Читать книгу Schicht im Schacht - Christiane Uts - Страница 18
Rechtsmedizin
ОглавлениеIm Gegensatz zur landläufigen, von Fernsehfilmen und manchen Romanen geprägten Meinung sind es nicht die Pathologen, sondern die Rechtsmediziner, die im Auftrag der Staatsanwaltschaft Obduktionen durchführen. So ein Rechtsmediziner sollte nun Todesursache, Todeszeitpunkt und vor allem die Identität der aufgefundenen Frau klären.
Mittlerweile war schon später Nachmittag. Voss arbeitete sich mit dem Auto durch den einsetzenden Feierabendverkehr, quer durch Biberlingen bis zum Institut für Rechtsmedizin. Zu dieser Uhrzeit konnte man im Innenhof wenigsten einen Parkplatz bekommen. Dass Biberlingen überhaupt ein Institut für Rechtsmedizin hatte, war schon eine Besonderheit. Dies ist eigentlich nur Universitätsstädten vorbehalten, an die die Rechtsmedizin angegliedert ist. Charly Wolter fädelte seinerzeit den Bau ein, da die benachbarte Großstadt mangels Infrastruktur nach einem alternativen Standort suchte.
Voss ging ins Gebäude und schnurstracks zur großen Treppe, die ihn in den zweiten Stock führen sollte. Auf dem Weg griff er zum Handy und wählte die Nummer des Rechtsmediziners Dr. Manfred „Freddy“ Rippke und melde sich an. Im zweiten Stockwerk angekommen bog er gleich in den großen Sezierraum ein, der mit vier Edelstahlseziertischen ausgestattet war. Die Tische standen senkrecht zur Fensterseite, gerade so als ob die „Kunden“ während der Obduktion zum Fenster hinaussehen können sollten. Raum und Tische waren penibel gereinigt. Gleich rechts neben der Zimmertür, an der Wand zum Flur, stand eine Küchenzeilen-ähnliche Einrichtung, auf deren Arbeitsplatte ein aufgeklappter Katalog der Firma Mors & Apert lag. Voss nahm ihn kurz in die Hand und sah, dass es sich um einen Pathologiemobiliarkatalog handelte, was seinem Einrichtungsgeschmack absolut nicht entsprach. Während er noch die Vorzüge fahrbarer, mobiler Seziertische mit Fußhydraulik und leichter Wannenentleerung überflog, hörte er schon herannahende Schritte auf dem Flur.
Freddy Rippke kam um die Ecke. Natürlich kannte man sich schon lange von anderen Fällen. Außerdem spielte auch Rippke gelegentlich mit Voss Fußball. Er sah den Katalog in Voss' Händen und fragte scherzhaft, ob Katharina und er sich neu einrichten wollten, was Voss vehement verneinte.
Die Leichenschau war bereits am frühen Nachmittag abgeschlossen worden. Neben der Staatsanwaltschaft war Michael Brandtner als Vertreter der Ermittler anwesend. Man munkelte dass Voss die Obduktionen nicht so einwandfrei überstehe wie sein solider Kollege, weshalb er meistens auf Grund zufällig eingestreuter anderer Termine nicht teilnehmen konnte.
Rippke wollte gerade in Richtung Leichenkühlzellen gehen und fragte Voss, ob er die Leiche sehen wollte. Voss lehnte dankend ab und Rippke fasste die Erkenntnisse der Obduktion kurz ohne Leichendemonstration zusammen. Die Tote war etwa fünfunddreißig Jahre alt und starb nicht am Fundort. Die Frau war bereits tot. Die Todesursache war vermutlich ein harter Schlag mit einem kantigen Gegenstand an den Kopf oder ein heftiger Sturz auf eine spitze Kante. Durch den Sturz in den Schacht auf der Baustelle stellten sich wiederum post mortem Knochenbrüche an Armen, Beinen, Rippen, sowie ein Schädelbasisbruch ein. Die Fingerabdrücke waren nicht registriert.
„Gibt es einen Hinweis auf die Identität?“ fragte Voss.
„Ja, da wollte ich gerade zu kommen, Jürgen. Es sieht alles nach einem Raubmord aus, wir haben nämlich kein Portemonnaie gefunden. Wir haben allerdings eine Monatskarte für den Hamburger Verkehrsverbund bei der Leiche gefunden. Demnach handelt es sich um eine gewisse Denise Ziegler. Michael recherchiert bereits Details.“
„Sonst noch irgendetwas?“
„Ja, wir haben außerdem ein Handy bei der Toten gefunden. Die Auswertung wird gerade bei der KTU durchgeführt. Die Ergebnisse der DNA-Analyse liegen morgen vor.“
Voss bedanke sich bei Rippke, verabschiedete sich und ging zum Wagen zurück, um vor dem Feierabend nochmal ins Kommissariat zu fahren.
Brandtner war noch im Büro, saß an seinem Schreibtisch und schaute angestrengt auf seinen Monitor. Er war nun fast ein Mittfünfziger, der am liebsten herkömmlich „analog“ arbeitete und die Vorzüge digitaler Ermittlungsunterstützung nicht so recht zu würdigen wusste. Dafür konnte er alle Register bei Befragungen und Verhören ziehen, die Psychologie seiner Gegenüber war für ihn ein offenes Buch, kleinste Gefühlsregungen blieben ihm nicht verborgen. So ergänzte sich das Team.
„Hallo, Michael“
„Hallo, Jürgen. Obduktion war heute Nachmittag, die Tote ist ...“
„...Denise Ziegler, ich weiß. Ich war gerade bei Freddy. Wissen wir schon etwas über sie?“
„Ja, siebenunddreißig Jahre alt, nicht verheiratet, stammt aus dem Hamburger Rotlicht- bzw. Escortmilieu, arbeitete bei einer Hamburger Escort-Organisation. Sonst keine Auffälligkeiten. Es sieht zur Zeit so aus, als ob sie zufällig in Biberlingen war.
„Gibt es schon was von der KTU zu ihrem Handy?“
„Ne, morgen Vormittag kriegen wir den Bericht.“
„OK, ich hau' dann ab, wir sehen uns morgen. Schönen Feierabend!“
„Ja, danke, dir auch.“