Читать книгу Nur ein Tropfen Leben - Christina M. Kerpen - Страница 12
Zweifel in Worte gefasst
ОглавлениеCarol steigt sofort wieder in die geliebte Arbeit ein, als wäre sie niemals von der Ranch weggewesen. Schon nach wenigen Stunden ist von ihren bis gestern noch so gepflegten Pianistenhänden nichts mehr zu sehen. Bereits an der ersten Dornenhecke hat sie sich den linken Handrücken aufgekratzt und sich wenig später in die rechte Hand einen dicken Splitter eingejagt, denn sie mit ihrem Messer und den Zähnen entfernen musste. Alles das macht ihr nichts aus, im Gegenteil, sie genießt es, wieder zu der Einheit der Willow-Tree Cowboys zu gehören.
Zusammen mit Festus inspiziert sie Weidezäune und fängt gekonnt einige versprengte Rindviecher ein. Der alte Cowboy beobachtet sie wohlwollend. Das Kind ist eine Perle. Sie hat in den ganzen Monaten nichts verlernt.
Als sie in ruhigem Schritt den Weg zurück zur Ranch reiten, brummt der Alte: „Morgen musst Du aber unbedingt mit John mal zur Johnson-Ranch. Wir haben dort geschuftet, wie die Irren, um Deine Ideen alle umzusetzen. Bin gespannt, was Du sagen wirst und ob Du zufrieden bist. Es kam uns alles so sinnlos vor, als Du weg warst, aber ich denke, Du wirst trotzdem begeistert sein. Die ersten Blökviecher sind auch schon da. Wir wissen nur noch nicht so richtig, was wir mit denen anstellen sollen und die fressen, Carol, Du machst Dir kein Bild davon, wie die fressen. Wie die Blöden!“
„Stimmt“, gibt Carol zu, „die fressen wirklich anders, wie ein Rind. Deshalb müssen sie ja auch jeden Tag ein Stück weitergetrieben werden, damit nicht die ganze Grasnarbe kaputtgefressen wird. – Wie steht es mit Hunden?“
Festus kratzt sich am Kopf. „Der Alte hat zwei schwarze Ungeheuer erworben. Die sind richtig unheimlich. Mit dem zottigen Fell sehen die beiden aus, wie kleine Teufel, aber sie sollen sehr wachsam sein.“
Carol schmunzelt: „Wenn es gute Hütehunde sind, sind sie aber bestimmt sehr lieb.“
„Das hat der Alte auch behauptet. Er meinte, denen könnte man bestimmt sogar ein Baby anvertrauen.“ Festus zuckt zusammen. Verdammt, warum musste er das mit dem Baby erwähnen. Er wirft seiner rothaarigen Begleiterin einen vorsichtigen Seitenblick zu, doch sie reagiert nicht auf die Bemerkung, lässt allerdings ihren Hengst angaloppieren.
Schweigend reiten die beiden Cowboys weiter und nähern sich rasch der Ranch. Festus mustert das Girl noch immer von der Seite. Sie ist wirklich reizend. Warum hat sie sich bloß keinen Jungen in ihrem Alter gesucht?
Der Mann gibt sich einen Ruck und fragt leise: „Sag mal, Mädchen, hast Du Dir das mit dem Heiraten auch gut überlegt? Du brauchst doch jetzt eigentlich nicht mehr, wo doch ...!“
Erstaunt lässt Carol Silky wieder in langsamen Trab fallen und blickt den alten, erfahrenen Cowboy aus ihren großen, grünen Augen an. „Du meinst, weil das Kind jetzt weg ist, soll ich mir die Heirat aus dem Kopf schlagen?“ Das Mädchen schüttelt das Haupt. „Seid ihr denn auf einmal alle bekloppt geworden? Ein Baby hat doch damit überhaupt nichts zu tun.“
Nachdenklich ruhen die grauen Augen des Alten auf dem Girl. „Na ja, man macht sich ja schon mal so seine Gedanken. Du und der Boss, ihr hattet mal einen schwachen Moment, aber Du bist doch noch so herrlich jung. Du hast noch so viel Zeit. Warum willst Du nicht noch ein paar Jahre warten? Vielleicht kommt mal ein junger, hübscher Märchenprinz, der Dich auf sein Traumschloss entführt. Du wirst doch erst achtzehn am Ende des Jahres. Du bist doch fast noch ein Kind. - Klar, der Boss ist schon ein imponierender Mann und er ist wohl auch von Anfang an ein wenig Dein Vorbild gewesen, dass konnte man immer merken. – Junge Mädchen schwärmen gerne für ältere Herren, die etwas zu sagen haben. Aber glaubst Du, dass es richtig ist, sich fest an so einen ‚älteren Herren’ zu binden?“
In Carols Augen erscheint ein seltsam kühler Ausdruck, den man von ihr nicht gewohnt ist. „Mein lieber Festus, zum einen geht es Dich gar nichts an, ob, wen und wann ich heirate. Zum anderen schwärme ich nicht für den Indian, ich liebe ihn und das ist ein Riesenunterschied. Ihr spielt alle auf das bisschen Altersunterschied an. Könnt ihr Euch eigentlich gar nicht vorstellen, dass ich überhaupt nicht bemerke, dass David etwas älter ist, als ich? In vielen Dingen ist er viel fixer, als Fess zum Beispiel. Außerdem ist er klug, aber nicht so klug, dass ich gar nicht mehr mithalten könnte. Und überhaupt, er gibt mir alles, was ich brauche. Er gibt mir Geborgenheit und sehr viel Liebe. Er hat einen guten Job, damit wird er eine kleine Familie schon prima ernähren können. Und dann kommt noch hinzu, dass er fabelhaft aussieht. Das bemerkt ihr Tölpel gar nicht, aber für mich gibt es keinen Mann, den ich vom Äußeren her attraktiver finde. Wir zwei sind doch ein wunderhübsches Paar und ich bin sehr stolz darauf, dass mich ein Mann wie David zur Partnerin gewählt hat. Ich brauche ihn, so, wie ich die Luft zum Atmen und Essen und Trinken zum Überleben brauche. Ich brauche David einfach als meinen Schutz gegen alle Unbilden des Lebens!“ Wütend knurrt sie: „Ach verdammt, wofür rechtfertige ich mich hier eigentlich vor Dir?“
Festus kratzt sich am Kopf. „Das klingt ja alles gut und schön, aber fast zu schön, meine Liebe. Wo hast Du das gelesen?“
Carols Lippen formen ein Schimpfwort, ohne dass sie einen Laut von sich geben.
