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„GO WEST!“ 5. Juli

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Um 5.30 Uhr begab ich mich in die Klosterkirche. Vor dem großen Aufbruch wollte ich nochmals mit den Mitbrüdern ins Gotteslob einstimmen. Gleich nach dem kräftigen Frühstück holte ich das Rad hervor und schob es bis zum schweren Klostergitter, das sich ächzend öffnete. Ich hielt einen kurzen Moment inne. Dann fiel das Tor ins Schloss. Und los ging’s.

Zunächst sollten es jedoch nur 300 Meter sein, denn schon bald bemerkte ich, dass im Hinterrad zu wenig Luft war. Glücklicherweise fand ich bei einer Tankstelle eine Pressluftpumpe. Aber ich hantierte so ungeschickt, dass die restliche Luft auch noch aus dem Schlauch entwich. Ich musste den am Vorabend aufwendig befestigten Rucksack wieder vom Gepäckträger nehmen. Immerhin glückte es im zweiten Anlauf. Endlich konnte es losgehen. Ich wollte nur noch fort, weg von allem, bloß kein bekanntes Gesicht mehr sehen.

Doch meine Schwester Simone, die in der Innerschweiz wohnt, hatte von meinen Plänen erfahren und wartete irgendwo am Straßenrand, um ein Erinnerungsfoto zu schießen. Im ersten Moment war ich etwas perplex. In ihrer Sorge wollte sie mir unbedingt noch einige Medikamente und Esswaren mitgeben. Nur mit Zwängen und Stoßen fand all das in und außerhalb des Rucksacks noch Platz. Dann gab’s einen Abschiedskuss. Und es ging endgültig los.

Beim Kloster Werthenstein gönnte ich mir eine Pause. Dort gab es eine unscheinbare kleine Grotte, wo angeblich heilendes Wasser entsprang. So füllte ich alle Flaschen mit dem wundertätigen Wasser. Und tatsächlich: Das erste Wunder ließ nicht lange auf sich warten. Denn in der nächsten Ortschaft war ich in einer langsam fahrenden Kolonne einem Autofahrer dicht auf den Fersen. Als er plötzlich abrupt bremste, konnte ich mit meinem schwer beladenen Fahrzeug einen Crash nicht mehr verhindern. Er kam wütend aus seinem Auto heraus und schimpfte laut. Aber ich besaß scheinbar schon die Abgeklärtheit des Jakobspilgers. Ich zog nur die Schultern hoch und schmunzelte über das ganze Gesicht. Da kein Schaden zu erkennen war, stieg der Fahrer leicht fluchend wieder in seinen Wagen.


„Ich wollte vorwärts kommen, alles hinter mir lassen und niemanden mehr sehen …“

Als ich das Entlebuch und das Emmental hinter mir gelassen hatte, fuhr ich in die helvetische Hauptstadt ein. Dort verlor ich jede Orientierung. Keiner konnte mir den Weg Richtung Murten weisen. So irrte ich verärgert in der Stadt herum und fand nicht mehr hinaus.

Endlich kam mir, im wörtlichen Sinn, der Himmel zu Hilfe. Denn ich blickte zur Sonne, die sich langsam Richtung Westen neigte. Das war’s! Ich musste mich doch nur immer westwärts halten, der Abendsonne entgegen, um zum Murtensee und schließlich nach Santiago zu kommen. „Go West!“ Das wurde zur wichtigsten Pilgerregel, die mich immer begleitete und mich nie im Stich ließ.

Bei untergehender Sonne erreichte ich schließlich den traumhaft gelegenen See. Ich fand einen idyllischen Zeltplatz. Die letzten Sonnenstrahlen waren Zeugen eines glücklichen Pilgers, der den ersten Tag seiner Reise mit einem erfrischenden Bad und einem dankbaren Gebet beschloss.

Neuland unter den Sandalen

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