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Hugo

Tag 6: Freitag, 10. Mai 2019, 27 km (156 km)

Glücklicherweise störten keine Gewehrschüsse meine Nachtruhe. Völlig entspannt stehe ich im Halbdunkeln auf. Ich trödle ein wenig herum, weil ich weiss, was mir blühen wird.

Vor der Glotze verfolge ich manchmal das Radrennen «Tour de France», vor allem die Bergetappen. Absolut eindrücklich, wie die Radler über die Alpen und Pyrenäen kraxeln, ob mit oder ohne Doping. Meine persönliche «Alpe d'Huez» erwartet mich nach dem Einbiegen in die Hauptstrasse und das garantiert ohne verbotene Substanzen, falls die Extraportion Porridge nicht in diese Kategorie fällt. So früh am Morgen von null auf hundert zu beschleunigen, ist einfach unmenschlich. Im Schneckentempo keuche ich die steilen Rampen hinauf. Der Verkehr ist auch heute kein Problem. Die Steigungen sind in einer knappen Stunde erledigt und auf der Abfahrt nach Blumberg kann ich mich erholen. Eigentlich wollte ich von hier direkt nach Immendingen an die Donau, aber leider gibt es auf dieser Strecke keinen Fahrradweg. Die Hauptstrasse ist wirklich stark befahren und auch der Schwerverkehr nimmt offensichtlich diese Route. Deshalb marschiere ich zuerst mal weiter Richtung Donaueschingen, was einem Umweg von 15 km entspricht. Aber was sind das schon für mickrige Zusatzkilometer im Vergleich zur restlichen Strecke. Sicherheit geht vor!

Ausserhalb des Dörfchens Behla treffe ich einen alten Mann. Mitten in der Prärie steht wieder eines dieser zahllosen Kreuze am Strassenrand. Der besagte Herr mäht mit seiner altersschwachen Maschine die etwa 20 Quadratmeter Rasen rund um das Jesuskreuz. Als ich auf seiner Höhe anhalte, schaltet er den Motor aus und begrüsst mich. Er habe mich schon von weitem gesehen und habe sich gewundert, was dieser Typ mit seinem Einkaufswagen in dieser Gegend zu suchen habe. Der rüstige Rentner stellt sich als Hugo Meister aus Behla vor. Wir schütteln uns die Hände. Zuerst muss ich ihm meine Geschichte erzählen. Das dauert vielleicht drei Minuten. Dann ist Hugo dran! «Wissen Sie, meine Frau betreut eigentlich die Kreuze in unserer Gemeinde, aber jetzt hat sie mich beauftragt mit dem Mäher eine Runde zu drehen. Am Wochenende steigt im Nachbardorf ein traditionelles Scheunenfest und da fahren viele Leute hier entlang und deshalb muss alles picobello sein! Ja, und meiner lieben Frau sollte ich natürlich diesen Wunsch nicht ausschlagen», murmelt er schelmisch. Er erzählt mir, dass er sein Leben lang für die Post arbeitete, aber wegen des kärglichen Lohns musste er was nebenher verdienen. Seit 1965 betätige er sich deshalb als Taxifahrer und an den Wochenenden chauffiere er immer die Nachtschwärmer nach Hause. Er sei 1997 pensioniert worden und besitze neben seinem eigenen Haus noch eine Ferienwohnung, die er vermiete. Ah ja, auf einem Bauernhof mit drei Brüdern sei er aufgewachsen, die seien aber alle schon tot. Wenn Hugo 1997 ins Pensionsalter kam, muss er jetzt um die 85 Jahre alt sein, was ich ihm aber nicht ansehe. Es tut mir leid, seinen Redefluss zu unterbrechen. Mit einem Augenzwinkern bringe ich ihm bei, dass ich nicht im Winter in Russland ankommen möchte und deswegen sollte ich mich schleunigst auf die Socken machen. Wir schütteln uns ein weiteres Mal die Hände. Hugo bugsiert seinen Rasenmäher in die Heckschaufel seines Traktors. Gewissenhaft fährt er zum nächsten Kreuz, um den Auftrag seiner Frau zu ihrer Zufriedenheit zu erledigen.

In Sumpfohren bemerke ich tatsächlich das eine oder andere Schild, das für das morgige Scheunenfest wirbt. Ziemlich flach verläuft die Route nach Neudingen. In dieser Ortschaft treffe ich auf die Donau, die sich hier als bescheidenes Flüsschen präsentiert. Auf den saftigen Wiesen tummeln sich zahlreiche Störche. Auf der Futtersuche stolzieren sie mit ihren langen Beinen graziös durchs Gras.

Unerwarteterweise schaffe ich es bis nach Immendingen. Ein bisschen ausserhalb des Dorfs befindet sich eine kleine Touristenattraktion, nämlich die Donauversickerung. Der Fluss verschwindet genau an dieser Stelle bei Niedrigwasser urplötzlich im Untergrund, um einige Kilometer später wiederaufzutauchen. Ein hübsches Restaurant bietet hier alles, was das Herz begehrt. Überraschenderweise darf ich auf der grünen Wiese für fünf Euro mein Zelt aufstellen. Ich bin der einzige Gast und es herrscht aus diesem Grund kein Andrang unter der Dusche.

Wanderfieber

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