„Weißt Du, Mädchen, seit Du weg warst, habe ich immer und immer wieder gegrübelt, wie es zwischen Dir und dem Boss zu einer solchen Beziehung kommen konnte.“
„Kann ich Dir sagen!“, giftet die junge Frau. „Ich wollte ihn, ich wollte ihn ganz und gar, mit Haut und Haaren und ich habe ihn, wenn ich ehrlich bin, mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln verführt. – Und jetzt hör gefälligst auf, Dir meinen Kopf zu zerbrechen!“
„Ich mag Dich, Kleines und deswegen mache ich mir halt so meine Gedanken. Ich hatte immer Angst, dass sich zwischen Dir und John etwas Inzestuöses anbahnen könnte. Wenn ihr beide zusammen seid, ist grundsätzlich ein Knistern in der Luft, das absolut unnatürlich für Geschwister ist und Dein Bruder kann ein ganz schöner Leichtfuß sein. Der hätte dumme Sachen mit Dir gemacht, ohne nach dem Morgen zu fragen.“
„Und selbst wenn, wir hätten Dich nicht gebeten, uns die Lampe zu halten.“
„Na, na, nicht so heftig Carol. Ich weiß es ganz sicher, dass Dich John mehr liebt, als es für einen Bruder gut ist, deswegen ist es schon durchaus okay, dass Du mit einem anderen Mann ..., aber muss es ausgerechnet einer sein, der Dein Vater sein könnte? David wird in den nächsten Tagen vierzig und Du wirst erst in mehr als einem halben Jahr achtzehn. Kind, das sind zweiundzwanzig Jahre, das ist ein ganzes Leben!“
„Nein, das ist Bullshit! Hör mit dem Gesülze auf, sonst werde ich rappelig.“ Sie macht eine zornige Handbewegung. „Oder handgreiflich. Noch mehr von dem Schwachsinn und Du fliegst vom Pferd!“
Begütigend schaut der Alte die Kleine an. „Hast Du denn schon mal zehn oder fünfzehn Jahre weiter gedacht? Wenn Du süße Dreißig bist und Dein Mann auf die Sechzig zugeht?“
In Carols Kopf arbeitet es krampfhaft. Irgendwie purzeln hier Zahlen durcheinander, die sie nicht auf die Reihe bekommt. Sie ist verwirrt und versucht unter heimlicher Zuhilfenahme ihrer Finger Klarheit in das Durcheinander zu bringen. Drei und drei sind sechs, das ist klar, aber wenn sie Dreißig ist und David ist etwas mehr als zwanzig Jahre älter, dann muss das doch wohl genauso sein, wie drei und zwei und das ergibt fünf.
„Alles Mist!“, murmelt sie wütend über ihr eigenes Unvermögen mit Zahlen umzugehen, dann holt sie tief Luft und mault: „Du übertreibst gewaltig. Du machst David älter, als er ist. Ich liebe ihn und wir werden heiraten und er wird mir viele Kinder machen! Und wenn ihr Euch alle auf den Kopf stellt, wir lassen uns unser kleines Glück nicht durch Euer saublödes Gequatsche kaputt reden!“
Ungehalten schnalzt sie mit der Zunge und gibt Silky einen leichten Stups in die Flanke. Sofort setzt der Hengst Gehörtes und Gefühltes in einen Wahnsinnsgalopp um und Ross samt Reiterin entfernen sich in einem wahren Höllentempo.
Festus schüttelt den Kopf, spitzt die Lippen und pustet die Luft mit einem leisen Pfiff aus seinen Lungen. Dieser kleine Dickkopf. Die setzt wirklich durch, was sie will. ‚Na ja, vielleicht’, so denkt der Alte bei sich, ‚vielleicht geht diese Ehe ja doch gut. Zu gönnen wäre es den beiden, denn sie sind jeder auf seine Art großartige Menschen. Nur ob Carol auf Dauer mit der ruhigen und oftmals gefühlsarm wirkenden Art vom Boss klarkommt und ob der mit ihrem Temperament noch lange mithalten kann?’ Der Cowboy seufzt, klopft seiner Stute auf den Hals und flüstert: „In der ersten jungen Liebe kann man Nächtens nicht genug voneinander kriegen, aber unser guter Boss hat das beste Mannesalter eigentlich schon überschritten, da kann es rasch zu Ermüdungserscheinungen kommen und dann wird Carol es bestimmt bedauern, sich so einem alten Kerl an den Hals geworfen zu haben.“ Er schaut der sich rasch entfernenden Staubwolke hinterher. „Ich fürchte, Ihr zwei macht den größten Fehler Eures Lebens. Ihr werdet beide schnell aus dem Traum erwachen, nur ist es dann zu spät.“
Der alte Cowboy gibt seiner Stute die Sporen, doch einholen kann er das Girl und seinen temperamentvollen, kräftigen Hengst natürlich nicht mehr, denn selbst einem jungen Tier fiele es schwer, mit dem schwarzen Pfeil mitzuhalten und Festus Stute ist gleich seinem Reiter doch schon recht bejahrt.
