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WIE ICH ZUM JAKOBSPILGER WURDE

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Nein, wallfahren, das war nicht meine Sache. Dass ich damals den Schritt ins Internat des berühmten Wallfahrtsortes Einsiedeln tat, hatte allein mit meiner Faszination für afrikanische Wildtiere zu tun. Ich wollte Missionar werden und unter Löwen und Giraffen leben. Das ging aber nicht ohne Abitur. So kam ich ans Gymnasium des Klosters Einsiedeln.

Der Alltag im Internat gefiel mir über Erwarten gut. Die Lehrer in ihren schwarzen Kutten und das barocke Ambiente der Klosteranlage beeindruckten mich so sehr, dass die Bilder von Elefanten und Hyänen allmählich verblassten. Schließlich entschied ich mich, in dieses Kloster einzutreten und die Afrikamission anderen zu überlassen.

Den Wallfahrtsbetrieb nahm ich dabei in Kauf. Er störte mich nicht, war aber auch nicht meine Welt. Selber eine Wallfahrt zu unternehmen, das wäre mir nie in den Sinn gekommen. Von zuhause her war mir so etwas völlig unbekannt.

Gewiss, ich wusste, dass es den Jakobsweg gab und dass er im fernen Spanien endete. Aber nie hatte ich auch nur das leiseste Bedürfnis verspürt, ihn selber zu gehen. Mir genügte mein Tagwerk im Kloster. Aufbrechen, gar nach Santiago? Das überließ ich jenen, die Gefallen daran fanden.

In Einsiedeln wohnte ein Ehepaar, dem der Jakobsweg viel bedeutete, denn die beiden hatten sich dort kennengelernt. Sie waren eng mit unserem Kloster verbunden. Eines Tages gingen sie zum frisch gewählten Abt Martin. Es wäre gut, meinten sie, wenn er als junger Abt auch Anregungen aus anderen Klöstern bekäme. Sie schlugen vor, dass einer der Mönche mit ihnen eine Reise zu französischen Abteien unternehmen sollte, um ihm nachher darüber zu berichten.

Abt Martin fand die Idee gut, und ich war der Auserwählte. So kam es, dass ich mit dem Ehepaar verschiedene Abteien im Burgund besuchte. Nach meiner Rückkehr berichtete ich dem Abt ausführlich. Als ich mich verabschiedete, vertraute ich ihm noch etwas an, das mich seit dieser Reise nicht mehr losließ:


In Vézelay tauchte plötzlich der Wunsch auf, den Jakobsweg zu gehen.

Fünf Kilometer vor Vézelay, einer berühmten Station am Jakobsweg, hatten wir unser Auto geparkt. Meine Begleiter drückten mir einen Pilgerstab in die Hand. Gerne ging ich auf ihren Vorschlag ein, die kurze Strecke bis zur Kathedrale zu Fuß zurückzulegen. Doch dieses Wegstück mit seinem langsamen Aufstieg zur Kirche, der Anblick der alten Steinfliesen, das Betreten der romanischen Basilika und das stille Verweilen im heiligen Raum, der Gedanke an Tausende Pilger, die im Laufe der Jahrhunderte hier gebetet hatten – das alles berührte mich zutiefst. Spontan stieg in mir der Wunsch auf, selber den Jakobsweg, den sogenannten Camino, unter die Füße zu nehmen.

Nach dem jahrelangen „Bete und arbeite!“, wie ich es als Benediktiner gewohnt war, wollte ich Neuland unter meinen Füßen betreten. Zu meiner großen Überraschung sagte der Abt „ja“.

Kaum einer von uns Einsiedler Mönchen hatte den Camino je gemacht. Gewiss, mein Tischnachbar, der betagte Bruder Alois, rühmte sich immer wieder, dass er den Jakobsweg sehr wohl kenne. Wenn ich nachfragte, wie weit er ihn denn zu Fuß gegangen sei, antwortete er halb prahlend, halb schmunzelnd: „Also, ich stieg jeweils in Santiago aus dem Car und überquerte den Vorplatz bis zur Kathedrale, das waren ganz sicher hundert Meter!“

Ich hatte mir für den Pilgerweg Folgendes ausgedacht: In Einsiedeln starten und per Fahrrad die Schweiz und Frankreich durchqueren. Erst auf spanischem Boden würde ich den Lenker mit dem Pilgerstab vertauschen. Dann hieß es 700 Kilometer zu Fuß bis nach Santiago und wieder 700 Kilometer zurück, um schließlich per Rad nach Einsiedeln zurückzufahren. Der Abt stellte mir dafür 50 Tage zur Verfügung.

Was das Übernachten betraf, so wollte ich trotz des zusätzlichen Gewichts auf keinen Fall auf ein Zelt verzichten. Ich hatte einen Film gesehen, der mir den Schlaf raubte. Auf den Betten sitzend, stachen Pilger einander die Blasen auf, überall hing nasse Wäsche herum, und es wurde geschnarcht, dass die Balken krachten. Wie sollte ich, der ich über Jahrzehnte hinweg meine Mönchszelle allein bewohnte, da überhaupt Schlaf finden?

Rasch ging es ans Packen. Die Frage war jedoch nicht „Was nehme ich mit?“, sondern vielmehr „Was lasse ich alles zuhause?“ Zelt, Schlafsack und Luftmatratze alleine wogen schon drei Kilo. Keinesfalls würde ich mehr als zwölf Kilo mit mir herumtragen! Unverzichtbar erschienen mir aber verschiedene Kleider (auch warme), ein Regenponcho (der gleichzeitig als Zeltunterlage diente), Toilettenartikel, ein Reparaturset für das Rad, Helm, Pumpe, Esswaren, Trinkflasche, Messer, Taschenlampe und Fotoapparat sowie eine kleine Apotheke. Am Abend des 4. Juli 2003 stand das Fahrrad, mit einem unförmigen Rucksack beladen, im Klosterkeller bereit und wartete auf den Morgen.

Neuland unter den Sandalen

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