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Kapitel 6

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Die Wangen des Jungen sind tiefrot, der Stolz springt ihm aus jeder Pore.

Lydia kennt nun seinen Geruch nach Schmutz und Knabenschweiß. Er hat keine Ruhe gegeben, bis er den Traktor von ihrem Schoß aus über den Hof in den Flachdachschuppen gleich neben der Scheune lenken durfte.

Das war eindeutig zu viel Nähe. Ein fremdes Kind, so eng an ihren Körper gedrückt, so etwas braucht sie nicht. Doch nun ist sie dem Jungen entgegengekommen, dafür wird auch er ihr bei einigen Dingen behilflich sein.

Wie viel Zeit seit ihrer Rückkehr vergangen ist, kann sie nur schätzen – es dürften noch keine zwanzig Minuten vergangen sein. Dieser Bengel ist gut zu Fuß, er hat den Weg zu ihr hinauf mit seinen kurzen Beinen erstaunlich schnell zurückgelegt.

Im Traktorschuppen wendet er sich erst von dem alten Lanz ab, nachdem er ihn mehrmals umrundet und genau begutachtet hat.

„Was ist hinter der Gardine?“, will er jetzt wissen.

Lydia seufzt. Sie hat sich den Übergang von den Interessen des Kindes hin zu ihren eigenen zügiger vorgestellt. Ihr Blick folgt dem kurzen, pummeligen Zeigefinger. Die Gardine, auf die er zeigt, ist der Sackvorhang zum Geräteschuppen. Nun, warum nicht? Sie selbst hat diesen abgetrennten Bereich des Schuppens seit Gustavs Tod nur noch selten betreten. Zu viele Erinnerungen an bessere Zeiten. In Begleitung dieses wissbegierigen Jungen aber könnte es ihr leichter fallen, den Kontakt zur Vergangenheit wieder aufzunehmen.

„Dahinter bewahre ich die alten landwirtschaftlichen Arbeitsgeräte auf“, antwortet sie beinahe höflich. Für den Jungen mag das wie eine Einladung geklungen haben. Er schiebt die zwei staubigen Säcke auseinander und ist dahinter verschwunden, noch bevor Lydia es ihm erlauben kann.

„Ich seh nicht viel. Machst du das Licht an?“, vernimmt sie die leicht heisere, tiefe Kinderstimme von der anderen Seite.

Wie selbstverständlich doch heute der Knopfdruck für die Jugend ist, denkt sie ein wenig schadenfroh. „Es gibt kein Licht. Wenn du mehr sehen willst, musst du das Stroh aus dem Loch in der Wand herausholen.“

Das hatte sie schon lange vor, warum nicht auch hier die kindliche Neugier nutzen?Sie verlässt den Schuppen, um zufrieden festzustellen, wie nach und nach das zugestopfte Fenster von innen her freigezupft wird. Selbst ihr Hund, der dem Jungen bisweilen an den Fersen geklebt hat, meidet den staubigen Schuppen und liegt stattdessen lieber draußen auf dem Pflaster. Sobald sich die Geräteecke mit Sauerstoff gefüllt hat, wird sie mit Wotan nachkommen und alle leidlichen Fragen beantworten. Vielleicht wird ihr eine Unterhaltung mit einem so unbedarften Gesprächspartner sogar guttun.

„Du kannst reinkommen, ich bin fertig!“, ruft der Junge. Es ist die günstigste Tageszeit für die Lichtverhältnisse in diesem Teil des Schuppens. Durch das Loch in der Außenwand fließt ein breiter Sonnenstrahl ins Innere, genau auf die lange Wand mit dem Haltegestell und den unzähligen Aufhängern. Schon Gustavs Vater hatte es als junger Bauer dort angebracht, um die Geräte für den landwirtschaftlichen Bedarf übersichtlich aufzubewahren.

In der linken Ecke hängt das Milchgeschirr, verbeulte Eimer, die sie als junge Frau so gern auf Hochglanz brachte, damit sie gefüllt und auf der zweirädrigen Karre, angehängt an Gustavs Moped, ins Dorf hinunter gebracht werden konnten.