Auf der Ranch allerdings wird der Mann schon von Carol erwartet.
Das Girl hat sein Pferd schon versorgt und sitzt nun auf dem Gatter des Corrals. Erwartungsvoll schaut sie ihm entgegen. Sie sucht in seinem Gesicht nach Spuren eines berechtigten Unmuts gegen sie, denn sie hat sich ziemlich ungehörig benommen.
Nachdem er abgesessen ist, tritt sie zu ihm, schaut ihn halb zerknirscht, aber mit einem sehr offenen Blick an, dann murmelt sie: „Es tut mir leid, Festus. Ich habe mich eben mal wieder total daneben benommen und im Ton vergriffen. Bitte verzeih mir meine Ungezogenheiten und meine manchmal furchtbar schlechten Manieren.“
„Klar, Carol, schon vergessen“, brummt der Alte gerührt, „aber es ist eben so, dass wir alle nur Dein Bestes wollen und da macht man sich dann halt viele Gedanken.“
Das Girl gibt dem Cowboy einen Kuss auf die mit Bartstoppeln übersäte Wange. „Das weiß ich doch, nur denkt ihr alle nicht darüber nach, was ich für mich für das Beste halte und David ist nun mal das absolut Beste, was mir passieren konnte. Ihn zu treffen, von ihm hier hergebracht zu werden, all das waren Geschenke des Himmels und es ist bestimmt so eine Art Vorsehung gewesen, dass wir uns ineinander verliebt haben. Der da oben“, Carol deutet mit dem Zeigefinger in Richtung Himmel, „der hat uns ganz sicher füreinander bestimmt.“
„Na Du“, Festus kratzt sich an der Schläfe, „ich weiß nicht, dann hat er aber bei einem von Euch einen Fehler im Geburtsjahr gemacht. Entweder hat er David zu früh oder Dich zu spät auf die Welt geschickt.“
Traurig schüttelt das junge Mädchen den Kopf. „Du glaubst gar nicht, wie sehr es mich nervt, dass jeder auf dem bisschen Altersunterschied zwischen David und mir herumhackt. Selbst David fragt ewig, ob er mir nicht zu alt ist. Dabei ist das alles Blödsinn. Auch auf die Gefahr hin, dass ihr mich alle für dumm haltet, ich bin mir sehr wohl darüber im Klaren, dass ich einen Mann heirate, der einer anderen Generation angehört, der bereits erwachsen war, als ich noch nicht auf der Welt war und der schon mit anderen Frauen geschlafen hat, als an mich noch niemand dachte. Ich weiß auch, dass David schon mal eine feste Beziehung hatte und dass das Kind aus dieser Beziehung , wenn es hätte leben dürfen, älter wäre wie ich, aber das sind alles Gedanken, die mich nicht im Mindesten stören, im Gegenteil, es ist gerade diese Lebenserfahrung, die ich besonders an ihm liebe.“
Festus horcht auf. Er wusste bisher nicht, dass der Indian schon einmal fast eine Familie gehabt hätte. Er beißt sich auf die Unterlippe. Hoffentlich heiratet der Boss das Kind nicht nur, damit es ihm das nie geborene eigene Kind ersetzt. Er räuspert sich und brummt. „Mensch, Carol, glaube mir, Ehen werden zwar scheinbar im Himmel geschlossen, aber geführt werden sie auf der Erde und das ist verdammt schwierig. Du hast Dir zwar zugegebenermaßen einen überaus verlässlichen Mann ausgewählt, aber David hat durch seine indianische Herkunft oft genug mit Vorurteilen zu kämpfen und wenn ihr erst verheiratet seid, werden diese auch auf Dich und Deine Kinder übertragen werden und dann noch die vielen Jahre, die Euch trennen. Ich fürchte, Du wirst in ein paar Jahren bitter an meine Worte zurückdenken.“
„Festus, wir leben doch nicht mehr im vorigen Jahrhundert. Ich habe noch niemals gemerkt, dass auch nur irgendwer dem Indian irgendwelche Vorbehalte entgegenbringt. Er sieht ja auch nicht sehr indianisch aus und seinem Namen kann man die indianische Mutter auch nicht entnehmen.“ Das Mädchen lacht leise. „Und der Altersunterschied könnte schlimmer sein. Es gibt wesentlich ältere Männer, die viel jüngere Frauen heiraten. Zu allen Zeiten war es gang und gäbe, dass Mädchen schon im Kindesalter verheiratet wurden und in vielen Kulturen ist das auch heute noch so. Ich hätte mir doch noch einen noch viel älteren Mann aussuchen können.“
Festus verzieht das Gesicht, was Carol mit einem reizenden Lächeln quittiert und dann murmelt: „Was ich Dir jetzt sage, bleibt ein Geheimnis, genau so, wie die Sache von David und seiner früheren Verlobten, versprochen?“
Nun lächelt auch der Alte und brummt: „Klar doch, Du weißt, dass ich schweigen kann, wie ein Grab.“
Grinsend nickt das Girl. „Weiß ich, und nur deshalb verrate ich es Dir ja auch. – Mr. Carpenter hat mir vor einigen Tagen gestanden, dass er mich auch liebt und dass er mich, wenn er etwas jünger wäre selbst um meine Hand gebeten hätte.“
Der Cowboy wird bleich und schluckt: „Ach Du Scheiße! Und was hast Du darauf geantwortet?“
Carols Blick geht verträumt in die Ferne. „Ich wusste im Prinzip nichts darauf zu sagen. Ich fühlte mich wohl erst mal geschmeichelt und was wirklich irre ist, ich habe lange darüber nachgedacht und bin zu einem merkwürdigen Ergebnis gekommen.“
Gespannt schaut Festus seine kindliche Kollegin aus zusammengekniffenen Augen an, ohne etwas zu sagen.
