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Der Balkan und seine Bedeutung für Österreich

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Mit Bundespräsident Fischer in Kroatien: Krawatten-Richten vor dem Interview

Die Putzfrau aus Požarevac war für mich – als ich 1987 nach Wien kam – einer meiner ersten direkten Kontakte mit dem Balkan. Damals sagte mir die Stadt nicht viel, und außer dass sie in Serbien lag, wusste ich eigentlich nichts über sie. Vor allem den historischen Zusammenhang mit Österreich konnte ich nicht herstellen. Das änderte sich bereits im Jahr 2000, als ich in die Stadt zu einer Reportage über Slobodan Milošević fuhr, der dort geboren und nach seinem Tod in einer Zelle des Haager Tribunals auch begraben wurde.1) Ehrfürchtiger betrachtete ich die Stadt nach dem Besuch des damals noch recht verfallen wirkenden kleinen Museums. Požarevac ist das historische Passarowitz aus meiner Schulzeit. Der Friede von Passarowitz, geschlossen am 21. Juli 1718 zwischen Karl VI. und Venedig einerseits sowie Sultan Ahmed III. andererseits, führte zur größten Ausdehnung der Herrschaft der Habsburger am Balkan.2) Letztlich war Passarowitz für 20 Jahre Grenzstadt des Reiches.

Wie prägend diese 20 Jahre für die Stadt waren, weiß ich nicht. Die zwischenmenschlichen Kontakte zu Österreich sind jedenfalls eng; sie dokumentiert allein schon die Autobusstation, denn jeden Tag fährt ein Autobus von Požarevac nach Wien. Eine Fahrkarte tour-retour kostet 70 Euro, wobei die Fahrt 12 Stunden dauert. Ein Viertel der Stadtbevölkerung arbeitet als Gastarbeiter im Ausland, und so kam auch jene Putzfrau aus Požarevac nach Wien, in ihre ehemalige Reichs- und Residenzstadt. Doch das Imperium schlägt bekanntlich zurück, und die stetig wachsenden wirtschaftlichen Kontakte haben dazu geführt, dass Firmen aus Österreich am Balkan auch im Putz- und Reinigungsgeschäft tätig sind. Dazu zählt die Firma Securicom aus Niederösterreich,3) die in Mazedonien 1.400 Mitarbeiter beschäftigt, davon mehr als 500 im Reinigungssektor. Angeboten werden simple Stiegenhausreinigungen über spezielle Putztrupps für Krankenhäuser bis hin zu solchen für Industrieanlagen. Der Vorteil dieser und ähnlicher Anbieter sind moderne Technologie und ein Grad an Hygiene, auf die nicht nur internationale Firmen und Organisationen nicht verzichten wollen.

Als Investor liegt Österreich mit 340 Millionen Euro in Mazedonien an vierter Stelle,4) 50 Firmen sind mit Niederlassungen oder Produktionsstättenvertreten oder wie Knauf oder Tondach. Der Dachziegelhersteller aus Kleinstätten in der Steiermark war für mich immer ein Beispiel, wie die Ostöffnung die österreichische Wirtschaft verändert hat. Aus einem kleinen Ziegelwerk mit 250 Mitarbeitern wurde eine Aktiengesellschaft, die in Ost- und Südosteuropa mit 34 Werken vertreten ist und 3.100 Mitarbeiter beschäftigt, davon 300 in Österreich.5) Eine umfassende Geschichte dieser Transformation der österreichischen Wirtschaft ist bisher nicht geschrieben worden, und im Bewusstsein der Bevölkerung ist dieser enorme Wandel der vergangenen 20 Jahre noch viel zu wenig präsent. Trotzdem war und ist die Expansion natürlich mit Risiken und Problemen verbunden, die in besonders gravierenden Fällen auch eine klare politische Rückendeckung durch die österreichische Regierung erforderlich machen. Beispiele dafür finden sich in Mazedonien, Kroatien und anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawien, über die ich immer wieder berichtet habe. Dazu zählen Rechtsunsicherheit, weil beispielsweise das Grundbuch noch immer nicht zuverlässig ist, Korruption, Behördenwillkür und Bürokratie. All diese Erscheinungsformen zeigen, wie wichtig einerseits die rasche EU-Annäherung des Westbalkans, aber auch das Beharren auf der konsequenten Erfüllung von Kriterien ist. Denn ist ein Staat erst einmal Mitglied der EU, sind die Möglichkeiten weit geringer, ihn zu schwierigen Reformen zu veranlassen.