„Ist das ein Schirmständer?“, unterbricht der Junge ihre Gedanken.

„Nein, ein Käsefass. Darin wurde Quark geknetet. Und das hier ist eine Käsepresse.“

Es geht ganz schnell, stellt Lydia erstaunt fest, die Bilder der Erinnerung formen sich hier drinnen wie von selbst. Sie sieht ihre Schwiegermutter mit blaugestreifter Schürze stampfen und kneten, die Haare unter einem streng geknoteten Kopftuch verborgen, auf der Stirn feine Schweißperlen, die in die milchige Masse tropfen …

„Und das Ding da? Es hat nur ein Rad, fehlt da eins?“

„Nein, das ist eine handgesteuerte Sähmaschine. Schau, so wurde sie gehalten.“ Der schmale gerundete Griff fühlt sich in Lydias Hand wie Spielzeug an. Es muss Jahrzehnte her sein, dass sie dieses Teil geführt hat.

„Ist das hier ein Dosenöffner?“

„Gib mal her. Das ist eine Tätowierzange für Schweineohren. Und mit dieser kleinen Säge hat der Bauer den Kühen die Hörner gestutzt.“

Der Junge nagt aufgeregt an seinem Daumennagel und tritt von einem Fuß auf den anderen. „Darf ich das alles mal anfassen? Ich will nämlich auch Bauer werden.“

Er schaut Lydia mit hochgezogenen Brauen und gekräuselter Stirn an, als würde er sich bereits auf die verneinde Antwort einstellen. Doch Lydia nickt. Was soll er schon kaputt machen? Indes hat sie die Gelegenheit, sich ungestört auf die Bilder einzulassen, die in ihren Gedanken aufziehen wie Filme aus vergangenen Zeiten.

Der gelbschwarze Schlauch in der rechten Ecke, immer noch ordentlich um die Führung geschlungen, sie wird ihn ausrollen und zum Auffüllen des fahrbaren Wassertanks für die Kühe benutzen. Warum ist sie darauf nicht früher gekommen? Jeden Tag unzählige Male hin und her laufen mit gefüllten Eimern – ihr Verstand scheint immer noch nicht richtig mitzuarbeiten.

Ihr kommt ihr erster Morgen als frischgebackene Ehefrau in den Sinn – mit solch einem Schlauch hatten sie und Gustav die Hinterteile der Kühe abgespritzt. Ihr Mann hatte ihr zugezwinkert, als er mit Schalk in der Stimme verkündete: „Und jetzt schminken wir sie!“, und er rieb die Euter mit farbiger Vaseline ein. „So zeugen sie für beste Gesundheit“, hatte er erklärt und mit ernster Miene hinzugefügt: „Nur an euch Frauen mag ich keine Schminke, im Gegensatz zu Kühen seht ihr damit krank aus. Scharlachlippen, Fieberbäckchen und Prügelaugen.“ So lange Lydia zurückdenken kann, hat sie nie einen Lippenstift aufgetragen oder sich Wangen und Augen angemalt.

„Nie! Dir zuliebe. Und was machst du? Bringst dich mit deinem Leichtsinn selbst ins Grab!“

Der Junge gleich neben ihr lässt erschrocken die Rübenzange fallen, die er gerade untersucht hat.

„Du bist nicht gemeint“, gibt Lydia kühl zu verstehen. Sie weiß, wie hölzern sie mit diesem fremden Kind umgeht, und sie weiß ebenso, dass sie es nicht besser kann. Er ist einer von denen da unten, und die sind allesamt nicht auf ihrer Seite, sonst hätte sich längst jemand bei ihr blicken lassen und sie um Verzeihung gebeten.

„Wen hast du denn dann gemeint? Hier ist doch keiner“, hakt der Junge nach.

„Ich meine den, der das Ding dort aufgehängt hat.“ Ihre Augen schweifen hinüber zum Joch an der Wand neben dem Fensterloch, bleiben haften an den Ausstülpungen und den schweren Ketten und glaubt, dieses Joch auf den eigenen Schultern zu spüren.

