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b) Betriebsrisiko

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So trägt der Dienstherr die Entgeltgefahr insb. aus dem Gesichtspunkt des Betriebsrisikos (vgl. § 615 S. 3). Dies stellt eine Form der Erfüllungsbehinderung dar, in der der Schuldner von sich aus leistungsbereit und leistungsfähig und der Gläubiger auch bereit ist, die Leistung entgegen zu nehmen, die Arbeitsvorrichtungen, die zu ihrer Erbringung notwendig sind, eine Benutzung jedoch nicht zulassen. Hier liegt kein Fall des Annahmeverzugs vor (§ 293), weil der Arbeitnehmer die geschuldete Leistung bereits nicht zweckentsprechend anbieten kann (vgl. § 294). Die Tragung der Vergütungsgefahr muss in solchen Fällen nach objektiven Verantwortungsbereichen abgegrenzt werden.

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Es sind dies namentlich Fälle der Störung in der Rohstoff- oder Energieversorgung. Zum Unternehmerrisiko gehören auch Störungen aus typischen Natureinwirkungen, wie z.B. durch steigendes Grundwasser in Folge anhaltender Regengüsse bei Bauarbeiten. Auch gezielte ordnungsbehördliche Eingriffe belassen dem Arbeitnehmer das Recht auf Vergütung.

Allgemeine Risiken wie Bahnstreiks, Verkehrsstauungen oder wetterbedingte Unterbrechungen von Verkehrsverbindungen, die den Arbeitnehmer auf seinem Weg zur Arbeit treffen, gehören hingegen ebensowenig zum Betriebsrisiko wie Folgen von Terroreinwirkungen.

Die Teilnahme an rechtmäßigen Arbeitsniederlegungen suspendiert die beiderseitigen Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses (Ausnahme: Einteilung zu Notdienstarbeiten), bei Teilnahme an rechtswidrigen Streiks entfällt der Lohnanspruch nach § 326 Abs. 1. Arbeitswillige Arbeitnehmer verlieren ebenfalls die Lohnansprüche, soweit ihre Arbeitsleistung aufgrund eines rechtmäßigen oder -widrigen Streiks nicht sinnvoll möglich ist („kampfparitätisch“ begründete Ausnahme zu § 615 S. 3 i.V.m. den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre); Gleiches gilt bei sog. Fernwirkungen von Streiks, die von einer anderen Produktionsstufe auch außerhalb des eigenen Unternehmens oder einer anderen Betriebsabteilung desselben Unternehmens ausgehend, den konkreten Arbeitsplatz betreffen (Einschränkung des BAG: Fernwirkung muss typischerweise Einfluss auf den Verlauf des Arbeitskampfes haben, also nur solidarische Risikotragung etwa aufgrund Betriebszugehörigkeit zum selben Arbeitgeberverband oder Konzern, Vorbildcharakter eines zu erstreikenden Tarifvertrags).

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In Fällen des Betriebsrisikos behält der Dienstverpflichte seinen Vergütungsanspruch, muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er an (Wege- etc.)Kosten erspart oder anderweitig erwirbt oder zumutbar erwerben könnte (§ 615 S. 3). Die Anrechnungspflicht wird bei betriebsgebundenen Arbeitnehmern kaum nennenswert zur Anwendung kommen können.

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Konsequenter Ausdruck dieser Risikoverteilung ist auch eine § 326 Abs. 2 ergänzende Besonderheit in § 615 für die Leistungsgefahr im Annahmeverzug (vgl. § 293) des Dienstberechtigten. Da der Dienstvertrag die zeitliche Verwertung der Arbeitskraft regelt, ist ein Nachholen stets ausgeschlossen. Der Arbeitnehmer schuldet keinen nachholbaren Erfolg, sondern den Einsatz von Zeit und könnte in der Folgeperiode bereits eine weitere Vergütung erwerben. Mit Zeitablauf tritt deshalb Unmöglichkeit ein (absolutes Fixgeschäft). Für diesen Fall belässt § 615 dem Arbeitnehmer die Vergütung (Annahmeverzugslohn). Der Dienstverpflichtete hätte keinen Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber im unverschuldeten Annahmeverzug (etwa auf entgangenen Gewinn/Lohn, vgl. §§ 281 Abs. 1, 2, 280 Abs. 1, 252); der Annahmeverzug braucht, anders als der Schuldnerverzug (vgl. § 286 Abs. 4) nicht notwendig auf einem Verschulden zu beruhen (etwa wenn eine echte Mitwirkungshandlung des Dienstherrn geschuldet und unterblieben wäre).