Ein Beispiel für jene Reformen, auf deren Umsetzung vor dem EU-Beitritt hätte beharrt werden müssen, bietet das Justizwesen in Slowenien. 2008 waren 500.000 Gerichtsverfahren anhängig, wobei die lange Verfahrensdauer durch extensive Einspruchsmöglichkeiten und die Belastung der Richter auch mit einfachen Verwaltungsaufgaben den Rückstau kontinuierlich erhöht. All das beeinträchtigt die Durchsetzbarkeit der Einhebung von Außenständen, ein Problem das angesichts der Wirtschaftskrise zunehmend an Bedeutung gewinnt. Trotzdem ist gerade Slowenien das Paradebeispiel für die außergewöhnliche Erfolgsgeschichte der österreichischen Wirtschaft. Die Gesamtsumme der Auslandsinvestitionen beläuft sich auf ca. 9,5 Milliarden Euro; davon stammen aus Österreich 4,3 Milliarden. Damit ist Österreich bei weitem der größte Investor. 700 heimische Firmen sind mit Niederlassungen in Slowenien tätig. Österreich ist der drittwichtigste Warenlieferant und der viertwichtigste Abnehmer slowenischer Waren. 2008 exportierte Österreich Waren im Wert von 2,55 Milliarden Euro, die Importe lagen bei 1,2 Milliarden. Unter den wichtigsten Exportmärkten liegt Slowenien an dreizehnter Stelle. Somit beziehen die zwei Millionen Slowenen etwa gleich viel Waren aus Österreich, wie die 2,4 Milliarden Chinesen und Inder zusammen. Beim Pro-Kopf-Import ist Slowenien mit etwa 1.275 Euro weiter an den Spitze.

Hervorragend ist die österreichische Position auch in Kroatien. Nach Angaben der Nationalbank in Agram betragen die ausländischen Direktinvestitionen seit 1993 mehr als 21 Milliarden Euro, davon entfallen mehr als sechs Milliarden auf Österreich, das auch in Kroatien größter Investor ist. Mehr als 800 Firmen sind vertreten, und die Außenhandelsstelle der Wirtschaftskammer in Agram hatte in den vergangenen zwei Jahren (Stand Juli 2009) mit mehr als 5.600 Firmen aus Österreich Kontakt. Die Zahl der in Kroatien tätigen Firmen aus Österreich schätzt die Außenhandelsstelle auf mehr als 7.000.6) Obwohl in Serbien die Reformen erst mit dem Sturz von Slobodan Milošević im Jahr 2000 einsetzten, haben Firmen aus Österreich in diesem mit etwa acht Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Land des ehemaligen Jugoslawien bis Sommer 2009 knapp zwei Milliarden Euro investiert. 270 Firmen sind bei der Außenhandelsstelle in Belgrad registriert, in den 1990er Jahren waren es 40. Bedeutsam ist Österreich auch als Arbeitgeber mit jeweils mehr als 20.000 Beschäftigten in Serbien und Kroatien.

Das Rennen um Mobi 63

Serbien war für mich persönlich auch der Ort, an dem ich bisher meinen spannendsten Wirtschaftsbericht verfasst habe. Es war dies das Rennen um Mobi 63, den zweitgrößten Mobilfunkanbieter Serbiens, zwischen der Mobilkom Austria und der norwegischen Telenor.

