Читать книгу Machts gut, ihr Trottel! - Christiane Hagn - Страница 7

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Nach dieser Nacht sah die Welt anders aus. Statt lila Wolken war alles plötzlich trist, grau, trüb und ungerecht. Dauerwolkenbruch in meinem verwirrten Kopf und keine Besserung in Sicht. Ich hatte Liebeskummer, richtig schlimmen Liebeskummer. Aber »richtig schlimmer Liebeskummer« klingt wie »echt bunte Farben«. Liebeskummer ist immer schrecklich. Das ist bekannt. Und Liebeskummer geht vorbei. Das ist auch bekannt. Allerdings nicht, wenn man, wie ich, die perfekte Methode entwickelt hat, um Liebeskummer möglichst lange aufrechtzuerhalten.

So wurde ich auch diesmal zur Königin der Selbstkasteiung, um mich lange und leidvoll in meinem Leid suhlen zu können. Ich dachte absichtlich nur an ihn und ausschließlich an die schönen Erlebnisse. Alle schlechten, traurigen und leidvollen Erinnerungen blendete ich konsequent aus.

Ich sah mir täglich Fotos von ihm an und installierte die wenigen, die ich hatte, als Diashow für meinen Bildschirmschoner. Seine Musik hörte ich rauf und runter, Tag und Nacht, natürlich auch, wenn ich nachts, anstatt in seinen Armen, allein in meinem Bett lag oder wenn ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fuhr, der Tatsache trotzend, dass mich die eine oder andere Heulattacke in unmittelbare Lebensgefahr brachte.

Die wenigen Male, die ich mich selbst befriedigte, dachte ich natürlich nur an ihn: an seine Hände, seinen Mund, sein Gesicht, seinen Geruch. Dabei legte ich mir seinen Schal auf mein Gesicht, der das einzige Stück Textil war, das er tatsächlich bei mir vergessen hatte. Immerhin waren es keine Socken.

Im Supermarkt konzentrierte ich mich auf Essen, das wir zusammen gekocht hatten, bis mir auffiel, dass wir das ja nie getan hatten. So endeten meine Einkäufe meist mit einem Wagen voller Bier und Zigaretten, die Nahrung unserer Nächte. In dem seltenen Fall, in dem ich mich von Freundinnen überreden ließ auszugehen, um neue Bekanntschaften zu schließen, sprach ich nur von ihm. Ich kämpfte gegen alle Versuche an, mich von ihm abzulenken, brauchte den Schmerz wie der Honigdachs den Honig, das Erdmännchen die Insekten, die Termiten das Holz oder der Vampir das Blut.

An den Wochenenden suchte ich die Orte auf, die wir gemeinsam besucht hatten. Dabei handelte es sich vorrangig um Spätkäufe, die wir auf dem Weg zu mir oder zu ihm passiert hatten. Doch ohne ihn hatten sie jegliche Romantik, jegliches Spektakel verloren. Ein Spätkauf war plötzlich nur noch ein Spätkauf.

So vergingen die Wochen. Von wegen, die Zeit heilt alle Wunden! Ich war mir ganz sicher, niemals über ihn hinwegzukommen und sehr bald völlig den Verstand zu verlieren, sollte ich so weitermachen.

Bis eines Tages, wie aus dem Nichts, ein letzter Funken Selbsterhaltungstrieb in mir aufglimmte und mich anfeuerte, diesen selbstzerstörerischen Wahnsinn auf der Stelle zu beenden. Vielleicht kam er auch gar nicht aus dem Nichts, sondern vielmehr aus dem Telefon, als Tina anrief: »Wollen wir heute was machen, Heulsuse? Oder bist du immer noch auf der Suche nach deinem Selbstwertgefühl?«

Sie hatte recht. Mein erbärmliches Selbstmitleid musste endlich ein Ende nehmen. Ich wusste nur nicht, wie. Ich konnte schließlich nicht raus aus meiner Haut. Doch wenn man einfach nicht aus seiner Haut kann, so dachte ich, dann doch wenigstens aus dem Land. Denn bei Liebeskummer half nur eine einzige Sache, vorausgesetzt, man wollte ihn beenden: Abstand.

Ich musste also weg aus Berlin, wo mich jede Ampel, jede U-Bahn-Station, jeder Pflasterstein, jeder Dönerstand und eben jeder verdammte Spätkauf an ihn erinnerten. An ihn und all die Nächte, in denen ich auf seinen Anruf oder seine kurz angebundene Nachricht gewartet hatte, um mitten im verschneiten, eiskalten Berlin zu ihm zu wandern, bewaffnet mit Bier, Zigaretten und dem Traum von der großen Liebe. Ein Traum, den ich Nacht für Nacht gelebt hatte. In einer WG-Küche, Kette rauchend, wie in alten französischen Schwarz-Weiß-Filmen: Er als Jean-Paul Belmondo, ich als Jean Seberg. Wenn nur das Aufwachen nicht gewesen wäre …

Ich musste raus aus dieser Stadt der anonymen Liebschaften. Weg von Distanz, von Verantwortungslosigkeit, von Ungebundenheit. Weg von Verlustangst, Bindungsangst, Überdruss, Labilität. Weg von virtuellen Freundschaften und realen Enttäuschungen. Weg von Accounts, Erinnerungen und seinem Schal in meinem Bett. Weg von der Realität.

Und weg konnte nicht weit genug sein. Das andere Ende der Welt schien mir daher gerade weit weg genug: Australien.

Mein Chef hatte wie immer Verständnis. Er meinte, ich sollte mich unbedingt mal erholen. Meine Akkuratesse hätte in letzter Zeit sowieso zu wünschen übrig gelassen. Im Gegensatz zu ihm hatten meine Eltern kein Verständnis, wie immer. Sie meinten, ständig nur vor mir selbst davonzulaufen, wäre sinnlos. Sie hatten recht und ich blieb stur. Alles wie immer.

In dem Moment, als ich samt Rucksack meine Wohnung verließ und hinter mir dreimal absperrte, um die nächsten Wochen auf der Flucht vor mir selbst im Ausland zu verbringen, beschloss ich, mein Leben zu ändern. Von nun an würde ich selbst auf mich aufpassen und mich vor Enttäuschungen schützen. Schließlich war ich keine Geisel meines Herzens. Ich hatte auch noch meinen Verstand und es war an der Zeit, davon Gebrauch zu machen.

Den Scheißschal ließ ich zu Hause.

Machts gut, ihr Trottel!

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