„Ich habe festgestellt, dass ich gar keine Schwierigkeiten hatte, mir vorzustellen, Mrs. James Carpenter zu sein. Wenn ich nicht so verliebt in David wäre, ich glaube, in dem Moment, als der Alte mir seine Gefühle offenbart hat, hätte in meinem Kopf etwas ausgesetzt und er hätte alles mit mir machen können. Seine Klugheit, seine Lebenserfahrung und sein nicht zu leugnender Charme hätten mich glatt aus der Bahn geworfen.“ Nun grient sie: „Und Willow-Tree als nettes Anhängsel wäre doch auch nicht zu verachten.“
Festus schüttelt den Kopf. „Oh Mädchen, Du hast einen ausgeprägten Vaterkomplex. Dein Dad ist einfach zu früh verstorben, deshalb stehst Du wahrscheinlich so auf alte Männer. Das ist aber gar nicht gesund. Stell Dir doch bloß mal vor, Du liegst, mit Verlaub gesagt, mit dem alten Carpenter im Bett und der fasst Dich überall an, könntest Du das schön finden?“
Carol zuckt mit den Schultern. So genau hat sie sich das noch nicht überlegt. Ehrlich sagt sie: „Warum eigentlich nicht? Ich kann mir gut vorstellen, dass er keine Schwierigkeiten hätte, mich noch einige Male zu schwängern.“
„Pfui Teufel, Carol!“ Festus verzieht angewidert das Gesicht. „Schon der Gedanke ist so unaussprechlich grässlich, dass ich mich frage, ob in Deinem Kopf noch alles richtig tickt.“
Carol lacht laut auf. Sie wirft den Kopf in den Nacken und lacht schallend. „Dann also doch besser den Vormann.“
„Na, aber immer! Der ist schließlich nur halb so alt, wie der Big Boss. Nur, warum es ausgerechnet überhaupt ein um so vieles älterer Typ sein muss. Es laufen doch so viele Jungs in Deinem Alter hier rum.“
„Ach Festus, ich habe das dumpfe Gefühl, Du glaubst mich beschützen zu müssen. Guck mal, ein älterer Mann ist doch schon ein wenig abgeklärter und normalerweise auch ruhiger, wie ein Junger. Du musst doch ehrlich zugeben, dass ich ganz hübsch wuschig und zappelig sein kann und nun stell dir bloß mal vor, ich hätte mir auch noch einen ungestümen, zappeligen Mann ausgesucht, so einen Typen wie Blacky zum Beispiel. Schon der Gedanke ist die reinste Horrorvision, das wäre eine glatte Katastrophe.“
Carol schüttelt sich schon allein bei der Vorstellung. „Nein, nein, ich mache das schon richtig. David ist mein Ruhepol. Er kompensiert meine Unruhe mit seiner ruhigen Gelassenheit und außerdem“, Carols Stimme wird zu einen Flüstern, „außerdem liebe ich ihn wirklich sehr. Ich fühle mich krank und unvollständig, wenn ich weiß, dass ich ihn ein paar Tage nicht sehen kann und ich bin unendlich glücklich, wenn ich mit ihm zusammen bin und sei es auf einer Weide viele Yards von ihm entfernt. Allein ihn von weitem zu sehen, ist für mich schon Glück.“ Festus schüttelt den Kopf. „Mensch, Mädchen, ich glaube, Euch ist wirklich nicht mehr zu helfen. Ich wünsche Euch alles Glück der Erde und dass Euch noch viele gemeinsame Jahre mit ein oder zwei Kindern vergönnt sein mögen.“
Auf dem Gesicht des Mädchens liegt ein glücklicher Schimmer, als sie flüstert: „Danke Festus. Ich weiß, dass Du es ehrlich meinst und ich danke Dir auch, dass Du versuchst, mich vor kopflosen Dummheiten zu bewahren, aber Du hast es bestimmt bemerkt, ich habe mir selbst schon meine Gedanken gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich meinen Weg gehen werde. Dieser Weg kann aber nur mit David gemeinsam gegangen ein guter Weg sein. Und“, in ihren großen Augen ruht plötzlich eine ungekannte Weisheit, „ich bin mir auch darüber im Klaren, dass durch den Altersunterschied die Gefahr besteht, dass er mich sehr früh verlassen muss, dass er den Fluss der Ewigkeit überquert, wenn ich noch verhältnismäßig jung bin. Ich fürchte mich nicht davor, Festus, das ist der Lauf des Lebens. Jeder Mensch ist zu Beginn nur ein kleiner Tropfen Leben. Dieser Tropfen fällt in den Bach und plätschert mit ihm dem Meer der Unendlichkeit entgegen. Mancher Bach fließt schnell, mancher plätschert gemächlich vor sich hin. Auch wenn David vor mir gehen muss, irgendwann werden unsere beiden Tropfen Leben sich in der Unendlichkeit des Meeres wiedertreffen.“
Festus klappt den Mund, der ihm bei Carols langer Rede aufgeklappt ist, wieder zu und schluckt. „Du wirst mir immer unheimlicher, Kind. Was haben die in diesem komischen Kaff, in dem Du die letzten Monate gewesen bist, mit Dir angestellt? Das hätte kein gelehrter Mann besser ausdrücken können. Du scheinst im Kopf erwachsen geworden zu sein. Wenn ich das so höre, denke ich auch, dass Du alles richtig machen wirst. Und wenn nicht, findest Du trotzdem eine passende Lösung.“
Die folgenden Wochen sind wie immer angefüllt, mit harter Arbeit und zusätzlich den Vorbereitungen für die geplante Doppelhochzeit. Der Rancher treibt seine Leute in ungewohnter Art an, Arbeiten zu erledigen, die eigentlich auch noch etwas Zeit hätten. Der Vormann schüttelt manchmal insgeheim den Kopf, wenn wieder eine Sonderorder erteilt wird.
