Читать книгу Machts gut, ihr Trottel! - Christiane Hagn - Страница 11
ОглавлениеByron Bay und ich wurden keine Freunde. Ich fühlte mich wie ein »fish out of water«, wie die Leute vom Fernsehen wohl sagen würden, da ich mit Abstand die Älteste und die Einzige war, die allein reiste und kein Interesse daran hatte, nach Nimbin zu fahren, eine kleine Stadt mit 350 Einwohnern, in der man angeblich das beste Gras ganz Australiens kaufen konnte. Mein Argument, mit Kiffern abhängen könnte ich auch zu Hause, wurde nur mit großen Augen und der interessierten Frage aufgenommen, wo ich denn herkäme. Bei »aus Berlin« rasteten alle aus vor Freude und versicherten mir, dass das wohl die coolste Stadt der Welt sei. Ja, »cool« traf zu. In jeder Hinsicht.
Tagsüber ging ich am Meer spazieren und bewunderte ehrfürchtig die Aussicht an Australiens östlichstem Punkt. Ich knipste ein paar Pflichtfotos und machte selbstverständlich den »Look Out«-Spaziergang bis zum Leuchtturm. Gegen Nachmittag verwarf ich den Plan, meine Angst zu überwinden und endlich im Meer zu schwimmen, und kaufte stattdessen eine Eintrittskarte zum örtlichen Schwimmbad. Womöglich fing ich tatsächlich an, mich zu akzeptieren.
Obwohl mich meine holländischen Mitbewohnerinnen reichlich komisch fanden, luden sie mich am zweiten Abend ein, mit ihnen im »coolsten Club von Byron Bay« und vermutlich auch dem einzigen, dem legendären Woodys, tanzen zu gehen. Es käme, so müsste ich wissen, die »coolste Band der Welt«. Nämlich De La Soul! Daraufhin kreischten alle los und ich verkniff mir die Frage, ob De La Soul nicht so ein Compilation-Album aus den Neunzigern wäre.
Zugegeben, die Musik war gut. Wir tranken Bier und tanzten stundenlang. Ich fühlte mich fast auch wieder 17 Jahre jung. Aber nur fast, denn ich musste mich nicht nach dem zehnten Bier übergeben. Vermutlich, weil ich nach dem fünften auf Cola umgestiegen war. Tja, Ladys. Mit dem Alter kommt eben auch die Weisheit.
Nachdem ich die Holländerin Carline auf der Toilette mit Wasser und ein paar Sauftipps für die Zukunft versorgt hatte (man muss schließlich sein Wissen an die nächste Generation weitergeben), kehrte ich schnurstracks auf die Tanzfläche zurück. Und plötzlich stand er vor mir: mein Musiker! Er stand vor mir und sah mich an. Diese Augen. Dieser Mund. Dieses Lächeln. Dieses Grübchen. Direkt vor mir. Keine zwanzig Zentimeter entfernt. Als wäre er nie weg gewesen. Und er sagte: »Hi!«
Hi? What the fuck! Hi? Zugegeben, dieses »Hi!« klang ein wenig hoch für seine Stimme, aber ich fragte mich, ob es tatsächlich möglich wäre, ihm hier zufällig über den Weg zu laufen, und falls ja, ob ich mich bei dieser Gelegenheit wohl nach meinem Schlüpfer erkundigen sollte.
Doch dann fragte er: »Kennen wir uns?«, und ich versuchte, nicht mehr so zu starren.
Nun gut, er war es also nicht, aber die Ähnlichkeit war verblüffend.
»Noch nicht!«, gab ich verwirrt und ziemlich plump zurück. Jeder Typ hätte mir jetzt wohl schon eine Abfuhr gegeben, aber der Doppelgänger wusste darauf nichts mehr zu sagen. Ich half ihm aus der Situation und sprach das Zauberwort: »Bier?« Er nickte, nahm ganz selbstverständlich meine Hand und führte mich zur Bar.
Johnny war nicht mein Musiker. Johnny war nicht mal Musiker. Nein, Johnny war Johnny und Tattookünstler. Auf dem Gebiet auch selbst äußerst aktiv, wie sein Unterarm deutlich bewies. Johnny war 27 und seit drei Jahren in Australien unterwegs, wie er mir bei einem Bier erzählte. Er lebte aus einem Rucksack, jobbte hier und da, meistens als Burgerwender, und schlief bei Leuten auf der Couch, auch mal im Auto oder eben auf der Straße. Je nach Wetterverhältnissen. Johnny war Lebenskünstler und hatte das zweitsüßeste Grübchen, das ich je gesehen hatte. Meine Holländerinnen beobachteten mich kichernd aus der Ferne und waren sichtlich beeindruckt von meinem »Aufriss«. Schon allein deshalb konnte ich es mir nicht verkneifen, Johnnys Angebot, mit ihm noch auf eine andere Party zu gehen, anzunehmen.