Dem Jungen ist anzusehen, dass er mit ihrer Bemerkung nichts anfangen kann, doch mit solchen Situationen geht er auf seine Weise um. „Wie nennt man das Ding?“

„Joch.“

„Ja, gut, dann halt Joch. Und das hier?“ Er scheint einen Hauch von Feingespür zu besitzen, denn er handelt dieses Thema damit ab und nimmt den langen Jaucheschöpfer ins Visier. Doch für Lydia ist das Maß an Erinnerungen gefüllt bis zum Rand der Erträglichkeit. „Die Museumsstunde ist beendet. Machen wir, dass wir aus dem stickigen Schuppen rauskommen. Ich koche Kakao für uns.“

Wie fremd solch ein Satz in ihren Ohren klingt … Wann hat sie das letzte Mal für jemanden Kakao gekocht? Sie fegt diese Überlegung beiseite, das Kind hat gesehen, was es wollte, jetzt ist sie an der Reihe! Sie sollte es auch nicht mehr lange hinauszögern, der Junge muss schleunigst ins Tal zurück.

Als sie nebeneinander den Hof überqueren, stellt sie fest, dass das Kind ihr bis zum Kinn reicht. „Wie alt bist du?“, fragt sie ohne ehrliches Interesse.

„Zehn.“

Wie groß ist man mit zehn?, fragt sich Lydia. Ist er groß für sein Alter? Sie selbst war immer eine relativ große Person im Vergleich zu anderen Frauen; sie muss aber auch bedenken, dass sie in den letzten Jahren kleiner geworden ist. Ihre Rückenwirbel scheinen ein wenig eingefallen zu sein, der immer wiederkehrende Schmerz im Rückgrat könnte der Beweis dafür sein.

„Wie heißt du eigentlich?“ Eigentlich ist das richtige Wort, denn eigentlich will sie seinen Namen gar nicht wissen – im Hinblick auf die gesamte Talbevölkerung will sie den Jungen überhaupt nicht anzureden wissen. Zudem wird es keine Gelegenheiten mehr geben, Namen in den Mund zu nehmen. Es genügt, dass so manch einer nicht mehr aus dem Kopf zu kriegen ist, den sie zu gerne löschen würde.

„Olav mit Vogel-F“, sagt der Junge, und sie ist erleichtert, dass er nur seinen Vornamen genannt hat und sie ihn somit nicht zuzuordnen weiß, denn das könnte sich negativ auf einen unbeschwerten Umgang auswirken.

„Ah ja, mit Vogel-F“, wiederholt Lydia bedächtig. Immerhin, er scheint schreiben zu können. Natürlich kann er das, wahrscheinlich besser als sie, denn was hat sie in letzter Zeit schon anderes zu Papier gebracht als Einkaufslisten …

„Wo ist dein Bauer?“

Lydia schluckt. „Der Bauer ist ...“ Was geht das dieses Kind an? Der heutige kurze Kontakt braucht keine persönliche Ebene zu erlangen. Ihr Gegenüber ist ein dummer kleiner Junge. Er wird seinen Kakao bekommen und ihr in einem unumgänglichen Moment an der Seite sein.

„Setz dich dort auf die Eckbank“, weist sie ihn in der Küche an.

Der Junge gehorcht und schaut sich von seinem Sitzplatz aus in der Küche um.

„Ach, noch was, Olav, kriech doch mal unter den Tisch, mir ist da heute ein Brief runtergefallen.“

Auch hierauf reagiert der Junge ohne zu zögern. Mit kindhafter Gelenkigkeit taucht er ab. Sein aufragendes Hinterteil ist schmutzig, das Muster des Hosenbodens verblichen. Kurze Hosen sind zu dünn für diese abgekühlten Temperaturen nach dem Unwetter, denkt Lydia und ärgert sich gleichzeitig über den Anflug der gedanklichen Fürsorge.

Auch der Hund befindet sich mittlerweile mit der Schnauze unter dem Tisch. Dieses Suchmanöver wird er wie immer mit Futter verknüpfen.

„Hier ist aber kein Brief“, vernimmt Lydia die vom Unterbau der Eckbank gedämpfte Knabenstimme.