Der Mindestpreis bei der Auktion Ende Juli 2006 für die Mobi 63 lag bei 800 Millionen Euro. Diesen Preis waren drei Bieter bereit zu zahlen: die Mobilkom Austria, die norwegische Telenor und die ägyptische Gesellschaft Orascom. Alle drei hatten versiegelte Angebote abgegeben, wobei das höchste dieser drei Angebote als Ausrufungspreis galt. Als dieser mit einer Milliarde 373 Millionen Euro bekannt gegeben wurde, ging ein Raunen durch den Auktionssaal in einem Belgrader Hotel. Die Ägypter stiegen sofort aus, während Telenor und Mobilkom Austria mitgingen. Gesteigert wurde in Schritten von je 20 Millionen Euro. Schließlich wurde ein Wert von einer Milliarde 513 Millionen Euro erreicht und keine der beiden Interessenten ging noch einen Schritt weiter. Durch diesen Gleichstand entschied das höhere Erstgebot, das die Norweger mit einer Milliarde 373 Millionen Euro gelegt hatten. Das Erstgebot der Mobilkom Austria lag dagegen bei 805 Millionen Euro.

Beim monatelangen Ringen um die Mobi 63 spielte auch der österreichische Unternehmer Martin Schlaff eine entscheidende Rolle. Je höher der Kaufpreis ausfallen würde, desto größer wurde auch sein Verdienst. Schlaff saß während der Auktion im Saal des Belgrader Hotels, in dem die Entscheidung zwischen Norwegen und Österreich fiel. Jedes Mal wenn einer der beiden Firmenvertreter sein Taferl hob und damit den Kaufpreis um 20 Millionen Euro erhöhte, stieg auch Schlaffs Anteil, um einen Betrag, der klar über der Summe lag, die ich bei meinem Arbeitgeber ORF bis zu meiner Pension noch an Gehalt beziehen werden. Das erfüllte mich keineswegs mit Neid, ich war einfach vom gesamten Ablauf fasziniert. Schließlich konnte Martin Schlaff jedenfalls zufrieden sein. Von den 1,5 Milliarden Euro gingen etwa 300 Millionen direkt an den serbischen Staat. Von den restlichen 1,2 Milliarden erhielten Schlaff & Co 30 Prozent, das sind 360 Millionen. Abzüglich der Aufwendungen von etwa 150 Millionen verdienten Schlaff und die anderen österreichischen Investoren somit etwa 200 Millionen Euro – kein schlechtes Geschäft, auch wenn ihr langjähriger Partner, die Mobilkom Austria an diesem Tag in Serbien leer ausging. Im November kaufte die Mobilkom für 320 Millionen und einen Euro die dritte Mobilfunklizenz und stieg auf diese Weise in den serbischen Markt ein.

Die Präsenz österreichischer Firmen im ehemaligen Jugoslawien ist jedoch nicht nur ein wirtschaftlicher Faktor, sondern hat auch eine geistige und politische Dimension. So exportieren heimische Unternehmen natürlich auch ihre Form der Unternehmenskultur, und sind – gemeinsam mit anderen hochentwickelten Firmen – der entscheidende Faktor in der Modernisierung dieser Länder. Was das konkret heißt, erlebte ich vor allem beim Einstieg österreichischer Banken, die die ersten in Serbien und Albanien waren. Allein die Schulung hunderter lokaler Mitarbeiter kann in seiner Bedeutung als Wissenstransfer nicht hoch genug eingeschätzt werden, eine Leistung, die natürlich auch alle anderen Investoren erbringen.

