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20 Steigungsprozente

Tag 10: Dienstag, 14. Mai 2019, 33 km (272 km)

Um 7 Uhr streichen wir gemeinsam unsere Stullen. Ich bevorzuge Butter und Honig, Reinhard belegt seine Scheiben grosszügig mit Wurst und Käse. Eine halbe Stunde später schaut seine Frau Doris herein. In ihrem Schlepptau befindet sich Sohn David, der in eine Behindertenwerkstatt zur Arbeit geht. Glücklicherweise muss auch Doris ihrem Job nachgehen, denn das Klima zwischen den Eheleuten ist, schlicht gesagt, ein wenig unterkühlt. Reinhard lässt sich nichts anmerken und kurz darauf beendigen wir unser Morgenmahl. Ich packe meine Siebensachen zusammen. Aus dem Nichts kommt Reinhard mit der Idee, wir könnten doch morgen auf der Donau eine gemeinsame, eintägige Kajaktour starten. Ja, das wäre schon was, aber ich bin im Moment vom Wanderfieber gepackt und möchte weitermarschieren. Er ist sichtlich enttäuscht. Ich fülle die Wasserflaschen auf und schon bin ich abfahrbereit. Zum Abschied knipst mein sympathischer Gastgeber einige Fotos von Mrs. Molly und mir. Er will dem lokalen Zeitungsblatt einen bebilderten Artikel über uns liefern.

Wie gestern zeigt sich auch heute das Wetter von seiner besten Seite. Kühl ist es noch immer und unten auf der Ebene bläst mir ein sehr unangenehmer Wind ins Gesicht. Der Weg führt durch riesige landwirtschaftliche Flächen. Raps, Weizen und Wiesen wechseln sich ab. Ein prächtiger Feldhase sitzt auf der Fahrbahn, der beim Näherkommen mit weiten Sprüngen panikartig das Weite sucht.

Um die Mittagszeit trudle ich in Riedlingen ein. Die Besiedelung der Stadt geht auf einen Besitz von Ludwig des Frommen aus dem Jahr 835 zurück. Riedlingen ist eine der wenigen Orte der Region, die früher trotz ihrer geografisch günstigen Lage von Plünderungen und Kriegswirren weitgehend verschont geblieben ist. Aus diesem Grund treffe ich auf eine sehr gepflegte und intakte Altstadt. Viele aufwändig restaurierte Fachwerkhäuser säumen die Gassen. Hier treffe ich auch die Gruppe Französinnen, die gemeinsam mit dem Fahrrad auf einer Tour sind. Sie überholten mich vor der Stadt und grüssten mich lauthals mit einem fröhlichen «bonjour». Dieses Jahr seien sie schon zum 16. Mal auf einer einwöchigen Radeltour. Nur für Mädchen sei diese Woche, erzählt die charmante Anführerin mit ihrem französischen Akzent. Die Ehemänner müssten zuhause selbstständig zurechtkommen, was mittlerweile ganz gut klappe. «Mädchen», denke ich schmunzelnd – die meisten der Gruppenmitglieder sind nach meiner vorsichtigen Einschätzung schon längst im Pensionsalter. Für das obligate Gruppenfoto posieren Molly und ich sehr gerne.

Heute verläuft der grösste Teil der Route flach und asphaltiert. Auf den Wiesen suchen sich eine Handvoll Störche und Fischreiher ihr Futter. Ein Bussarden-Paar schwebt durch die Luft und hält nach Beute Ausschau. Unzählige Schwalben schwirren über das Wasser der Donau, um sich mit Insekten den Bauch vollzuschlagen.

In Zwiefaltendorf fliesst der Fluss Zwiefalter Ach in die Donau. Hier gäbe es eine lokale Bierbrauerei, die aber leider geschlossen ist. Gleich um die Ecke geht es nach Datthausen. Dieses Dorf ist etwas höhergelegen. Das Schild am Anfang der Steigung lässt das Blut in meinen Adern gefrieren: 20 Steigungsprozente werden da, ohne Vorwarnung, angekündigt! Das ist jetzt wirklich steil. Es sind zwar nur 100 Meter oder so, aber ich muss viermal stehenbleiben um durchschnaufen zu können. Zum Anhalten stelle ich Molly quer zur Fahrtrichtung in die Strasse, damit sie sich nicht selbstständig macht. Eine Bremse könnte ich jetzt sehr gut gebrauchen. Das anschliessende Anfahren ist enorm mühsam. Mit vorgebeugtem Körper und ausgestreckten Armen muss ich vollen Schub geben und mit ganzer Kraft drücken, damit ich in Schwung komme. Viel steiler darf es nicht mehr werden! Drei Kilometer hinter Datthausen finde ich einen makellosen Platz im Wald. Aus Erfahrung lernt man und deshalb habe ich mich seriös vergewissert, damit ich nicht wieder in der Nähe eines Jägerhochsitzes, respektive in dessen Kugelfang, übernachte.



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