„Komisch“, sagt er an einem Nachmittag zu Blacky, als er ihm seine Aufgabe zuweist, „es kommt mir manchmal so vor, als hätte Carpenter die Absicht in vier Wochen die Hälfte seiner Arbeiter zu entlassen.“
„Stimmt“, grinst sein blonder Freund, „man kriegt fast den Eindruck, als wolle er jetzt schon alles winterfest machen.“ Er tippt sich an die Stirn. „Alte Leute werden manchmal etwas wunderlich.“
Carol bemerkt von diesem merkwürdigen Verhalten so gut wie nichts. Sie ist wieder ganz die Alte und je härter die Arbeit ist, umso mehr blüht das Kind auf. Sie wächst mit jeder Aufgabe und ihre Fröhlichkeit wirkt ansteckend.
Neben ihrem Job muss sie auch noch häufig zusammen mit Susan nach Ebony Town zur Schneiderin und zum Tätigen von massenhaft Einkäufen. Mit großem Hallo ist sie auch in der kleinen Stadt wieder begrüßt worden und jeder erklärt ihr, wie gut sie aussähe und dass ihr der Urlaub sehr gut bekommen sei, dass man sich aber freue, dass sie endlich wieder zurückgekehrt ist.
Die Schneiderin will die Mädchen so oft wie nur möglich zur Anprobe dahaben, denn die Brautkleider werden sehr aufwändig gearbeitet und es ist Miss Jeannies ganzer Stolz, jede Arbeit perfekt auszuführen, besonders die Roben für solch einen großen Tag.
Carol griemelt manchmal darüber, denn sie findet den ganzen Zinnober recht überflüssig. Für die paar Stunden so ein Aufstand mit den Klamotten. Doch sie macht gute Miene zu dem ganzen Spiel, da sie ihrer aufgeregten Freundin die Freude nicht verderben möchte.
Innerlich steht sie den prunkvollen Brautkleidern allerdings ein wenig ablehnend gegenüber. Für ihren Geschmack sind sie zu übertrieben mit ihren vielen, vielen Rüschen und den tausenden von kleinen Perlchen, mit denen sie bestickt sind. Aber Susan möchte es eben total verspielt und romantisch.
Beide Girls werden, so war es Susans Wunsch, das gleiche Modell tragen, nur mit dem üblichen Unterschied, Susans Kleid ist ärmellos und Carol bekommt, trotz der zu erwartenden hochsommerlichen Hitze, die unvermeidlichen langen Ärmel.
Bei einem dieser Stadtbesuche läuft den Mädchen Max Perkins, der Vormann der Johnson-Ranch, über den Weg. Er grüßt sehr höflich und starrt dann unverhohlen Carol an, der es siedend heiß einfällt, dass sie bisher noch immer keine Zeit gefunden hat, sich mal auf der Johnson-Ranch umzusehen. Das Mädchen versucht keineswegs auch nur im Mindesten damenhaft zu wirken und starrt genau so unverhohlen zurück. „Kennen wir uns nicht irgendwoher?“, will er schließlich wissen.
Carol grinst von einem Ohr zum anderen. „Klar doch, wegen mir haben Sie sich mal mit dem jungen Johnson, Gott habe ihn selig, geprügelt und damit meine Ehre gerettet.“
Der verstorbene junge Johnson war der Juniorboss der Johnson-Ranch und ein rechter Schürzenjäger. Bei einer Viehauktion hatte er mal versucht, Carol zu vergewaltigen, was aber durch den beherzten Eingriff Perkins verhindert werden konnte.
„Und außerdem bin ich die Schwester von John Blake, der wegen dem Mord an Junior, obwohl völlig unschuldig, fast aufgeknüpft worden ist“, fährt sie ungerührt fort und starrt noch bohrender.
