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Simon Bethge

Schwarmgelächter

Zwischen den Steinplatten passiert etwas. Der schwarze Streifen Erde scheint sich zu bewegen; eine kleine Spinne kriecht in die kalte Nacht, die auf träge Fliegen hoffen lässt. Aber Mayas Stiefel bricht über sie herein wie ein wildlederner Rachegott und zerstört diesen Mikrokosmos.

Einen Fuß vor den anderen setzend, tanzt sie die Wasserkante entlang und ihre roten Haare flackern jedes Mal auf, wenn sie eine Straßenlaterne passiert. Wir sind in letzter Zeit oft hier. Am Hafen, auf der andern Seite vom Fluss. Der Rauch ihrer Zigarette spinnt Fäden um sie. Hüllt sie ein, bis die Kippe heißgeraucht und Maya hinter grauen Schleiern verschwunden ist. Ich sehe sie nicht mehr; einen Moment lang habe ich Angst — wie oft schon, kann ich nicht sagen, irgendwann habe ich aufgehört, zu zählen. Wenn sie bei mir ist, geht’s mir gut, aber wenn nicht, kommt die Angst zu mir zurück wie ein Boomerang.

Dann lässt sie ihren Nebel hinter sich und lächelt mich über die Schulter an. Am Horizont spiegelt sich der Mond blass auf dem letzten Kunstwerk unserer Stadt; verlassene Baukräne beugen sich über sie wie alte Brüder. Ich bleibe zurück, als Maya ein paar Schritte vorspringt. Sie lockt mich in eine Nische, zu einer toten Laderampe. Wartet an einer Wand und als ich ihr folge, springt sie mir in die Arme. Ich bemerke unwillkürlich, dass wir seit gut einer Stunde kein Wort mehr gewechselt haben.

Und auch jetzt schweigen wir. Die Wand, an die ich sie drücke, ist grau und rissig. Hier und da sieht man schwarze Flecken, wo Hafenarbeiter ihre Kippen ausgedrückt haben. Nachtmöwen ziehen ihre ruhigen Bahnen und lachen wissend auf uns herab. Meine Finger finden ihre Lippen, und ich streiche mit dem Daumen darüber. Sie wimmert leise, denn sie weiß, was kommen wird. Einen Moment liegen sich unsere schwarzen Münder wie zwei offene Wunden gegenüber; im Mondschein lauert der rote Muskel ihrer Zunge unruhig. Und ich kann nicht mehr warten –

— einen Augenblick später löst sich Maya von mir, schaut auf und mich wieder an: „Nicht hier.“ Noch immer schweigend gehen wir unseren Weg zurück, vorbei an toten Spinnen und dem Summen der Sodiumlampen, bis wir zu ihrem kleinen Wagen kommen. Sie hat im Schatten geparkt, denn eigentlich darf so spät niemand mehr bei den Lagerhallen sein. Wir ruckeln über die Brücke zurück, und ich kann mich kaum beherrschen, sie von meinem Platz aus nicht gierig zu betrachten; die ersten Menschen des neuen Tages schleichen schweigsam über den Asphalt.

Immer schneller kommt die große Stadt in Bewegung, Maya und mir fällt es immer schwerer, das Dazwischen zu entschleunigen. Manchmal weint sie im Schlaf, und wenn ich sie, auf die Ellenbogen gestützt, dabei beobachte, will ich immer die Stadt untergraben, und mit ihr in die Tunnel ziehen. Nur parasitär mitfahren im Unterboden der U-Bahn, Kopfsteinpflaster überwinden und am Ende von den Klippen des Atlantic springen!

Und ich wünsche wünsche wünsche mir einen Seitenblick, der meine Zweifel erstickt und die Luftschlösser erobert.

Nein, nicht hier, sie hat schon recht.

„Ich hab’s mir überlegt“, fängt Maya an, Blickduelle mit dem Mittelstreifen verlierend, „vielleicht doch lieber morgen.“ Das ist alles.

Sie hält rechts an und fährt mein Fenster hoch, wie um mich noch einen Moment vor dem blau gereiften Irrsinn draußen zu schützen: „Gute Nacht, Eva, und bis morgen.“ Ich steige raus zu den Menschenkonturen, verschanzt hinter Pappbechern mit Kaffee. Bevor sie wegfährt, wende ich mich ab, und betrete das warme Gelb des Kiosks.

Mein Boomerang kommt zurück. Morgen wird wohl noch lange dauern.

Kommentar: Eine unromantisch-romantische Stimmung wird auf den Leser übertragen. Eindrucksvoll.

4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018

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