Читать книгу Nächte zwischen der Zeit - Christoph Frühwirth - Страница 16

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Einst galt der Weihnachtstag als Fasttag. Erst zur Bescherung am Abend gab es das Festessen, oftmals eine Bratwurst. Josef Wein, Sohn eines Bauern, erinnert sich an seine Jugend: »Das Räuchern der Würste, das Selchen, das ist eine ganz eigene Kunst gewesen. Man durfte nur mit hartem Holz wie der Buche oder der Eiche einheizen. Wichtig sind auch die Temperatur und die Dauer des Räucherns gewesen. Bratwürste sind nur kurz in der Räucherkammer gehangen. Wenn die Farbe passte, hat mein Vater sie abgenommen und mit Braterdäpfeln und knusprigem Bauernbrot serviert.«

Der Thomastag stand also ganz im Zeichen der Festlichkeit. Die Nachbarn kamen zusammen. Es wurde in der Gemeinschaft getrunken und gegessen. Man freute sich auf die ruhigen Tage, die man im Kreise seiner Nächsten verbrachte. Ein Sprichwort besagt: »Du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben.« Daher vergaß man bei aller Geselligkeit nicht, an das Danach zu denken. Die Thomasnacht war die Nacht der Orakel und Weissagungen. Die Alten gingen mit Einbruch der Dunkelheit mit der Räucherpfanne durch die Stuben und in den Stall. Die Jungen stellten sich der Zukunft spielerisch. In geselliger Runde praktizierten sie den Brauch des »Hütlhebens«. Am Esstisch lagen diverse Hüte. Unter jedem Hut verbarg sich ein anderes Symbol: für Liebe, Reichtum, Erbe, Tod, Unglück oder Glück. So begegnete man auf unterhaltsame Art und Weise seinem Schicksal. Das Hütlheben ist nur einer von vielen Orakelbräuchen. Einer jedoch, den wir noch heute unkompliziert praktizieren können. Im damaligen Kontext zu verstehen und heutzutage nicht mehr wirklich praktikabel sind die vielen anderen Bräuche, die hauptsächlich dem stark im Volk verankerten Aberglauben geschuldet waren. Was damals mit großer Ernsthaftigkeit durchgeführt worden ist, entbehrt heute nicht einer gewissen Ironie. Zum Schmunzeln bringen mich die vielen Fragen rund um das zukünftige Liebesglück. Der heilige Thomas ist schließlich der Schutzheilige der Liebenden. Er wurde daher als Experte in Fragen des Ehestandes zu Rate gezogen. Bauerndirndln, aber auch die Burschen gingen abends zum Gartenzaun, der im Idealfall aus Haselnuss gearbeitet war, fassten einen Pfahl und sprachen die salbungsvollen Worte:

»Gartenzaun, ich schütt’r dich, feines Lieb, ich witt’r dich.«

Woraufhin ihnen der Wind die Namen der Liebsten ins Ohr flüsterte oder diese ihnen in einer Art Fata Morgana sogar leibhaftig erschienen. Es ging jedoch auch einfacher, konnten die Suchenden doch gleich anhand der Beschaffenheit des Pfahles das Aussehen ihrer Zukünftigen feststellen. Ein frischer Zaunstecken verhieß Jugendlichkeit, ein morscher Stecken Alter. Wer es sich, statt sich im unwirtlichen Freien herumzutreiben, im warmen Bett bequem machte, dem wurde die Zukunft um Punkt Mitternacht geweissagt. Es galt dafür nur, mit dem Glockenschlag aufzustehen, mit einem Fuß auf das Bett zu treten und, ohne sich umzudrehen, zu sprechen:

»Bettschemel, ich tritt dich, heilger Thomas, ich bitt dich, zeig mir mein zukünftig Liab.«

Wer nicht an Bettflucht litt, der brauchte sich in der Thomasnacht nur kopfüber ins Bett zu legen. So ließ sich die Liebe des Lebens im Schlaf erträumen. Den Zweiflern, denen gerade in dieser Nacht die Eifersucht den Schlaf raubte, gab der heilige Thomas folgenden Ratschlag mit auf den Weg der Erkenntnis: Sie sollten mit einem Spiegel in der einen und einer Kerze in der anderen Hand ins Freie treten. Zur Geisterstunde würden sie im Schein des Kerzenlichtes im Spiegel sehen, was ihre Liebsten in eben diesem Augenblick taten.

Ich möchte den Ausflug in die vergangene Welt der Orakel nicht ohne einen Tipp beenden, der uns aller materiellen Sorgen entledigt. Wer von uns hat nicht schon einmal Lotto gespielt? Die wöchentliche Sendung der »Österreichischen Lotterien«, das elektronische Orakel von Delphi, verspricht uns eine strahlende Zukunft. Wir halten fiebrig die Lottoscheine mit den sechs Zahlen in der Hand und warten gespannt, ob wir die sechs richtigen Kästchen angekreuzt haben. Die sechsstellige Nummernfolge ist also das gewinnbringende Element in diesem Spiel. Daher: Verarbeiten Sie am Thomasabend Zettel mit Nummernkombinationen in Knödeln nach Ihrem Geschmack. Entscheidend für Ihre Zukunft ist nur, welcher Knödel zuerst an die Wasseroberfläche kommt. Dieser enthält nämlich den Sechser im Lotto. Und falls nicht: Wohl bekomm’s!

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