Читать книгу Nur ein Tropfen Leben - Christina M. Kerpen - Страница 5
Späte Nachricht
ОглавлениеAuf der Willow-Tree-Ranch geht mittlerweile alles wieder seinen gewohnten Gang und die Normalität hat notgedrungen die Oberhand gewinnen müssen.
Obwohl Carol nun schon so lange fort ist, ist ihr Geist noch überall zu spüren, als käme sie jeden Moment in den Raum. Lediglich Susan trägt seit einigen Wochen Trauer, denn eines Morgens ist sie mit dem Gefühl erwacht, Carol sei etwas ganz Schreckliches zugestoßen und sie würde nicht mehr unter den Lebenden weilen. Mit dieser festen Überzeugung, die sie laut jammernd immer und immer wieder verkündet, hat die junge Frau zunächst für gehöriges Durcheinander unter allen Ranchbewohnern gesorgt und stillschweigend scheint es seither die Abmachung zu geben, den rothaarigen Cowboy nicht mehr zu erwähnen, um nicht immer wieder die gleichen Wunden aufzureißen und damit den Arbeitseifer zu lähmen..
Das blaue Zimmer wurde, nachdem der Rancher und sein Vormann es am Tag nach Carols Verschwinden als Letzte verlassen hatten, fest verschlossen und seither von niemandem wieder betreten. Es wurde nichts, auch nicht die kleinste Kleinigkeit verändert. Alles liegt gleichsam in einem Dornröschenschlaf und wartet darauf, endlich wieder geweckt und mit Leben erfüllt bewohnt zu werden.
Ines wollte die Möbel eigentlich mit Tüchern abdecken, doch der Rancher hat abgewehrt und gemeint, alles solle so bleiben, wie es war, als Carol aus dem Raum gegangen ist, damit sie, wenn sie hoffentlich eines Tages wiederkehrt, alles genau so unberührt vorfindet, wie sie es verlassen hat. Sogar die Kuhle in der Bettdecke, da wo ihre Satteltasche gelegen hat, wurde nicht durch Aufschütteln des Kissens entfernt.
Obwohl Carol in diesen Tagen kaum noch erwähnt wird, tragen viele Dinge so unverkennbar ihre Handschrift, dass niemand das reizende Geschöpf vergessen kann und selbst neu eingestellte Männer sich fragen, was es mit dem so merkwürdig totgeschwiegenen und doch irgendwie ständig anwesenden Cowboy wohl auf sich hatte. Fragen danach werden jedoch immer nur lapidar dahingehend beantwortet, dass der Mann halt eine tolle Frau gewesen ist.
Der Vormann ist in den Monaten nach dem Verschwinden seiner Freundin noch härter und unbeugsamer geworden. Er wacht mit einer nahezu unerbittlichen Strenge über alle Arbeiten und davon gibt es jetzt, da auch noch die Johnson-Ranch zu Willow-Tree gehört, wahrlich mehr als genug.
Gerade auf der Johnson-Ranch werden Unmengen von Carols Ideen in die Tat umgesetzt und hier lebt das Girl, obwohl es selber niemals einen Fuß hergesetzt hat, immer wieder auf. Hier wird von ihr gesprochen, als würde jeder nur darauf warten, endlich frei von ihr reden zu dürfen.
Immer wieder bedauern es die altgedienten Willow-Tree-Cowboys, die das Mädchen gut gekannt haben, dass sie nicht mehr da ist, um ihnen mit ihrer unglaublichen Kreativität zu helfen. Allerdings achten sie dabei sehr scharf darauf, dass weder Widefield noch Blacky in Hörweite sind, wenn sie Carols Namen nennen.
Max Perkins, der Vormann der Johnson-Ranch hat sich schnell damit abgefunden, dass der Indianer, den er einmal nach einer Prügelei von der Ranch gejagt hat, jetzt sein unmittelbarer Vorgesetzter ist und akzeptiert widerspruchslos jede seiner Weisungen. Es wird sich wohl niemals eine echte Freundschaft zwischen den Männern entwickeln, aber immerhin respektieren sich die beiden gegenseitig, weil sie beide erkennen, dass sie sich ebenbürtig sind.
Perkins beobachtet den Indian manchmal scharf und wundert sich über dessen Härte, die ja wohl nicht nur daher rühren kann, dass er es als Halbblut immer schwer mit den Weißen gehabt hat. Er überlegt, was er aus der Vergangenheit über den Mann weiß und kommt zu dem Schluss, dass er gar nichts weiß, lediglich dass dem Indianer nur positive Eigenschaften zugeschrieben wurden, allerdings mit der Einschränkung, dass er niemals lacht und Fehler bei der Arbeit kaum duldet. Dennoch war er ihm früher bei den seltenen Treffen in der Stadt längst nicht so versteinert vorgekommen, wie heute.
