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Endlich wieder Willow-Tree

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Susan wartet schon seit Tagen aufgeregt auf die Heimkehr ihrer Freundin. Seit das Telegramm mit der beglückenden Mitteilung über die bevorstehende Rückkehr der Cowboys eingetroffen ist, dessen Wortlaut sich der hübsche Blondine sofort im Herzen festgesetzt hat: ‚Waren erfolgreich Stopp Umgehende Rückkehr nach Erledigung aller Notwendigkeiten Stopp gez. Blake’, liegt sie auf der Lauer. Unentwegt starrt sie in die Ferne, damit sie die genaue Ankündigung der Ankunft durch eine große Staubwolke ja nicht verpasst. Sie ist ein wenig ärgerlich auf John, dass er sich nicht genauer zum Termin der Rückkehr geäußert hat, doch ihr Großvater hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sich der Vormann und John noch einmal wegen des genauen Termins melden würden, weil er die dreieinhalb Menschen in Claime-Creek abzuholen gedenke und sie gar nicht auf die verräterische Staubwolke zu warten brauche, wovon Susan sich allerdings nicht abbringen lässt, denn schließlich kommt auch der Bote mit dem Telegramm auf einem Pferd und wirbelt dabei genügend Sand hoch, so dass er schon von weitem zu erkennen ist. .

Heute hilft die junge Frau dem mexikanischen Hausmädchen Ines beim Wäscheaufhängen, obwohl sie diese Arbeit hasst, man bekommt von den nassen Stoffen immer so runzlige Finger und hinterher sind die Hände rot und rau.

Merkwürdig, dass es Carol nichts auszumachen scheint, wenn ihre Hände ständig so aussehen.

Carol, wie mag sich Carol wohl in der Zwischenzeit verändert haben? Immer wieder versucht sie sich die Freundin mit einem runden Leib vorzustellen, doch das will ihr einfach nicht gelingen, immer wieder hat sie nur die zierliche, knabenhafte Erscheinung vor Augen.

Wieder und wieder blickt sie auf, bis sie in der Ferne eine Staubwolke erblickt, die sich der Ranch nähert. Gleich einem Kaninchen, welches von einer Schlange hypnotisiert wird, starrt sie auf die Erscheinung, unschlüssig, ob es wirklich der Sheriff mit dem ersehnten Telegramm ist. Enttäuscht muss sie aber feststellen, dass es sich um mehrere Reiter handelt.

Endlich kann sie die Personen erkennen. Sie wirft das Wäschestück, welches sie gerade in der Hand hält in den Korb zurück und fliegt der verdutzten Ines um den Hals. „Da kommen Blacky und Widefield und sie haben Carol dabei. - Hurra, Carol ist wieder da!“

Auch Ines, die seit dem Tag, an dem das Mädchen auf die Ranch gekommen ist, immer versucht hat, mütterlich ihre Flügel um das Mädchen zu breiten, strahlt zuerst bei dem ersehnten Anblick, doch dann ziehen düstere Wolken über ihr Gesicht. „Wieso kommen die angeritten? Wo haben die das Baby gelassen?“

Susan hört nicht darauf, was die Mexikanerin murmelt, sie verschwendet keinen Gedanken mehr an Carols Schwangerschaft. Hauptsache, die Freundin ist wieder zurück, alles andere ist Nebensache. Aufgeregt rennt sie den Weg zum Tor, den Reitern entgegen.

Als Carol die Freundin sieht, springt sie fast aus dem vollen Galopp aus dem Sattel, stürzt auf die Blondine zu und fällt ihr um den Hals. „Susan, hallo, Susan, es ist doch gut, wieder zu Hause zu sein.“ Die Mädchen küssen und umarmen sich.

John und der Vormann schmunzeln. Was sind die beiden doch noch für Kinder.

Der blonde Cowboy ergreift Silkys Zügel und gemächlich reiten die beiden Männer zum Corral, wobei sie sich ab und zu nach den Girls umsehen.

