Читать книгу Machts gut, ihr Trottel! - Christiane Hagn - Страница 8
ОглавлениеNach nur eineinhalb Tagen im Flugzeug kam ich dann auch schon in Melbourne an. Kaum hatte ich das Flughafengebäude verlassen, rauchte ich meine letzte Zigarette. Wenn ich mein Leben ändern und von nun an selbst auf mich aufpassen wollte, konnte ich keinen tödlichen Lungenkrebs gebrauchen. Wer würde mich denn pflegen und in den Tod begleiten? Den letzten Zug inhalierte ich sehr tief. Als ich gerade Gefahr lief, schwermütig zu werden, fiel mir Sanne auch schon um den Hals. Meine gute, alte Sanne, die immer ein bisschen nach Vanille duftete. Und im Auto wartete natürlich Klaus. Der liebe, treue Klaus, der immer ein bisschen nach alten Büchern roch. Alles auch wie immer. Das tat gut.
Sanne und ich hatten uns, außer auf Skype, seit einigen Jahren nicht mehr gesehen. Klaus nicht zu vergessen, den hatte ich natürlich auch seit Jahren nicht gesehen, denn Klaus war immer da, wo Sanne war. Die beiden sind das, was man eine Sandkastenliebe nennt.
Sanne und ich hatten uns allerdings etwas später kennengelernt. Während des Studiums, als wir ausgerechnet vor der Mensa mit unseren Fahrrädern zusammenknallten. Wir trugen beide blaue Flecken davon, wurden Freundinnen und Klaus, der war von da an immer mit dabei. Ich schloss Sanne schnell in mein Herz und akzeptierte Klaus an ihrer Seite wie ein lieb gewonnenes Accessoire. Vielleicht wie eine Handtasche, eine sprechende Handtasche, die immer zum richtigen Zeitpunkt ein Taschentuch, passendes Kleingeld oder einen Lippenpflegestift bereit- oder einem die Haare aus dem Gesicht hielt, wenn man es, wie Klaus sagen würde, »mit dem Piccolöchen mal wieder übertrieben hatte«.
Sanne studierte Medizin. Ich nicht. Sanne fuhr in den Semesterferien mit den Jesus Freaks zum Surfen. Ich nicht. Sanne lehnte Sex vor der Ehe ab. Ich nicht. Sanne hatte nie Liebeskummer. Ich immer. Sanne und mich verband nichts. Nichts außer unserer Gegensätzlichkeit und unserem Humor.
Nach Abschluss unseres Studiums, für das ich ein bisschen länger gebraucht hatte als Sanne, ging ich nach Berlin und sie nach Ulm. Danach folgten für sie Heidelberg, München, Paris, Melbourne. Und Klaus folgte ihr, natürlich nicht ohne sie vorher zu heiraten. Klar, Klaus wollte endlich ran an den Speck. Wer könnte es ihm verdenken?
Und jetzt war ich hier. Bei den beiden in Melbourne, was mir als die ideale Ausgangsstation erschien, um meine Liebeskummerreise zu beginnen. Als Erstes musste ich wieder auf die Beine kommen und das würde nirgendwo besser funktionieren als im geborgenen Hafen von Sanne und Klaus. Dort, wo es keinen Kummer gab.
Der Plan ging auf. Ich genoss die Zeit mit Sanne und Klaus. Wir verbrachten Nachmittage in der Sonne von St. Kilda Beach, gingen in den Luna Park und fuhren mit dem Scenic Rollercoaster, einer Achterbahn mit Aussicht. Sanne und ich fanden das furchtbar aufregend und klammerten uns bei jeder Kurve aneinander. Wir kreischten wie hysterische Italienerinnen im Sommerschlussverkauf. Klaus fuhr nicht mit. Er wartete unten, las sein Buch und hielt unsere Handtaschen.
Unsere Gegensätzlichkeit war wie immer eine Quelle der Herausforderung. Ein Crashkurs zum Thema Kompromisse. Ich gab nach und trank mit Sanne in der mir verhassten Starbucks-Kette Kaffee, weigerte mich aber, »Latte« zu sagen und meinen Vornamen zu nennen. Aus Prinzip. Sanne gab auch nach und bestieg mit mir einen Touristen-Sightseeing-Bus, weigerte sich aber, das »I love Melbourne«-Käppi aufzusetzen und das Erinnerungsfoto für zehn Dollar zu kaufen. Aus Prinzip. Klaus verstand nicht, was es hier und da nachzugeben gäbe. Man könnte nicht »aus Prinzip« einen bestimmten Kaffee nicht trinken oder bestimmte öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzen. »Aus Prinzip« sollte man nur Dinge tun oder eben nicht tun, die Relevanz hätten, fand Klaus. Und wir gaben ihm recht. Aus Prinzip. Damit er endlich die Klappe hielt, was wir ziemlich relevant fanden.
An jenen Tagen, an denen Sanne und Klaus keine Zeit hatten, zog ich allein los, um die Stadt zu erkunden. Und nach nur wenigen Tagen in Melbourne gewöhnte ich mich nicht nur an die übermenschliche und damit schon unheimliche australische Freundlichkeit, sondern auch an Standard-Redewendungen, die ich beherzt in meinen eigenen Wortschatz aufnahm. Ich antwortete fast nur noch mit »No worries« oder »Fair enough«. Das passte irgendwie immer.
Außerdem machte ich es mir zur Gewohnheit, morgens an der Strandpromenade von St. Kilda »poached eggs« zu frühstücken. Dort erlebte ich zum ersten Mal seit Langem auch allein ein Gefühl der Erleichterung. Der Schmerz ließ nach, auch wenn der fahle Nachgeschmack enttäuschter, unerwiderter Liebe immer noch wie ein Belag, der nach totem Biber schmeckte, auf meiner Zunge klebte. »Poached eggs« konnten ihn ein wenig überdecken und mich wieder atmen lassen.
Nach diesem Seelenfrühstück ging ich los, die Stadt erkunden. Ich schlenderte die Swanston und Bourke Street entlang, fuhr auf den Eureka Tower und bewunderte Melbourne aus der Vogelperspektive, 297 Meter über dem Meeresboden. Auf dem Queen Victoria Market aß ich das beste Sushi meines Lebens und probierte Kurzhaarperücken auf. Obwohl sich viele Frauen mit Liebeskummer die Haare abschneiden, entschied ich mich gegen eine neue Frisur. Doch ich ließ mir tatsächlich die Spitzen schneiden. Das war für mich schon Abenteuer genug.