Verblüfft sperrt der Mann den Mund auf. „Was, Sie sind das? In diesem Aufzug hätte ich Sie im Leben nicht wiedererkannt.“
„Macht nichts, ich bin Kummer gewöhnt. Wissen Sie, Kleider sind beim Zäune flicken und Kälberbrennen furchtbar unpraktisch und unbequem. Außerdem fühle ich mich darin immer wie in einem Gefängnis.“
„Dann müssen Sie die vielgepriesene Carol sein, die wie eine Legende über die Johnson-Ranch flattert.“
„Ob vielgepriesen weiß ich nicht, aber Legende halte ich doch wohl für stark übertrieben. Immerhin lebe ich ja noch und ich bin nur ein Cowboy, wie alle anderen auch.“
„Das kann ich nicht sagen. Sie sind zumindest viel hübscher als alle anderen Cowboys.“
Carol prustet: „Danke für die Blumen, ich stelle sie zuhause in die Vase zu den anderen.“
Abschätzend blickt Perkins an der jungen Frau herab und sein Blick bleibt an ihren Händen haften. Carol bemerkt es, hält die gespreizten Finger in die Höhe und dreht ihre Hände, um sowohl Vorder- als auch Rückseite zu präsentieren. „Nicht besonders weiblich, stimmt’s?“
„Stimmt“, antwortet der Mann trocken, „aber sie sind trotzdem schön. Sie lassen erkennen, dass Sie wirklich hart arbeiten können. Dann scheint das also doch zu stimmen, was immer erzählt wird, dass Sie jede nur erdenkliche Cowboyarbeit leisten, ohne zu Murren. Ich dachte eigentlich, dass wäre nur gesponnenes Cowboygarn.“
„Nö, ich liebe diese Arbeit, außerdem werde ich gut dafür bezahlt und hervorragend behandelt. Dabei fällt mir übrigens ein, was machen die Schafe? Haben Sie sich schon ein wenig an die Viecherchen gewöhnt?“
„Ach, wissen Sie, Miss, ich mag sie nicht und ich werde mich bestimmt nicht an ihr Geblöke gewöhnen, aber andererseits bin ich ja froh, dass ich noch Arbeit habe. Es wird in unserem Job immer schwieriger, irgendwo eine Anstellung zu finden. Deshalb werde ich mit den Biestern wohl meinen Frieden schließen müssen. Es ist halt der ganze Ablauf. Es ist alles noch so neues und unbekanntes Terrain. Bei ’nem Rindvieh hatte man was Reelles vor sich, aber bei den Schafen, wo man hin packt, Wolle, Wolle und noch mal Wolle.“
Carol lacht herzlich. „Das ist doch der Sinn der Sache, Mister. Ich kann verstehen, dass Sie sich erst an den ganzen Kram gewöhnen müssen, aber es zeichnet Sie aus, dass Sie es überhaupt tun. Ich hätte wirklich nie gedacht, dass Mr. Carpenter meine Idee so schnell in die Tat umsetzen würde. Wenn ich denke, was ich für eine Angst hatte, als ich mit dem Wahnsinnsvorschlag an ihn herangetreten bin. Ich dachte, er würde mich vielleicht sogar rauswerfen. Aber nein, er hat mir interessiert zugehört, sich beständig Notizen gemacht und dann den Vormann, wenn auch ziemlich mühsam, überzeugt.“
„Also, für sein Alter ist der Rancher noch sehr aufgeschlossen. Auch wenn es uns Rindergewöhnten nicht so ganz schmeckt, aber das mit den Schafen war ein taktisch kluger Schachzug. Das muss selbst der größte Skeptiker neidlos zugeben. Wenn alles richtig läuft, werden die Wollknäule eine Goldgrube öffnen.“
„Mr. Carpenter ist schon ein ganz besonderer Mann. Er ist aus anderem Holz geschnitzt, wie Ihr Mr. Johnson. Und das mit der Goldgrube werden wir mit Ihrer Hilfe schon hinkriegen, Mister. Widefield, Blacky und meine Wenigkeit arbeiten daran.“
Perkins versucht sein gewinnendstes Lächeln. Susan bemerkt, dass er versucht, mit Carol zu flirten und spürt einen kleinen Stich der Eifersucht. Sie runzelt die Stirn und zupft die Freundin leicht am Ärmel.
„Nun, Miss ...“, strahlt der Johnson-Vormann das rothaarige Girl an.
„Blake, Miss Carol Blake“, hilft sie schmunzelnd weiter, denn der Flirtversuch ist nicht nur Susan, sondern auch ihr selber aufgefallen.
„Nun, Miss Blake, dann werden wir uns demnächst ja öfter sehen. Ich freue mich schon darauf.“
„Das glaube ich gerne!“, brummelt Susy, die den Mann aus einem ihr nicht bekannten Grund nicht mag. „Sie werden Miss Carol sicher in Zukunft öfter sehen, aber vielleicht gewöhnen Sie sich schon mal an Miss Blakes neuen Namen. Übernächste Woche wird sie nämlich Mrs. Widefield werden!“
„Oh“, murmelt Perkins betroffen, „dieser Mann scheint das Glück für sich gepachtet zu haben.“ Er verabschiedet sich höflich und schaut dabei tief in Carols grüne Augen, dann dreht er sich um und geht seines Wegs.