Kopfschüttelnd murmelt John, als er dabei dem Blick von seinem Boss begegnet: „Kaum zu glauben, dass wir in dem komischen Kaff noch gedacht haben, unsere Carol sei erwachsen geworden. Sie hat sich überhaupt nicht verändert, lediglich ihr Vorbau“, er deutet einen Busen an, „ist größer geworden.“

„Lass man“, grinst der dunkelhaarige Vorarbeiter, „wenn sie erst meine Frau ist, wird das mit dem Erwachsen werden schon noch kommen. Im Moment liebe ich das Kind in ihr viel mehr, als alles andere. Und was ihren ‚Vorbau’ betrifft, der wird leider von Tag zu Tag weniger. Sie hat nur noch ganz wenig mehr als vor der Schwangerschaft.“

Die beiden Mädchen folgen den Reitern schnatternd zu Fuß und reden dabei so durcheinander, dass keiner den anderen richtig versteht.

Vor dem prachtvollen Herrenhaus blickt Carol erst an dem Gebäude hoch, dann schaut sie sich um und holt tief Luft. „Hoffentlich bin ich noch willkommen, nach all dem Mist, den ich gemacht habe.“

Susan küsst sie auf die Wange. „Na, was glaubst Du denn? Wir haben Dich so sehr vermisst, dass Dir bestimmt jede Dummheit nachgesehen wird. Selbst wenn Du mit dem Tafelsilber abgehauen wärst, würde Dir das verziehen werden.“

„Na Du, ich weiß nicht, ich fühle mich doch ein wenig mies.“ Carol seufzt. „Eigentlich müsste ich ja zuerst zu Deinem Großvater, aber wir sind unglaublich scharf geritten, deshalb geht Silky vor. Der ist das ja nach all den Monaten des im Stall Stehens gar nicht mehr gewöhnt.“

„Ich denke mir, um den kümmern sich doch bestimmt die Jungs. Wenn es Dich beruhigt, gehe ich direkt mal nachsehen. Großvater erwartet Dich voller Sehnsucht, Du solltest ihn nicht noch länger auf die Folter spannen. Er ist im Büro und was glaubst Du, was der froh ist, wenn er Dich endlich wieder hat. Er kam uns manchmal vor, als wäre er der verlassenen Liebhaber und nicht Widefield.“ Susan griemelt und wendet sich ab, um wie versprochen nachzusehen, ob sich einer der Cowboys um Carols Hengst kümmert.

Leise betritt das rothaarige Mädchen das vertraute Herrenhaus und schleicht sich in Richtung Bürotür. Ihr Mund ist trocken und sie versucht sich die passenden Worte zur Begrüßung des alten Herren zurechtzulegen, doch ihr Gehirn ist wie blockiert. Sie glaubt, dass ihr nervös und heftig pochendes Herz im ganzen Haus zu hören sein müsste. Sie selber spürt es bis in den Hals und vor Aufregung merkt sie ein nie gekanntes Brennen unter dem Brustbein.

Die Türe zum Büro ist nicht ganz geschlossen und durch den Spalt kann Carol Mr. Carpenter hinter seinem Schreibtisch erkennen. Er schreibt offensichtlich einen Brief und ist vollkommen in seine Arbeit vertieft. Ein Lächeln fliegt über ihr Gesicht. So leise, wie sie gegangen ist, so leise und fast unbemerkt taucht sie, wie aus dem Nichts, wieder auf.

Das Mädchen klopft an das Holz des Türrahmens und tritt ein, ohne die entsprechende Aufforderung abzuwarten, denn sie möchte den Moment des Erkanntwerdens und die unweigerliche Strafpredigt so schnell wie möglich hinter sich bekommen.

„Hallo, Mr. Carpenter, hier bin ich wieder, wie der berühmte falsche Nickel, den man einfach nicht loswerden kann.“ Ihre Stimme ist leise und fast tonlos, ihr Lächeln ungewohnt angstvoll.

Carpenter blickt hoch. Ein Strahlen geht über sein Gesicht, er schiebt den Sessel zurück, springt auf, wie ein Fünfundzwanzigjähriger und stürmt auf das verlorene Schäfchen zu. Er umarmt das Girl heftig und das ist für das Kind fast wie ein Erlösung. Sie fällt ihm um den Hals und spürt seine trockenen Lippen auf ihrer Stirn.