Ausbau der österreichischen Wirtschaftspräsenz

Die Modernisierung und die Schaffung von Arbeitsplätzen sind ein ganz entscheidender Beitrag zur politischen Stabilisierung einer Region, die durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise nun ebenso massiv getroffen ist. 2009 werden möglicherweise mit Ausnahme von Albanien alle anderen Staaten einen klaren Rückgang ihrer Wirtschaftsleistung aufweisen. Ausländische Direktinvestitionen sind stark gesunken, noch nicht abschätzen lassen sich die Folgen für die Fremdenverkehrsstatistik und der Umstand, dass wohl auch die Gastarbeiter weit weniger Geld werden überweisen können. Die soziale Lage ist in der gesamten Region sehr schwierig, trotzdem liegt das langfristige Engagement weiter auch im Interesse der österreichischen Wirtschaft selbst. Ein gutes Beispiel dafür bieten die Präsenz von Verbund und EVN in Albanien, wo beide Unternehmen gemeinsamen ein Laufkraftwerk errichten werden und die EVN binnen zehn Jahren eine Kette aus drei Speicherkraftwerken bauen wird. Derartige Großprojekte sind heute in Europa eher rar, und ihre Umsetzung bedeutet auch für die Unternehmen, abgesehen vom finanziellen Aspekt, einen wichtigen Zuwachs an Wissen und Erfahrung.

Die massive Präsenz der „Balkan-Völker“ in Österreich bedeutet jedenfalls Chance und Herausforderung zugleich. Die Chance liegt in der „Nutzung“ der Gastarbeiterkinder der zweiten und dritten Generation zur Stärkung der Marktposition am Balkan. Wie nahe Österreich dieser Region ist, zeigt der Umstand, dass Belgrad von Wien nur etwa 600 Kilometer entfernt ist, das entspricht in Distanz und Reisedauer auch dem Weg von Wien nach Bregenz. Umgekehrt wird man von Klagenfurt nach Agram nach Fertigstellung der Autobahn durch Slowenien nicht länger mit dem Auto brauchen als nach Wien. Ebenso wenig darf aber die Herausforderung dieser massiven Präsenz übersehen werden. Sie liegt in einer erfolgreichen Integration, damit diese Gruppen entsprechende Bildungschancen auch nutzen können. Hinzu kommt natürlich die Herausforderung durch die organisierte Kriminalität in all ihren Formen (Balkan-Route). Ihre Bekämpfung setzt eine umfassende Polizeikooperation voraus, die durch bilaterale und EU-Programme von österreichischer Seite genauso intensiv gefördert wird wie durch die Präsenz von Verbindungsbeamten des Innenministeriums an den Botschaften in dieser Region.

Entscheidend für den Erfolg all dieser Maßnahmen und auch für einen weiteren Ausbau der österreichischen Wirtschaftspräsenz ist und bleibt die dauerhafte politische Stabilisierung des Westbalkans.7) Angesichts der engen persönlichen und kulturellen Beziehungen, der geografischen Nähe und der Tatsache, dass heimische Firmen – angefangen mit dem Erzeuger von Kräutertees bis zum Produzenten von Schiliften und Sesselbahnen – in dieser Region vertreten sind, muss die Heranführung des Balkans an die EU wohl die Priorität der österreichischen Außenpolitik sein. Dem entspricht der Umstand, dass es keine Region auf der Welt gibt, in der Österreich auch personell eine derartige Rolle gespielt hat und spielt wie am Balkan. Ein Blick auf die Funktionen, die Österreicher inne hatten und haben, zeigt, wie weit diese Rolle über Bevölkerungszahl und politisches Gewicht der Republik hinausreicht. Zu diesen Funktionsträgern zählten und zählen:

 Der Diplomat Stefan Lehne, der als rechte Hand von Javier Solana eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen über die Umwandlung Jugoslawiens in den Staatenbund Serbien und Montenegro spielte.

 Der ehemalige Generalsekretär des Außenministeriums, Albert Rohan. Während der Verhandlungen über den endgültigen Status des Kosovos war er Stellvertreter des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari, der diese UNO-Mission leitete.