Als der Mann Fess einmal alleine antrifft, fragt er ihn vorsichtig: „Sagt mal, Euer Boss war ja noch nie die Liebenswürdigkeit in Person, aber früher erschien er wenigstens ab und zu mal menschlich, da hat man ihn auch mal im Saloon gesehen, jedoch seit einiger Zeit ist er das reinste Ekelpaket. Wie haltet ihr das drüben auf Willow-Tree nur aus mit dem?“
Fess, der sein Herz längst nicht mehr so offen auf der Zunge trägt, wie früher, zuckt mit den Achseln: „Es gibt halt Schicksalsschläge, die sind nur schwer zu verdauen. Widefield hat da seine eigene Methode, ob sie Dir nun passt oder nicht. Sie mag uns allen nicht immer richtig erscheinen, aber das muss er mit sich selbst ausmachen. Solange die Arbeit nicht drunter leidet und er nicht ungerecht wird, ist doch alles okay, oder?“
Perkins schaut den Jungen nachdenklich an. „Ich frage mich manchmal, ob Euer Boss jemals in der Lage wäre, eine zwischenmenschliche Beziehung aufzubauen. Der ist so hart gegen sich selbst, wie hart ist er dann erst gegen andere?“
Fess legt den Kopf schief. Er überlegt, wie er am unverfänglichsten antworten kann. „Nun, der Boss ist härter zu sich selbst, wie zu anderen. Er verlangt sich selber wesentlich mehr ab, als er es von uns jemals verlangen würde. Das wirst Du merken, wenn Du ihn besser kennen gelernt hast. – Und was Du mit zwischenmenschlicher Beziehung meinst, verstehe ich nicht ganz.“
Perkins grinst: „Damit meine ich, dass der Typ sich nie verlieben könnte.“
„Und warum nicht?“ Fess wird langsam sauer. „Es muss doch nicht jeder seine Gefühle mit dem Gesicht ausdrücken. Dieses Pokerface hat er sicher von seinen Vorfahren geerbt.“ Der Junge schnaubt. „Und ich kann Dir versichern, es gibt genug Frauen, die ihn mit Freude glücklich machen würden.“
Das Grinsen des Johnson-Ranch-Vormanns wird anzüglich. „Klar, gegen angemessene Bezahlung.“
Der junge Cowboy ärgert sich immer mehr über Perkins, der keine Ahnung hat und knurrt, wobei er sich beherrschen muss, ihm keinen Faustschlag ins Gesicht zu setzen: „Ich glaube nicht, dass der Boss das nötig hat, das hatte er noch nie!“
Perkins spitzt die Lippen. Es beeindruckt ihn, wie Widefields Leute trotz allem zu ihm halten und meint in versöhnlichem Tonfall: „Ist ja schon gut, ich wollte nicht an Widefields Ehre kratzen. Geht mich ja auch nichts an, aber man denkt sich halt manchmal sein Teil, wenn ein Mann so knallhart, eisern und diszipliniert ist.“
Fess senkt den Blick zu Boden und denkt: ‚Wenn der Boss doch bloß auch Carol gegenüber so diszipliniert gewesen wäre, dann wäre sie noch hier und alles wäre im Lot und er brauchte nicht ganz so grantig zu sein.’
Als hätte Perkins einen Bruchteil seiner Gedanken aufgeschnappt, fragt er plötzlich nach der Frau, von der so oft gesprochen wird. Fess schaut ihn ziemlich betroffen an und murmelt: „Da kann ich nicht viel zu sagen, nur dass sie wirklich toll war, aber das ist Schnee von gestern.“
Der junge Cowboy sieht seinen Boss nahen und verkrümelt sich so schnell er kann. Wenn der merkt, dass von Carol gesprochen wird, ist er wieder mindestens drei Tage ungenießbar.
Perkins schaut Fess kopfschüttelnd nach, dann geht er dem Indian entgegen und die beiden besprechen einige Arbeitsabläufe.
Nachdem alles sehr sachlich geklärt ist und sich David schon wieder abwenden will, knurrt Max unvermittelt: „Jetzt bin ich aber langsam sauer!“
Abrupt bleibt der Indianer stehen und dreht sich wieder zu dem Sprecher um. „Darf ich erfahren, warum?“
„Also wirklich, das ist ja grässlich, ständig wird hier von Eurem so tollen Cowgirl gesprochen. Ich glaube, sie heißt Carol. Aber wenn ich jetzt mal irgendjemanden nach ihr frage, bekomme ich nur ausweichende oder gar keine Antworten. Ich bin es ziemlich leid, ewig nur die Ideen dieser Lady erklärt zu bekommen. Warum kommt sie nicht selbst und bespricht sich mit uns? Ist sie was besseres, als wir armen Schafhirten, die ihr aus uns gemacht habt? Ich würde diese ominöse Dame zu gerne einmal persönlich kennen lernen, aber irgendwie macht ihr Willow-Tree-Leute ein Geheimnis um sie, als wäre sie ein aus Fort Knox entwendeter Schatz.“
David beißt die Backenzähne hart aufeinander. Sein Herz ist gerade wieder von einem spitzen Dolch getroffen und durchbohrt worden. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass der Verlust eines Menschen ihn so hart und dauerhaft schmerzhaft treffen könnte.
Er schaut Perkins offen an. Er kennt die Story, die sich vor einiger Zeit auf einer Viehauktion zwischen dem Sohn des alten Ranchers Johnson und seiner Carol zugetragen hat. Er weiß, dass Max damals durch sein schnelles und gezieltes Eingreifen verhindert hat, dass das Kind von Johnson Junior vergewaltigt wurde.