Aufatmend presst der Rancher das zurückgekehrte Wesen an sich und flüstert: „Du dummes, kleines Mädchen, was hast Du uns bloß für Sorgen bereitet, aber jetzt wird gottlob alles wieder gut.“

Sehr, sehr leise und noch immer fast tonlos haucht Carol: „Es tut mir so furchtbar leid, dass ich Ihnen so viel Kummer gemacht habe, aber mir ist es gar nicht bewusst gewesen, dass mich andere so lieben könnten, dass ich ihnen mit meinem Weggang weh tun könnte. Ich dachte einfach, da ich meine Arbeit nicht mehr lange hätte ausführen können, wäre eine Kündigung die beste Lösung, vor allen Dingen, weil ich den Vormann auch nicht kompromittieren wollte. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er nichts Besseres zu tun hatte, als den Brief mit meinem Geständnis gleich überall herumzuzeigen. – Bitte, verzeihen Sie mir!“

Zuerst entgegnet der Alte gar nichts, seine dunklen Augen ruhen auf dem kleinen Irrwisch, den er so sehr schätzt und auch liebt, doch dann setzt sich ein Lächeln auf der Miene des Mannes durch und er sagt warm: „Ich verzeihe Dir alles, mein liebes Kind. Ich bin nur froh, dass Du zurück bist und hier wohlbehalten, gesund und munter wieder vor mir stehst.“ Er stutzt, ihm fällt etwas ein. Er schiebt das Girl auf Armeslänge von sich und betrachtet sie nachdenklich. Carol sieht kaum anders aus, als er sie in Erinnerung hat, vielleicht noch eine kleine Spur blasser als gewöhnlich. „Sag mal, Carol, wo ist denn überhaupt Dein Baby? Sag nicht, dass alles nur ein Fehlalarm gewesen ist.“

Der Kleinen schießen die Tränen in die Augen. Betreten schaut sie zu Boden, versucht sich ein wenig zu fangen und murmelt heiser: „Nein Sir, es war kein Fehlalarm. Der Kleine starb wenige Minuten nach der Geburt. Ich glaube, es war einfach alles ein bisschen zu viel, was ich dem Ungeborenen zugemutet habe. Ich habe mich unwahrscheinlich bemüht, die Willow-Tree-Ranch zu vergessen und habe mich deswegen in jede Arbeit geflüchtet, die mir angeboten wurde.“

Sie sieht seinen ungläubigen Blick, in den sich eine Spur des Erschreckens mischt.

„Es war alles anständige Arbeit, nicht dass Sie denken, ich hätte mich auf unmoralische Sachen eingelassen. Ich habe Klavierunterricht gegeben und auch für Geld Klavier gespielt und dazu gesungen. Nun gut“, sie grinst, „ob das so richtig moralisch war oder vielleicht sogar ein wenig unanständig, vermag ich nicht zu beurteilen, aber ich schwöre“, sie hebt ihre Hand, „ich habe niemals jemanden zum Zuhören gezwungen.“ Sie holt tief Luft. „Ich hätte eigentlich dankbar sein müssen, dass ich es so gut angetroffen habe, doch ich wurde immer unglücklicher. Schließlich kam das Kind einige Wochen vor der Zeit zur Welt und es war ganz furchtbar klein und zerbrechlich, aber dabei so unheimlich süß. Schwarze Haare, wie sein Vater und eine ganz entzückende, winzige Stupsnase.“ Die Tränen tropfen auf den Fußboden und versickern im Teppich.

Der Rancher holt sein großes Taschentuch aus der Hosentasche und tupft Carol die Tränen von den Wangen, dann nimmt er sie zärtlich wieder in die Arme. Wie leicht sie ist, selber zart und zerbrechlich, wie eine Puppe aus Porzellan. Er spürt eine lange nicht gekannte männliche Regung und hofft, dass das Kind nichts davon bemerkt. Er räuspert sich und brummt heiser: „Mein armes Kind, aber Du wirst sicher bald wieder ein Baby haben. Der Indian wird mit Sicherheit ganz schnell dafür sorgen. Der arme Mann war ja vollkommen fertig, nachdem Du Dich einfach so sang- und klanglos abgesetzt hattest. So habe ich den sonst immer so beinharten Mann noch nie erlebt und er arbeitet schon fast zwanzig Jahre für mich.“ Nun breitet sich wieder ein sanftes Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Du hast Dir übrigens den zweitbesten Mann von Wyoming zum Bräutigam gewählt und ich bin sehr einverstanden mit Deiner Wahl.“