 Die Diplomaten Wolfgang Petritsch und Valentin Inzko. Petritsch wurde während seiner Zeit als österreichischer Botschafter in Belgrad (1997 bis 1999) zum EU-Sonderbeauftragten für den Kosovo ernannt. Als solcher war er 1999 EU-Chefverhandler bei den gescheiterten Friedensverhandlungen von Rambouillet. Zwischen 1999 und 2002 war Petritsch Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina und für die zivile Umsetzung des Friedensvertrages von Dayton verantwortlich. Diese Funktion übt seit 2009 Valentin Inzko aus. Wie wichtig diese Aufgaben auch für Österreich sind, zeigt sich daran, dass heimische Firmen mehr als 1,4 Milliarden Euro investiert haben und damit größter Investor in Bosnien sind.

 Der Diplomat Werner Almhofer leitet seit 2008 die OSZE-Mission im Kosovo. Als Geschäftsträger war er lange in Belgrad und darüber hinaus auch als Botschafter in Sarajevo tätig.

 Der ehemalige Vizekanzler Erhard Busek; von 2002 bis 2008 leitete er den EU-Stabilitätspakt für Südosteuropa.

 Hannes Swoboda, Abgeordneter zum Europäischen Parlament, war für das Jahr 2008 Berichterstatter des Parlaments für den Fortschrittsbericht über die EU-Annäherung Kroatiens.

 Altkanzler Franz Vranitzky; er war von März bis Oktober 1997 OSZE-Sonderbeauftragter für Albanien. Bei der Parlamentswahl in Albanien Ende Juni 2009 stellte Österreich mit dem Nationalratsabgeordneten Wolfgang Großruck zum ersten Mal den Leiter einer Mission von internationalen Wahlbeobachtern.

Zu nennen sind im Zusammenhang mit dem Balkan noch zwei Personen, die Kraft ihrer Funktion aber auch durch ihren persönlichen Einsatz in Albanien einen Ruf genießen, der in Österreich weitgehend unbekannt ist. Dies sind die frühere Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer und die Steirerin Marianne Graf, die mit ihrer Partnerschaft Albania – Austria auf der Grundlage von privaten Spenden vielen Menschen vor allem in Nordalbanien seit zehn Jahren hilft. Dabei geht es immer um Hilfe zur Selbsthilfe, und die Gemeinde Rubik ehrte Graf im Juni 2009, indem sie eine Straße nach der Steirerin benannte. Rubik ist eine ehemalige Industriestadt; die Industrie ist zusammengebrochen, die Hälfte der 8.000 Bewohner ist arbeitslos, jeder Vierte arbeitet als Gastarbeiter im Ausland, um die Familien daheim zu ernähren. Die internationale Krise hat auch diese Gastarbeiter getroffen, die nun weniger Geld schicken. 500 Familien erhalten pro Monate eine Sozialhilfe von 20 Euro, während ein Kilogramm Reis etwa 70 Eurocent kostet. In dieser Stadt hat Graf Schulen, Wohnungen für Arme, ein Bildungszentrum für Frauen und Jugendliche gebaut. Ein Hang wurde bepflanzt, um die Stadt vor Muren zu schützen. Das sind nur einige Projekte, die Graf in dieser Stadt, aber auch in anderen Teilen Albaniens auf die Beine gestellt hat.

