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Auf Sumatra gibt’s keinen Döner

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Kaum in Berlin gelandet, wurde ich sofort mit der Grausamkeit einer deutschen Großstadt konfrontiert. Nieselregen am Taxistand, Menschen, die in unsichtbare Handys sprachen, die in aller Öffentlichkeit ihren Frust, ihren Seelenmüll und ihre Belanglosigkeit hinausposaunten, aber nicht dem alten Mann beim Einsteigen behilflich waren, geschweige denn der überforderten Mutter mit zwei schreienden Kindern den Vortritt ließen.

Da stand ich also in Berlin-Tegel und konnte mich nicht entscheiden, ob ich nun ein Taxi mit dem Fahrtziel »Ernst des Lebens« nehmen oder doch besser umkehren wollte. Wieder zurück zum Check-in. Richtung Paradies.

Irgendetwas zerrte mich ins Taxi, setzte sich neben mich und nannte meine Adresse. Es war mein Verstand, der sich während des Fluges geweigert hatte, neben mir zu sitzen. Nun zeigte er sich doch erfreut, mich zu sehen, und befand meine Entscheidung, dieses lästige, sich ständig gegen ihn behauptende Herz bei diesem Fischer zurückgelassen zu haben, für richtig. So hatten wir beide jetzt endlich mehr Zeit füreinander. Und auf dieser »sandigen Insel« hätten wir seiner Ansicht nach eh nicht überleben können.

»Sumatra. Dass ich nicht lache!«, rief er und hielt sich dabei seinen vom alkoholfreien Bier dick gewordenen Bauch. Eine Insel ohne Spätkauf, ohne Kino, ohne Bars, Cafés, Clubs oder eine einzige Ampel, dafür mit verschleierten Frauen und islamischem Rechtssystem wäre nicht der richtige Ort für mich und schon gar nicht für meinen Verstand. Doch mein Herz schien sich wohlzufühlen, wie es mir auf einer lustigen Postkarte versicherte, die ich zu Hause aus dem Briefkasten fischte.

Bei genauerer Betrachtung war es dann doch nur ein Urlaubsgruß meiner Eltern. Sie waren, wie alle zwei Monate, gerade in ihrem Ferienhaus. Das Wetter wäre hervorragend, aber sie freuten sich auch schon wieder auf zu Hause, wo es doch am schönsten wäre. Ich stellte mir die beiden vor, wie sie mir diese Postkarte schrieben, wie sie bei einem großen Eisbecher an einem wunderschönen See saßen und sich ins Fäustchen lachten. »Komm, schreib was über das Wetter!«, würde meine Mutter vorschlagen. »Oh ja!«, würde mein Vater sagen. »Und dann schreiben wir noch, dass es zu Hause am schönsten ist!« Sie hatten bestimmt tierische Freude daran, ausgerechnet die Sätze zu schreiben, die mich immer in den Wahnsinn trieben. Ach, irgendwie vermisste ich sie aber doch ein bisschen, also nahm ich mir vor, die beiden bald zu besuchen. Dort, wo es am schönsten und das Wetter scheißegal war: zu Hause.

Die Wiedersehensfreude meiner Freundinnen war groß. Wir verbrachten den ganzen Sonntag zusammen, gingen ausgiebig frühstücken und schlenderten anschließend über den Flohmarkt, wie wir es sonntags immer zu tun pflegen. Am Abend gingen wir zu unserem Lieblingsitaliener in der Oderbergerstraße und tranken literweise Hauswein rot. Ich erzählte ihnen von meinen bescheidenen Abenteuern, von meinem geheilten und schon wieder vergebenen Herz.

Die überwiegende Reaktion war genervtes Augenrollen oder ein Schlag an die eigene Stirn, gern auch mal an meine. Sie freuten sich, dass ich wieder ganz die Alte war, redeten mir aber gut zu, mich jetzt bloß nicht wieder in irgendeine romantische Idee hineinzusteigern. Denn wir wüssten ja alle, wo das hinführte: weit weg.