Carols Tränen sind versiegt und langsam gewinnt ihre heitere Natur wieder die Oberhand. „Wieso nur den Zweitbesten?“, will sie verblüfft wissen. Der Alte wird doch nicht Stacy als den besten ansehen? Damit würde er ihr ja fast die Ranch zu Füßen legen. Nein, das kann nicht sein, so weit reicht dann die Liebe zu einer Angestellten sicherlich nicht. Wahrscheinlich meint er Gerrit Fisher, den Typen von der Bank. Gute Beziehungen zu einer Bank haben noch nie einem Betrieb geschadet.

Gerrit ist dem Mädchen ein Gräuel. Hoch aufgeschossen und klapperdürre. Ein brillanter Rechner, aber das lebensuntüchtigste Wesen, welches dem Mädchen jemals begegnet ist.

Die prompte Antwort des Alten versetzt das Mädchen aber dann doch in Erstaunen.

„Nun“, knurrt der Rancher, „ganz einfach: Widefield ist nur der Zweitbeste, weil ich der Beste gewesen wäre. Nur leider bin ich schon etwas zu alt für Dich, obwohl ich denke, so ein wenig Nachwuchs bekämen wir zwei auch noch hin.“

Carol schluckt heftig, dann hatte sie sich eben doch nicht getäuscht, als sie glaubte, zu fühlen, dass sich Carpenters Männlichkeit gegen ihren Bauch drängte.

Sie wird sehr ernst. „Sie haben mir niemals gesagt, dass Sie mich ...“, sie stockt, „dass Sie, Sie mich so mögen. Das habe ich wirklich nicht gewusst, nicht einmal geahnt.“

„Ach, alles Unsinn, mein Kind.“ Der Rancher weiß nicht, ob ihm sein Geständnis nicht doch ein wenig peinlich sein sollte, aber Carol scheint nicht unangenehm berührt, sondern nur in höchstem Maße erstaunt zu sein. „Ich mag Dich sehr, mein Kind und wenn ich etwas jünger wäre, hätte kein anderer Mann auch nur die leiseste Chance bekommen. Aber ich bin nun mal so alt wie ein Großvater und damit viel, viel zu alt für Dich. Außerdem liebst Du doch den Vormann oder etwa nicht?“

„Ja Sir, ich liebe ihn. Ich liebe ihn wahrscheinlich schon vom ersten Moment an und war wohl deswegen so sauer, dass er mich behandelt hat, wie eine Schwerverbrecherin. Etwas später glaubte ich allerdings, er sähe in mir nur ein dummes Kind, das zwar seine Arbeit ganz gut macht, ansonsten aber noch vollkommen geschlechtslos ist oder es zumindest zu sein hat.“

„Siehst Du, so kann man sich irren. Widefield war auch von Anfang an beeindruckt von Dir, sonst hätte er sich nicht darauf eingelassen, Dich als Arbeiterin in seiner Lohnliste zu führen und es mir schnell ausgeredet.“

„Das stimmt wohl, Sir, denn er hat mir sehr schnell gezeigt, dass ich ein Mädchen bin, schon nach ein paar Wochen.“

„Dieser kalte Brocken, wenn ich das geahnt hätte. Du hättest ihn schon mit fünfzehn heiraten dürfen. Auch wenn ich keinem Mann so eine junge Partnerin wünsche, Euch beiden hätte ich sofort meinen Segen gegeben. Stattdessen haltet ihr uns monatelang zum Narren.“ Er grinst und presst Carol einen Kuss auf die roten, leicht geöffneten, sinnlichen Lippen. Er wiedersteht der Versuchung, die warme, feuchte Höhle mit seiner Zunge zu ergründen und löst sich von der kleinen Frau. „Aber in der allernächsten Zukunft gibt es nur eines, was ich von Euch beiden verlange: Ihr werdet so schnell wie möglich heiraten. Ich möchte endlich ein Urenkelchen in meinen Armen wiegen.“

Carol will entgegnen, dass sie jetzt, wo sich mit der Schwangerschaft alles irgendwie noch zum Guten gewendet hat und sie frei von jeder Verantwortung für ein kleines Wesen weiterleben kann wie gewohnt, gar keine Veranlassung mehr sieht, sich zu binden und dass sie noch lange nicht daran denkt, zu heiraten. Doch sie unterdrückt eine entsprechende Bemerkung, denn sie traut sich nicht, durch ihren Protest direkt wieder Misstöne in die glückliche Stimmung zu bringen.