Der Indian beißt sich auf die Unterlippe, schaut Perkins aus kalten, dunklen Augen und ohne weitere Regung in seinem Gesicht hart an. „Du kennst unsere Carol schon lange! Du hast sie mal vor Schlimmem bewahrt, als Dein Juniorboss sie vergewaltigen wollte.“
Stirnrunzelnd schaut der Johnson-Vormann seinen neuen Boss an, dann klärt sich sein Gesicht und er meint heiter: „So ’ne hübsche, kesse Rothaarige, mit mehr Viehverstand, wie die Viecher selber, stimmt’s?“
Bitter nickt David: „Genau die!“
„Und wo ist der süße Käfer abgeblieben? Ihr werdet sie doch wohl nicht gefeuert haben, nachdem sie Euch mit so vielen guten Ideen versorgt hat? Oder hat sie das gesamte Tafelsilber geklaut und ist damit abgehauen? Ich meine nur, weil Ihr sie so totschweigt.“
Ohne Anzeichen irgendeiner Emotion brummt David gleichmütig: „Dem Mädchen geht es zur Zeit sehr schlecht. Das Leben hat ihr jahrelang hart zugesetzt und deswegen ist sie zur Erholung in ärztliche Obhut gegeben worden. Wir wissen nicht, wann und ob sie überhaupt zurückkehrt. Sie hat gerade in den letzten Monaten so furchtbar viel durchmachen müssen, wie wir zwei zusammen das im Leben nicht mehr schaffen können.“
Er macht eine kurze Redepause, dann brummt er: „Sie ist übrigens die Schwester von Blacky, der wegen des angeblichen Mordes an Fred Johnson fast unschuldig aufgeknüpft worden ist.“
„Ja, ich erinnere mich, wusste aber nicht, dass das Geschöpfchen Euer Cowgirl war. Ich dachte immer, die Blake Geschwister wären Verwandtschaft von Eurem Rancher. Scheiße! Na kein Wunder, dass sie ähm, krank geworden ist. Ich habe auch von dem Überfall auf den Postzug gehört. Schlimme Sache für die Kleine, war bestimmt kein Honigschlecken und mit Fisher hatte sie bestimmt keine Hilfe, sondern eher einen Klotz am Bein.“ Max schüttelt den Kopf und denkt: ‚Da kann man wirklich nur durchdrehen, wenn man unschuldig in so was rein gerät. Bestimmt ist sie in einem Irrenhaus gelandet, das arme Ding. Deswegen spricht kaum einer vernünftig von ihr.’
Die Version, dass Carol zur Erholung weggeschickt worden ist, ist die offizielle, in Ebony Town bekannte Geschichte. Es war die Idee von Dr. Steel und seiner Frau, den Leuten eine unverfängliche Geschichte zu präsentieren, damit das junge Mädchen unbelastet zurückkehren kann, wenn sie das irgendwann einmal möchte.
Der Mediziner hatte dann grinsend noch hinzugefügt: „Und für das Kind finden wir auch eine plausible Erklärung, denn bei Carol ist doch alles, einschließlich eines Findelkindes, möglich.“ Das Ehepaar hatte dann auch, unter dem Siegel der Verschwiegenheit natürlich, für eine rasche Verbreitung der Story gesorgt, um die Gerüchteküche möglichst kalt zu halten.
Kein einziger Stadtbewohner hat den geringsten Zweifel am Wahrheitsgehalt der Geschichte und jeder ist sich sicher, dass es für das Kind am besten war, für eine Weile zur Erholung weggeschickt worden zu sein. Ihre ganzen Abenteuer werden in Hunderten von Gesprächen immer wieder nacherlebt und schließlich ist sich jeder sicher, dass die arme Kleine einen Nervenzusammenbruch erlitten haben muss, insbesondere nach der schweren Erkrankung, die sie sich im Gebirge nach dem Zugüberfall zugezogen hat.
Außer allen Bewohnern nebst den altgedienten Cowboys der Willow-Tree-Ranch, dem Ehepaar Steel und Bill Fawkes, dem Sheriff der kleinen Stadt, weiß wirklich niemand von Carols Schwangerschaft und alle, die es wissen, halten erstaunlich dicht. Kein einziger geht mit dieser Sensation hausieren, obwohl er damit zum Star vorn Ebony Town werden könnte.
Nun kennt also auch Max Perkins die Version von Carols Erholungsurlaub und nunmehr wird wohl auch auf der Johnson-Ranch das Gerede über die junge Frau endlich ein Ende finden.
Für David ist das Gespräch mit seinem Kollegen damit beendet und er stapft von dannen, denn er will nicht weiter in seinen eigenen Wunden bohren.
Müde kehrt der Mann zur Willow-Tree-Ranch zurück. Immerzu muss er an das bezauberndste aller Mädchen denken, an das süße Kind, das ihm seine Jugend schenken wollte und welches ihm schon fast ganz gehört hätte, wenn er nur nicht so ungeduldig und so furchtbar unbeherrscht gewesen wäre. Die Sehnsucht nach dem reizenden Geschöpf ist besonders in den einsamen Nächten unbeschreiblich schmerzhaft.
Wenige Tage nach dem Gespräch zwischen den beiden Vorarbeitern erscheint ein aufgeregter Sheriff auf der Willow-Tree-Ranch. Er reitet sofort zu Mr. Carpenter, der am Corral steht und dort einige neu erworbene Pferde beobachtet, hinüber.
