, dient als Schimpfwort, z. B. du bist ein dummes Huhn (in der That sind die Hühner sehr einfältig).»

Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber

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