Wohlwollend schaut der Rancher seinem Ausnahme-Cowboy in die Augen und lächelt: „Nun, dann geh Dich erst einmal frisch machen, mein liebes Kind. Nachher kannst Du uns von Deinen Abenteuern in der Fremde berichten. Wir brennen alle darauf, zu hören, wie es Dir die ganze Zeit ergangen ist. Hier war es öde und leer ohne Dich, das kann ich Dir verraten. Du darfst Willow-Tree nie mehr verlassen, nie wieder.“ Er lacht trocken auf. „Die Ranch geht ohne Dich vor die Hunde, denn dann haben wir einen derart grantigen Vormann, der jeden Patzer mit sofortigem Rausschmiss der Leute bestraft, dass bald keiner mehr hier arbeiten will und das bringt auf die Dauer auch nicht gerade Frieden in unser Dasein.“

„Wenn Sie mich jetzt nicht rauswerfen, Sir, bleibe ich gerne.“ Carol lächelt etwas scheu. Irgendetwas knistert seit dem Kuss, den ihr der Alte auf die Lippen gedrückt hat, in der Luft.

Das Girl spürt eine geheimnisvolle Anspannung. Sie merkt, dass der große Boss noch etwas sagen möchte, sich dann aber ein wenig unentschlossen abwendet und nur noch murmelt: „Dich rauswerfen, niemals, meine Liebe, niemals. Eher würde ich Dich ...“, er beendet seinen Satz nicht und geht zurück hinter seinen Schreibtisch. „Nun, alles andere besprechen wir später. Das hat auch wirklich alles Zeit bis morgen.“ Der Mann setzt sich wieder und Carol zieht sich leise zurück.

Zögernd geht sie die Treppe hinauf, durchquert den Gang und stößt vorsichtig die Tür zum blauen Zimmer auf. Alles ist noch so unberührt, wie sie es verlassen hat, so, als wäre sie nur mal kurz nach draußen gegangen. Sogar die Türe ihres Sekretärs steht noch so offen, wie sie sie zurückgelassen hat. Lediglich ist vor kurzem in dem Krug neben der Waschschüssel frisches Wasser eingefüllt, das Bett ordentlich neu bezogen und Staub gewischt worden.

Das Mädchen lässt sich auf sein Bett fallen und schaut sich um, dann springt sie, einer Eingebung folgend auf und tritt ans Fester. Bei dem Blick auf die geliebten Berge in der Ferne, auf das Vormann-Haus, die Cowboy-Unterkunft und das große Stallgebäude merkt die junge Frau, wie sich die Schatten der vergangen Zeit lösen und sie amtet tief ein. Sie ist ein zweites Mal heimgelehrt und hofft, dass es nun für immer sein möge, zumindest, dass sie die Heimat nie wieder durch eigenes Verschulden oder eigene Dummheit verliert.

Sie beobachtet den Rancher, der aus dem Haus tritt, den Vorplatz überquert, an die angelehnte Tür des Vormann-Hauses klopft und dann eintritt. Sie verspürt beim dem Anblick des Mannes ein merkwürdiges Kribbeln im Bauch und muss an die Umarmung denken, bei der sie sein Begehren spüren konnte.

Sie schluckt und leise Zweifel beginnen ihre Gedanken wieder zu trüben. Für immer auf Willow-Tree bleiben, das wäre wundervoll, aber was ist, wenn dem Rancher etwas passiert? Der Mann ist so um die Achtzig, da muss man dem Unausweichlichen in die Augen blicken, auch Carpenter wird nicht ewig leben. Was wird aus der Ranch, wenn der Alte nicht mehr da ist?