„Sieh richtig nach, er muss da unten liegen.“

Der Hosenboden verschwindet zur Seite und der Kopf des Jungen taucht auf, übersät mit Spinnwebfäden und Staubflocken. Lydia verkneift es sich aufzulachen – der Anblick entschädigt sie für einen Moment von der Häme und Ignoranz der Talbewohner: Einer von ihnen trägt den Fußboden-Schmutz der Brausehofküche in den Haaren …

„Nur das hier hab ich gefunden“, keucht der Junge, als er sich zwischen Tisch- und Stuhlbeinen wieder emporhangelt.

„Nur das hier“, wiederholt Lydia langsam und im Flüsterton. Sie spürt, wie die Wärme ihres Blutes aus dem Kopf nach unten abfällt, immer mehr, bis in ihre Fußspitzen. Sie nimmt dem Kind die verstaubte Armbanduhr aus der Hand. Ihr Mann hatte sie schon lange vermisst, sie hatten gemeinsam den ganzen Hof danach abgesucht.

Lydias Daumen fährt über das staubige Glas – der Sprung muss entstanden sein, als die Uhr unbemerkt vom Tisch fiel. Zu jedem Abendessen hatte sie neben Gustavs Teller gelegen und er hatte sich mit der anderen Hand die von der Arbeit feuchte Stelle am Handgelenk unter dem Lederband gerieben, zufrieden von einem erneut vollendeten Tagwerk.

„Wieso weinst du?“

Lydia wischt sich hastig über die Augen. „Ich habe eine Stauballergie. Deshalb sollst ja du unter dem Tisch suchen. - Und? Wo ist jetzt mein Brief? Such nochmal genauer. Wenn du ihn findest, bekommst du ein Bonbon.“

Bonbons sind immer gut, hoffentlich hat sie welche. Sie geht hinüber zum Schrank, kramt in Dosen und Schubladen und entdeckt Gustavs Eukalyptusbonbons, die ihr seitdem nie mehr begegnet sind. Sie sind alt und weich, das Papier wird an der Zuckermasse festkleben. Sie hat ihren Mann gern kauen sehen. Bonbons zu lutschen kam für ihn nicht infrage, er hatte sie immer gleich zerbissen, mit denselben Geräuschen wie früher die Pferde, wenn sie den mit Eukalyptus getränkten Würfelzucker zermalmten. Gustav hielt ätherische Öle auch für diese Tiere für wertvoll und sah sich darin bestätigt, weil niemals eines von ihnen bronchiale Probleme zeigte.

„Hier ist ein Papierknäuel, aber kein Brief.“ Der Junge streckt ihr seinen Fund entgegen. Natürlich ist das deformierte Bündel der gesuchte Brief. „Wo hast du das gefunden?“

„In der anderen Ecke, unterm Fenster.“ Sie muss mit erstaunlicher Kraft bei der Sache gewesen sein, dass der Umschlag so weit fliegen konnte, mit Entschlossenheit und Ablehnung. Nun aber sitzt hier ein Talbewohner, dem sie bei Bedarf eine schriftliche Antwort gleich mit hinunter an den Absender geben könnte. Ja, für den Fall hätte auch sie ihren persönlichen Boten.

„Setz dich wieder hin, ich mache uns jetzt den Kakao.“

Aus der rechten Schrankschublade holt sie ein kleines hölzernes Kistchen mit einem Schiebedeckel. Sie öffnet es und schüttet den Inhalt vor dem Jungen auf den Tisch.

„Gib dir ein bisschen Mühe, du legst die Dominosteine immer so, dass dieselben Augenzahlpunkte sich berühren. Wenn du das richtig anstellst, gelangst du bis zum anderen Tischende.“

Ganz kurz hält sie inne und genießt das lang vergessene klappernde Geräusch der Spielsteine. Während sie Milch erhitzt, betrachtet sie den kleinen Briefumschlag neben dem Kochfeld, der sich mittlerweile zur Form einer Wiege entrollt hat.

