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„SED“ – DURST 16. Juli

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Am nächsten Morgen durfte ich mit Freude feststellen, dass meine Behausung innen völlig trocken geblieben war und mein gerade neu erworbenes Zelt seine Regentaufe mit Bravour bestanden hatte. Nach einem gemeinsamen Frühstück mit meinen Kollegen vom Zeltplatz, die alle Richtung Lourdes aufbrachen, sollte für mich der Aufstieg zum Pyrenäenpass Somport beginnen. Doch es ging fast nur geradeaus. Die Straße fraß sich zwar immer tiefer in die Pyrenäen hinein, aber ohne merkliche Steigung. Bei einer Rast breitete ich alle meine nassen Sachen aus und ließ sie von der Sonne trocknen, unter den Augen einer mir unbekannten Schafrasse mit elegant geschwungenen Hörnern.

Bald schluckte ein für Fahrräder gesperrter Tunnel alle Autofahrer, und so umgab mich auf den letzten Kilometern einsame Stille. Kein Motorengeheul störte die idyllische Gegend, die mich an die Schweizer Alpen erinnerte. Um 14.00 Uhr erreichte ich die Passhöhe (1632 Meter) und wollte gar nicht glauben, dass es von nun an nur noch abwärts gehen sollte.

Zum ersten Mal in meinem Leben betrat ich nun spanischen Boden. Auf dem Pass gab es ein kleines Restaurant, das ich aufsuchte, um den Anlass gebührend zu feiern und ein paar Karten zu schreiben. Gerade als ich mich wieder aufs Rad schwang, überquerte der Bus eines Pilgerunternehmens aus Einsiedeln die Passhöhe und ließ für einen kurzen Augenblick ein paar heimatliche Gefühle aufkommen.

Es folgte eine rauschende, 30 Kilometer lange Abfahrt Richtung Süden, bis ich bei der Stadt Jaca die Talebene erreichte. Jetzt konnte ich die letzte, mir noch verbliebene Straßenkarte fortwerfen, denn der restliche Teil des Weges bis Pamplona schien klar vorgegeben. Ich musste mich nur immer schön westwärts halten, und schon bald würde ich Pamplona und kurz darauf Puente la Reina erreichen, wo ich mein Rad abstellen wollte.

Ich rechnete fest damit, noch an diesem Abend in Puente la Reina einzutreffen. Aber da tauchte eine Straßentafel auf, die mich fast erschlug: Pamplona 122 Kilometer. Zudem blies in der Ebene ein ungewohnt starker Gegenwind. Da ich gegen Westen fuhr, brannte mir auf der schnurgeraden Straße ununterbrochen die langsam niedergehende Sonne ins Gesicht. Ich kämpfte mich vorwärts, Kilometer um Kilometer. Der Wind wurde immer heftiger, der Wasservorrat immer geringer, die Orte immer seltener, die Straße immer trostloser.

Plötzlich tauchte ein Schild auf: Puente la Reina. Es war wie ein Wunder. Ich konnte es nicht fassen. Aber es stand schwarz auf weiß auf der Ortstafel geschrieben.

Doch das vermeintliche Wunder wich sogleich der harten Realität: „Puente la Reina de Jaca“ hieß es da, als ich genauer hinschaute. Der „Ort“ bestand aus einer verlotterten Tankstelle und einem Lagerschuppen. Weit und breit keine Spur von einer königlichen Brücke.

Endlich erschien am Horizont ein Dorf. Aber es lag abseits des Weges, gleich einer Festung auf einer Anhöhe. Obwohl mich nur zwei Kilometer von ihm trennten, hatte ich keine Kraft mehr, dort hinaufzuradeln. Ich begnügte mich damit, die unerreichbare Festung wenigstens ins Bild zu bannen. Das zog die Aufmerksamkeit zweier Österreicherinnen auf sich, die in einer vorsintflutlichen, mit roten Vorhängen verzierten „Ente“ (einem alten Citroën) daherwatschelten. Sie hielten neben mir an und fanden das Sujet ebenfalls eines Bildes wert. Leider hatten auch sie nichts zu trinken dabei. Immerhin kündigten sie mir die Nähe eines Stausees an. Dann gaben sie ihrer Ente Gas, und sie schnatterte holpernd und ächzend davon.

Ich hatte wohl einen anderen Begriff von Nähe als die beiden Weltenbummlerinnen. Auch nach einer Stunde Fahrt war weit und breit kein Stausee zu sehen.

Da erschien gleich einer Oase eine rettende Tankstelle mit einem Getränkeautomaten. Es fehlte mir aber das nötige Kleingeld, und so musste ich warten, bis ein Autofahrer vorbeikam und sich meiner erbarmte. Welche Erlösung, welche Kostbarkeit, dieses edle Wasser!

Nachdem der Durst gelöscht war, fühlte ich mich gleich wieder besser. Gegen Abend wurde der Wind stärker. Das bereitete mir einige Sorge, denn ich wusste nicht, wo ich in diesem offenen Gelände mein Zelt aufstellen könnte, ohne verweht zu werden.

Da erblickte ich am Horizont etwas Bläuliches. War es das Glas eines großen Gewächshauses, war es eine Fata Morgana, oder war es tatsächlich der angekündigte Stausee? Nach ein paar Hügeln und Kurven, die die glänzende Fläche immer wieder meinen Blicken entzogen, stand fest: Es war tatsächlich der Stausee.

Wie bei solchen Seen üblich, war er mit seinen schroffen, nackten Ufern nicht sehr einladend. Fast verzweifelt fuhr ich immer weiter in der Hoffnung, doch noch irgendeine geschützte Stelle zu finden.

Da stieß ich unvermittelt auf einen Zeltplatz. Noch selten bin ich so erlöst durch das Tor eines Campingplatzes gefahren wie zu jener Abendstunde. Eine nette Spanierin, die fließend französisch sprach, empfing mich, als hätte sie auf mich gewartet. Obwohl der Campingplatz gerammelt voll war, fand ich ganz vorne, gleich über einer Klippe am Rand des Sees, ein wunderschönes Plätzchen für mein kleines Zelt.

Die Sonne war schon untergegangen, als ich die Badehose anzog und Richtung See lief. Einige fischende Kinder, die ihr letztes Glück versuchten, wunderten sich über den seltsamen Gast, der jetzt noch ins kalte Wasser stieg. Ich aber tauchte da hinein, ohne recht glauben zu können, dass eine solche Ansammlung von Wasser möglich war. So lange hatte ich darauf warten müssen. Es war einer jener Momente, wo Dankbarkeit und Freude überströmen und man sich gar kein größeres Glück auf Erden vorstellen kann.

Neuland unter den Sandalen

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