Die beiden Mädchen schauen belustigt hinter ihm her, bis Carol mit einem „Eh“, der Freundin ihren Ellbogen in die Rippen rammt, „sag mal, was sollte das denn? Wieso vermasselst Du mir meine sämtlichen Chancen?“
Übermütig lachen die beiden herzhaft, dann fragt die Blondine unvermittelt: „Du wolltest mir doch noch ein bisschen was über die Hochzeitsnacht erzählen.“
„Uups, schade, dass Du das nicht vergessen hast. Na gut, ich hab’s nun mal versprochen. Aber Du willst ja wohl nicht hier, mitten auf der Straße von mir aufgeklärt werden, oder?“
„Natürlich nicht“, schüttelt Susan den Kopf. „Darf ich heute Abend zu Dir kommen?“
Carol wird knallrot und murmelt: „Nun, wenn es denn unbedingt sein muss. Hätte ich dummes Luder doch bloß nie was gesagt.“
Sie macht eine Pause, schaut zu Boden, schluckt und knurrt heiser: „Aber Du musst mir versprechen, nicht in Panik zu geraten, ich weiß nämlich noch nicht, ob ich das überhaupt zu erklären vermag. Ich habe schon ein paar Mal gegrübelt, aber es kommt mir so schwer vor, diese schöne Sache mit Worten zu erklären, dann klingt es nämlich ziemlich schmutzig.“
„Versprochen, Carol. Ich will es versuchen. Außerdem, so schlimm wird es schon nicht werden. Wie Du das mit den Tieren gesagt hast, wolltest Du mich doch nur erschrecken. Dir scheinen Deine vorgezogenen Hochzeitsnächte doch viel Freude zu machen, sonst würdest Du sicher nicht freiwillig zu David ins Bett steigen.“
Der Schalk tritt in Carols Augen, als sie antwortet: „Das kannst Du wohl annehmen, wegen mir dürfte es ständig Nacht sein.“
Mit erschrockenen Augen blickt Susan die Freundin an und Carol lacht erneut auf. „Ach Du liebes bisschen, Du siehst aus, als hätte es gedonnert. Ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Man kann es auch am Tage machen, denn weißt Du, wenn Du richtig doll verliebt bist, dann willst Du immerzu die Wärme des Geliebten spüren, seinen Geruch einatmen und von ihm gestreichelt werden.“
Carol hat bei diesen Worten die Augen geschlossen, holt tief Luft und kehrt mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück.
„Mensch, Carol, Du bist aber echt verschossen in den Indian. Wie habt Ihr Eure Liebe nur so lange geheim halten können?“
Nachdenklich ruhen Carols grüne Augen auf dem Gesicht der Freundin. „Das weiß ich eigentlich auch nicht mehr so genau und ehrlich gesagt, es kommt mir heute auch so dumm und unnötig vor. Ich weiß noch, dass es manchmal verdammt schwierig war, sich nichts anmerken zu lassen. David hat mich manchmal ziemlich ungerecht wegen kleiner Fehler angemacht und damit hat er die Situation wohl überspielen wollen und ich war dafür zum Dank dann ganz besonders frech. – Es war manchmal schon merkwürdig, aber ich hatte ganz einfach Angst vor den Reaktionen unserer Umwelt.“
Die Girls sind zwischenzeitlich bei der Kutsche angekommen und klettern hinein. Carol greift nach den Zügeln und fragt prophylaktisch: „Alles klar? Können wir heim oder haben wir etwas Wichtiges vergessen?“
Susan reagiert nicht auf die Frage, denn sie hat sie gar nicht gehört, so sehr ist sie mit ihren Gedanken beschäftigt. Fragend murmelt sie statt einer Antwort: „Wie lange geht das eigentlich mit Euch beiden schon so?“
Grinsend gegenfragt der rote Irrwisch: „Meinst Du, seit wann wir uns lieb haben oder seit wann wir, hm, na, Du weißt schon.“
„Beides würde mich interessieren, Carol. Wann habt ihr Eure Zuneigung zueinander entdeckt?“
„David behauptet, er hätte sich schon bei unserer ersten Begegnung auf der Nordweide hoffnungslos in mich verliebt. Könnte sein, dass es bei mir so ähnlich gewesen ist, auch wenn ich ihn damals am liebsten umgebracht hätte.“
Langsam lenkt Carol den Wagen aus der Stadt und erzählt dabei leise weiter: „Nachdem ich einige Wochen bei Euch war, bin ich mal nachts heimlich in den Stall geschlichen, weil ich so eine Sehnsucht nach Silky hatte. Plötzlich stand der Boss in der Tür. Er war mächtig sauer auf mich, denn Kinder gehören nachts ins Bett und müssen schlafen. Damit ich einer Strafe entgehen konnte, habe ich mich mit einem Kuss freigekauft.“
„Ehrlich? Und der Kerl ist darauf eingegangen?“
„Klar, er ist doch ein ganz normaler Mann. Ich dachte, er spielt ein für ihn angenehmes Spiel mit mir, aber ich hatte ganz schönes Herzklopfen und nicht etwa vor Angst wegen einer möglichen Strafe. Da ich damals aber noch unerfahren in zwischenmenschlichen Gefühlen gewesen bin, wusste ich nicht, dass ich mich gerade eben rettungslos verliebt hatte, obwohl wir uns da noch gar nicht richtig geküsst haben.“