Was Elisabeth Gehrer betrifft, stellt sich die Frage, wie das Schulwesen in Albanien ohne ihre Hilfe wohl aussehen müsste. 16.000 Schultische, 27.000 Stühle, 500 Tafeln und 125.000 Hefte haben Schulen in Österreich auf ihre Initiative hin gesammelt und nach Albanien gebracht. Ihr verdankt das Land auch einen Bildungsbeauftragten, der nun die Schule in der Stadt Shkodra im Norden leitet, die Österreich gebaut hat. Diese Höhere Technische Schule für Informationstechnologie umfasst neun Schulstufen, wobei der Unterricht in einigen Fächern auch in deutscher Sprache stattfindet. Nordalbanien ist ein österreichischer Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit, die von der Verbesserung der Wasserversorgung über die Steigerung des Wirkungsgrades von Kraftwerken bis hin zur Unterstützung von landwirtschaftlichen Fachschulen reicht.8) Derartige Projekte verwirklicht Österreich auch in allen anderen Staaten des Westbalkans, wobei auf die Zusammenarbeit im universitären Bereich ebenso großer Wert gelegt wird. Dazu zählt ein Projekt im Kosovo, wo Österreich in wesentlichem Ausmaß an der Akkreditierung von privaten Universitäten beteiligt ist. Diese Zusammenarbeit mit dem Westbalkan ist durchaus keine Einbahnstraße, weil Studenten aus diesen Ländern nach ihrer Rückkehr in die Heimat durchaus auch politisch Karriere gemacht haben, und etwa als Unterrichtsminister den Regierungen in Albanien und im Kosovo angehört haben, bzw. angehören. Hinzu kommt, dass in den österreichischen Museen noch umfangreiche Sammlungen aus den ehemaligen Kronländern der Monarchie lagern, die im Zuge einer geplanten Digitalisierung in Zusammenarbeit mit Museen von Agram über Belgrad bis Skopje erfasst werden könnten.

Generell ist festzustellen, dass Österreich bei der geistigen und kulturellen Entwicklung am Balkan eine Rolle gespielt hat, die weit über das hinausgeht, was noch im Bewusstsein Österreichs selbst verankert ist. Das betrifft etwa die Entwicklung des Bildungswesens in Bosnien, gilt aber auch für die Aufenthalte von führenden geistigen Vertretern aus diesen Ländern in Österreich. Ein Paradebeispiel ist Vuk Stefanović Karadžić (1787–1864). Den entscheidenden Abschnitt seines schöpferischen Lebens verbrachte der Vater der modernen serbischen Schriftsprache in Wien, wo er mit der Österreicherin Ana Maria Kraus verheiratet war. Karadžić reinigte die serbische Sprache von vor allem kirchenslawischen Einflüssen, schuf ein neues Alphabet und verfasste eine Grammatik und ein Wörterbuch. Viele seiner Werke publizierte er zuerst in Wien. Seine Zusammenarbeit mit dem Zensor Jernej Kopitar9) war besonders fruchtbringend. Vuk Karadžić starb in Wien, seine Sprache wurde in Serbien erst vier Jahre später zur offiziellen Schriftsprache Serbiens. 1897 wurden seine sterblichen Überreste nach Belgrad überführt. Seine letzte Ruhestätte fand er schließlich beim Eingang einer Kirche, gegenüber dem serbischen Patriarchat. Von der österreichischen Botschaft liegt diese Kirche nur hundert Meter entfernt, sodass die historische Nähe gewahrt blieb.

Nach dem Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo war oft vom Balkan als dem österreichischen Schicksalsraum die Rede. Ich bin kein Anhänger des philosophischen Determinismus, obwohl sich für mich persönlich der Balkan durchaus als schicksalhaft erwiesen hat. Faktum ist, dass wir mit diesen Völkern jahrhundertelang zum Teil sogar in einem gemeinsamen Staat gelebt haben. Daraus resultieren kulturelle Nähe, große wirtschaftliche Chancen aber auch politische und soziale Herausforderungen. Gegen die Geografie lässt sich nicht Politik machen, daher bleibt Ost- und Südosteuropa für Österreich der Schlüsselraum. Mit diesem Raum und seinen Völkern verbindet uns eine gemeinsame Geschichte, die auch viele Wunden geschlagen hat – auf beiden Seiten. Wir dürfen uns nicht zu Geiseln dieser Geschichte machen, eine Lehre, die gerade diese Völker vielfach erst noch ziehen müssen. Doch wir müssen die Geschichte, die Kultur und die Mentalität der Völker verstehen, nicht zuletzt um unsere Chancen zu nutzen und um gemeinsam die Zukunft in einem friedlichen Europa zu meistern. Nach zehn Jahren am Balkan kann ich daher nur sagen, dass uns noch eine große intellektuelle Aufgabe bevorsteht.

Im Kreuzfeuer

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