Stacy kann man getrost vergessen, der wird die Ranch im Leben nicht übernehmen. Und Susan? Ob die die Arbeit ihres Großvaters fortsetzen wird? Ob sie es überhaupt könnte? Vielleicht, wenn sie den richtigen Mann findet. Was aber geschieht, wenn Willow-Tree verkauft wird? Wird der neue Besitzer die Ranch so weiterführen, wie sie ist? Wird er die Arbeiter übernehmen oder bringt er seine eigenen Leute mit und entlässt die alten?

Fragen über Fragen, für die sich heute und wahrscheinlich auch in naher Zukunft noch keine Klärung findet.

Carol kann zwar im wahrsten Sinne des Wortes kaum bis zwanzig zählen, aber sie ist ungemein clever, was das Geschäft angeht. Sie hat schon lange erkannt, dass es mit der Viehzucht, insbesondere der Rinderzucht, bergab geht. Die Zeiten der großen Viehtriebe sind vorbei, das Fleischgeschäft bröckelt immer mehr und die Preise verfallen zusehends. Es können nur noch wenige Ranches überleben und auch nur, wenn sie bereit sind, sich andere Standbeine zu verschaffen. Carpenter ist trotz seines hohen Alters noch flexibel genug und ständig offen für Neuerungen, die Gewinn zu versprechen scheinen, das weiß das Girl aus Hunderten von Gesprächen, die sie mit dem Mann geführt hat. Es waren ruhige, sachliche Gespräche, aber auch durchaus hitzige Diskussionen dabei, aber eines waren diese Gespräche immer. Sie waren stets von Vorteil für die Ranch. Carols gute Ideen und Carpenters reicher Erfahrungsschatz sichern im Moment das Überleben der Ranch und die Arbeitsplätze der altgedienten Cowboys. Aber was wird in einigen Jahren sein?

Carol weiß, wie alle anderen Willow-Tree Angestellten, dass der sichere Job hier auf der Ranch ein absoluter Glücksfall ist, denn üblicherweise werden Cowboys von ihren Arbeitgebern im Herbst freigestellt, da über den Winter längst nicht so viel Arbeit anfällt, wie in den anderen Jahreszeiten. Im Frühjahr müssen sie sich dann einen neuen Job suchen und den finden sie in den seltensten Fällen bei dem alten Arbeitgeber. Carpenter ist im weiten Umkreis der einzige Rancher, der Cowboys hat, die schon viele Jahre für ihn arbeiten. Entsprechend gut ist das Team natürlich aufeinander eingespielt und der Vormann weiß einhundertprozentig, wen er mit welchen Arbeiten am besten betrauen kann.

Unwillig schüttelt das junge Mädchen die rote Mähne. Wozu sich jetzt schon den Kopf über vielleicht morgen ungelegte Eier zerbrechen. Immerhin kann sie sich glücklich schätzen, dass sie selbst ihren Job zurückbekommen hat.

Das Morgen ist hoffentlich noch weit und heute ist jetzt. Außerdem, hat David nicht gesagt, die Papiere von der Bank wären so viel wert, dass sie sich zur Ruhe setzen könnte.

Das Girl überlegt. Irgendwo in der Nähe von Cheyenne hat sie ein großes Schild an einer Farm gesehen, auf dem stand: ZU VERKAUFEN!

‚Wenn alle Stricke reißen, kaufe ich eine kleine Farm’, denkt sie. ‚Und dort werden die Widefields schon zurechtkommen. In dem Garten baue ich alles an, was wir zum Leben brauchen und um den Rest wird sich mein Liebling schon kümmern.’

Ihr Blick ist weit in die Ferne gerichtet und sie lächelt vor sich hin, bis sie mit einem Ruck in die Realität zurückkehrt. ‚Das ist doch alles Mumpitz. Schließlich ist der alte Carpenter noch ganz gut beieinander und so, wie der eben geredet hat, wird der Mann hundert Jahre alt. Wer weiß, ob der uns nicht alle überlebt, besonders, wenn er meine Kinder noch in die Arme schließen will.’

