Читать книгу Macht's gut, Ihr Trottel! - Christiane Hagn - Страница 23
Skype sei Dank
ОглавлениеVon diesem Tag an schrieben David und ich uns täglich. Mehrmals. David ging nach wie vor seiner Arbeit im Resort und als Fischer nach, mich dagegen hatte das Arschloch »Ernst des Lebens« wieder zurück. Und ich damit auch meinen Chef. Zur Begrüßung meinte er, ich hätte mir ganz schön ordentlich das Dekolleté verbrannt und ob ich Zigaretten hätte. Er hoffte, dass ich meine Reise genutzt hätte, um mich zu erholen, und dass er sich von nun an wieder auf meine Akkuratesse verlassen könnte. Heißt, ihn jeden Morgen daran zu erinnern, welcher Wochentag war, ob er demnach ins Büro kommen müsste und wo das gleich noch wäre. Ja, wenn man so viel im Kopf hatte, dann konnte man sich ja nicht alles merken.
Die Alltagsroutine brach somit schneller über mich herein als ein Regenschauer auf Sumatra und eh ich mich versah, war ich wieder gefangen in meinem alten Trott aus Outlook-Terminen und Freizeitstress. Mit dem Unterschied, dass die Zeit dazwischen, die ich mit David im Chat oder auf Skype verbrachte, zu den Höhepunkten meines Alltags wurde.
Wir standen in ständigem Kontakt und begannen schon bald, jeden Tag morgens und abends zu skypen. Aufgrund der Zeitverschiebung von sechs Stunden mussten wir kreative Wege der medialen Kommunikation finden.
Meistens weckte mich David und wir sprachen eine Stunde, bevor ich ins Büro fuhr. Dabei trank ich meinen Morgenkaffee und löffelte einen Joghurt, während David Nasi Goreng oder frisch gefangenen Fisch zu Mittag aß. David legte sich oft nachmittags schlafen, damit er abends noch Zeit mit mir verbringen konnte, sobald ich aus dem Büro kam. Dann tranken wir ein Glas Wein zusammen, spielten online Schach oder sahen gemeinsam einen Film, also: den gleichen Film zur gleichen Zeit, wobei wir uns über Skype unterhielten. Unser absoluter Favorit war Inglorious Basterds. Wir konnten einfach nicht genug davon bekommen, wie Brad Pitt seine »Naziskalp«-Rede hielt, lachten uns kaputt, wenn er »sound good!« sagte, und sahen uns die Szene wieder und wieder an.
Ab und an zogen wir uns auch ein bisschen aus und spielten aneinander rum. Aber Skype-Sex kann eine ziemlich deprimierende Sache sein, vor allem da man sich hinterher nicht in den Armen liegen konnte. Dann sahen wir uns traurig an und versuchten uns an den Geruch des anderen zu erinnern. Ich hatte den klaren Vorteil in Form eines T-Shirts. David war nur noch eine kleine olfaktorische Spur von meinem Haar auf seinem Kopfkissen geblieben, die schon bald von Insektenspray übertüncht sein würde.
Ich war glücklich, David von nun an doch irgendwie in meinem Leben zu haben, und strahlte jeden Tag, wenn mich der Skype-Klingelton weckte oder ich eine Nachricht von ihm auf Facebook vorfand, gerade während der Arbeitszeit. Dann konnten mich Sätze meines Chefs – wie »Kannst du mir mal meine eigene Handynummer sagen?« oder »Du musst mich daran erinnern, mehr Wasser zu trinken« oder mein Favorit: »Du musst mich erinnern, dass du mich erinnern musst« – auch fast gar nicht mehr in den Wahnsinn treiben. Aber nur fast.
David und ich verbrachten auf medialer Ebene mehr Zeit miteinander, als ich jemals mit einem Partner im echten Leben verbracht hatte. Wir lernten uns jeden Tag ein bisschen besser kennen und holten all die Fragen nach, die wir uns nicht gestellt hatten. Ich ging mit David schlafen und stand mit ihm auf. Zumindest empfand ich das so.
»Du gehst mit einem Computer und einem T-Shirt schlafen!«, schimpfte Tina, die anfing, sich große Sorgen um mich zu machen. »Du lebst in einer virtuellen Welt mit einem virtuellen Märchenprinzen. Und das nun schon seit vier Wochen!« Tina war ganz schön sauer. Das merkte ich immer daran, dass sich ihre Nasenflügel so aufblähten wie die Nüstern eines Pferdes. Ich musste zugeben, sie sah süß dabei aus und sie hatte nicht ganz unrecht.
Seit meiner Rückkehr drehte sich alles nur noch um meinen Computer. Das ging so weit, dass ich Verabredungen nicht einhalten konnte oder gar nicht erst ausmachte, da sie in meine Skype-Zeit fielen. Tina fand das »pervers«, also bat ich sie um eine Definition von »pervers«.
»Widernatürlich. Die Grenze des Erlaubten überschreitend, absurd und höchst merkwürdig«, legte Tina los. »Absurd« sah ich aus ihrer Perspektive irgendwie ein. Aber »die Grenze des Erlaubten überschreitend«? Welches Gesetz könnte so etwas verbieten? Das Tina-Gesetz? Tina bezeichnete meine Einwände als argumentativ schwach.
»Liebe bedarf keiner Argumente.«
»Siehst du«, sagte Tina. »Argumentativ schwach!« Dann leerte sie ihr Glas Rotwein in einem Zug.
»Christiane, jetzt mal im Ernst. So kann das nicht weitergehen. Du musst das beenden und wieder anfangen zu leben. In der echten Welt. Du läufst doch schon wieder nur davon. Hör endlich auf, halbe Sachen zu machen.«
Ich hasste es, aber Tina hatte schon wieder recht. Vor allem mit dem »weglaufen« und den »halben Sachen«. So konnte es nicht weitergehen. Ich musste mich entscheiden, die Wahl treffen zwischen ganz oder gar nicht. Leider war ich eine absolute Niete in puncto »Entscheidungen treffen«. Der Fifty-Fifty-Joker blinkte vor meinen Augen und ich wünschte, ich hätte auch noch einen Telefonjoker übrig. Nur wen ich dann anrufen würde, wusste ich beim besten Willen nicht.