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Hühnerhof und Hühnermist

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Entweder liess man den Hühnern freien Lauf oder man hielt sie in einem umzäunten Hühnerhof, um den «in Garten und Feldern gefährlichen Gäste[n]» (1779) nicht freien Lauf zu lassen. Man schätzte sie im Garten nicht, weil sie scharrten, Staubmulden gruben und gern junges Gartengrün abpickten. Unter den Obstbäumen der Hofstatt waren sie willkommen; sie frassen Schädlinge und düngten den Boden. Manchmal wagten sie sich, um Brosamen aufzupicken, in die Küche, von wo sie mit dem Besen energisch hinausgescheucht wurden. Wer im Frühjahr zeitig Eier und Küken wollte, überwinterte einige Hühner in der Stube. Johann Coler rät 1599 seinen Lesern: «Helt man etliche in der Stuben / die legen auch zeitlich aus / und brüten darnach auch balde darauff / so bekommet man frühe junge Hüner.» Bis ins 20. Jahrhundert gab es in der Schweiz Kleinbauern, die während des Winters Hühner in der Stube hielten, meistens in einem Käfig unter dem Ofen.

In übertragenem Sinn bedeutet der Hühnerhof seit dem 19. Jahrhundert einen Ort des Durcheinanders und der Unruhe. Im Familienblatt «Daheim» von 1874 schildert eine Erzählung, wie ein Junge nach einem längeren Landaufenthalt wieder nach Hause kommt, und es dort anfangs zugeht «wie in einem Hühnerhof, in den ein neues Hühnchen eingesetzt wird». In den «Verhandlungen des deutschen Bundestages» von 1953 wird Gerd Bucerius mit den Worten zitiert: «Wer nur an sich denkt und Rücksichtnahme auf den anderen für Dummheit hält, ist identisch mit dem Autofahrer, der harmlose Fussgänger wie in einem Hühnerhof durcheinanderscheucht.»

Neuer ist der Ausdruck wie ein Hühnerhof, über dem der Habicht kreist bzw. steht. In der «Zeit» von 1948 lesen wir: «Aufgescheucht wie ein Hühnerhof, über dem der Habicht kreist, waren die europäischen Kabinette.» Bereits 1915 beschrieb ein «Kriegsflugblatt des Simplicissimus» eine aufgeregte Schar mit folgenden Worten: «Es war ein Hin und Her, ein Gekreische und Gegacker wie in einem Hühnerhof, über dem der Habicht steht.»

Im Hühnerhaus oder Hühnerstall sind die Hühner nachts vor Raubtieren und Raubvögeln geschützt. Hühnerjagende Raubvögel wie den Habicht, Sperber oder Falken bezeichnen wir in den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz traditionell als Hüennervögel. Wir wehren heute noch zuweilen etwas Unerwünschtes scherzhaft ab mit dem Ausruf bhüet mi Gott vor em Hüennervogel.

Bereits in Josua Maalers Wörterbuch von 1541 ist die Rede vom «Hüenerstall, hüenerhauss, ort, da man die hüener und geflügel zeucht und neert». In den Hühnerstall gelangen die Hühner oft über eine Hühnerleiter. Im übertragenen Sinn bezeichnet das Wort eine «schmale, steile Treppe». Die Hausväterliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts riet, das Hühnerhaus in der Nähe der Küche oder des Backofens mit ihren offenen Feuern zu bauen, «damit sie den Rauch davon empfangen / welches ihnen trefflich gut ist / und machet / dass sie desto mehr Eyer legen», wie Georg Andreas Böckler in der «Nützlichen Hauss- und Feld-Schule» von 1678 rät. Ein solches Hühnerhaus, beschreibt ein Hausväterbuch aus dem Jahr 1703, hat Sitzstangen, «damit die Hüner nach Belieben auffsitzen / ruhen / und von denen Ratzen und Mäusen unangetastet bleiben». Es muss Türen und Fenster haben, die man «nach Belieben wol verschliessen kan / damit die Marder / Iltise / und andere den Hünern gar gefehre (gefährliche) Raub-Thiere sich nicht dadurch hinein schleichen. […] Dieses Hüner-Kämmerlein muss man wöchentlich durchgehends fleissig reinigen / und zumal im Sommer öffters mit Lauge besprengen / die Hüner-Flöh und Würm zu vertreiben.»