Vielleicht könnte der Junge ihn ihr vorlesen? Er wird Wort für Wort abstottern, wird noch nicht so lesefest sein, dass er vorliest und gleichzeitig erfasst, was man ihr zur Last legt – wenn es sich denn um Vorwürfe handelt … Vielleicht ist das Ganze aber wirklich einfach ein Scherz, wie sie gleich zu Beginn angenommen hatte. In dem Fall würde sie vor Erleichterung eine Runde Domino mit diesem Knilch spielen. Ja, den Teil ihres stillen Handels würde sie einlösen, sollte der Brief ihr nicht persönlich zusetzen.

„Hier, dein Kakao. Und da, ein Messer. Öffnest du mal den Umschlag für mich? Ich muss erst meine Brille suchen.“ Ohne großartig nachzudenken, hat sie ihr Problem weitergereicht. Wie gut das tut: Sie kann es fürs Erste mit jemandem teilen.

Der Junge stellt sich ungeschickt an, erwischt mit der Messerschneide nicht die Kante und zerreißt ein Stück des Umschlags. Lydia nestelt ihre Brille aus der Seitentasche ihres Rockes, den sie seit ihrer Talfahrt immer noch trägt.

„Du musst ja gar nicht deine Brille suchen“, stellt der Junge mit frech entlarvendem Tonfall fest. Er ist zu gewitzt, es ist ein Wagnis, ihm so unbedacht diesen Brief zu überlassen. „Gib mal her.“ Sie wartet nicht ab, bis er ihr den Umschlag reicht. Sie beugt sich über den Tisch und zieht ihn hektisch aus seinen Händen.

„Ich wollte nur mal sehen, ob du Briefe schon richtig öffnen kannst. Anscheinend hast du das noch nicht gelernt. Ich zeige dir gleich, wie man das macht.“

Der Junge zuckt mit den Schultern und widmet sich seinem Spiel. Lydia nimmt ihm gegenüber Platz. Mit zitternden Fingern schiebt sie die Oberseite des Briefes auseinander. Wie sie gedacht hat: viele klein gefaltete Seiten …

Moment, diese Farben! Sie steht auf und geht zum Fenster. Das kann nicht sein!

Ihr Herz hämmert bis hinauf zu ihrem Kehlkopf. Noch einmal wirft sie einen Blick hinein, betastet mit spitzen Fingern das innen liegende Papier …

„Du musst gehen! Sofort. Man wartet daheim mit dem Mittagessen auf dich!“, befiehlt sie in einem Tonfall, der dem Mund des Jungen ein stummes, kreisrundes Staunen entlockt. Dann springt er auf: „Ich dachte, du wolltest mir zeigen, wie man Umschläge öffnet!“

„Ich hab aber keine Umschläge, muss erst welche besorgen. Jetzt ab mit dir, lauf heim! Die Bonbons kannst du alle mitnehmen.“

„Aber … wann darf ich wieder Traktor fahren?“

„Gar nicht mehr. Wenn uns die Polizei erwischt, sind wir reif. Deshalb erzähl es ja nicht, sonst geht es dir ans Schlafittchen!“

„Aber ich will nochmal Traktor fahren! Die anderen im Ort lassen mich nicht.“ Das Gesicht des Kindes hat sich zornig verfärbt.

Im Grunde kommt Lydia diese Reaktion zugute. „Dann machen wir es so: Du erzählst überhaupt niemandem, dass du hier bei mir warst. Wenn du das wirklich für dich behältst, fahren wir irgendwann nochmal und du darfst wieder lenken. Abgemacht?“ Er soll jetzt verschwinden. Und ihr sein Versprechen zur Verschwiegenheit geben.

„Abgemacht! Ich sag keinem was. Wann soll ich wiederkommen?“

„Beweise erst mal eine ganze Weile, dass du schweigen kannst wie ein Grab.“

Der Junge nickt, steckt sich die Bonbons in die Hosentasche und rennt aus der Küche, durch den Flur, über den Hof; er wird den ganzen Hügel in diesem Tempo hinab laufen, allein durch die Aussicht auf eine Wiederholung dieser Stunde, ahnt Lydia beruhigt.

Doch die Unruhe lebt umgehend wieder auf, als sie sich am Tisch niederlässt und sich dem zerbeulten, halb zerrissenen Umschlag zuwendet.

Die stille Stube

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