Fawkes erkennt, dass einige wundervoll rassige Stuten bei den Neuerwerbungen sind und er hört den Alten gedankenverloren murmeln, nachdem er von ihm begrüßt worden ist: „Nicht nur, dass uns Carol an allen Ecken und Enden fehlt, hier wäre auch für Silky was dabei. So schöne Stuten und der großartige Hengst, das gäbe Fohlen vom Allerfeinsten.“ Er seufzt und wendet sich mit einem Ruck dem Ordnungshüter zu. „Nun, Sheriff, was führt Sie zu uns? Sie waren lange nicht mehr hier draußen.“
Seit Carol nicht mehr da ist, zieht es den jungen Sheriff gar nicht mehr so häufig auf die große Ranch, das weiß er und er zuckt entschuldigend mit den Schultern, doch sofort kann er sich ein Strahlen nicht mehr verbeißen und er reicht dem Rancher ein Telegramm, welches auch diesen in nicht unbeträchtliche Aufregung zu versetzen scheint.
Mit einer für sein Alter unbeschreiblichen Wendigkeit dreht sich Carpenter zu einem jungen Cowboy um. „Hey, Jim, reite so schnell Du kannst zur Westweide. Dort sind Widefield und Blake. Sag ihnen, sie sollen alles stehen und liegen lassen und auf schnellstem Wege zu mir kommen. Sag ihnen, dass es brennt!“
Er schaut wieder auf das Telegramm und schüttelt dann, erleichtert aufatmend, den Kopf, während er den Text zum wiederholten Male überfliegt.
„War auf Reisen STOP Kann erst heute antworten STOP Gesuchte gesehen STOP Rote Haare, andere Umstände STOP Richtung Südwesten STOP Viel Glück STOP Wrighling STOP“
Der Alte seufzt: „Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, dass wir die Kleine jemals wiedersehen werden, aber das hier, “ er wedelt mit dem Papier, „das klingt doch recht vielversprechend.“
Fawkes nickt und meint plötzlich ernüchtert: „Schon, aber leider ist die Spur schon ziemlich abgekühlt. Mein Kollege war verdammt lange unterwegs. Außerdem kann es sich wieder um einen Irrtum handeln.“
„Kann, kann, kann. Was soll das, werfen Sie die Flinte ins Korn, bevor die Fährte aufgenommen wurde? Unsinn, wenn sich der Mann an eine Person erinnert, auf die Carols Beschreibung passt, werden es auch andere tun, besonders, wenn man endlich die richtige Richtung kennt, in der man suchen muss. Außerdem werden ja wohl nicht so sonderlich viele schwanger Kinder mit feuerroten Haaren unterwegs sein.“
Bill nickt mit traurigen Augen. „Das wollen wir doch nicht hoffen, Sir.“
Carpenter schaut den Sheriff scharf an, dann schmunzelt er: „Ich glaube, unser Hexchen hat Ihnen auch ein wenig den Kopf verdreht, mein Lieber.“
Der Sheriff schluckt: „Nicht nur ein wenig, Sir. Ich glaube, mich hat es sogar ziemlich schlimm erwischt. Aber ich fürchte, ich bin leider reichlich chancenlos.“
Der Alte lacht. „Trösten Sie sich, mein Junge, damit stehen Sie nicht alleine in dieser Stadt.“
Es dauert gar nicht lange, da stolpern seine beiden besten Cowboys in das Büro des Ranchers. Sie verpassen den Sheriff nur um eine knappe viertel Stunde und sind sehr gespannt darauf, was der Alte ihnen zu sagen hat, denn Jim hat seinen Auftrag gewissenhaft ausgeführt und nicht vergessen zu erwähnen, dass der Sheriff den „Großbrand“ mit irgendeiner Nachricht ausgelöst hat.
Carpenter mustert seine erhitzten Männer kurz, hält sich gar nicht lange mit irgendwelchen Vorreden auf, sondern erteilt sofort eine klare Anweisung, die die Cowboys im ersten Moment ein wenig verblüfft, die sie dann aber, nachdem sie die Worte ihre Arbeitgebers begriffen haben, vor Glück strahlen lässt.
„Ich habe einen Auftrag für Sie beide! Schaffen Sie mir Carol herbei und wehe Euch, Ihr wagt es, ohne die Kleine hierher zurückzukehren. Geht nicht will ich nicht hören, verstanden?“ Er grinst, denn er merkt, dass die Cowboys den tieferen Sinn seiner Worte erst gar nicht recht glauben wollen.
„Beginnt Eure Suche in Colorado, genauer gesagt, in Rifle und dann immer Richtung Südwesten. – Und noch eins, Ihr seid beide arbeitslos, wenn ihr mir das Mädchen nicht zurückbringt!“
Der Rancher öffnet eine Schublade seines Schreibtischs, entnimmt ihr etwas und geht dann zu seinem Vormann, um ihm ein dickes Bündel Banknoten in die Hand zu drücken. „Für Eure Spesen, Jungs!“
Erschrocken schaut David auf das viele Geld in seiner Hand. Erst glaubte er seinen Ohren nicht zu trauen, dass der Boss ihn und John so jovial geduzt hat und jetzt rückt er auch noch eine Unmenge Geld raus. Er muss sich ziemlich sicher sein, dass eine Spur von Carol aufgetaucht ist.
„Aber Sir, das ist doch viel zu viel“, stammelt er und kann seinen Blick nicht von den Dollars in seiner Hand wenden.