Bei dem Gedanken an Kinder sieht sie wieder ihr kleines, totes Baby vor sich, die Tränen schießen ihr in die Augen und plötzlich weiß sie, dass sie ein Kind möchte, so schnell wie möglich wieder ein Kind von David. Solange sie hier auf der Ranch sein darf, geht es einem Kind mit Sicherheit blendend, also, was liegt näher, als diesen Wunsch fix zu realisieren.

Carol holt tief Luft. ‚Ich habe sogar Geld genug, um dem Zwerg eine gute Schulausbildung zukommen zu lassen!’ Sie seufzt. „Gerrit!“, schießt es ihr durch den Kopf und sie wird sich bewusst, dass sie den Namen laut ausgesprochen hat. „Gerrit, der Tölpel muss mir helfen, mein Geld gewinnbringend anzulegen, damit die Kinder mal etwas davon haben, wenn David oder mir was zustößt. Der Kerl ist zwar zu doof zum alleine überleben, aber was Gelddinge angeht, ist er unschlagbar!“

Das Girl zieht den Packen Bankpapiere aus der Innentasche ihrer Weste und blättert nachdenklich darin. Sie betrachtet die Zahlen, die auf den einzelnen Blättern vermerkt sind und zuckt mit den Achseln. Lauter Nullen und das soll viel wert sein? Ihr fällt Davids unwillig gerunzelte Stirn ein, als er die Gesamtsumme errechnet hatte und sie schüttelt sich.

Seufzend rollt sie die Blätter wieder zusammen und fixiert die Rolle mit einem Bändchen, dann tritt sie an ihren Sekretär und schiebt die Papiere in die hinterste Ecke des Geheimfachs. Schon will sie es verschließen, da fällt ihr noch etwas ein. Wieder greift sie in Ihre Westentasche und angelt nach dem Ehering ihrer Mutter, „Tja, Mama, nun hat es mit dem Enkelchen doch nicht geklappt, aber hoffentlich schenke ich der Welt bald einen kleinen Zwerg, in dem ihr weiterleben dürft.“

Sie schaut auf den schmalen, goldenen Reif in ihrer Hand, gibt sich einen Ruck und legt ihn zu den Bankpapieren. Während sie das Geheimfach verschließt, flüstert sie: „Ich weiß, Du wärest entsetzt, wenn Du das noch erleben müsstest, Mami. Deine Tochter, grade sechzehn, lässt sich mit einem Mann ein, wird schwanger, verliert das Kind und will sofort wieder eins. Aber vielleicht ist das meine Sehnsucht nach einer eigenen Familie, einer heilen Familie, in der nicht um ein Familienmitglied getrauert werden muss, weil Fehler gemacht wurden. Ich weiß, dass ihr mich beide geliebt habt, Du, genau so, wie Daddy, doch ich hatte immer das Gefühl, der größte Teil Eurer Liebe gehörte John.“

Das Klopfen an ihrer Zimmertür lässt sie in ihren trübseligen Gedanken innehalten und sie verscheucht sie sofort, um mit klarer Stimme zu rufen: „Ja bitte!“ Neugierig schaut sie zur Tür, die sich vorsichtig öffnet. Susans Kopf schiebt sich durch den Spalt. „Störe ich? Ich habe Dich sprechen gehört.“

„Iwo, komm rein, ich führe nur mal wieder lautstarke Selbstgespräche mit Carol!“, lacht das rothaarige Kind und die Freundin betritt, sich umsehend, den Raum. „Ich bin das letzte Mal hier drin gewesen, an dem Morgen, an dem Du uns so fluchtartig verlassen hast. David war wie ein Verrückter ins Haus gekommen, hat mir Deinen Brief in die Hand gedrückt und ist die Treppe hoch und hier rein gestürmt. Wenn ich denke, was für harte Worte hier gefallen sind. Ich habe ihn als mieses Schwein bezeichnet. Kannst Du Dir das vorstellen? Und dann erst die Antwort, die er mir daraufhin gab. Ich werde noch heute rot vor Scham, wenn ich daran denke. Ich bin hier raus gerast, als mein Großvater kam und wissen wollte, was die ganze Aufregung zu bedeuten habe. – Und dann habe ich das Zimmer nicht wieder betreten, ich konnte es einfach nicht.“


Nur ein Tropfen Leben

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