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In der Schusslinie

Tag 5: Donnerstag, 9. Mai 2019, 30 km (129 km)

Ich bediene mich herzhaft am Frühstücksbuffet. Es hat aufgehört zu regen und ich bin um 7: 30 Uhr wieder auf der Piste. Die ersten 17 km bis Stühlingen gibt es beinahe umsonst. Der durchgehend asphaltierte Weg führt wunderbar der Wutach entlang. Ich komme mit einem älteren Ehepaar ins Gespräch, das für einige Minuten in dieselbe Richtung spaziert. Ausführlich muss ich ihnen über mein Vorhaben berichten. Als sich unsere Wege trennen, meint die Dame: «Jeden Donnerstag besuche ich mit einer Frauengruppe die Kirche, um für eine Stunde gemeinsam zu Beten. Ich werde also speziell für Sie und Ihre Reise zum Herrgott beten, damit alles klappt und Sie gesund nach Hause kommen.» Ich bin gerührt und ziemlich sprachlos und bedanke mich bei ihr.

Dem Wetter kann ich heute noch nicht trauen. Immer wieder fällt aus den grauen Wolken Regen und zwingt mich, den Schirm aufzuspannen. Wenn ich den Körper ganz nahe an mein Wägelchen presse und es mit angewinkelten Armen vorwärtsbewege, komme ich sogar ohne Regenschutz aus. So kann ich auf die ungeliebten Klamotten verzichten. In Grimmelshofen geht es das erste Mal richtig steil aufwärts. Das schmale Strässchen führt am letzten Haus des Dorfs vorbei und nach 200 Metern geht der Asphalt in einen wüsten Schotterweg über. Das kann doch nicht wahr sein! Ich lasse Molly stehen, kehre zum letzten Wohnhaus zurück und klingle an der Tür. Über die Gegensprechanlage meldet sich eine freundliche Stimme. «Guten Tag, ist das wirklich der Fahrradweg Richtung Fützen?» Die blecherne Stimme antwortet: «Ja, da sind Sie richtig, die Schotterpiste geht aber nach 200 Metern wieder in einen guten Weg über. Sie können aber auch ins Dorf, um die Kirche herum und auf diese Weise kommen Sie bequem und auf ausschliesslich geteerter Strasse nach Fützen.» Ich bedanke mich für die Auskunft. Nochmals ins Dorf hinunter – nicht mit mir! So schiebe ich Molly mit aller Kraft über die Buckelpiste. Wie versprochen, verwandelt sich der holprige Pfad schon nach der nächsten Kurve in eine gut befahrbare Strasse. Nun geht es stetig bergwärts. Allmählich kann ich eine sagenhafte Weitsicht geniessen. Mein Blick schweift über ein ausgedehntes Getreidefeld, dessen Ähren sich heftig im Wind neigen und biegen. Als gelber Farbkontrast leuchten mir auch herrlich duftende Rapsfelder entgegen. In der Ferne schmiegen sich hübsche Dörfer zwischen die grünen und gelben Flächen. Schwitzend und keuchend erreiche ich die Anhöhe. Hier steht das obligate Jesuskreuz und daneben lädt eine rustikale Sitzbank zum Verweilen ein. Der Kopf von Jesus ist leicht auf meine Seite geneigt und ich fühle mich ein wenig unter Beobachtung. Nach zehn Minuten ist Schluss mit Aussicht geniessen. Eine weitere stürmische Regenfront stürzt auf mich herein. Mit offenem Regenschirm kauere ich mich hinter Molly auf den Boden, mache mich möglichst klein und lasse die Sintflut über mich ergehen. Schon nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei und die Sonne scheint mir wieder ins Gesicht. Im leichten Laufschritt geht es ruckzuck nach Fützen. Verschenkte Höhenmeter, denke ich nur. Ich schaute mir das Höhenprofil für heute genau an und deshalb weiss ich, dass mich einige heftige Steigungen erwarten. Ein kurzes Stück führt der Weg relativ flach den Schienen der berühmten «Sauschwänzlebahn» entlang. Ohne Ankündigung biegt der Fahrradweg plötzlich in die Hauptstrasse ein. Ja Scheisse, muss das wirklich sein und das erst noch im dichten Feierabendverkehr. Und es wird steil, sehr steil. Ein Schild verspricht bis zu 15 Steigungsprozente! Ich muss höllisch auf den Verkehr aufpassen. Die Leuchtweste und auch der Regenschirm, den ich zur besseren Sichtbarkeit hisse, bewähren sich. Ich laufe, respektive krieche natürlich auf der linken Seite der Strasse: «Links gehen – Gefahr sehen», das lernte und verinnerlichte ich mir als Dreikäsehoch. Ich kann aber beruhigt feststellen, dass die Autofahrer grosse Rücksicht nehmen und ich möchte ihnen an dieser Stelle ein Kränzchen winden. Nach einer halben Stunde und 100 Höhenmetern habe ich die Nase voll. Ich biege in einen Feldweg ab, der am Waldrand entlangführt. Hier muss ich einen geeigneten Platz finden! Und es passt tatsächlich. Ich stelle gerade meine Behausung auf, als ein Allradfahrzeug in den Weg einbiegt. Es ist der Wagen des Wildhüters. Er kurbelt die Scheibe herunter und grüsst mich durchs Dickicht. Ich begebe mich neben sein Auto und erwidere den Gruss. «Ich habe grundsätzlich nichts dagegen, wenn Sie in unserem Wald campieren, solange Sie den Platz sauber hinterlassen. Wir haben aber die Jagd erst vor wenigen Tagen eröffnet und Ihr Zelt steht jetzt sozusagen im Kugelfang eines Hochsitzes – das ist sehr gefährlich!» Er zeigt mir den Ansitz, von wo die Jäger vor allem Wildschweine ins Visier nehmen. Ich schlucke drei Mal leer und schaue den netten Jäger fragend und ein wenig verzweifelt an. Der Mann mit dem grünen Hut schmunzelt und erlaubt mir, mein Zelt stehen zu lassen. Auf dem Rücksitz des Autos wedelt der Jagdhund wie zur Bestätigung freudig mit seinem Schwanz. Der Wildhüter zückt kurzerhand sein Smartphone und über die WhatsApp-Gruppe der Jäger sperrt er für diese Nacht den besagten Hochsitz. «Befestigen Sie aber zur Sicherheit Ihre Leuchtweste am Baum vor Ihrem Camp», rät er mir, was ich natürlich postwendend mache!

Wanderfieber

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