„Unsinn, mein Junge!“ David kann sich kaum erinnern, dass der Alte jemals ‚mein Junge’ zu ihm gesagt hat. Er muss sich nicht nur sicher sein, dass die Spur heiß ist, nein er muss sich auch unglaublich über die Nachricht freuen, dass es eine Chance gibt, Carol wiederzufinden. „Unsinn, mein Junge! Woher wollen Sie denn das jetzt schon wissen? Sie dürfen unterwegs keine Zeit verschwenden, indem Sie sich ihren Lebensunterhalt irgendwo verdienen müssen. Außerdem, vielleicht muss unsere Kleine ja neu eingekleidet werden“, der Alte kneift vielsagend ein Auge zu, „und wahrscheinlich werden Sie mit der Bahn zurückkommen müssen. Damit“, der Rancher macht mit den Händen eine Bewegung ‚sehr dicker Bauch’ und schmunzelt, „damit wird sie wohl nicht mehr reiten können.“
Daran hatte David überhaupt nicht gedacht. Sein kleines, zierliches Mädchen wird sich sehr verändert haben. Er kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass Carol irgendwie dicker geworden sein soll.
John stürmt zur Tür. „Ich bin in fünf Minuten reisefertig!“
David will ihm folgen, doch Carpenter hält ihn am Ärmel fest. „Ich hoffe aber trotzdem, dass etwas von dem Geld übrigbleibt.“
Der Vormann schaut ihn offen an und denkt an das dicke Bündel Geldscheine, das er in seine Westentasche gesteckt hat. „Mit Sicherheit, Sir, ich sagte ja schon, es ist viel zu viel.“
„Nun gut“, der Rancher nickt ernst, „das Restgeld ist ihre Prämie Mann. Sie sollten überlegen, ob Sie ihrem Goldstück nicht ein hübsches Schmuckstück schenken wollen.“ Provozierend auffällig hält er dem Indian den Ringfinger seiner linken Hand unter die Nase.
Widefield ist erst ein wenig sprachlos, dann stammelt er nur noch: „Danke vielmals, Sir, das ist äußerst großzügig von Ihnen!“
„Noch was“, der Rancher reibt sich die Nase und kraust sie dann ein wenig. „Sie sollten Ebony Town bei Ihrer Rückkehr umgehen. Wenn Sie rechtzeitig telegrafieren, werde ich Sie in Claime-Creek abholen lassen. Schreiben Sie nur: Geschäft erfolgreich abgeschlossen! und wann wir Sie erwarten dürfen.“
„Mache ich, Sir, und nochmals, vielen Dank für alles.“
„Bedanken Sie sich nicht zu früh, mein Lieber. Ich erwarte, dass Sie als Ehrenmann die Sache umgehend ins Reine bringen, wenn Sie wieder zurückgekehrt sind! – Na, darüber reden wir, wenn es soweit ist.“
David nickt, noch immer ein wenig verwirrt, doch dann hält auch den sonst eher zurückhaltenden Mann nichts mehr auf der Ranch und mit einem kurzen Gruß rennt er hinter seinem Freund her aus dem Haus.
Carpenter bleibt kopfschüttelnd zurück. Dafür, dass der Mann auch schon fast vierzig ist, ist er noch ganz schön fit und wird zum jungen Stier, wenn es um seine geliebte Carol geht. Das lachende Gesicht, umrahmt von der glutroten Mähne, taucht vor seinem inneren Auge auf und der Alte wünscht sich wieder einmal nichts sehnlicher, als dass seine Cowboys das Mädchen finden und wohlbehalten zurückbringen werden.
Der Rancher tritt ans Fenster, schaut hinauf auf den großen Vorplatz und hinüber zur Cowboy-Unterkunft. Die Tür zum Vormann-Haus steht offen und im Inneren sind eilige Bewegungen zu erkennen.
Nur Minuten später beobachtet Carpenter die beiden so unterschiedlichen Männer, wie sie gemeinsam über den knirschenden Kies zu ihren Pferden rennen, aufsitzen und in fliegender Eile die Ranch verlassen. Es ist wirklich merkwürdig, dass zwei so gegensätzliche Typen die besten Freunde sein können. Auf der einen Seite der hitzköpfige Blake, ein Draufgänger, aber trotz seiner impulsiven Art immer fröhlich, liebenswert und zuverlässig, was seine Arbeit betrifft und auf der anderen Seite der ruhige, immer besonnene Widefield, absolut verschlossen und viel zu ernst.
Die beiden sind eigentlich wie Feuer und Wasser, aber dennoch halten sie zusammen, wie Pech und Schwefel und das schon seit so vielen Jahren, dass sich Carpenter kaum noch daran erinnern kann, wie Blacky von dem Indianer angeschleppt worden ist. Damals war der dunkelhaarige Mann auch erst wenige Wochen auf der Ranch. Das ist schon so lange her, das muss eigentlich schon kurz nach Blackys Streit im Elternhaus gewesen sein.
Der Rancher schmunzelt. Der Indian nimmt scheinbar gerne schutzbedürftige junge Leute, die aus dem Nest gefallen sind, unter seine Fittiche. Oder irgendetwas magnetisiert zwischen den Blakes und dem Vormann, denn immerhin war er es, der die beiden nach Willow-Tree gebracht hat, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Motiven heraus, aber letztlich mit dem gleichen Ergebnis.
Die Geschwister sind zu einem festen Bestandteil der Ranch geworden und wenn die beiden Cowboys das Wunder fertig bringen, Carol zur Rückkehr zu bewegen, kann die Ranch überleben, ohne irgendwann in gänzlich fremde Hände abgegeben werden zu müssen, wie die Johnson-Ranch und so viele andere Betriebe auch.