Man pflegte in früheren Zeiten sein Federvieh gut, weil es Eier, Fleisch, Knochen, Federn und Mist lieferte. Man fütterte es nicht nur mit Körnern und Grünzeug, sondern legte auch einen Wurmhaufen an:

«Ein Wurmhaufen bestehet aus einer abhängigen Grube mit verfaultem Miste, den man mit Rinderblut besprengt, mit Hafer besäet, und mit Schaafdärmen vermischt, den Sommer über mit Dornbüschen und Steinen bedeckt, gegen den Winter öffnet, und davon man den Hühnern täglich etliche Schaufeln vorwirft.» (1787)

Der Hühnermist oder Hüennerdräck war gut für den Garten; Heinrich Hesse schreibt in seinem «Teutschen Gärtner» von 1724, im Frühling solle man die Erde aufgraben und «alten küh- hüner- oder tauben-mist dabey legen». Auch in Kinderversen und Volksmedizin hatte er einen festen Platz. In Basel sagten die Kinder de Maitli git me Grut und Spägg und de Buebe Hiennerdrägg, im Wallis es lüütet Zmittag, der Herr ist im Grab, den Büeben en Blattete Späck, den Meitjene en Blattete Hennudräck. Auf die Scherzfrage was gits Zmittag antwortete man Fleisch und Späck und Hüennerdräck.

Einem jungen Mann, dessen Schnurrbart nicht wachsen will, empfiehlt die Volksmedizin, auf die innere Seite der Lippe Hüennerdräck und aussen Honig einzureiben, denn der Hühnermist stösst und der Honig zieht. Der «Grosse Helden-Schatz» von 1730 rät gegen «Schwulst an Schenckeln»: «Mache ein Bad von Hüner-Mist und Weitzen-Kleyen, also dass du heiss Wasser darauf giessest, und wohl umrührest, bade die Schenckel darinnen, das macht sie auch bald niederfallend.» Hühnermist verabreichte man auch oral: In seinem «Artzneybuch» von 1595 rät Oswald Gabelkover als Mittel für die Gebärmutter: «Nim das weiss von Hünermist / als gross als ein Gartenerbis (Gartenerbse): Zerreibs in einem Löffel vol Weins / und gibs eyn. Es ist gewiss (es hilft sicher).»

Heute, da die Hühnerhöfe selten geworden sind, ist «huehnerhof.net» eine der grössten deutschsprachigen Geflügelseiten für Hühnerfreunde im Internet. Und seinen festen Platz hat der Hühnerhof in der Managementliteratur. Im Buch «Kollegen sind die Pest» (2013) von Jochen Leffers lesen wir, das Huhn werde in der modernen Managementliteratur unterschätzt. «Dabei sind die Hühner viel näher dran an den Problemen, mit denen wir es täglich im Büro zu tun haben. Vor allem, wenn es sich um ein Grossraumbüro handelt, das einer Legebatterie gleicht.» Es komme darauf an, meint der Autor, «einen passablen Platz in der Hackordnung zu ergattern und gegen alle Anfeindungen zu verteidigen». Das ist hirnlose, flotte Schreibe über unmenschliche oder leider allzu menschliche Zustände in einer von der kapitalistischen Ökonomie beherrschten Welt, in der die meisten Hühner als Batteriehühner in Legebatterien oder als Masthühner dahinvegetieren, weil für sie gewissenlos prekäre Lebensräume geschaffen werden.

Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber

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