Bestimmt wäre David ein ganz toller Mann, exotisch, romantisch, abenteuerlustig, leidenschaftlich. Und natürlich diese tollen blauen Augen, die abends grün wurden, nicht zu vergessen! Aber an schönen Augen würde man sich sattsehen, an Fisch überfressen und an einem Ort wie jenem vermutlich nach vier Wochen an Langeweile sterben.

»Auf Sumatra gibt es nicht mal Döner!«, schloss Tina ihre lange Rede über die Aussichtslosigkeit einer solchen Liaison. Ich verstand das Argument nicht ganz, noch dazu, wo Tina Vegetarierin und auch ich kein großer Dönerfreund war. Doch was sie mir mit diesem rabiaten Beispiel sagen wollte, erklärte Tina, war, dass alles, was ich kannte und an was ich gewohnt war, was hier in unseren Breitengraden selbstverständlich und im Überfluss vorhanden war, dort fehlen würde. Und von Luft und Liebe könnte schließlich niemand leben. Ach, mein Vater wäre in diesem Moment sehr stolz auf meine Freundinnen gewesen, die alles, was er vertrat, in eine Sprache übersetzen konnten, die ich verstand: »Döner« statt »Ernst des Lebens«.

Wir stießen noch einmal auf meine Rückkehr an und beschlossen, tanzen zu gehen. Der Ernst des Lebens musste wohl noch ein wenig warten.

Als ich morgens um vier betrunken in meine Wohnung torkelte, war es, als wäre ich nie weg gewesen. Meine Wohnung roch nach meiner Wohnung, nach Feuerholz und nach mir. Ich war nicht müde. Vielleicht lag es am Jetlag, vielleicht am Gin Tonic. Ich war immer noch aufgedreht und ich vermisste David. Das lag bestimmt auch am Alkohol, der mich für gewöhnlich noch emotionaler werden ließ, als ich es ohnehin schon war. Fatal emotional.

In meinem Schlafzimmer entdeckte ich sofort den vor knapp drei Monaten zurückgelassenen Schal des Musikers, den ich kurzerhand und weil ich gerade so in Stimmung war, im Mülleimer verschwinden ließ. Statt schlafen zu gehen, begann ich, meinen Rucksack auszupacken. Auspacken hieß sortieren in hell und dunkel. Der ganze Berg Klamotten musste dringend in die Waschmaschine. Als ich damit fast fertig war, zog ich ein T-Shirt aus dem Haufen, das mir bekannt vorkam, aber nicht meines war. Es war von David. Er hatte es an dem Tag getragen, an dem mich die Kokosnuss fast erschlagen hätte. An dem Tag, als wir uns kennengelernt hatten. An dem Tag, an dem ich mich verliebt hatte. Ich schloss meine Augen und roch daran. Da war es wieder: das Meer, eine Prise Salz, eine zarte Note Fisch, ein Hauch Benzin und eine Spur DKNY. David.

Im Gegensatz zu meiner Unfähigkeit, mich an Gesichter zu erinnern, funktionierte der Teil meines Gehirns, der für die Speicherung von Gerüchen zuständig war, hervorragend. So hervorragend, dass ich doch noch ein paar Tränchen verdrückte, bevor ich mit Davids T-Shirt in den Armen einschlief.

Am nächsten Morgen erwartete mich die nächste Überraschung auf Facebook. David hatte sich einen Account eingerichtet und mir eine Nachricht geschrieben: »Du bist der einzige Mensch, der mich dazu bringen konnte, dieser ›Sekte‹ beizutreten«, schrieb er. Und auch, dass er sich sehr freuen würde, wenn ich sein erster Freund werden könnte. Als PS fügte er hinzu: »Hast du es gefunden? PPS: Ich liebe dich.«

Himmel, was war ich verliebt.

Macht's gut, Ihr Trottel!

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