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Relevant ist das z.B., wenn der vom Arbeitgeber gekündigte Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist (verständlicherweise) nicht weiterbeschäftigt wird, aber ein parallel angestrengter Kündigungsschutzprozesses später die Unwirksamkeit der Kündigung feststellt; hatte hier der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft nach den §§ 294–297 ordnungsgemäß angeboten, behält er wegen § 615 S. 1 den Entgeltanspruch, während Schadensersatz auf den Lohn voraussetzte, dass der Arbeitgeber durch die unwirksame Kündigung zugleich eine Vertragsverletzung beging; und § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 passt nicht, weil kein ursächlicher „Umstand“ eintritt.

Beachte:

Tarifverträge enthalten oft zweistufige Ausschlussfristen zur Geltendmachung von (Entgelt-)Ansprüchen, wonach es erforderlich ist, diese binnen sehr kurzer Fristen zunächst schriftlich (erste Stufe), dann gerichtlich (zweite Stufe) geltend zu machen. Für auflaufende Ansprüche auf Annahmeverzugslohn während Kündigungsschutzklagen ist es seit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 19.9.2012 – 5 AZR 627/11) dabei nicht (mehr) erforderlich, die Bestandsklage fortwährend um solche Vergütungsansprüche zu erweitern.

Hierher gehört auch die Möglichkeit der Arbeitszeitflexibilisierung zugunsten des Arbeitgebers durch Vereinbarung von „Arbeit auf Abruf“ (insb. im Einzelhandel und für Aushilfen), vgl. § 12 TzBfG, wonach im Vergütungsinteresse des Arbeitnehmers im Zweifel eine Arbeitszeit von mindestens zehn Stunden in Blöcken zu je mindestens drei Stunden abzurufen sind (sog. kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit – KAPOVAZ). Nicht abgerufene Zeiten sind in diesem Umfang sowohl nach § 615 wie meist auch aus § 281 Abs. 1 dennoch zu vergüten.

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Die wichtigste Vergünstigung gegenüber § 326 gewährt § 616. Hiernach trägt der Arbeitgeber das alltägliche Risiko kürzerer Verhinderung des Arbeitnehmers durch einen in dessen Person liegenden Grund, den er nicht verschuldet hat.

Diese für alle Dienstverpflichteten geltende Vorschrift wird für den Krankheitsfall von Arbeitnehmern in § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) auf eine Sechswochenfrist je Erkrankung erweitert (die Sechswochenfrist gilt bei mehrfachen, einander folgenden unterschiedlichen Erkrankungen, sog. Folgeerkrankungen, jeweils gesondert; bei Rückfall in dieselbe Erkrankung, sog. Fortsetzungserkrankung, ist nach § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG die Frequenz entscheidend; anschließend Anspruch auf Krankengeld gem. § 44 SGB V).

Kleinbetriebe (bis i.d.R. 30 Arbeitnehmer) werden seitens der gesetzlichen Krankenkassen durch eine Erstattung der Aufwendungen für die Entgeltfortzahlung gem. Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) wieder entlastet.

Beispiel:

Neben Krankheiten und Unfall (eigenen und die naher Angehöriger) gilt § 616 auch für Arbeitsverhinderungen durch religiöse Feste, die nicht bereits als gesetzliche Feiertage unter das EFZG fallen (vgl. Feiertagsregelungen), aber auch für die Sakramentenspendung an Angehörige: eigene Hochzeit oder die von Kindern, Firmungen, goldene Hochzeit der Eltern. Allgemeine Hinderungsgründe (z.B. witterungsbedingte Verkehrsbeeinträchtigungen, Bahnstreiks) liegen nicht „in der Person“ des Schuldners, so dass insb. Wegezeiten zur Arbeit dessen Risiko bleiben. Überdies darf die Verhinderung nur verhältnismäßig kurz sein und entfällt bei längerer Ausdehnung ganz und nicht nur anteilig (anders das EFZG).

§ 616 entlastet ggf. auch einen dritten Schädiger vom Ersatz eines Verdienstausfallschadens, während § 6 Abs. 1 EFZG einen gesetzlichen Forderungsübergang für Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit anordnet und damit dem Arbeitgeber den Regress für die Lohnfortzahlung beim Schädiger ermöglicht.

Ergänzend greifen sozialrechtliche Lohnersatzleistungen: Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes, vgl. § 45 SGB V; ähnliche Sonderregelung nach § 2 des Pflegezeitgesetzes, wofür seit dem 1.1.2015 während der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung Anspruch gegen die Sozialkassen auf Pflegeunterstützungsgeld nach § 44a Abs. 3 SGB XI besteht.

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