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Jerusha Präpst

Onii-chan

Ein langer gequälter Atemzug, ein Keuchen, Stille. Ich schließe zufrieden meine Augen und drehe mich zur Wand. Endlich Ruhe. Ich bin müde. Langsam beginne ich wegzudämmern. Ein rasselnder Husten. Meine Augen klappen auf und der Blick, der von mir ausgeht, ermordet die Steinwand vor mir. Wieder ein Keuchen, wieder ein gequälter Husten. Dann eine zarte, ganz schwache Stimme: „Onii-chan?“ Genervt drehe ich mich wieder um und blicke das kleine Mädchen bitterböse an. „Was ist?“ Meine Stimme ist hart, meine Worte lieblos. „Sei endlich still. Ich will schlafen. Ich kann auch nichts machen, genauso wie Mama, also sei endlich still. Ich will schlafen!“ Ich, ich, ich. Aber das ist jetzt egal, ich habe morgen einen anstrengenden Tag vor mir und brauche meinen Schlaf. Außerdem kann ich ja sowieso nichts für sie tun. Stille. Dann höre ich Papier rascheln. Was ist denn jetzt schon wieder? Ein Stift kratzt über das Blatt, dann herrscht Stille. Ich schließe wieder meine Augen und dämmere vor mich hin. Wieder ein qualvolles Husten, krachender Husten. „Sakura.“ Zurechtweisend. Genervt und kalt. Stille. Gleichmäßiges Atmen. Ich schließe abermals meine Augen, doch ich kann nicht schlafen. Es ist ruhig. Zu ruhig. „Sakura-chan?“ Keine Antwort. Ich halte die Luft an. Vollkommene Stille. Hastig klettere ich aus meinem Bett und tapse zu ihrem. Sie liegt ruhig da, die Augen geschlossen, ihre Brust liegt still. „Sakura-chan.“ Das Blatt. Ich greife danach. Acht Worte. „Onii-chan. Du bist das Wichtigste für mich.“ Ich schreie. Plötzlich fahre ich auf, mein Herz pocht laut in der Stille. Mein Blick gleitet durch meine Wohnung. Leer. Absolute Ruhe. Nur das Blut rauscht in meinen Ohren und mein hämmernder Herzschlag ist betäubend laut. Mein Schrei gellt in meinem Kopf, wieder und wieder. Langsam versuche ich zur Ruhe zu kommen, ich fahre mir über den grauen Bart. Endlich atme ich wieder normal. Ich drehe mich zur Wand, ich kann besser schlafen, wenn ich ihr entgegenblicke. Keine Ahnung warum. Mit geschlossenen Augen warte ich auf den Schlaf. Keuchen. Ein rasselnder Husten. Ich reiße die Augen auf und setze mich aufrecht hin, mein Blick gleitet panisch umher. Das Zimmer liegt totenstill da, mir gegenüber ein leeres Bett. Unbenutzt. Weiß und rein. Um mich herum ist nur Stille. Ich schließe die Augen und versuche zu schlafen, der Morgen graut schon. Ein rasselnder Husten. Ich halte mir die Ohren zu, presse die Augen zusammen, doch es hilft nichts. Ich kann nicht schlafen. Das Husten und Keuchen klingt laut in der ungestörten Stille.

Onii-chan: japanisch für „großer Bruder“

Sakura-chan: -chan ist eine japanische Verniedlichungsform

Kommentar: Teilweise schwer zu entschlüsseln. Ergreifend trotzdem die Kernbotschaft: Wie schrecklich, wenn man zu spät erkennt, dass man eine große Liebe nicht gebührend erwidert hat.

4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018

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