Читать книгу Machts gut, ihr Trottel! - Christiane Hagn - Страница 14
ОглавлениеIn Jakarta angekommen, verstand ich zum ersten Mal, was es mit dem Wort »Verkehrsinfarkt« auf sich hatte. Für nur wenige Kilometer vom Flughafen zu meinem Hostel in der Jalan Jaksa brauchte ich mit dem Taxi geschlagene zweieinhalb Stunden. Hätte ich kein Gepäck dabeigehabt, wäre ich zu Fuß gegangen und schneller gewesen. Oder überfahren worden. Diese Stadt trieb mich nach nur einer Stunde bereits völlig in den Wahnsinn. Von insgesamt 48 Stunden in Jakarta verbrachte ich mindestens 24 Stunden im Stau.
Nach zwei Tagen stieg ich auf Schienen um, um diesen Moloch so schnell wie möglich zu verlassen. Nach vielen Stunden im Expresszug samt indonesischem Karaoke-Unterhaltungsprogramm auf einem lautstark eingestellten Fernseher, der niemanden außer mich zu stören schien, erreichte ich das friedliche Örtchen Yogkakarta. Es war ruhig hier. Doch selbst New York hätte im Vergleich zu Jakarta wie ein verschlafenes Kaff gewirkt.
Ich ließ mich in einem Becak, einer Art Beiwagen, der vor ein Fahrrad gespannt wurde, zum Lotus-Hostel fahren. Es befand sich direkt hinter einer Moschee. Die wenigen Stunden Schlaf, die ich gehabt hätte, wurden mir von Moskitos und dem Imam zunichte gemacht. Dieser Mann betete nicht, sondern schrie seine Koranverse geradezu in die Nacht hinaus, wobei er nach jedem dritten Wort niesen musste. Das war irgendwie lustig und angesichts meiner traurigen Unterkunft mit dem verblassten Obstkorbplakat, das lieblos und viel zu hoch an die schlecht gepinselte blaue Schimmelwand geklebt war, konnte ich nicht anders, als mich einem befreienden Lachanfall hinzugeben.
Um vier Uhr morgens stand ich auf, packte meine Kamera und eine Flasche Wasser ein und fuhr mit einem Sammeltaxi zum Borobudur, einer der größten buddhistischen Tempelanlagen Südostasiens.
Aus der Ferne wirkte die Anlage wie ein Raumschiff aus einem Science-Fiction-Film, gelandet mitten im grünen Tropenherz Indonesiens. Ein hochhausgroßer Koloss aus dunkler Materie, pockennarbig übersät mit Kanten, Löchern und Rissen. Ich schleppte mich die Treppen durch die engen Gänge nach oben, bis in das neunte Stockwerk. Auf meinem Weg begegnete ich zahlreichen wunderschönen, aus Stein geschlagenen Buddhastatuen. So manche kopflos. Andere schienen zu schlafen, mit geschlossenen Augen zu beten, in die Ferne oder direkt in meine Augen zu blicken.
Oben angekommen, ließ ich mich neben einem kopflosen Buddha nieder, beobachtete, wie sich der Morgennebel langsam verzog und die Sonne das steinerne Gebäude, umgeben von zwei Vulkanen, in ein goldenes Licht tauchte. Zum ersten Mal hatte ich so richtig Lust auf eine Zigarette.
Ich überlegte, mir eine zu schnorren, wurde aber in meinem perfiden Plan gestört, als mich eine Gruppe indonesischer Schulmädchen bat, ein Foto mit mir schießen zu dürfen. Mit mir? Nicht mit dem wunderschönen kopflosen Buddha neben mir? Ich nahm ihn wenigstens mit auf das Foto und schmiss mich in Pose, umklammert von einer kichernden Indonesierin. Eine kleine Blondine, allein auf dem Borobudur, schien hier die weitaus größere Attraktion für die einheimischen Besucher zu sein. Doch mit einem Foto war es nicht getan. Ich stand mindestens eine halbe Stunde Model und legte Klick für Klick meinen Arm um ein schüchternes Mädchen nach dem anderen. Dabei fühlte ich mich ein bisschen wie Bridget Jones und fragte mich, ob diese Indonesierinnen wohl auch jemals Liebeskummer hätten oder ich ihnen mal meinen BH zeigen sollte. »Super BH!«, würden sie sagen und dann würden wir alle zusammen Like a Virgin singen und tanzen.
Oder auch nicht.
Trotzdem. Irgendwie war ich gerade glücklich. Und im Gegensatz zu Bridget nicht im Gefängnis. Das war gut.
Nachdem ich mich irgendwann loseisen konnte, drehte ich meine eigenen Runden durch die schmalen Gänge und verliebte mich in die fein geschliffenen steinernen Reliefs, die es nach über 1200 Jahren auch längst satt haben mussten, ständig fotografiert zu werden. Aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Mit Rücksicht nehmen war es ab sofort vorbei.
Bevor ich zurückfuhr, nahm ich all meinen Mut zusammen und aß eine ganze Portion Nasi Guri. Reis, toter Fisch, gepresste Sojabohnen, ein hart gekochtes Ei, eingelegt in Sambal-Chili-Sauce, die mir die Tränen in die Augen trieb. Ja, die kleinen Tränenöffnungen waren weiterhin fleißig, aber nicht mehr aus Kummer. Ich hatte sogar Schwierigkeiten, mir sein Gesicht in Erinnerung zu rufen. Vielmehr tauchte dann das Gesicht von Johnny auf, wie es gerade einem vorbeifliegenden Ei auswich.
Ich kann mir grundsätzlich keine Gesichter merken. Möglicherweise hängt das auch mit dem Angularis-Syndrom zusammen? Zumindest konnte ich mich nach diesen Wochen des Reisens nicht mehr wirklich an das Gesicht »meines« Musikers erinnern. Sobald ich es versuchte, sah ich nur zwei Augen, die als weiße Punkte im Dunkeln an mir vorbeisahen, mit einer Denkblase, in der stand: »Möchten Sie Ihre iTunes-Mediathek aktualisieren?«
Anfangs spionierte ich noch auf Facebook, um mir sein wunderschönes Antlitz wieder in Erinnerung zu rufen und mich selbst ein wenig zu quälen, doch irgendwann hatte ich genug davon und beendete mit zwei Klicks unsere »Freundschaft« auf virtueller Ebene. »Als Freund entfernen« – ärgerlich, dass es so etwas nicht in meinem Kopf gab. Ein Klick und alles weg, das wäre praktisch, aber auch irgendwie traurig, denn allmählich fing ich an, all die Erinnerungen an ihn zu genießen. Dabei musste ich an den Spruch denken, den Tina in der Grundschule in mein Poesiealbum geschrieben hatte: »Sei nicht traurig, dass es vorbei ist, sei froh, dass es gewesen ist.« Tina war damals acht und schon immer etwas anders als die anderen Kinder gewesen.
Noch am selben Tag flog ich weiter nach Bali. Es war Zeit, wieder unter Leute zu gehen, unter Touristen, die sich amüsierten. Es war Zeit zu feiern, Zeit, Spaß zu haben.