Für einen kurzen Moment schießt Carpenter durch den Kopf, dass es vielleicht wieder eine falsche Spur ist, auf die er seine Männer gesetzt hat, aber sofort verwirft er diesen unangenehmen Gedanken wieder, denn er will einfach nicht wahrhaben, dass diese Möglichkeit recht groß ist.
Der Alte setzt sich in seinen Sessel hinter seinen wuchtigen Schreibtisch, entzündet umständlich eine Zigarre und schaut den Rauchwölkchen hinterher. Es sieht so aus, als wende sich nun doch noch alles zum Guten und das sogar in seinem Sinne, ganz ohne dass er etwas daran tun musste.
Er grinst bei dem Gedanken daran, welche Gehirnakrobatik er betrieben hat, um seinen Vormann und den kleinen Irrwisch miteinander zu verkuppeln und dabei haben die beiden ganz alleine gewusst, was da zu tun ist und sie haben es auch getan.
Ein glücklicher Seufzer hebt seine Brust und er murmelt: „Ach, kleine Carol, Du machst uns alle auf irgend eine Art und Weise verrückt. Das ist Dein ganz persönlicher Zauber. Es scheint doch etwas dran zu sein, dass zwischen roten Haaren und Hexen eine Verbindung bestehen muss.“
Er blickt nachdenklich zur Tür und erinnert sich plötzlich wieder ganz genau an die Szene, als ein verstocktes kleines Mädchen zu ihm in den Raum geschoben worden ist. Ihm fallen die vielen Gespräche wieder ein, die er mit der jungen Frau in der Folgezeit hier in diesem Büro geführt hat und er erinnert sich, dass schon bei einem der ersten dieser Gespräche das Kind gesagt hat: „Die Zeiten sind verdammt hart geworden, Sir. Ich habe in den letzten zwei Jahren immer wieder miterlebt, wie Ranch um Ranch den Bach runtergegangen ist. Das heißt, meistens kam ich grad dorthin, als alles in Auflösung begriffen war und ich nur noch aufräumen helfen durfte. Damit habe ich mich über dem Wasser gehalten, in dem die Rancher untergegangen sind.“
Was hatte er damals über ihre altklug erscheinende Art schmunzeln müssen, doch er hat immer gewusst, dass Carol mit allem, was sie da so ernst gesagt hat, recht hatte. Sie ist ein äußerst intelligentes Kind, mit einer schnellen Auffassungsgabe und einem sehr scharfen Auge für selbst ganz kleine Details.
Der Mann schnaubt, denn er weiß, die Zeiten werden noch härter, der Kampf um die Existenz einer Ranch wird immer schwieriger werden, genau so, wie es das Girl vorausgesagt hat. Wie gut, dass er auf ihre mahnenden Worte gehört und sich hat überzeugen lassen, dass man sich sehr flexibel auf neue Standbeine stellen muss, wenn man überleben will.
Der Rancher denkt an Johnson, der nicht so klug gewesen ist, sondern sich mehr oder weniger immer ein bisschen über seine Neuerungen auf Willow-Tree lustig gemacht hat, und jetzt darf er auf seine, Carpenters, Schafe aufpassen. Ha, wie entsetzt war der alte Johnson gewesen, als die ersten Schafe auf seine Rinderweiden gebracht wurden und vorige Woche musste er dann doch zugeben, dass sich die Schafzucht bereits in den ersten Monaten zu rentieren scheint.
„Mein lieber James“, hatte Johnson gemurmelt, „mein lieber James, Du bist der weitaus bessere Geschäftsmann von uns beiden. Das hätte ich noch vor einem knappen Jahr niemals zugegeben, aber es ist so. Du hast Ideen wie ein junger Mann und du hast prima Leute, die aus diesen Ideen Gold machen.“
Carpenter nimmt einen tiefen Zug aus seiner Zigarre und rollt den Rauch über die Zunge. „Das alles haben wir Dir zu verdanken, kleines Mädchen mit roten Haaren. Du musst einfach zurückkommen, nur mit Dir kriegen wir die Ranch gesund in das nächste Jahrhundert.“
Er seufzt wieder, dann zwingt er sich und konzentriert sich auf seine Arbeit, die ihm in den letzten Monaten nicht so recht hat von der Hand gehen wollen.
Das Telegramm von Sheriff Wrighling kam zwar spät, viel zu spät, aber es war echtes Gold wert. Obwohl nach so vielen Monaten die Spur eigentlich ziemlich abgekühlt sein müsste, war Carol so auffällig, dass sich fast jeder noch an die hübsche, werdende Mutter mit den unbeschreiblich roten Haaren erinnert.
In nahezu jeder größeren Ortschaft hat sie die Menschen mit ihrem Klavierspiel betört und so wird die Suche dieses Mal für die beiden Cowboys zu einem Kinderspiel. Es ist die reinste Schnitzeljagd und wird am Ende endlich von dem ersehnten Erfolg gekrönt sein. Die Männer spüren es beinahe körperlich, dass sie einen Schatz finden werden und dass sie diesem Schatz rasch näher kommen.
Schon etliche Meilen vor Plumquartpinie hören John und David von einer jungen Witwe mit roten Haaren, die eine wundervolle Pianistin ist und jeden Abend vor Publikum auftritt. Die Menschen reisen meilenweit und nehmen viele Strapazen auf sich, nur um die junge Frau zu hören.
