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III. Kopenhagen-Dilemma und Rechtsstaatsmechanismus

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Für die beigetretenen EU-Mitgliedstaaten gelten zwar grundsätzlich die gleichen rechtsstaatlichen Anforderungen wie für Beitrittskandidaten. Auch sie müssen die Anforderungen aus Art. 2 EUV erfüllen. Allerdings konnten Verletzungen oder Gefährdungen des Rechtsstaatsprinzips bisher nur unzureichend durchgesetzt werden (sog. Kopenhagen-Dilemma). Denn die Durchsetzungsmechanismen gelten als politisch schwerwiegende Optionen der ultima ratio: Andere Mitgliedstaaten oder die Kommission könnten Vertragsverletzungsverfahren vor dem GHEU wegen Verletzung spezifischer unionsrechtlicher Pflichten einleiten (Art. 258 f. AEUV). Die oben dargestellten Elemente der Rechtsstaatlichkeit selbst erweisen sich dabei jedoch als wenig justitiabel. Sie fallen teilweise gänzlich aus dem Anwendungsbereich des Unionsrechts. Andererseits kann ein politisches Verfahren nach Art. 7 EUV eingeleitet werden. In dessen Verlauf kann der Europäische Rat eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung des Rechtsstaatsprinzips durch den betroffenen Mitgliedstaat feststellen (Art. 7 II EUV), die wiederum vom Rat mit dem Entzug von mitgliedschaftlichen Stimmrechten sanktioniert werden kann (Abs. 3). Dazu ist es aufgrund der Beteiligungserfordernisse anderer EU-Organe, den hohen Quoren (Zustimmung des Europäischen Parlaments, Einstimmigkeit im Europäischen Rat) und der erforderlichen Einstufung des Verstoßes als „schwerwiegend und anhaltend“ allerdings noch nie gekommen.

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Diesen Missstand nahm die Kommission 2014 zum Anlass, einen niederschwelligen Frühwarnmechanismus zu entwickeln, um die Durchsetzung des Rechtsstaatsprinzips in den Mitgliedstaaten zu stärken.[14] Der sog. Rechtsstaatsmechanismus soll unbeschadet eines Vertragsverletzungsverfahrens und vor dem Verfahren nach Art. 7 EUV greifen. Er ermöglicht einen strukturierten Dialog zwischen der Kommission und dem betroffenen Mitgliedstaat, um möglichen Verletzungen des Rechtsstaatsprinzips frühzeitig vorzubeugen. Das Verfahren setzt eine systemische Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat voraus, die der Kommission vom Europäischen Parlament, den Mitgliedstaaten oder anderen Akteuren angezeigt wird. Daraufhin erstellt die Kommission in der ersten Phase eine Sachstandsanalyse und übermittelt dem betroffenen Mitgliedstaat eine vertrauliche Stellungnahme. Reagiert der Mitgliedstaat darauf nicht zur Zufriedenheit der Kommission, kann diese in der zweiten Phase eine „Rechtsstaatlichkeitsempfehlung“ abgeben, die veröffentlicht wird. Die verfahrensabschließende dritte Phase richtet sich nach dem Verhalten des betroffenen Mitgliedstaats. Setzt der die empfohlenen Maßnahmen fristgerecht um, ist das Verfahren beendet. Tut er dies nicht, kann die Kommission das Präventiv- oder das Sanktionsverfahren nach Art. 7 I bis III EUV einleiten.

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Als bloßes Dialogverfahren ohne rechtliche Bindungswirkung bedarf der Rechtsstaatsmechanismus keiner expliziten Rechtsgrundlage in den EU-Verträgen.[15] Die Aufgabenzuweisung an die EU könnte daneben aus Art. 2 I i.V.m. Art. 4 III, Art. 3 I und Art. 13 I EUV (Loyalitätsgebot), i.V.m. Art. 19 EUV (wirksamer Rechtsschutz) oder i.V.m. Art. 258 AEUV (Aufsichtsfunktion der Kommission) konstruiert werden.[16] Problematisch erscheint, dass betroffene Staaten nicht verpflichtet sind, im Rahmen des Mechanismus zu kooperieren und ihr rechtsstaatswidriges Verhalten fortsetzen können. Andererseits kann die Kommission durch ihr Tätigwerden öffentlichen Druck ausüben, die Konfliktpunkte aufzeigen und so die Akzeptanz für ein sich möglicherweise anschließendes Verfahren nach Art. 7 EUV und dessen Erfolgsaussichten erhöhen.

Beispiel:

Der neue Rechtsstaatsmechanismus wurde bislang erst einmal – und ohne erkennbare Wirkung – aktiviert. Im Januar 2016 leitete die Kommission Untersuchungen hinsichtlich der polnischen Gesetzgebung ein, mit der die Kontrolle von Legislativakten auf Grundrechtsverletzungen durch das Verfassungsgericht faktisch ausgesetzt wurde. Im Mai 2016 übermittelte die Kommission dem Mitgliedstaat die Einschätzung, dass dies mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar sei. Im Juni und Dezember 2016 sprach die Kommission Empfehlungen aus und leitete damit die zweite Phase des Rechtsstaatsmechanismus ein. Da Polen weiterhin die Vorwürfe zurückweist und die Legitimation des Verfahrens bestreitet, hat die Kommission im Juli 2017 weitere Empfehlungen ausgesprochen und im Dezember 2017 mit einem begründeten Vorschlag das Verfahren nach Art. 7 I EUV eingeleitet und das Vorverfahren im Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV begonnen.[17]

§ 2 Die EU als Rechtsgemeinschaft › C. Unionaler Rechtsschutz durch Gerichte

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