Читать книгу Nächte zwischen der Zeit - Christoph Frühwirth - Страница 13
ОглавлениеDer erste Räuchergang findet zur Wintersonnenwende statt, am 21. Dezember. Der Tag ist dem Apostel Thomas gewidmet, dem »Zweifler« unter den Jüngern Jesu. Der ungläubige Thomas mochte erst an Jesus Auferstehung glauben, als er seinen Finger in dessen Seitenwunde legte. Der 21. Dezember ist der kürzeste Tag mit der längsten Nacht. Dunkelheit wurde einst mit Zweifel gleichgesetzt. Es lag daher nahe, diesem Tag den Namen des Zweiflers zu geben. Der Tag gehört zwar im weitesten Sinne nicht zu den Raunächten, steht allerdings am Anfang des engeren Weihnachtsfestkreises. »Thuma kehrt den Tag uma«, heißt es im Volksmund. Die Tage werden also wieder länger. Der kürzeste Tag des Jahres aber wurde einst gefeiert, als gäbe es kein Morgen.
Der 21. Dezember war traditionell der große Schlachttag im Jahr. Das ganze Jahr über lebten die Bewohner der Bauernhöfe von dem, was die Erde hergab. Fleisch kam selten auf den Tisch. Auch, weil es verderblich war. In der kalten Jahreszeit allerdings konnte man es lagern. Daher gab es am Tag der Thomasnacht den »Sautanz«. Da wurde die »Mettensau« geschlachtet, für die Schweinsbratwürste in der Heiligen Nacht.
Der Wohlstand hat uns sorglos gemacht. Mit der Sorge um das Schwinden dieses Wohlstands beschäftigen uns wieder Themen wie Selbstversorgung und die Unabhängigkeit von globalen Wirtschaftskreisläufen. Der Bauer von einst war freigespielt von solchen Überlegungen. Als Selbstversorger schuf er sich seinen eigenen Wirtschaftskreislauf. Zu diesem Kreislauf gehörte das Schlachten der Sau. Eine Sau war wie eine lebende Vorratskammer. Übers Jahr wurde sie fett gemästet, um vor Weihnachten verarbeitet zu werden. Deshalb heißt der Thomastag auch »bluatiger Thomerl« oder »Sautag«, weil schier in jedem Haushalt am Land eine Sau abgestochen wurde.
Ich habe mich ausführlich mit dem Thema beschäftigt, beruflich und viel später auch privat. Beruflich habe ich für meinen Kinofilm Der Blunzenkönig einen alten Metzgerwirt von seinem allerletzten Sautanz träumen lassen. Privat habe ich erst lange nach der Filmpremiere an einem Schlachtfest teilgenommen. In meiner unmittelbaren Nachbarschaft pflegt Haubenkoch Max Stiegl gegen Ende des Jahres dieses kulinarische Brauchtum. Jahr für Jahr bin ich inzwischen zu Gast. Und beeindruckt von diesem Augenschmaus. Stiegl betreibt sein Lokal im ehemaligen Dorfwirtshaus. Im stimmigen Innenhof seines Guts Purbach liegen auf einem alten Hackstock Messer und Beile bereit. Über offenem Feuer ist die gusseiserne Pfanne arretiert. Der blank gescheuerte Holztrog steht bereit. In großen Kesseln aus Email dampft das Wasser. Im Mittelpunkt der Vorbereitungen auf die Schlachtung steht allerdings ein mannshohes Holzgestell: der »Saurehm«, auf dem die tote Sau zerlegt wird. Er steht am Ende einer Kette von Arbeitsschritten, die seit jeher unverändert ist. Mit dem Schlachtschussapparat wird die Sau betäubt und anschließend gestochen. Der leblose Körper wird mit siedendem Wasser aus den Feuertöpfen übergossen. Im Sautrog scheuern Helfer mit Ketten die Borsten ab. Wenn die Sau am »Saurehm« hängt, öffnet der Fleischermeister die straff gespannte Bauchdecke. Die Eingeweide quellen heraus: Köstlichkeiten wie Herz, Nieren und Leber. Max Stiegl verarbeitet sie noch körperwarm. Nie zuvor habe ich eine »gschmackigere« Leber – kurz geröstet und mit einer Messerspitze Majoran gewürzt – gegessen, als unmittelbar nach der Schlachtung. Nun wird das Schwein zerlegt. Aus dem frischen Fett werden Grammeln gelassen. Die Stelze, der Kopf und die Lunge werden im Topf mit Suppengemüse angesetzt. Das zähe Fleisch wird gehackt, faschiert und verwurstet. Die wohl bekannteste dieser Würste ist die Blutwurst, die »Blunzen«. Gekochte Lunge, Schwarten und etwas Fleisch werden fein geschnitten und mit frischem Blut und Gewürzen gemischt. Die Masse wird in den frischen Darm gefüllt und zieht anschließend in der Kochsuppe.