Carols Gedanken sind in diesem Moment im Stall und sie hat die Szene ganz klar vor Augen. Lächelnd fährt sie nach einer Weile mit ihrer Erzählung fort. „Ich habe erst eine ganze Weile später bemerkt, dass ich mich in den Vormann verliebt habe, das war an einem Abend, als ich ziemlich spät, im Dunkeln, noch mal weggeritten bin.“
„Wieso reitest Du nachts durch die Gegend?“
„Das brauche ich manchmal. Jetzt nur noch ganz selten, aber wie ich zu Anfang hier war, musste ich das Gefühl der Einsamkeit hin und wieder spüren. Das musste einfach sein, denn so viel Familie war ich echt nicht gewöhnt. – Tja, und unserem Vormann entgeht nun mal so leicht nichts. Er ist an einem Abend einfach mal mitgekommen und an diesem Abend haben wir uns endlich unsere Liebe zueinander eingestanden. Damals hat er mich das Küssen gelehrt. Ich war anfangs auch etwas erschrocken, wie ich seine Zunge in meinem Mund spürte, aber dann fand ich es herrlich, so eng mit dem Mann meiner Träume, mit meinem großen Schwarm, zusammen zu sein.“ Sie holt tief Luft. „Ich will jetzt nicht näher darauf eingehen, aber glaube mir, wenn Du Deinen Bruno wirklich liebst, wirst Du gar nicht mehr anders von ihm geküsst werden wollen. Da ist nichts von wegen igitt oder so, es ist einfach ein wundervolles Gefühl des Zusammengehörens.“
Die Mädchen schweigen sehr lange, in jedem der hübschen Köpfchen werden Gedanken gewälzt. Die Willow-Tree-Ranch ist schon in der Ferne zu sehen, da fragt Susan vorsichtig: „Und an dem Abend habt ihr auch gleich so richtig, war es an dem Abend Euer erstes Mal?“
„Nö, dann wäre wahrscheinlich sofort alles im Eimer gewesen. Das mit dem Küssen war herrlich, aber für den Anfang hat es mir gereicht. Das erste Mal richtig geliebt haben wir uns erst viel später. Ich glaube zwar, David wollte es schon lange, wahrscheinlich sogar schon an dem bewussten Abend, aber er hat mich nie bedrängt. Wahrscheinlich war ihm meine Jugend dann doch etwas unheimlich. Und dann kam mal ein wunderschönes Wochenende, da waren wir vollkommen alleine auf der Ranch. Es war kurz nach meiner Augenoperation. Kannst Du Dich erinnern, wie ihr, Du und Dein Großvater, über Nacht mal auf der Miller-Ranch geblieben seid? Du wolltest unbedingt, dass ich mitkomme.“
„Na klar kann ich mich daran erinnern, es war ätzend langweilig.“ „Siehst Du, und auf Willow-Tree war es das nicht. David und ich, wir waren ganz alleine, ein Mann und eine Frau, ineinander verliebt und voller Sehnsucht. Na ja, lange Rede, kurzer Sinn, an dem Abend ist es halt passiert.“
„Ja, ja, Gelegenheit macht Diebe!“, brummelt Susan.
„Nee“, Carol schüttelt den Kopf und sagt ernst: „Falsch zitiert, meine Liebe, in unserem Fall muss es heißen: ‚Gelegenheit macht Liebe!’ und nach dem ersten Erschrecken war es wunderschön.“
Das verliebte Girl atmet mehrmals tief ein und aus bei dem Gedanken an das erste Mal. „Es war wunder-, wunderschön. Nur am nächsten Tag kam dann der große Katzenjammer. Ich habe mich mächtig geschämt, dass ich so liederlich gewesen bin. Und der Kummer wäre noch schlimmer gewesen, wenn ich da schon gewusst hätte, dass direkt unsere erste Nacht sichtbare Folgen hatte.“
„Wieso bist Du Dir da so sicher, dass Du schon in der ersten Nacht“, Susan druckst, „schwanger geworden bist?“
Carol dreht den Kopf in Richtung ihrer Freundin und lächelt sanft, fast zärtlich: „Weil das der einzige Zeitpunkt ist, der in Frage kommt. Danach haben wir ‚ES’ lange nicht mehr gemacht. Wir haben auch noch nicht so oft miteinander geschlafen, wie Du vielleicht glaubst. Wir hätten zwar oft die Gelegenheit dazu gehabt, aber weißt Du, auch das Drumherum muss ein wenig stimmen. Nachts, im Freien, nee Du, das ist nicht mein Ding. Wenn ich an die vielen Erdbewohner denke, hu, da graust es mich.“
Carol lenkt den Wagen auf den Vorplatz und hilft der Freundin beim Aussteigen. „Wenn Du heute Abend zum Plaudern zu mir kommst, bring eine Flasche Wein mit, dann redet es sich netter. Ich fürchte nämlich, ich muss mir erst einen kleinen Schwips antrinken, bevor ich Dir erzählen kann, was Mann mit Frau im Bett macht.“
Damit wendet sich das Cowgirl ab, um sich ganz dem Fuhrwerk und den verschwitzen Pferden zu widmen, denn bei aller Liebe und Freundschaft, die Arbeit geht immer vor, insbesondere, wenn Tiere davon betroffen sind.
Ihren Verlobten sieht Carol an diesem Tag nicht mehr, denn er ist zur Johnson-Ranch geritten, um dort einige neue Leute zu inspizieren und sie eventuell einzustellen. Es sind alles Männer, die behaupten, sich mit der Schafzucht auszukennen. Eigentlich hatte der Vormann seine Braut mitnehmen wollen, denn schließlich wird es Zeit, dass sie sich ansieht, was aus ihren Ideen alles geworden ist, doch der Rancher hatte die Mädchen nach Ebony Town geschickt und Anordnungen des Ranchers kann er leider nicht ignorieren.