Er griff nach meiner Hand und ich zwinkerte »meinen Mädels« noch mal im Sinne von »Wartet nicht auf mich!« zu.
Die »Party«, zu der Johnny mich führte, fand in dem Burgerladen statt, in dem er tagsüber arbeitete. Als wir ankamen, war gerade eine Eierschlacht in vollem Gange. Ich sah mich suchend nach einem mit Wackelpudding gefüllten Plastikpool um, wurde aber von dem Inhaber des Burgerladens abgelenkt. Er rief einen Waffenstillstand aus, um lallend eine flammende Rede auf seine loyalen Mitarbeiter, aber vor allem auf sich selbst zu halten. Leider wurde ihm ausgerechnet beim dramaturgischen Höhepunkt, nämlich den 350 verkauften Burgern in nur einer einzigen Nacht, furchtbar übel und er übergab sich kurzerhand in die Frittenschale neben sich. Ohne lange zu fackeln, verließen alle ach so loyalen Mitarbeiter unter Ekelschreien die »Party«. Alle außer Johnny und mir. Ich fand das zwar auch furchtbar ekelhaft, aber irgendwie tat dieser kleine, verschwitzte Mann, der eben noch so fröhlich mit Eiern um sich geworfen hatte, mir leid.
Während ich unbeholfen in der Gegend herumstand, wusste Johnny, was zu tun war. Den eigenen Ekel unterdrückend, brachte er dem Spucker ein Geschirrtuch und ein Glas Wasser. Dann klopfte er ihm, wie Männer das wohl so machen, kameradschaftlich auf die Schulter und versprach, ihm morgen beim Aufräumen zu helfen. In diesem Moment wusste ich, Johnny war ein guter Kerl.
Als sich der arme Tropf daraufhin dankbar zeigte und wenigstens beim zweiten Mal schon in die Spüle kotzte, war dennoch mein Bedarf an sich übergebenden Menschen für den Abend gedeckt.
Johnny und ich verbrachten die restlichen Stunden der Nacht Arm in Arm am Strand. Die Möglichkeit, zu ihm oder zu mir zu gehen, bestand nicht, wurde von uns aber auch gar nicht in Erwägung gezogen. Nicht deshalb, weil ich keinen Mann in mein Vierbettzimmer einladen oder die Nacht auf einer verwanzten WG-Couch verbringen wollte, sondern weil wir das Meer hatten. Das Meer, den Strand, den Sternenhimmel und die Wärme einer australischen Nacht. Und trotz dieses Romantik-Klischees und der auf Beidseitigkeit beruhenden Anziehung spielten wir nicht mal mit dem Gedanken, zwischen Felsen versteckt mit Sand im Po miteinander zu schlafen. Wir lagen einfach nur da, eng aneinandergedrückt, küssten und unterhielten uns oder starrten schweigend in den Himmel.
Es fühlte sich gut an und ich war sehr erleichtert, dass er nicht anfing, mir Sternengebilde zu erklären, denn dafür war ich seit jeher zu kurzsichtig und seit Langem zu alt. Ich amüsierte mich lieber über Johnnys Revolver-Tattoos links und rechts von seinem Bauchnabel und schwor ihm, dass er das spätestens, wenn er in meinem Alter wäre, bitter bereuen würde. Johnny nahm es mir nicht übel und musste selbst ein bisschen schmunzeln über seine Revolver, die von Rosen umrankt direkt auf sein bestes Stück zeigten. Dann flüsterte mir Johnny ins Ohr, wie hübsch er mich fände. Und ich, ich hörte einfach nur sehr aufmerksam zu.
Als die ersten Surfer in den frühen Morgenstunden den Strand stürmten, verabschiedete ich mich von Johnny. Wir tauschten Nachnamen aus, um über Facebook in Kontakt zu bleiben, aber ich wusste, dass wir uns nicht wiedersehen würden. Johnny war der erste Mann, dessen Aufmerksamkeit ich seit langer Zeit genießen konnte. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich schlenderte zurück in mein Hostel, nahm eine heiße Dusche, packte meine Sachen und schlich mich davon, bevor eine der drei holländischen verkaterten Grazien ihre Augen öffnen würde.
In dem Moment, in dem ich die Autotür hinter mir zufallen ließ, fing es an in Strömen zu regnen und ich fühlte mich in meiner Entscheidung, keine weiteren Stunden mit Eierschlachten oder Jelly Wrestling zu verbringen, bestätigt. Außerdem kannte ich mich: Noch zwei weitere Nächte mit dem unkonventionellen Johnny und ich würde mich doch nur wieder verlieben.
Ob das mein Verstand war, der da zu mir sprach?