„Witwe“, knurrt Widefield, „ha, das sieht dem kleinen Luder ähnlich. Sehe ich schon so verstorben aus?“
„He, pass gefälligst mit Deiner Wortwahl auf. Es könnte immerhin sein, dass Du von meiner Schwester sprichst. Ich hoffe es zumindest.“ Blacky stöhnt leise. „Hoffentlich ist sie tatsächlich so ein Genie am Klavier, nicht, dass wir wieder nur einem Phantom folgen, wie damals, als wir glaubten, sie sei Richtung Osten unterwegs.“
Dann aber klärt sich Blackys Gesicht auf. „Unsere Mutter war hochmusikalisch und, wahrscheinlich ist Carol es auch.“ Er grinst. „Und um auf Deine Frage von vorhin zurückzukommen, Du siehst wirklich in letzter Zeit arg alt und mitgenommen aus.“ Plötzlich beginnt sich Blacky unbändig auf das Wiedersehen mit seiner kleinen Schwester zu freuen. Vor Aufregung klopft ihm sein Herz bis zum Hals.
David kann über den kleinen Scherz seines Freundes nicht lachen, denn er hat sich in der Tat noch niemals so alt und verbraucht gefühlt, wie seit dem Tag, als Carol die Ranch mit seinem Baby unter dem Herzen verlassen hat und so brummt er: „Mach Du Dich nur lustig über arme, alte, von ihrem Jungbrunnen verlassene Männer mit echtem Liebeskummer.“
Blacky strahlt ihn an. „Kopf hoch mein Freund, in Kürze kannst Du wieder in Deinen Jungbrunnen eintauchen, aber schlafen darfst Du mit der Kleinen erst wieder nach Eurer Hochzeit!“
„Wenn sie mich jetzt überhaupt noch will“, seufzt David leise und John antwortet mit einem drohenden Unterton in seiner Stimme: „Die soll sich wagen, nicht zu wollen!“
In dem kleinen Ort angekommen mieten sich die beiden Männer im einzigen Hotel der Stadt ein. Blacky steht am Fenster ihres gemeinsamen Zimmers und starrt auf die Straße, während sie darüber diskutieren, ob sie Carol sofort mit ihrer Anwesenheit überfallen wollen oder ob sie erst einige Erkundigungen einziehen sollen.
Plötzlich schreit John auf. „David, da drüben ist sie!“
Der so Angerufene stürzt ebenfalls ans Fenster und beobachtet mit brennenden, sehnsuchtsvollen Augen wie Carol, umringt von einer ganzen Meute lachender und fröhlicher Kinder, aus einem Gebäude kommt.
„Mensch, das ist ja die Schule“, ruft Blacky erstaunt aus. „Die wird doch wohl nicht noch mal freiwillig die Schulbank drücken?“
Carol überquert die Straße und betritt das Hotel.
Ihr Bruder ist jetzt kaum noch zu halten und will sofort auf den Gang hinausstürzen, doch David hält John zurück. „Warte mal Jonny, lassen wir sie erst mal ihren Tagesablauf abspulen. Wer weiß, wie sie reagiert, wenn sie uns so plötzlich vor sich sieht. Vor lauter Schreck rennt sie uns womöglich gleich wieder davon. Und ich schwöre Dir, das überlebe ich nicht. Du kannst mir ehrlich glauben, ich würde nichts lieber tun, als sie sofort in meine Arme zu schließen, aber ich habe Angst vor Carols Fehlreaktion. Sie hatte es sich aus ihren krausen Gedanken heraus in den Kopf gesetzt, Ebony Town zu verlassen und ist bestimmt immer noch nicht so ohne weiteres bereit, diesen Plan aufzugeben.“
John nickt einsichtig. „Du hast recht. Carol ist ein sturer Dickkopf, das liegt leider in der Familie Blake. – Also doch erst Erkundigungen einziehen.“
Ununterbrochen beobachten die Neuankömmlinge den Hoteleingang und sehen wenig später, wie Carol in einem anderen Kleid das Haus wieder verlässt.
„Du meine Güte, sie trägt Kleider. Das ist schon das zweite Modell, das wir heute an ihr sehen. Das Kind hat richtig Figur bekommen“, murmelt David tonlos.
Trocken entgegnet John: „Na, eine Hose bekommt sie wohl auch nicht mehr an. Hast Du das Tönnchen nicht gesehen, das sie vor sich herschleppt? Wie kannst Du das als Figur bezeichnen?“
Mit glühenden Augen starrt der Indian dem enteilenden Persönchen nach. „Sie ist wunderschön, noch viel schöner, als ich sie in Erinnerung habe.“ Dem Mann zieht sich das Herz zusammen. Er möchte am liebsten sofort zu dem geliebten Wesen stürzen, es in die Arme reißen und dann niemals wieder loslassen.
Der Mann schließt die Augen und stellt sich vor, ihren Bauch zu streicheln, ihren Bauch mit seinen Baby darin.
Jäh wird er in die Wirklichkeit zurückgeholt, als John ihn anstößt und fragt: „Was machen wir jetzt, Boss? Sollen wir ihr nachgehen? Nicht, dass sie einen neuen Freund hat und wir hier erst noch Besitzverhältnisse klären müssen.“
David zuckt zusammen, denn so ganz von der Hand zu weisen ist diese Möglichkeit nicht. Carol sieht begehrenswerter aus, als jemals zuvor.
„Pff“, er bläst die Backen auf. „Den Kerl würde ich umbringen. Ich brauche keine Besitzverhältnisse zu klären! Die Frau gehört mir und es soll sich keiner wagen, sie auch nur anzurühren.“
Der dunkelhaarige Mann holt tief Luft. „Ich denke, wir machen das, was Du eben vorgeschlagen hat und ziehen zunächst ein paar Erkundigungen über sie ein. Mal sehen, was der kleine Feger hier so alles treibt und welche Ammenmärchen sie den armen Leuten noch so über meine verstorbene Person erzählt hat.“
John grinst und nickt. Er ist mit allem einverstanden, denn er hat so lange auf diesen Moment gewartet, da kommt es auf ein paar Stunden, die entscheidend für Carols Reaktion sein können, auch nicht mehr an. „Na schön, also, los geht’s!“
Bei verschiedenen Geschäftsleuten fragen sie vorsichtig nach der hübschen rothaarigen Frau, die sie eben auf der Straße gesehen hätten.
Der Inhaber des Tabakgeschäfts schnalzt mit der Zunge und gibt bereitwillig Auskunft. „Sie meinen sicherlich Mrs. Blake. Ein appetitliches Häppchen, aber ich kann Sie nur warnen, meine Herren. Die junge Dame ist zwar eine Augenweide, aber sie hat Haare auf den Zähnen.“ Er grinst noch breiter. „Sie ist die tollste Frau, die jemals hier in Plumquartpinie aufgetaucht ist, aber vollkommen immun gegen jede Art der männlichen Annäherung. Schon der kleinste Versuch endet tödlich. Sie wird sofort zur Furie, wenn ihr jemand auch nur annähernd zu nahe kommt. Eine richtige kleine Hexe, die hat ihre Haarfarbe wirklich zu Recht!“
John will auffahren, doch David drückt beruhigend warnend seinen Arm und murmelt: „Hm, vielleicht hat sie schlechte Erfahrungen gemacht?“
„Davon weiß ich nichts. Es wird zwar gemunkelt, das Kind sei aus einer Vergewaltigung und ihr Mann sei ermordet worden, aber keiner weiß, ob da auch nur ein Fünkchen Wahrheit dran ist, denn sie erzählt nicht viel von sich, zumindest nichts, was ihre Vergangenheit betrifft, da ist sie genauso zugeknöpft, wie bei Flirtversuchen. – Aber ansonsten ist unsere neue Lehrerin wirklich ganz patent. Vor allen Dingen hat sie auch den letzten unserer Dorfrabauken in den Griff gekriegt. Sogar die ganz notorischen Schulschwänzer erscheinen jeden Morgen frisch gewaschen, gekämmt und sogar pünktlich zu ihrem Unterricht.“
„Ist die junge Frau Lehrerin? Meine war alt und verknöchert“, grinst John und schüttelt im Geiste den Kopf über Carols Einfälle. „So eine hübsche Lady als Lehrerin hätte ich mir auch gewünscht. Sie sieht aber noch verdammt jung aus für eine Lehrerin.“
„Eigentlich ist sie wohl auch keine richtige Lehrerin. Sie hat zumindest nichts in der Richtung gelernt, das wissen alle hier. Aber sie unterrichtet Französisch, Musik und Handarbeiten so gut, dass sich bisher noch keiner über sie beschwert hat, selbst die Eltern nicht, die hochfliegende Pläne mit ihrem Nachwuchs haben.“
Nachdenklich schaut der Mann die beiden Fremden an. „Sie gibt auch Privatunterricht, wenn Sie Interesse haben. Wenn Sie sie kennen lernen wollen, sollten Sie Deutsch bei ihr lernen, das kann sie perfekt.“
„Deutsch kann ich schon selber perfekt!“, brummt John und denkt: ‚Mach voran, Mann, erzähl uns was, was uns weiterhilft.‘
„Dann lernen Sie doch bei ihr Klavierspielen“, der Mann verdreht genießerisch die Augen und seufzt leise, „Klavierspielen, das kann sie, kann ich Ihnen sagen. Es ist ein unbeschreiblicher Genuss, ihr zuzuhören. Die Leute kommen von weit her, um die Frau zu sehen und zu hören, deswegen haben wir auch immer ziemlich viele Fremde in der Stadt. Sie tritt jeden Abend hier im Hotel auf.“
Vor der Tür stößt John seinem Freund den Ellbogen in die Rippen und grinst: „Nun wissen wir wenigstens, womit wir den heutigen Abend verbringen werden. Mit einem Kunstgenuss nämlich.“
Nun wird sein Grinsen süffisant: „Nur eins musst Du Dir merken, mein Lieber, nicht mit der Künstlerin flirten, die hat was gegen Männer, also nimm Dich in Acht!“
David lächelt: „Ich habe es mit Freuden vernommen!“
John nickt, wieder ernst geworden: „Hm, Dir ist ein riesiger Stein von der Seele gefallen,. Ich habe ihn nicht nur gehört, er ist mir auf den Fuß geplumpst. Morgen kann ich keinen Schritt mehr laufen.“ Der junge Mann humpelt ein paar Schritte und dreht sich wieder zu dem Freund um. „Ich brauche jetzt ein Bier. Kommst Du mit?“